BÜCHEREI FÜR POLITIK UND GESCHICHTE
DES DREI MASKEN VERLAGES
Deutscher Staatsgedanke
ZweiteReihe: DieParteien
III: Katholizismus i
Der deutsche Staatsgedanke
Eine Sammlung
Begründet von Arno Duch
Zweite Reihe: Die Parteien und der Staat
III
Der politische Katholizismus
Auswahl in zwei Bänden
Erster Band
I 9 2 I
Drei Masken Verlag München
Der politische Katholizismus
Dokumente seiner Entwicklung
I
(i8 I 5 bis I 870)
Ausgewählt und eingfeleitet
von
Prof. Dr, Ludwig Bergsträßer
Mit 6 Bildnissen
I 9 2 I
Drei Masken Verlag München
ViEcG
Alle Rechte vorbehalten
*
Für Vorwort, Einleitung und Anmerkungen des Herausgebers
Copyright 192 1
by Drei Masken Verlag A.-G.
München
Druck von E. Haberland, Leipzig
^■^-*=5S^
\1
Otto Melier
in alter Freundschaft
Vorwort
Eine Zusammenstellung wie die folgende, ist um so schwieri-
ger, je umfangreicher der Stoff ist. Ich habe mich darum streng
daran gehalten, nur Stücke zu bringen, die politisch sind, und
habe im zeitlichen Fortschreiten die praktische Politik in dem-
selben Verhältnis mehr berücksichtigt, als sie tatsächlich in den
Vordergrund tritt. Die Einzelstaaten haben für die Zeit nach
1850 mit Ausnahme Preußens zurücktreten müssen; einmal
ist das Material für sie noch garnicht bearbeitet ; dann ist auch
die Entwicklung in Preußen diejenige, die sich später gerad-
linig im Zentrum fortsetzt. Wenn einzelne Personen bevorzugt
erscheinen, wie Reichensperger, so liegt das in ihrer besonderen
Stellung. Darüber kommt man auch bei einer solchen Auswahl
nicht hinweg. Adam Müller ist ganz ausgeschieden, weil er in
einem besonderem Bande der Sammlung behandelt werden
soll*) ; aus dem gleichen Grunde ist von Radowitz nur die
offizielle Erklärung im Frankfurter Parlament gebracht. Ihr
Fehlen wäre eine störende Lücke in einer Auswahl, die gerade
von der parlamentarischen Entwicklung der Vorläufer der Zen-
trumspartei ein Bild geben möchte.
Die Einleitung zieht nur die allgemeinen Linien. Die nöti-
gen besonderen Angaben zum Verständnis der einzelnen
Stücke findet der Leser in den Anmerkungen, die Angaben,
woher die einzelnen Stücke stammen, sind ihnen jeweils
am Schluß als Fußnote beigegeben. Ich hoffe, daß durch
diese Trennung der Leser mehr Klarheit gewinnt und das
Büchlein seinen Zweck besser erfüllen kann, ein anschauliches
Bild von der Entstehung einer unserer wichtigsten politischen
*) Für Görres sei zur Eriiänzimo» auf den Sonderband der S immluug ver;
wiesen, der seine Anschauungen vor dem Jahre 1824 behandelt.
Parteien zu geben. Der zweite Band wird wesentlich der Zen-
truriispartei von ihrer Gründung bis zum Ausbruche des Welt-
krieges gewidmet sein.
Lichterfelde, den 21. Juli 1920
Professor Bergsträßer
Einleitung
Die ersten Anstöße zu einer politischen Betätigung ergeben
sich für die deutschen Katholiken zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts rein aus der praktischen Notwendigkeit. Die
Säkularisationen haben die Stellung der Kirche im staatlichen
Leben tiefgreifend verändert; die Mediatisierungen haben in
gleicher Richtung weitergewirkt ; erst mit den Beschlüssen des
Wiener Kongresses sind die deutschen staatlichen Zustände er-
neut gefestigt worden; es handelt sich nun darum, die Bezie-
hungen der Kirche zu den veränderten Staaten, ihre Stellung
in ihnen zu regeln.
Das ist um so wichtiger, als sich in der Zwischenzeit, teilweise
auch schon ehe die staatliche Umwälzung einsetzte, die Rei-
bungen zwischen der Kirche und den Regierungen ge-
steigert hatten. Das lag im Wesen der absolutischen Aufklä-
rung. Die Kämpfe im Österreich Josefs IL sind hierfür ty-
pisch ; sie spielen sich ähnlich in fast allen anderen Staaten ab
und sie wirken auf die Männer, die als Mitglieder der geist-
lichen Verwaltung die Rechte der Kirche pflichtgemäß wahrzu-
nehmen haben, um so stärker, je weniger sie an derartige Aus-
einandersetzungen gewöhnt waren, da, wo bis zum Jahre 1803
staatliche und kirchliche Autorität vereinigt waren. Die Geist-
lichkeit der früheren geistlichen Territorien ist das Hinein-
reden der Bureaukratie in die Einzelheiten der kirchlichen Ar-
beit nicht gewohnt. Die katholische Regierung des Kurfürsten-
tums Würzburg hat das Ordinariat des früher reichsunmittel-
baren Bistums Bamberg allein in den Jahren 1802 — 1805 mit
64 Verordnungen beglückt, von denen einige tief in die kirch-
lichen Bräuche bei Leichenbegängnissen, Prozessionen und so
weiter eingriffen.
5
1
Die Bureaukratie des aufgeklärten Absolutismus will ihre
Allmacht auch über die Kirche ausdehnen, nicht aus Kirchen-
feindschaft, sondern aus der Überzeugtheit, daß sie das Beste
nicht nur wolle, sondern könne. Die Geistlichkeit wehrt sich.
Sie findet einen Rückhalt an der Stimmung der Bevölkerung, der
ihre kirchlichen Gebräuche ans Herz gewachsen sind. Sie hatte
sich in der ersten Wut gegen die unschuldigen Pfarrer gewandt,
Avenn alte Übungen plötzlich nicht vollzogen wurden. Die kirch-
lichen Oberen können garnicht anders als sich zur Wehr setzen.
Das ist nicht ganz leicht, denn nunmehr stehen ja auch sie
der allmächtigen Staatsregierung als Untertanen gegenüber.
Sie haben nicht mehr den Rückhalt an ihrer Selbständigkeit und
dem Einfluß der Kirchenfürsten. Der äußerlichen Machtmittel
beraubt suchen sie in geistigen ihre Stütze. Aus der Not der
Zeit heraus kommen sie zu engerem Anschluß an die Kurie.
Er bleibt nicht aufs Praktische beschränkt, sondern gibt sich
bald in einer geistigen Wandlung kund. Die Zusammenhänge
zwischen den Säkularisationen und dem, was man die Ultramon-
tanisierung der katholischen Kirche genannt hat, sind bekannt
und unbestritten. Sie werden ergänzt durch eine analoge Ent-
wicklung von unten her. Die schwere Zeit der Not erweckt in
vielen wieder stärker den Glauben, die bureaukratische Unge-
schicklichkeit tut das ihre.
Ganz auf diesem Boden erwachsen ist der ,, Literarische Ver-
ein zur Aufrechterhaltung, Verteidigung und Auslegung der
römisch-katholischen Religion", zu dem 1814 etwa 40 — 50
Männer in Bayern zusammentreten, meist Mitglieder der Bis-
tumsverwaltungen. Er kämpft innerhalb der Kirche besonders
auf dem literarischen Gebiete für die strengere Richtung, für
die Orthodoxie; nach außen für die Rechte der Kirche und ihre
Berücksichtigung wie Sicherstellung bei der Neuordnung
Deutschlands ; zunächst in Bayern, aber darüber hinausgreifend
auf ganz Deutschland, wie seine Denkschrift an die deutschen
Fürsten zeigt. In den Auseinandersetzungen über das Konkor-
dat in Bayern hat er eine bedeutende Rolle gespielt. Männer,
die diesem Verein angehört haben, traten'sofort auf dem ersten
Landtage für die Rechte der Kirche ein, bewußt kurialistisch,
wie denn einer der ihrigen, der Landtagsabgeordnete Egger
die ultramontanischen Grundsätze, die ihm von Gegnern vor-
geworfen werden, nicht nur verteidigt, sondern als den einzf^
richtigen katholischen Standpunkt stolz hervorhebt.
Der Kampf geht nicht nur um Geistiges, um die großen kirch-
lichen und politischen Grundsätze, sondern eben in dieser Zeit der
Neuordnung auch stark um materielle Güter. Aus der Säkula-
risation hat die Kirche Ansprüche an die Staaten, die ihren Be-
sitz eingezogen und ihre staatlichen Hoheitsrechte übernommen
haben. Der Reichsdeputationshauptschluß hat ihnen eine
Unterhaltspflicht gegenüber der Kirche auferlegt und für die
Vertreter der Kirche in den verschiedenen Landtagen oder in
der Publizistik handelt es sich vielfach darum, daß sie die Trag-
weite dieser Rechte im einzelnen nachweisen, Forderungen auf
staatliche Aufwendungen begründen ; hier für die Verwaltung
eines Bistums, dort für ein Klerikalseminar, da für eine der Dia-
sporagemeinde nötige Kirche; und all dies immer unter Hinweis
auf die vertraglich festgelegten Rechte. Im einzelnen verschie-
denste Gegenstände, in der Grundlage derselbe Gedankengang.
Praktische Zwecke im wesentlichen haben diese Vorkämpfer
der katholischen Kirche verfolgt, wie etwa die Mainzer Kauf-
leute Kertell und Lauteren im hessischen Landtage oder der
Niedersaulheimer Bürgermeister Neeb, trotz seiner Vergangen-
heit als Professor der Philosophie mehr ein Mann des Lebens
als der Theorie in seiner politischen Betätigung.
Ganz anders ist der Ausgangspunkt einer zweiten Gruppe
katholischer Politiker. Sie wurzeln in einer allgemeinen gei-
stigen Strömung. Die literarische Romantik hat an sich schon
starke Verbindungen zum Katholizismus ; soweit sie bewußt in
die Vergangenheit zurückgeht, muß sie auf die katholische
Kirche als den Mittelpunkt mittelalterlichen Lebens treffen.
Gerade den subjektivistisch Zerrissenen wird sie zum Stab, an
dem sie neue Festigkeit gewinnen. Es ist kein Zufall, daß eine
ganze Anzahl von Romantikern teils zur katholischen Kirche
übertrat, teils sich ihr wieder zuwandte. Die Reaktion gegen
Rationalismus und Aufklärung macht als geistige Gesamt-
stimmung natürlich nicht halt vor der Staatsanschauung des
Gegners, sie setzt dem Naturrecht das natürliche Recht, der
Konstruktion den Sinn für das Gewordene entgegen. So ent-
steht auf dem Boden der Romantik die organische Staatslehre
und alle die katholischen Politiker, die aus der Romantik
kommen, sind ihre Anhänger und Vertreter. Die von Gott vor-
bestimmte Entwicklung des Menschengeschlechtes umfaßt auch
den Staat als umfassende irdische Organisation, die nicht nur
den diesseitigen, sondern ebenso und letztlich mehr den ewigen
Zielen der Menschen zu dienen hat. Darum muß die Kirche
als Verwalterin des göttlichen Gutes auf Erden im Staate ihre
maßgebende Stelle haben. Der Staat selbst muß auf den na-
türlichen Grundlagen der von Gott gewollten vielgestaltigen
Differenzierung der Menschen im engsten Anschluß an die gott-
gegebenen natüHichen Bedingungen eingerichtet und geleitet
werden. Die Romantiker sind gegen die mechanische Gleich-
macherei des rationalistischen Liberalismus, für die Ausgestal-
tung der Korporationen, Zünfte, landschaftlichen, beruflichen,
örtlichen, ständischen Sonderheiten.
Beschränkten sich die Praktiker der ersten Gruppe in ihrem
Verhältnis zu den Regierungen auf kluge Taktik und eine von
allem Doktrinarismus freie Fähigkeit des Verhandeins, so stel-
len sich die Romantiker bewußt hinter die Regierungen, unter-
stützen sie in ihrem Kampfe gegen den Liberalismus und all
die Ideen und praktischen Forderungen, die in der französischen
Revolution erstmals als Feuerbrände unter die Massen der poli-
tisch Interessierten geschleudert worden sind. Wie in der
Kirche, so treten sie im Staate ein für die Autorität. Die
Kirche ist ihnen auch für das öffentliche Leben die stärkste
Stütze einer autoritativen Gestaltung; allerdings kann sie diese
Aufgabe nur erfüllen, wenn ihr die nötige Bewegungsfreiheit
gelassen wird, deren Grenze nur sie selbst bestimmen
8
kann. Adam Müller und Görres sind die bedeutendsten Ver-
treter dieser Richtung; von ihnen sind Haxthausen und Moy
direkt beeinflußt. Ringseis steht Görres persönlich nahe. Seit
1828 ist der Kreis, der sich um Görres in München gebildet
hat, in die Politik eingetreten; im Jahre 1837 sind seine Mit-
glieder führend im bayrischen Landtag. Auch der Konvertit
Jarcke gehört zu derselben Gruppe, die sich 1838 in den Histo-
risch-poHMschen Blättern zu bedeutsamer politischer Arbeit
vereinigt. Der hessische Jurist Seitz wäre ebenfalls hier einzu-
ordnen.
Vergleicht man beide Gruppen und geht dabei aus nicht von
der theoretischen Begründung, die sie ihrem Standpunkte
geben, sondern von den praktischen Maßnahmen, die sie für
das staatliche Leben oder wenigstens für die Grenzgebiete
zwischen Staat und Kirche empfehlen, zu denen die gesamte
Kulturpolitik zu rechnen ist, so ergeben sich denn doch wesent-
liche Übereinstimmungen, auf Grund deren man sagen kann,
daß eine das ganze Wesen eines Menschen durchdringende
Katholizität in gewissen Grenzen wenigstens einen bestimmten
Niederschlag auch in seinen politischen Auffassungen finden
wird. Man denke etwa an Übereinstimmungen bezüglich der
Ausdehnung der Schulpflicht.
Die Arbeit der beiden Richtungen hat ihre Erfolge gehabt.
Man kann wohl sagen, daß mit dem, Abschluß des ersten Drit-
tels des Jahrhunderts das Leben in der katholischen Kirche
Deutschlands sich wesentlich verlebendigt und vertieft liattc.
Die Neuorganisation der Kirche trug ihre Frucht ebenso wie
die Vertiefung kirchlicher Auffassung in der Romantik, die
erstere mehr für die Allgemeinheit, die letztere mehr bei den
Gebildeten; beides gleich bedeutsam. Denn die umfassende Or-
ganisation der Kirche kann nicht aufrecht erhalten werden ohne
den lebendigen Anteil oberer Schichten, aus denen Führer er-
wachsen. Eben die Zeit der Wiederaufrichtung der Kirche
beweist dies. Alle die Männer, die wir bisher erwähnten, ge-
hören der oberen ischicht an, wie denn überhaupt die politische
Bewegung innerhalb des Katholizismus in dieser Zeit genau so
auf die Gebildeten beschränkt gewesen ist, wie bei den anderen
politischen Richtungen.
Tiefere Kreise werden von ihr erst erfaßt in dem Augenblick,
wo der ungeheure psychologische Fehlgriff, den der preußische
Bureaukratismus mit der Gefangensetzung des Erzbischofs von
Köln tut, den einfachen Gläubigen bis ins innerste aufregt, weil
der irdische Vertreter, der höchste Träger göttlichen Symbols,
in rohester Weise vergewaltigt erscheint. Auf die Einzelheiten
des Kölner Ereignisses von 1837 kann hier nicht eingegangen
werden. Selbstverständlich hat der Gegensatz, der an sich
zwischen den kulturell um Jahrhunderte . älteren Rheinlanden
und der aus kolonialen Allüren noch nicht herausgekommenen
preußischen Herrschaft bestand, die Spaltung vertieft. Aber
der einzelne wird von dem Ergebnis doch um so mehr er-
griffen, je mehr die religiöse Saite in ihm anklingt, und die
Wirkung bleibt nicht auf die Provinz beschränkt. Sie geht
über ganz Deutschland, Der spontane Eindruck wird durch
die Publizistik vertieft. Allein der Athanasius des alten Gör-
res reißt tausende mit sich in seiner glutvoll lodernden Sprache.
August Reichensperger ist einer der vielen, die damals wieder
lebendige Glieder ihrer Kirche geworden sind. Und alle diese
neu der Kirche Verbundenen stellen sich nun gerade hinter die,
die schon bisher am folgerichtigsten die Interessen der Kirche
dem Staate gegenüber wahrgenommen haben; es sind zugleich
die in rein kirchlicher Hinsicht kurialistisch Gesinnten, die
Ultramontanen — ein Wort, das damals noch keinen herab-
setzenden Nebensinn hatte.
Neue Gedanken sind durch das Kölner Ereignis eigentlich
nicht ausgelöst worden, weshalb wir uns mit kurzen Aus- ,
zügen aus dem Athanasius begnügen. Nur für die politische
Praxis ergeben sich bestimmte, in der Folge wichtige Ein-
stellungen. Der Kampf gegen die Übergriffe der Bureau-
kratie verbindet sich in den Rheinlanden mit den für die
freieren und den Bedürfnissen eines großen Staates mehr
10
ang^epaßten französischen Rechtseinrichtungen. Waren schon
die Vertreter der kirchlichen Interessen im hessischen Land-
tage durchweg ehrlich konstitutionell und in gewissem
Sinne liberal, so findet sich in den rheinischen katholischen
Führern die gleiche Verbindung. Peter Reichensperger hat
die rheinischen Rechtsinstitutionen öffentlich gegen die An-
griffe des Ministers von Kamptz verteidigt. Trotzdem waren
auch die rheinischen Klerikalen nicht für einen preußischen
Konstitutionalismus;, sie fürchteten von ihm, daß er den Zentra-
lismus verstärken und dadurch die Provinz innerhalb des Staa-
tes noch mehr majorisiefen werde; also eine Art rheinischer
Provinzialismus. Er war aber doch von der Art, daß er den
Übergang zur neuen Zeit im Jahre 1848 wesentlich erleichterte,
wenigstens gegenüber denen, die aus romantisch-konservativer
Grundstimmung heraus in der Revolution etwas Abscheuliches
und Furchtbares sehen mußten. •
In den Jahren vor der Revolution von 1848 war die katho-
lische politische Publizistik überall, wo die Kirche nicht gerade
mit der Regierung im Kampfe stand, auf das Leitmotiv abge-
stimmt, das später unter dem Schlagwort ,, Thron und Altar"
zusammengefaßt wurde. Die Kirche sei die beste Stütze des
bestehenden Regiments. Schon die ersten Tage der Revolution
erwiesen, daß diese Haltung bis zu einem gewissen Grade tak-
tischen Notwendigkeiten nicht politischer Überzeugung ent-
sprungen war. Maßgebende kirchliche Zeitschriften, wie der
Katholik oder auch die katholischen Sonntagsblätter in Mainz,
fanden sich mit der Tatsache der Revolution und mit dem Zeit-
alter des Parlamentarismus verblüffend schnell ab. Sie beeilten
sich, das Problem des Verhältnisses der Kirche zu dem so um-
geformten Staate folgerichtig durchzudenken, und kamen zu
dem Ergebnis, daß die Kirche sich dem neuen angleichen
müsse; dann könne sie auch und gerade in der neuen Zeit aus
den neuen Verhältnissen für sich Nutzen ziehen. , »Trennung
von Staat und Kirche" war ein altes liberales Schlagwort ; es
wurde von den Katholiken sofort in dem Sinne ausgelegt, daß
II
nun die Kirche von allem bureaukratischen Druck befreit in
Verwaltung und Betätigung ganz selbständig werden müsse,
genau so wie jede andere Vereinigung freier Staatsbürger zu
dem Gesetz nicht zuwiderlaufenden Zwecken.
Diese Forderungen waren dem bestehenden Rechtszustande
gegenüber im einzelnen von größter Tragweite; sie wurden so-
gleich in der Presse begründet und erklärt und man bediente
sich zu ihrer Verbreitung in der Öffentlichkeit sowie zu ihrer
Unterstützung alsbald der praktisch wichtigsten der März-
errungenschaften. Von Mainz aus wurden „Piusvereine" zur
Wahrung der Interessen der katholischen Kirche begründet,
die bald in allen Landesteilen mit katholischer Bevölkerung
große Verbreitung fanden. In Baden wurde der altverdiente
katholische Volksvertreter Professor F. J. Büß ihr Leiter, ein
überaus geschickter Agitator, der in die ganze Arbeit einen
lebendigen Zug brachte und es trefiflich verstand, seine Bauern
zu packen. Er hat das ganze Reichsverfassungswerk der Pauls-
kirche mit Petitionen für die Interessen der Kirche getreulich
begleitet.
Mancherorts gelang es schon, auf die Wahlbewegung Einfluß
zu nehmen. Einzelne Bischöfe ergriffen zu ihr das Wort, teils
um von radikalen Bestrebungen abzumahnen, teils um die Inter-
essen der Kirche hervorzuheben. So wurde neben einer Reihe
politisch schon bekannter katholischer Laien eine größere An-
zahl katholischer Geistlicher in das Reichsparlament und in die
preußische Nationalversammlung gewählt, von denen die weit-
aus überwiegende Zahl der klerikalen Richtung angehörte.
Einer der Ranghöchsten und gewiß der Willensstärkste unter
ihnen, der Erzbischof von Köln, Kardinal von Geißel versuchte
als Mitglied der preußischen Volksvertretung dort die katho-
lischen Abgeordneten zu gemeinsamer Arbeit für die Kirche
zu einigen. Es gelang nicht, weil die politische Auffassung
allzu verschieden war. Besseren Erfolg hatte ein gleicher Ver-
such, die auf seine Initiative hin in Frankfurt vom Kardinal
Diepenbrock gemacht wurde. Hier bildete sich bei der Beratung
12
der Grundrechte ein katholischer Klub, dessen Vorsitzender
der vertraute Freund Friedrich Wilhelms IV., der General Von
Radowitz, dessen Vizepräsident August Reichensperger wurde.
Ihm gehörte auch der Münchner Stiftsprobst und Professor
Döllinger an. Der Klub beschränkte seine Wirksamkeit auf die
Fragen, in denen kirchliche Interessen mitspielten; hier stellte er
Anträge, schickte Redner vor und suchte auch mit den rein po-
litischen Parteien Fühlung zu nehmen; seine Aufgabe war nicht
leicht, da ein Teil der Liberalen in der katholischen Kirche den
Hort der Reaktion sah. Aus kluger Taktik wurde darum be-
schlossen, die Jesuiten dem, wenn auch unbegründeten, Wider-
willen der Feinde preiszugeben, um sie in den grundsätzlichen
Fragen den eignen Wünschen geneigter zu machen. Radowitz
selbst übernahm es, in einer Rede diese Stellungnahme zu be-
gründen, während Reichensperger und Döllinger sonst am
meisten Anteil an der parlamentarischen Arbeit hatten. Döl-
linger schrieb den Rechenschaftsbericht der Fraktion; er hat
ihre Politik auf der Generalversammlung der katholischen Ver-
eine in Mainz, der ersten Katholikenversammlung, gerecht-
fertigt.
Damit hatten die katholischen Politiker schon in dieser Früh-
zeit parlamentarischer Arbeit eine treffliche Verbindung zwi-
schen Fraktion und Wählern herzustellen gewußt, wie es andere
Parteien in diesem Umfang weder erstrebt noch erreicht hat-
ten. Der katholische Klub selbst war ein Zweckverband; er
löste sich auf, nachdem die Beratung der Grundrechte abge-
schlossen war. Seine Mitglieder verteilten sich wieder auf die
verschiedenen Parteien, jedoch so, daß keines von ihnen der
eigentlichen Linken angehörte. Radikalen Strebungen haben
die Vertreter des politischen Katholizismus in Deutschland
immer fern gestandien.
Der Abschluß der Beratung der Grundrechte bringt eine
allgemeine Umgruppierung der Parteien des Frankfurter Par-
laments mit sich. Die Frage der deutschen Einheit tritt in den
Vordergrund und wird von den einen dahin beantwortet, daß
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ein kleindeutsches Reich unter Preußens Führung ohne Oester-
reich, von den anderen, daß ein groß deutsches Reich unter
Habsburgs Führung gebildet werden solle. Mit verschwinden-
den Ausnahmen, zu denen Radowitz gehörte, standen die Ver-
treter der katholischen Politik im großdeutschen Lager, auch
die Preußen. Büß hat am klarsten und offensten betont, daß
hierbei konfessionelle Gesichtspunkte entscheidend mitgespro-
chen haben; auch andere leugneten das nicht; sie behaupteten,
daß dies gegenseitig der Fall sei, und haben damit gewiß nicht
ganz unrecht gehabt, wenn man auch nicht verkennen darf, daß
verschiedentliche andere Gründe teilweise stärker einwirkten.
Es ist eben doch so, daß ein strenggläubiger Katholik, dessen
ganze Anschauungswelt katholisch begründet ist, von ihr aus
zu bestimmten Ergebnissen kommt und ei'gentlich kommen muß,
wenn er politische Fragen durchdenkt. Nicht nur praktisch,
wie bei der Einheitsfrage, wo es sich um protestantisches und
katholisches Kaisertum und daneben darum handelte, ob die
Kathcliken im zukünftigen Deutschland in der Minderheit sein
würden oder nicht; auch eine mehr von theoretischen Erwä-
gungen ausgehende Betrachtung wird bestimmte durch die
Kirchlichkeit begründete Forderungen aufstellen. Charakte-
ristisch hierfür ist die Auffassung, die Döllinger bezüglich der
polnischen Frage vertritt. Gerechtigkeit und Ablehnung der
Gewaltpolitik entspricht gewiß besonders christlicher Über-
zeugung. Taktische Rücksichten sprachen damals gar nicht
mit, denn sie lätten eher umgekehrt dazu führen müssen, mög-
lichst viele Polen im preußisch-deutschen Staatsverbande zu
erhalten. Die spätere enge Verbindung der Zentrumsfraktion
mit den Polen ist weniger frei von diesen taktischen Erwä-
gungen.
Wenn es auch in der preußischen Nationalversammlung
nicht gelungen war, die Katholiken zu einer Fraktion zu ver-
einten, eine katholische Fraktion zu bilden, so ,, vereinigten
doch hervorragende katholische Abgeordnete für alle die Kirche
betreffenden Fragen- in freier Übereinkunft ihre Kräfte." Sie
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konnten mit dem Ausgange zufrieden sein. Der Entwurf der
Verfassung, wie er im Ausschuß festgestellt war, enthielt in
den Grundrechten eine Formulierung der P"reiheit der Kirche,
mit der sie wohl einverstanden sein konnten. Inwieweit sie an
ihr aktiven Anteil hatten und inwieweit etwa katholische Ein-
flüsse bei der Oktroyierung mitgespielt haben, läßt sich nach
dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis dieser Vorgänge
nicht entscheiden. Sicher ist nur, daß die katholischen Abgeord-
neten sich in den folgenden Kammersitzungen wirksamer als in
dieser ersten zusammengeschlossen haben. Auch ist ihre Arbeit
während der Revision der Verfassung ersichtlich erfolgreich
gewesen. Ein Brief I.inhofFs, des späteren Leiters der katho-
lischen Abteilung im preußischen Kultusministerium, an seinen
Bischof läßt uns in diese Arbeit etwas hineinblicken, Linhoff
traf sich mit anderen katholischen Abgeordneten zu regel-
mäßigen Beratungen wenigstens in dem Tagungsabschnitt
des Winters 1850 bis 1851 im Keller bei der Herkulesbrücke,
nachdem Erzbischof Geißel schon im November 1850 mit den
Abgeordneten eine Besprechung gehabt hatte. Inwieweit bei
diesen Besprechungen die Rede davon gewesen sein mag, sich
zur Wahrung der kirchlichen Interessen dauernd zusammenzu-
schließen, ist nicht festzustellen. Wenn man daran dachte, so
doch wohl mehr in der Form eines bloßen Zweckverbandes nach
Frankfurter Muster, nicht in der einer von den Parteien ge-
trennten, ihnen gleichgeordneten selbständigen Fraktion.
Wenigstens sprechen alle Gründe dafür, daß die Begründung
dieser selbständigen Fraktion im Jahre 1852 erst infolge von
Eingriffen möglich wurde, die das preußische Kultusmini-
sterium durch zwei Erlasse in das Gebiet der verfassungs-
mäßig garantierten Selbstverwaltung der Kirche machte.
In dem einen dieser Erlasse wurde das Abhalten von Mis-
sionen durch ausländische Geistliche von der Erlaubnis der
Polizei abhängig gemacht und damit außerordentlich erschwert,
in dem andern wurde der Besuch des Collegium germanicum
an eine ausdrückliche Erlaubnis geknüpft, die das Ministerium
15
zu erteilen sich selbst vorbehielt. Einem jungen Studenten
wurde sie sogleich verweigert. All dies geschah im Sommer
des Jahres in dem' noch Neuwahlen zum Abgeordnetenhause
stattfinden sollten, und gab eine treffliche Grundlage zu poli-
tischer Agitation. Das um so mehr, als der katholische Volksteil
die Empfindung hatte, während der Revolution weniger wie der
protestantische zu Klagen Anlaß gegeben zu haben. Durch die
kirchenpolitischen Garantien der Verfassung schienen die alten
Gegensätze zwischen der Berliner Regierung und dem katho-
lischen Volksteil bereinigt; nun wurden sie durch diese Erlasse
neu erweckt; in der katholischen Bevölkerung wurden die Er-
lasse aufgefaßt als der Versuch, trota der Verfassung das Prin-
zip des protestantischen Staates durchzuführen, das eine be-
stimmte Gruppe der konservativen Partei ziemlich offen vertrat.
In den katholischen Gebieten wurde zur Wahl katholisch zu-
verlässiger Kandidaten aufgefordert, denen der Zusammen-
schluß zu einer eigenen Fraktion zur Pflicht gemacht werden
sollte.
Ihrer dreiundsechzig fanden sich auf dieser Grundlage zur
katholischen Fraktion zusammen, unter vielen Neulingen auch
eine ganze Anzahl altbewährter Parlamentarier, vor allem die
Brüder Peter und August Reichensperger, die bis zur Reichs-
gründung die Führer der Partei geblieben sind und einen so
maßgebenden Einfluß hatten, daß man vielfach direkt von der
Fraktion Reichensperger sprach. Zusammengehalten wurden
sie durch das konfessionelle Band ; denn die politische Anschau-
ung war auch damals noch ziemlich verschieden; besonders
einige westfälische Adlige standen weit mehr rechts als das
Gros der Fraktion; sie sind im späteren Verlauf ausgeschieden.
Die Fraktion selbst wurde durch die politischen Verhältnisse
in eine von ihr selbst durchaus unbeabsichtigte Opposition ge-
drängt.
Ihr erstes Auftreten ging nicht darauf aus. Sie stellte den
Antrag, den König durch eine Adresse um Aufhebung der Er-
lasse des Kultusministers zu bitten, und brachte in der anschlie-
i6
ßenden Debatte ihre Beschwerden gründlich und nicht ohne
Erfolg vor. Der Minister gab den Erlassen einen einschränken-
den Sinn, der ihnen ziemlich alle Bedeutung nahm.
Gewiß nicht ohne Absicht hatten die Redner der Fraktion
die Bedeutung der Kirche für die Erhaltung staatlicher Autori-
tät unterstrichen, denn dieses Argument mußte, wenn eines,
auf die revolutionsfürchtige Regierung und auf die ausschlag-
gebende konservative Partei Eindruck machen. Trotzdem er-
wies sich auf die Dauer ein Zusammengehen mit den Konser-
vativen als untunlich. Diese strebten gerade damals eine syste-
matische weitere Änderung der Verfassung an, nicht nur eine
Revision wie sie schon durchgeführt war, sondern eine völlige
Umwandlung nach dem ständischen Prinzip, derart daß von
konstitutionellen Einrichtungen im modernen Sinne nichts
übriggeblieben wäre. Dem versagte sich die katholische Frak-
tion entschieden; nicht nur aus der politischen Überzeugung
der Mehrzahl ihrer Mitglieder, sondern sehr wesentlich auch
aus konfessionellen Gründen. Keinesfalls wollte man auf den
Schutz verzichten, den die kirchenpolitischen Artikel der Ver-
fassung boten. Wie wichtig sie den katholischen Politikern er-
schienen, hat sich im Jahre 1871 deutlich gezeigt, als sie ihre
Übernahme in die Reichsverfassung beantragten. Darüber hin-
aus bot das konstitutionelle System mit der ständigen Volks-
vertretung nicht zu unterschätzende Möglichkeiten kirchliche
Wünsche in aller Öffentlichkeit geltend zu machen und eben
dadurch auch wieder den Einfluß der ^katholischen Bevölkerung
zu stärken, indem man ihre politische Geschlossenheit immer
mehr durchbildete. Selbstverständlich war die weitaus über-
wiegende Mehrheit der Fraktion auch davon überzeugt, daß
die einmal gegebene Verfassung nicht wieder abgeschafft wer-
den könne. So tat sie sich mit der Partei des Preußischen
Wochenblattes und mit den Liberalen zusammen zu einer Min-
derheit ehrlicher Kämpfer für preußischen Konstitutionalismus.
Ihre spezielle kirchenpolitische Wirksamkeit ging hauptsäch-
lich nach zwei Richtungen; einmal hat auch die katholische
Bergsträtic-r 1. XJ
Fraktion im preußischen Abgeordnetennause, in ähnlicher W eise
wie vor ihr schon die Vertreter katholischer Interessen in den
süddeutschen Landtagen, vom Staate die volle Einhaltung der
aus den Säkularisationen erwachsenen Verpflichtungen verlangt.
Sie hat diesbezügliche Anträge gestellt und in großen zusam-
menhängenden Aufstellungen eine Gesamtübersicht gegeben.
Letztere wurden veröffentlicht und dienten ebenso wie eine
Darstellung der Verhandlungen anläßlich des Antrags gegen
die Raumerschen Erlasse als Rechenschaftsberichte. Keine
andre Fraktion hat in den politisch müden fünfziger Jahren
so viel getan, sich die Verbindung zu ihren Wählern lebendig
zu erhalten. Darüber hinaus forderte die Fraktion energisch
die Durchführung der verfassungsmäßig zugesagten Parität.
Nicht nur in der gleichen freien Stellung der katholischen
Kirche, sondern auch darin, daß bei Besetzung der staatlichen
Stellen der katholische Volksteil im Verhältnis seiner Zahl be-
rücksichtigt werde. Davon war bislang keine Rede gewesen.
Die Fraktion konnte darauf hinweisen, daß fast alle höheren
Regierungsämter so gut wie ausschließlich mit Protestanten
besetzt waren, Ministerposten, Oberpräsidien, Regierungsprä-
sidien und ein unverhältnismäßiger Teil der Landratsämter
allein in der politischen Verwaltung. Im großen und ganzen
waren die Ergebnisse dieser Arbeit gering.
Als im Jahre 1859 die konservative Vorherrschaft im Staate
und in der Volksvertretung ihr Ende fand, änderte sich die
Stellung der katholischen Fraktion. Das Ministerium der neuen
Ära, zum Teil aus Führern der bisher mit der Fraktion ver-
bündeten Parteien bestehend, legte der Fraktion nahe, da sie von
ihm doch Eingriffe in die Rechte der katholischen Kirche n-'cht
zu gewärtigen habe, den als aggressiv empfundenen Namen ab-
zulegen. Die Fraktion ging darauf ein, nicht ohne daß alte Par-
lamentarier wie Mallinckrodt Widerstand geleistet hätten, und
nannte sich nach den Sitzen, die sie immer eingenommen hatte,
mit dem neutralen Namen Zentrum. Jedoch setzten die An-
hänger der alten Bezeichnung durch, daß diese in Klammern
dem neuen Namen beigefügt wurde und so erhalten blieb. Den
Wählern gegenüber gewiß eine kluge Maßnahme.
Innerpolitisch blieb die Fraktion auch unter dem neuen Na-
men bei ihrer alten Politik. Sie blieb Anhängerin eines gemäßig-
ten Konstitutionalismus ; die von dem linken Flügel der Libe-
ralen, seit 1861 der deutschen Fortschrittspartei, erstrebte Er-
weiterung der Rechte der Volksvertretung im Sinne eines Über-
ganges zum parlamentarischen System machte sie nicht mit,
ihre Richtschnur blieb — nach beiden Seiten — die Ver-
fassung. Auf die Wahrung des Budgetrechtes legte sie großen
Wert.
In dem großen Kampfe um die Heeresreform suchte sie eine
mittlere, zeitweise auch eine vermittelnde Stellung zu wahren.
Sie war zahlenmäßig zu schwach, allein auf diesem Wege Er-
folge zu erzielen, und fand bei anderen Gruppen um so weniger
Unterstützung, als die Altliberalen, mit denen sie hätte zusam-
mengehen können, durch jeden neuen Wahlkampf mehr zer-
mürbt wurden.
Die innerpolitische Haltung der Fraktion ist um so bemer-
kenswerter und stellt sich um so mehr als ein bewußtes Maß-
halten dar, als die Fraktion seit dem Jahre 1859 mit der aus-
wärtigen Politik der Regierung nicht einverstanden war. Der
italienisch-österreichische Krieg rollte die deutsche Frage erneut
auf und die Fraktion stellte sich, wie ihre Vorgänger, wiederum
auf die großdeutsche Seite. Sie wollte, daß Preußen dem
('österreichischen .Staate helfe, und verdammte in der späteren
Zeit, als Bismarck die auswärtige Politik Preußens leitete, die
egoistische Machtpolitik, die er führte, durchaus. Die Wähler-
schaft billigte d'ese Politik der Fraktion vollkommen, sie war
mit ihren Gefühlen ganz bei den alten habsburgischen Traditio-
nen. Anders in der polnischen Frage. Da gingen die Sympa-
thien der kathol'schen Bevölkerung mit den aufständischen
Glaubensgenossen, während die Führer der Fraktion einer
Unterstützung der Polen schon deswegen nicht das Wort rede-
ten, weil sie darin eine Verbindung mit revolutionären Tenden-
a* 19
zen sahen. Und die haben sie immer als dem christlichen
Standpunkte widersprechend durchaus abp^elehnt.
Es ist das einer der Fälle, wo man dem Wesen des politischen
Katholizismus von einer Seite aus entscheidend näher kommt.
Ernste Vertreter katholischer Weltanschauung haben den Zu-
sammenhang zwischen Religion und Politik nie bestritten, son-
dern immer wieder gefordert. Die modernen Moraltheologen
berücksichtigen die Verhältnisse, die sich aus der konsti-
tutionellen beziehungsweise parlamentarischen Staatsform er-
geben, indem sie die Pflichten, die dem katholischen Staats-
bürger daraus erwachsen, besprechen. Das geschah anfangs,
dem im Grunde so konservativen Charakter der katholischen
Kirche entsprechend, sehr vorsichtig, bis sich dann eine positive
Auffassung allmählich durchgesetzt hatte. Die katholische
Kirche bezieht eben ihre Lehren auf das gesamte Leben ihrer
Angehörigen, ohne die Politik davon auszunehmen. Und das
ist innerhalb der katholischen Gedankenwelt nicht nur selbst-
verständlich, sondern eine notwendige Folgerung. ,,Es ergeben
sich aus den Grundsätzen des katholischen Dogmas ganz be-
stimmte, weitgehende Konsequenzen für die Regelung der welt-
lichen, bürgerlichen und staatsbürgerlichen Angelegenheiten.
Insofern fallen für den gläubigen katholischen Christen eine
Menge rein bürgerlicher, staatsrechtlicher, gesellschaftlicher
Angelegenheiten unter das weite Gebiet der Religion, die für
den Protestanten nicht zur Religion gehören, sondern zu einem
vollständig freien Gebiet. Und das ist der große Unterschied
Zwischen katholischer und protestantischer Auffassung dieser
Dinge*)."
Indem die katholische Kirche den Kreis der sittlichen Ver-
pflichtungen so weit zieht, ergibt sich eine bestimmte Auffas-
sung zunächst für das Verhältnis von Staat und Kirche. Der
*) So formuliert TOm derzeiligen wüttemhergisch' n Stnatspräsidentcn Dr.
Hieber in einer Reichstagsrede zum Toleranzanimg des Zentrums am i. Mai
1902, zitiert in einem Aufsatze: Wahlrecht und Wahlpflicht in Stimmen der
Zeit, Bd. 96 (19 19), S. 317.
20
Staat ist Organisation nur für das zeitliche Leben, die Kirche
für das ewige. Sie dient demnach höheren Zwecken als der
Staat; darum steht sie über dem Staate; er hat ihr zu dienen
oder ihr wenigstens für ihre Arbeit alle und volle Freiheit zu
gewähren — mittelalterliche und neuzeitliche Formulierung für
dieselbe Sache, Innerhalb des Staates gilt, sowohl für die Be-
tätigung des einzelnen im Staate als für die Politik des Staates
selbst das Gebot der Moral, wie die Kirche sie lehrt. Das Ver-
hältnis der Staaten zueinander darf nur von der Idee der Ge-
rechtigkeit und des Friedens getragen sein, ebenso das Verhält-
nis der einzelnen Stände. So gewinnt der katholische Politiker
eine bestimmte Stellung zur sozialen Frage.
Selbstverständlich gibt es Fragen der Politik, bei denen die
Grundsätze der Moral nicht mitsprechen. Dazu gehört in ge-
wissem Sinne die der Staatsform. Die Moral verbietet jeg-
lichen Bruch bestehenden Rechtes, also auch jede Revolution;
aber sie hat kein Urteil darüber, ob Monarchie oder Republik
zu erstreben sei. Ist eine Umwandlung oder Umwälzung, auch
eine gewaltsame, einmal vollzogen, so verbietet die Moral nicht,
sich auf den Boden der gegebenen Tatsachen zu stellen. So
gehen Führer des Katholizismus von der absolutistischen zur
konstitutionellen, so geht 191 8 das Zentrum von der monar-
chischen zur republikanischen Staatsform über. So gibt auch
die katholische Weltanschauung an sich keine Antwort auf die
Frage, ob während der Konfliktszeit der Versuch der Fort-
schrittspartei, auf friedlichem Wege zum parlamentarischen Sy-
stem zu kommen, abgelehnt werden sollte oder nicht. (.
Da zeigen sich die natürlichen Grenzen der moralischen
Orientierung in der Politik. Genau so wie die gegensätzliche
Auffassung über die Staatsform die Katholiken in der preußi-
schen Nationalversammlung des Jahres 1848 am Zusammen-
schluß hinderte, so überwuchert in den sechziger Jahren allmäh-
lich die große verfassungspolitische Streitfrage, da sich alle
politischen Interessen auf sie vereinigen, den kirchlich-politi-
schen Standpunkt. Dadurch wird die katholische Fraktion all-
21
mählich aufgerieben. Von ihren Abgeordneten blieben schließ-
lich nur noch diejenigen, die in persönlichem Vertrauensver-
hältnis mit ihrem Wahlkreis lange schon verbunden waren ; Offi-
ziere ohne Heer. Die Auflösung vollzieht sich um so leichter,
als es damals zentrale Organisationen der Parteien noch
nicht gab. Es fehlte das Schwergewicht, das bei einer späteren
Parteientwicklung in dem ausgebreiteten Vereins- und Presse-
wesen besteht und Neubildungen von Parteien ebenso er-
schwert, wie den Untergang einmal vorhandener. Statt dessen
erfolgen Umbildungen von innen heraus oder Umgruppie-
rungen. Bestanden hat die Zentrumsfraktion bis nach dem
Kriege von 1866; dann ist sie sanft entschlafen. Die Mehrzahl
der noch tätigen Parlamentarier schloß sich der bundesstaatlich-
konstitutionellen Vereinigung an. Es fiel ihnen schwer, den
Anschluß an die neue Zeit zu finden. Ketteier hat vielen erst
durch seilte vom Standpunkte der Kirche aus in gutem Sinne
realpolitische Schrift den Weg gewiesen ; so waren sie vorbe-
reitet, als eine neue kirchenpolitische Bewegung einsetzte und
zu neuer Arbeit rief.
22
Dokumente
RechtlicheBitten und ehrfurchtsvollste
Wünsche der KathohkenDeutschlands
(i8i4)
Von Landrichter K, J. Schmid in Dillingen
Die Ratschlüsse der göttlichen Vorsehung hatten in einem
Zeitpunkte von einigen zwanzig Jahren fast unglaubliche und
wunderbare Abwechslungen in politischen und kirchlichen Ver-
hältnissen Europas herbeigeführt ; Staaten verschwanden und
lebten wieder auf. Die ganze hierarchische Ordnung des katho-
lischen Religionsgebäudes schien einem Zusammensturz nahe ;
durch eine unvermutete Umwendung der Dinge trat das ehr-
würdigste Oberhaupt der katholischen Kirche, das ganz aus
der politischen Welt vertilgt zu sein schien, sozusagen ganz
unbemerkt ohne Beiwirkung eines Menschen mit vollem Glänze
in seine vorige Laufbahn wieder ein.
Die ganze Welt schien zu einer vollständigen Umwandlung
bestimmt zu sein. Plötzlich nahm der Gang der Zerstörung
eine unerwartete Wendung; dem Strom des Verderbens wurde
Stillstand geboten; und unsere erhabenen Souveräne stehen nun
an dem Punkte, auch die aufgelösten Banden der deutschen
Staatsverfassung wieder in eine feste und dauerhafte Ordnung
zu knüpfen.
Der Grund zu dieser beruhigenden Hoffnung wurde von un-
seren erhabenen Staatsoberhäuptern schon in jenem Zeitpunkte
gelegt, da unsere alten Verfassungen besonders der geistlichen
Länder durch das unaufhaltbare Schicksal aufgelöst wurden,
und den weltlichen Fürsten die Zügel der Regierung über nev
Länder in die Hände fielen.
Schon dazumal erklärten sie feierlich, daß sie nicht als unun
schränkte Herren, sondern als Souveräne, das ist, als obersu
2-
Regenten freier Staaten diese Regierungen antreten würden.
Weit entfernt sich als Despoten, anzukünden, sicherten sie selbst
ihren neuen Staaten, und besonders den darin befindlichen Kir-
chengemeinden, auf die humanste Weise den Schutz ihrer bis-
her genossenen Rechte öffentlich zu.
Auf dieses gegebene Wort unserer Souv^eräne gestützt,
treten wir nun bei den herbeigeführten glücklicheren Zeitum-
ständen ehrfurchtsvoll vor ihre Throne, um sie nun dieser ihrer
Zusicherungen wieder zu erinnern und um die Erfüllung der-
selben nunmehr, da die bisherigen Hindernisse hinweggeräumt
sind, mit kindlichem Vertrauen zu bitten.
Da wir gegenwärtig bloß als Glieder einer religiösen und
kirchlichen Gemeinde, der katholischen, auftreten, so ergibt
sich von selbst, daß unsere Bitten und Wünsche sich aus-
schlüssig auf Religion und Kirche beziehen; und in diesem Ge-
sichtspunkte wird es uns dann erlaubt sein, vorzüglich unser
rechtliches Gesuch auf alles dasjenige auszudehnen, auf das
wir als Katholiken nach den allgemeinen Zusicherungen des
Lüneviller Friedens, und nach den darauf gegründeten Reichs-
abschlüssen und Rezessen sowohl, als nach den besonderen aus-
drücklichen Versprechungen unserer höchsten Landesväter
rechtliche Ansprüche machen zu können, beglaubt sind.
I. Nach dem Inhalte und den wiederholten Zusicherungen
und Bestätigungen des Friedens von Lüneville, nach dien aus-
drücklichen Äußerungen der französischen Regierung und nach
den eigenen Stipulationen der deutschen Fürsten ist die katho-
lische Religionsausübung und Kirchenverfassung zusamt dem
äußeren Gottesdienste, den diesesReligionsbekenntnis als zweck-
mäßig anerkannt und festgesetzt hat, ihren Bekennern, sie mögen
ganze Gemeinden oder einzelne Individuen sein, feierlich ver-
bürgt.
Die bisherigen Fürstentümer und Länder und Herrschaften,
welche in dem deutschen Reiche unter dem Titel geistlicher
Staaten bekannt waren, wurden zwar mit ihren Revenuen,
itaatsgefällen. Rechten und Regalien zur Entschädigung der
■6
weltlichen Fürsten für ihren in dem französischen Krieg- er-
littenen Länderverlust mit allen Souveränitätsrechten über-
lassen; aber eben diese erhabenen Fürsten übernahmen bei
diesem Übergange der geistlichen Staaten unter ihre Landes-
herrschaft die Erfüllung der in der Natur der Sache von selbst
gegründeten gerechten Bedingnis:
Daß mit einem Teile dieser Revenuen die künftige Erhaltung
der katholischen Kirchenverfassung und des katholischen Got-
tesdienstes bestritten, und derselbe zu diesem Zwecke den
katholischen Kirchengemeinden überlassen werden solle.
Unter dieser Bedingung kann nun wahrlich nichts anderes
begriffen und verstanden sein, als daß die Bistümer mit den
dazu erforderlichen Seminarien, sowie die mit denselben ver-
bundenen Lehranstalten, welche zumal größtenteils eigne beson-
dere Fundationen hatten, wieder zweckmäßig hergestellt werden.
Aus eben diesen den katholischen Kirchengemeinden auszu-
werfenden Revenuen und Gefällen sollen dann auch die
Bischöfe, die Domkapitel, die bischöflichen Räte, die Lehrer
und Aufseher der Seminarien wieder saliert, sohin auf dem
Ertrage dieser realen Fonds die künftige Verfassung der katho-
lischen Hierarchie dauerhaft gegründet werden,
IL Mit den Fürstentümern samt ihren Einkünften und Ge-
fällen wurden auch die Stifter, Klöster und ihre Einkünfte zur
Entschädigung für den Länderverlust der weltlichen Fürsten
bestimmt. a
Mit der nämlichen Zusicherung, welche den Gottesdienst und
die Kirchenverfassung den Katholiken verbürgt, steht dann
auch die weitere stillschweigende Zusicherung in engster Ver-
bindung, daß wenigstens einige Korporationen, Klöster oder
Institute, welche zur Besorgung des Gottesdienstes, oder zur
Aufrechterhaltung und Beförderung des Kults, oder zur religi-
ösen und sittlichen Erziehung als notwendig oder zweckmäßig
anerkannt werden sollten, wieder aus den nämlichen Revenuen
und eingezogenen Klostergütern in einer dem Zeitpunkte an-
gemessenen Gestalt hergestellt werden.
2/
Sollte daher der Geist der katholischen Religion, dessen rich-
tige Bestimmung die Katholiken nur von der Kirche und
ihrem Oberhaupte allein mit unbezweifeltem Glauben erwarten,
zur wirklichen Aufrechterhaltung ihrer Religionsverfassung
die Wiederherstellung wenigstens einer bestimmten Anzahl von
Klöstern und geistlichen Instituten als notwendig oder zweck-
mäßig erfordern, so finden wir in der obgedachten allgemeinen
und unbeschränkten Zusicherung unserer gerechten Souveräne
auch die Hoffnung auf die gerechte Wiederherstellung dieser
geistlichen Korporationen gegründet.
Diese Wiederherstellung können wir auch von jenen deut-
schen Landesfürsten um so zuverlässiger erwarten, welche
selbst Mitglieder unserer Kirchengemeinde sind; bei denen wir
sohin ihrem erhabenen Charakter gemäß schon eine eigene
pfiichtmäßige Teilnahme und Achtung für all dasjenige voraus-
setzen dürfen, was immer der Geist unserer Religion als ach-
tungswertes Beförderungsmittel der Religionsausübung em-
pfiehlt.
TU. Aus dem nämlichen Grunde der notwendigen Verbin-
dung mit unserer Kirchenverfassung und Gottesdienste dürfen
wir auch von den gerechten Gesinnungen unserer Souveräne
erwarten, daß die unmittelbare Aufsicht und Leitung und die
allenfalls notwendigen Verbesserungen unserer Kirchenver-
fassung, die Aufrechterhaltung unserer Glaubenslehre, die Be-
stimmung und Handhabung unserer gpttesdienstlichen Zere-
monien, Gebräuche, Kirchensatzungen, Feste, Andachten, der
kirchlichen Ordnung und Disziplin, sowie auch die Aufsicht
und Einrichtung der Seminar ien und anderer katholischer
Lehrinstitute und Korporatiousjn, die Wahl, Leitung und Prü-
fung aller zu unserem Kult unmittelbar oder mittelbar beson-
ders zur Seelsorge erforderlichen Individuen, die Unter-
suchung, Verbesserungen und Rügen in Religions- oder Kir-
chendienstsachen, als Gegenstände, welche mit der Wesenheit
der inneren und äußeren Religionsverhälnisse in engster, un-
zertrennlicher Verbindung stehen, unseren Kirchenvorstehern
28
und dem Oberhaupte der Kirche um so unbedenklicher in
ihrem ganzen Umfange überlassen bleiben, als diese Befugnisse,
in notwendiger und konsequenter Ableitung aus der allge-
meinen von ihrem Ursprünge an anerkannten Unschädlichkeit
unseres Kults von selbst hervorgehen.
Man würde das zarte Ehrgefühl unserer höchsten Landes-
väter selbst beleidigen, wenn man ihnen auch nur die Ver-
mutung beimessen wollte, daß ihre durchlauchtigsten Vorfahren
oder auch diejenigen Fürsten, welche diesen Beispielen der
Vorzeit nachahmen, und überhaupt diejenigen Staaten, welche
unbegrenzte Achtung der katholischen Religionsübung bezei-
gen, und die Leitung und Aufsicht über die katholischen Kir-
chenpersonen und Angelegenheiten den Kirchenvorstehern ganz
überlassen, etwas Ungeziemendes oder wohl gar Ungerechtes
und Schädliches gegen den Staat oder die Menschheit sich zu-
schulden kommen ließen. Denjenigen Fürsten, welche sich als
Mitglieder unserer Kirche selbst bekennen, dürfen wir diese be-
sondere Achtung unseres Kults von selbst zutrauen, und die
Fürsten, welche einer anderen Religionsgemeinde zugetan sind,
werden sich mit dem allgemeinen Inspektionsrechte des Staates
beruhigen, welches ganz gewiß zureichend ist, um jede auf-
steigende Besorgnis eines Mißbrauches zu beseitigen, und um
durch angemessenes Benehmen mit dem. Kirchenoberhaupte
nach dem von jeher bestandenen Herkommen die allenfalls
sich einschleichenden Mißgriffe, deren Entstehung doch nur ein-
zelnen Individuen wird zugerechnet werdenr können, gleich in
ihrem ersten Keime zu ersticken.
Lassen doch auch selbst Staaten, die gar nicht mit uns in
Kirchengemeinschaft stehen, wie zum Beispiel die erlauchte
russische Nation, ja sogar Reiche, die nicht einmal im entfern-
testen Religionsverbande mit uns sind, zum Beispiel das otto-
manische Reich, die in ihren Ländern sich aufhaltenden katho-
lischen Christen die obbeschriebenen Befugnisse ungestört üben,
ohne zu befürchten, daß dem Staate dadurch ein Nachteil oder
etwas Schädliches zugehen würde.
29
IV. Nebst dieser unseren Kirchenvorstehern zu überlassenden
Aufsicht und Leitung der zu unserem Kirchen-, Gottes- und
Unterrichtsdienste bestimmten Personen glauben wir auch
rechtlich erwarten zu dürfen, daß die unbeschränkte Verwal-
tung des Kirchenguts, der Kirchenstiftungen und der zum Kult
überhaupt gehörigen Fonds als unantastbaren Eigentums der
ganzen Kirchengemeinde der Obsorge unserer Kirchenvorsteher
eingeräumt werde, so wie solches der Natur der Sache, dem
Herkommen und der Intention der Stifter gemäß ist.
Den katholischen Kirchengemeinden werden die Rechte
moralischer Staatsbürger in Gemäßheit der angeführten feier-
lichen Zusicherungen unserer Staatsoberhäupter in Hinsicht
auf Gemeindevermögen (auf das Eigentum sowohl als Ad-
ministration) nicht angesprochen, und eben deswegen gebührt
auch der Kirche gerechter Anspruch auf den Schutz dieser
Rechte, sowie anderen Bürgern und Lokalgemeinden, nur mit
dem Unterschiede, daß Lokalgemeinden, deren Hauptzweck
der ruhige und sichere Genuß gemeinschaftlicher Rechte ist,
zusamt ihrem Vermögen unter der Leitung und Oberadmini-
stration des Staates als obersten Schützers aller Rechte der
Bürger unmittelbar stehen, wo entgegen die Kirchen und Reli-
gionsgemeinden, deren Hauptzweck die Erhaltung ihrer reli-
giösen Verhältnisse und der sittlichen Vervollkommnung ist,
mit ihrem Vermögen und Fundationen unmittelbar unter der
Leitung und Verwaltung ihrer geistlichen Vorsteher und des
höchsten Kirchenoberhauptes sich befinden, und dann erst des
unmittelbaren Schutzes des Staats sich zu erfreuen haben,
wenn ihnen die von .dem Staate verbürgte Ausübung ihres
Hauptzweckes rechtlich bestritten oder gewaltsam ange-
griffen wirdv
Wir haben daher auf die gerechten Gesinnungen unserer
Souveräne das volle Zutrauen, daß sie das Kultvermögen
unserer Kirche in seinem ganzen Umfange, wie es vor Jahr-
hunderten p-ebräuchlich war und dem Begriffe eines Kirchen-
gemeinde-Vermögens vollkommen entspricht, unseren Kirchen-
30
Vorstehern zur \'er\valtung und Disposition ohne Hindernis
wieder überlassen und gegen alle Angriffe und ungerechte An-
maßungen schützen werden.
Zu diesen rechtlichen Bitten gesellen sich nun noch einige
besondere Wünsche, die sich in einem Zeitpunkte auf unsere
Lippen drängen, in welchem uns einerseits mehr als zwanzig-
jährige Unfälle über den wahren Grund des eingebrochenen
physischen und moralischen Verderbens belehrt haben, anderer-
seits die glücklichen Ereignisse eines Jahres das menschliche
Geschlecht wieder in den Stand gesetzt haben, die Quellen zu
verstopfen, aus denen die Flut so vieler und großer Übel auf
selbiges sich ergoß.
Wir richten uns mit diesen Wünschen vorzüglich an die-
jenigen Herrscher der europäischen Staaten, die selbst unsere
Glaubensgenossen sind und ebendarum als solche unserer Kirche
in Hinsicht auf religiöse und sittliche Gegenstände besondere
Achtung zugestehen. Diese erhabenen Fürsten flehen wir um
ihre Mitwirkung an, daß erstens: Der Hebung der bestehen-
den Uneinigkeiten zwischen Kirche und Staat in Hinsicht auf
die Grenzen der wechselseitigen Gewalt auf eine der Natur der
Sache angemessene Art die Hände geboten werden ;
daß dann besonders unter Anleitung des höchsten Kirchen-
oberhauptes der Grund gelegt werde, um die eingerissenen
Hindernisse der moralischen Erziehung zu beseitigen und so
manche sich widersprechende neuen Lehren besonders im sitt-
lichen und religiösen Gesichtspunkte zu berichtigen; daß end-
lich auch
eine d>en Zeitbedürfnissen angemessene Disziplinarordnung
der Geistlichkeit unter der nämlichen Anordnung des höchsten
Kirchenvorstehers eingeführt, und die strenge Handhabung
derselben festgesetzt und ausgeführt werde.
Der zweite Wunsch, den wir unseren Souveräns zur weisesten
Beherzigung vorlegen, besteht darin, daß die Erziehung der
Jugend wieder einem zu diesem Hauptzwecke der moralischen
Menschenbildung, vorzüglich und aus ganz uninteressierten
3f
Absichten gewidmeten Institute unter festen und bleibenden
Normen eingeräumt, und daß sohin dieser wichtige Gegenstand
nicht mehr unstäten, schwankenden Einrichtungen überlassen
oder von seiten der Erziehenden als bloßer Erwerbs- oder Ge-
werbszweig betrachtet und behandelt werden könne.
Diese unsere Wünsche legen wir unserem heiligsten Kirchen-
oberhaupte, unseren Souveränen und den sämtlichen Fürsten
und Potentaten, welche sich zur Wiederherstellung einer allge-
meinen politischen Ordnung der Staaten, besonders unseres
Deutschlands, demnächst in einem allgemeinen Kongreß ver-
sammeln werden, in tiefster Ehrfurcht zu Füßen, und bitten
Gott um die Erleuchtung dieser erhabenen Versammlung, damit
diese so wichtigen Gegenstände zum Besten der Menschheit
endlich wieder einmal auf eine feste und dauerhafte Art be-
stimmt, begründet und gehandhabt werden.
Die Katholiken Deutschlands
(Abgedruckt nach; Dr. Th. F. Ludwig, Weihbischof Zirkel von Würzburg.
Bd. II (1906) S. 567 ff.)
32
Die Kirche und ihre Institutionen
im Verhältnis zu den Tendenzen
der Zeit
(1826)
Von August Freiherrn von Haxthausen
Wir beg-innen, ausgehend von der nächsten Vergangenheit,
damit., daß wir uns in Deutschland zurückstellen in die schöne,
von wahrhaft jugendlichem Glänze leuchtende Zeit von 1813,
1814, 1815. Welch reges Leben nach allen Seiten! wie frisch
und kräftig der Wille! welch schönes Vertrauen zwischen den
Fürsten untereinander und mit den Völkern, und wieder unter
den Gliederungen des Volkes selbst! wie war alles egoistische
Treiben in dem einen Ziel verloren gegangen 1 wie war alles Tat
geworden, und jedes räsonnierende Hin- und Herreden und
Meinen beiseite gesetzt! Und dennoch, welche Täuschung
überall, welch Verkennen in allen Hauptrichtungen ! Wie
hatte der Wurm diese Blüte schon angestochen, daß sie
nach kurzem Bestände ohne Frucht schnell zerblätterte und
niederfiel.
Nach einem tiefgefühlten inneren Elend, das die feinen Be-
ziehungen des gemeinschaftlichen Lebens im Vaterlande ergrif-
fen hatte, war auf einmal ein Geist im deutschen Volke erwacht,
der sich früher nie gezeigt hatte: das lebendige Gefühl eines
gemeinschaftlichen Vaterlandes. Es zeigte sich dieser Geist zwar
nur unter den gebildeten Ständen, aber dort auch fast allgemein,
dagegen die untern Klassen der einzelnen deutschen Stämme
meist nur durch das Gefühl des äußeren Drucks, und die An-
hänglichkeit an den früheren Zustand und an die alten ange-
bornen Herrscherfamilien aufgeregt wurde; allein in dem
Willen, das Joch der Fremden abzuwerfen, trafen alle zusam-
men. Es gelang über alle Erwartung, und jede Schmach, die
Borgrsträßer I. ; 33
Frankreich dem deutschen Reiche seit 200 Jahren angetan, ward
durch den vollständigen Sieg abgewaschen.
Eine sehr merkwürdige Erscheinung zeigte sich in diesem
Kriege, Die moderne Philosophie der letzten Dezennien des
verflossenen Jahrhunderts hatte zwar in Deutschland bei dem
Ernst und der Tiefe der Nation nicht zu jenem flachen Mate-
rialismus der Franzosen herabsinken können, allein das posi-
tive Christentum war dennoch in seinen Grundfesten von ihr
angegriffen worden, und dadurch war es namentlich bei den
höheren Ständen fast völlig zu einem trockenen Moralsystem
herabgewürdigt. Schon begannen sich diese Ideen auch den
untern Ständen zu nähern, da bewährte bei der Zernichtung
alles äußern politischen Lebens, bei dem Drangsal und Elend
und der Schmach der Unterdrückung, eben das Christentum
abermals seine ewige eiserne Kraft. Eben die Philosophie der
höhern Stände lenkte zum Christentum ein. Als die Fesseln der
Tyrannei gebrochen werden sollten, und dies noch als ein zwei-
felhafter Riesenkampf erschien, suchte man Trost im Christen-
tum, Hilfe von oben. Man fand sich durch den Gedanken ge-
stärkt und ermutigt, als ein Kämpfer für eine heilige Sache
aufzustehen, ja man überredete sich, es sei die Sache des Chri-
stentums selbst, die man verteidigen wollte. So edel und
achtungswürdig sich dies bei dem einzelnen gestaltete, so kön-
nen wir doch nicht leugnen, daß diese Gefühls- und Gedanken-
richtung etwas Krampfhaftes, ja etwas Unwahres in sich
hatte. Bei der Stufe der Verstandesbildung, worauf wir stehen,
ist eine solche Selbstverblendung unmöglich. Wir können uns
selbst es nicht weismachen, daß das Christentum als solches von
den Franzosen in Gefahr gebracht worden. Alle wahren Ten-
denzen dieses bewunderungswürdigen Krieges waren vielmehr
ganz national ; es war ein Kampf um die Unabhängigkeit und
Freiheit des Herdes, womit das Christentum, welches seine
Kraft selbst bei den niedrigsten Sklaven noch bewährt, nichts
zu tun hatte. Die Masse des Volkes, die niedern Stände teilten
auch durchaus nicht diese Selbsttäuschung; wir finden bei ihnen
34
fast keine Spuren dieser falschen religiösen Begeisterung. Das
Volk wird nur für religiöse Meinungen, falsche oder wahre
gleicii viel, zu jenen gewaltigen Kämpfen aufgeregt, die wir
Religionskriege nennen.
Eben weil eine Täuschung zugrunde lag, welche in inner-
ster Seele und mit allerKraft des Gedankens einen Volkskrieg für
einen Religionskrieg gehalten, konnte der Zustand nach dem
Frieden nicht befriedigen. Man fühlte, daß, trotz des äußeren
Scheins, nicht entfernt das erreicht war, wofür man gestritten
zu haben glaubte. Nicht ein idealer modern christlicher Staat
war durch den Sieg begründet, vielmehr wurden im ganzen nur
die noch einigermaßen lebendigen alten Formen, jedoch durch-
drungen und zum Teil ungeschickt verbessert, durch die vom
Feinde gegründeten oder aufgedrungenen neuen Einrichtungen,
wiederhergestellt.
Damit hat sich aber nun sogleich in den gebildeten Ständen
ein Versessensein auf bestimmte politische Ansichten, ein eigen-
sinniges einseitiges Festhalten an idealen Theorien hervorgetan,
welches alle bestehenden Formen entweder gleich zu zernichten
oder demselben wenigstens einen ihnen fremden Geist mitzuteilen
strebt, um sie nach jenen als einzig richtig und heilsam geglaub-
ten Theorien umzumodeln. Kraftvoll ist diese Opposition gegen
das Bestehende geworden, weil eben die Regierungen, deren
Glieder aus diesen gebildeten Ständen hervorgegangen sind,
selbst diese Richtung, zum Teil unwillkürlich, genommen haben.
Sieht man schärfer zu, was diese vereinigten Bestrebungen
denn eigentlich bezwecken, so findet man nach obenhin das
Verlangen, über eine sehr konzentrierte Staatsgewalt zu gebie-
ten, die — überall nach mechanischen Gesetzen wirkend, und nach
mathematischer Präzision strebend — die lebendigen Bestandteile
des Staates nur als tote Massen dem Kalkül des Verstandes unter-
wirft ; dagegen nach unten hinab alle lebendige Gliederung des
Volks aufgelöset, alles individualisiert, alles Beengende in den
älteren Formen fortgeworfen wird. Wäre -dergleichen vollkom-
men auszuführen, dann wären allerdings die sozialen Lebens-
3* 35
kräfte der Nation ertötet, jede Eigentümlichkeit und Natio-
nalität verwischt, dagegen würde jede persönliche, durch die
bisherigen Formen gebundene Tätigkeit befreit und erhöht,
und allen mechanischen Kräften freier Spielraum gegeben. Der
Sieg dieser Ideen würde der Sieg des Talents und des berech-
nenden Verstandes über die Naturinstinkte, die unter höherer
Leitung die alten Verfassungen gebildet haben, zu nennen sein.
Es kam aber unter denen, die zu dieser Umformung mit den
Regierungen sich verbunden hatten, bald zum Zwiespalt. Die
größere Masse meinte, daß, wenn die Umschaffung der alten
Verhältnisse heilsam sein solle, sie nach und nach und zwar
von oben herab vor sich gehen müsse. Die feurigen und tat-
kräftigen Geister aber, welche nur das Resultat wollten, hielten
diesen Übergang für ein keineswegs notwendiges Übel, sie
wollten das von ihnen einmal als gut Erkannte gleich und kraft-
voll eingesetzt, und da die Regierungen zögerten, auch manches
Alte, was von bewährtem Nutzen schien, zu erhalten strebten,
so opponierten sie sich, und so entstanden die sogenannten revo-
lutionären Umtriebe. Die Parteien waren aber dabei seltsamer-
weise weder in den Grundprinzipien, noch in der Gestalt, welche
sie der Zukunft zu geben trachteten, uneinig, sondern nur in der
Art der Ausführung, und selbst da gehen sie so leise und unsicht-
bar ineinander über, daß in denselben Menschen, je nachdem sie
in verschiedene Lagen des Lebens kommen, oft das eigentlich
revolutionäre Prinzip schon vortritt, wenn sie sich selbst noch
als die ruhigsten Bürger und Staatsdiener glauben und gerieren.
Die Blüte dieser revolutionären Gedankenreihen zeigt sich
besonders interessant im deutschen Studentenwesen; sie er-
scheint hier in ihrem. Extrem abnorm, sich keinem Verhältnis
fügend, absprechend, unpraktisch, allein warm und edel, und
voll Kraft und aufopfernder Gesinnung, denn der Egoismus ist
noch nicht zugetreten. In den edelsten und besten Naturen,
welche innere Widersprüche, welch seltsame Mischung von heid-
nisch fanatischen Ideen und von Begeisterung für das Christen-
tum; von antiker Römertugend und einer katilinärischen Ver-
36
schwörungsgesinnung, von Begeisterung für romantische rit-
tertümliche offene Kraft, und auch zugleich für die leeren
toten trostlosen Hirngespinste moderner Staatstheorien ! Ein
Streben, altes deutsches Volkswesen wiederherzustellen, und
zugleich eine alle Nationalität auflösende Konstitution nach dem
Zuschnitt der unveräußerlichen Menschenrechte zu gründen!
Ein edler phantasiereicher Wille, verbunden mit so verderb-
lichen, demoralisierenden Grundsätzen, wie man sie den Jesuiten
kaum vorzuwerfen gewagt hat!
Wie aber auch die Geschlechter der Menschen innerlich und
äußerlich schwanken mögen, wie die Zukunft die Aufgaben
lösen mag, die von Gott in der Gegenwart niedergelegt worden,
ein Werk in ihrer Mitte hat nie geschwankt, nach achtzehn
Jahrhunderten steht es noch in einer Lebendigkeit und ge-
gründeten Kraft da, als ob alle Stürme, die es umtobt haben,
nur dazu gedient hätten, seine Ewigkeit der Zeit zu beweisen !
Das ist die katholische Kirche. Die neueste Zeit hat uns be-
wunderungswürdige Erscheinungen an, ihr vor den Augen
vorübergeführt. Alle ihr nicht wesentliche Institutionen, das
Rüstzeug der frühern Zeit: Kapitel, Klöster, Ritterorden, waren
nach und nach morsch geworden, Geist und Leben waren aus
ihnen gewichen. Da kam der Sturm der Zeiten, der alles
niederriß, was nicht in voller Geistes- und Lebenskraft dastand ;
sie sanken, und zugleich mit ihnen verlor die Kirche fast ihr
ganzes irdisches Gut, die Fürsten der Kirche ihre Kronen !
Und dennoch ist nichts Wesentliches verloren ! Die Lehre blieb
unerschüttert, die Gemeinde treu, ja sie erwachte aus ihrer Apa-
thie, und schloß sich enger an die arme Kirche, als sie vor
fünfzig Jahren an die reiche sich gehalten hatte. Die letzten
Häupter der Kirche aber führten, ungebeugt von widrigen
Schicksalen, mit unerschütterlicher Kraft das Steuer des Fischer-
kahns; sie reichten gleich den alten Märtyrern ihre Hände und
greisen Häupter mit Gleichmut den Fesseln und der strengsten
Gefangenschaft dar, und Pius VH. sprach, als der Held und
Erbe der Zeit im Zenith seiner Macht stand, und die Welt vor
Z7
ihm zitterte, treu dem alten Sinne und der eisernen Konse-
quenz, idas Anathema über ihn.
Da erhob sich der große Kampf neuerer Zeit, das Vorbild des-
sen, der sich noch fortdauernd im ganzen geistigen Gebiete
durchstreitet; die alten Herrscher siegten überall über die neuen
Emporkömmlinge, und das Historische war in seiner irdischen
Wurzel gerettet. Nun hätten die Geretteten vor allem ihre
Pflege jener andern höhern Wurzel, aus der auch all ihre Au-
torität hervorgegangen, zuwenden sollen ; aber leider war die
moderne Legitimität nur vom Vater halb recht historisch edel-
geboren, von der Mutter her aber ein Kind der Zeit, und so
geschah es dann, daß die Dinge mitunter geordnet wurden, als
sei die Erde der Mittelpunkt der Welt, der Himmel aber nur
eine polizeiliche Anstalt, um ihre finstern Nächte zu beleuchten.
Inzwischen regte sich der erwachte Geist, und trieb, mit jedem
Tage mehr erstarkend, bewußtlos hin zu dem, was geschehen
mußte, welchen Widerstand er stellenweise auch finden mochte,
und wenn die andern sich in den irdischen Besitz geteilt, so wies
er dafür der Kirche, was ihre eigentlichste und kostbarste
Domäne ist, die Seelen wieder zu, die sich von ihr zu lösen
begonnen. Seither kündigt ein leichter, sich stets mehr er-
hellender Schein auch für sie den Anbruch eines neuen Tages
an, Sie hat sich purifiziert, und wird sich auch jetzt regene-
rieren. Die ewige Frage aller Jahrhunderte, wie sich die kirch-
lichen Verhältnisse zu den weltlichen stellen werden, scheint
sich in diesem Augenblicke sehr milde zu beantworten. Rom
gibt kein wesentliches Recht auf, aber es handelt aufrichtig
und ohne Rückhalt gegen die Regierungen. Diese aber erken-
nen in der Kirche und ihren Einrichtungen die kräftigste Stütze
gegen die revolutionären Richtungen. Wir haben ein bisher
nie gesehenes Beispiel vot Augen, daß wohlgesinnte große pro-
testantische Regierungen mit dem Papste Verträge abgeschlos-
sen, wodurch von neuem gut begabte katholische Bistümer und
frei wählende Kapitel hergestellt wurden.
(Aus: Der Katholik, Bd. XXI, 1826, S. 129 ff , bes. 132 ff., 167 ff.)
38
Die Bedeutung der Priesterseminarien
(1826)
Antrag des Abgeordneten Johannes iCertell im hessischen Landtage von 1826
,,die hohe Staatsregierung in den Stand zu
setzen, dasMainzerSeminarium durch m e h -
rere auf Kosten des Staates erteilte
Freiplätze zu unterstützen"
Motive:
Das Mainzer Seminarium zur Erziehung und Bildung der
katholischen Geistlichen ist das älteste geistliche Institut dieser
Bestimmung in Deutschland — es hat zum Stifter einen der
aufgeklärtesten Kirchenprälaten des siebenzehnten Jahrhun-
derts, den Freund und Gönner des großen Leibniz, Kurfürsten
Johann Philipp von Schönborn. Diesem Institut verdankte von
dieser Zeit an der Mainzer Klerus seine Auszeichnung durch
Sitte, Frömmigkeit und wissenschaftliche Bildung.
Reiche Dotationen setzten die Verwaltung instand, den
meisten aufgenommenen Zöglingen das jährliche Kostgeld von
150 fl. zu erlassen oder bis zur Versorgung vermittelst einer
Pfarrstelle zu kreditieren. Dadurch war den Söhnen der wenig
bemittelten Eltern die Möglichkeit gegeben, sich bei Widmung
zum geistlichen Stande den Eintritt auf die damals auf drei
und vier Jahre festgesetzte klerikalische Prüf- und Bildungs-
anstalt zu erleichtern.
Es liegt in der Bestimmung der Erziehung eines christ-
lichen Religionslehrers, und vorzüglich in der Erziehung eines
katholischen Weltpriesters, daß der Übergang vom weltlichen
zum geistlichen Stande durch eine längere Abgeschiedenheit
von dem Sinnlichen, durch Übungen wahrer Frömmigkeit,
39
reiner Sittlichkeit und wissenschaftlicher Bildung vorbereitet
werde. In heutiger Zeit, wo dem katholischen Klerus nicht
mehr der Weg zu glänzenden Ehrenstellen und reichen Besol-
dungen wie in früherer Zeit offen steht, wo bei dem freieren
Leben der studierenden Jugend, und einem dem, geistlichen
Stande unholden Zeitgeiste, einzig die ärmere Klasse der Stu-
dierenden durch Aussicht einer spärlichen Versorgung zum
geistlichen Stande sich bestimmt, ist es im Interesse aller, denen
die Erhaltung und Achtung der Religion und ihrer Diener am
Herzen liegt, daß wenigstens den Söhnen unbemittelter Eltern
einigermaßen durch Beihilfe des Staates das Hindernis zu
ihrer Bestimmung für den geistlichen Stand gehoben werde, das
früher durch eine reichere Stiftung des Instituts beseitigt war.
Dieses herrliche Institut ging bei Ankunft der Franzosen
in der Belagerung 1792 ganz unter und wurde erst wieder nach
dem Konkordate durch den verstorbenen Bischof Ludwig
Colmar hergestellt.
Doch war seine Dotation kärglich und arm, wie alles, was
Napoleon, der für die Kosten seiner Kriege mehr als für
geistliche Stiftungen sorgte, in der Art hinterließ ; die Haupt-
revenüe sollte das Kostgeld sein, welches die jungen Geist-
lichen bezahlen sollten.
Allein, wie oben gesagt, widmen sich jetzt nur Arme dem
geistlichen Stande, daher bestimmte ein kaiserliches Dekret vom
30. September 1807 in dem bischöflichen Seminar zu Mainz
vierundzwanzig Freiplätze, als acht ganze und sechzehn halbe,
auf Kosten des Staates — jeden ganzen Platz ä 400 Fr., also
6 400 Fr. jährlich.
Das Dekret spricht sich folgendermaßen aus:
,,Um auf der einen Seite der Gründung unserer Seminarien
eine festere Basis zu geben, und auf der anderen die Erziehung
und Bildung derjenigen zu erleichtern, die sich dem geistlichen
Stande widmen und so der Kirche würdige Pfarrer und Seel-
sorger, die durch ihren Eifer und gute Aufführung dem Berufe,
den sie antreten, Ehre machen und dem Vertrauen entsprechen,
40
das unsere Völker in sie setzen werden, zu sichern — be-
schließen wir wie folgt usw."
So hatte also das Seminarium, als Mainz an das Großlier-
zogtum kam, 6400 Fr. für die Freiplätze. Da aber Hessen Va,
Bayern aber % vom Departement Donnersberg bekommen hatte,
so verlangte ersteres vom letzterem % Beischuß, und indem
Bayern sich nicht dazu verwilligte, sondern sein eigenes Bis-
tum und folglich auch sein eigenes Seminarium nach Speyer
verlegte, so verweigerte Hessen dem Seminarium die 6 400 Fr.
und zahlte bisher nur Vi mit 964 fl.
Das Seminarium konnte nun freilich von den einmal auf-
ijenommenen armen Geistlichen keine % ausweisen, vielmehr
muß es auch heute berücksichtigen, daß, da nur arme junge
Leute sich dem geistlichen Stande widmen, wenn es auf Be-
zahlung des Kostgeldes bestehen wollte, bald der katholische
Teil der hessischen Einwohner ohne Seelsorger sein würde.
Es suchte sich bis jetzo ärmlich durchzuwinden, wie es konnte,
und ich habe nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß oft
Fasttage den Mangel in der Küche verheimlichen müssen.
Die Katholiken im Großherzogtume, denen, wie ich bei
einer anderen Gelegenheit schon gesagt habe, Se. Königl. Ho-
heit der Großherzog nicht bloß Duldung und Schutz ver-
-^prochen, sondern sie mit den anderen christlichen Religionen
in seinem Staate auf gleiche Stufe gestellt hat, seufzen ver-
gebens seit Ableben des letzten Bischofs auf neue Besetzung
des erledigten Stuhles. Würde ein solcher da sein, so würde
derselbe schon für die Unterhaltung des Seminars sorgen; in
diesem verwaisten Zustande wendet sich aber das Seminarium,
und mit ihm der ganze katholische Teil der hessischen Unter-
tanen, vertrauungsvoll an die Kammer, in der festen Über-
zeugung, daß die Kammer zu seiner Unterstützung die ihm
entzogenen 1928 fl. für Freiplätze wieder bewilligen wolle.
Diesen Antrag lege ich der hohen Kammer ergebenst vor.
(Aus: Landtag 1826/27 (IH.), Verhandlungen der H. Kammer, Heft XI,
Anlage S. 50. Näheres: Studien S. 87)
41
Freiheit des Unterrichts, einwesent-
Uches Bedürfnis der deutschen
Kathohken
(1832)
Die Frage, ob die deutschen Katholiken die Freiheit des
Unterrichts erringen werden, ist, genau betrachtet, die Frage,
ob der katholische Glaube in Deutschland bestehen werde oder
nicht. Ein religiöser Verein, eine Kirche, welche bei der
Erziehung ihrer Mitglieder nur zusehen, oder kaum mehr als
zusehen darf, hat immer nur eine prekäre, unter Umständen
aber, wie solche in Deutschland obwalten, eine durchaus un-
haltbare Existenz . . .
Daraus ziehen wir den Schluß, welchen zu wiederholen
Schreiber dieses nie müde wird : Katholische Schulen,
wahrhaft katholische Schulen bedürfenwir!
Wir bedürfen sie für die katholische Bildung
unserer Kinder und Nachkommen; wir bedür-
fen sie fürdasFortbestehenunsererReligion
und unserer Kirche in unserem Vaterlande!
Und wet soll diese katholischen Schulen uns geben? Unsere
Regierungen ? Nein ! unsere Regierungen, die nicht katholisch
sind, und wegen der Gerechtigkeit, die sie auch den Prote-
stanten schuldig sind, es nicht sein können, können uns diese
Schulen nicht geben; und noch viel weniger können sie die-
selben leiten und dirigieren. Aber eines können sie und müssen
sie uns geben: volle und unverkümmerte Freiheit des Unter-
richtes. Diese Freiheit uns abzuschlagen, kann niemand das
Recht haben, der nicht auch das Recht hätte, uns Katholiken
das Fortpflanzen unseres Glaubens, w^elches nur durch Lehre,
Unterricht und Erziehung geschehen kann, unmöglich zu
42
machen. Vergebens predigen uns moderne Staatsrechtstheo-
retiker, diese afterliberalen Propheten kirch-
licher und bürgerlicher Sklaverei, vom Erzie-
hungsmonopole ihres Staates. Dieser Staat ist nicht unser
Staat ! Wir Katholiken können nur einen solchen Staat an-
erkennen, der auf unsere Bedürfnisse berechnet ist; der sich
für berufen hält, unsere Rechte zu schützen; nicht aber einen
solchen, der unsere Rechte nur an sich reißen und verschlingen
will. Ja! es ist Zeit, daß wir endlich aufhören, uns durch das
uns vorgehaltene Trugbild des sog. Staates blenden und ins
Verderben ziehen zu lassen. Denn dieser Staat, der sich
nicht als die Gesamtheit aller Staatsbürger
(lenkt, sondern der sich den Staatsbürgern und ihren heiligsten
Rechten gegenüberstellt, und sich nur da mit ihnen identifi-
ziert, wo Lasten zu tragen sind; dieser Staat, der über alles,
was uns wichtig und heilig ist, und selbst über un s e r e
Seelen und unserGewissen bald direkt, bald indirekt
herrschen und gebieten will, — was ist er? Eine tote, vage
Tdee! Aber die in dieser toten Idee konzentrierten Rechte, wer
übt sie aus? Einige wenige Staatsmänner; eine
kleine Partei, die hinter diesem mangelhaften Begriffe
steckt, ohne weiteres ihren eigenen Willen zum
Willen derAllgemeinheit stempelt, ihre eige-
nen Ansichten zur Richtschnur aller macht,
und auf diese Weise einen Despotismus übt, unter dessen
grenzenlosem Drucke alles sich beugen muß. Wenn wir Katho-
liken aber auch, in bezug auf materielle Dinge, gerne
harren und dulden, so dürfen und können wir dieses
nicht in bezug auf unsern Glauben und unsere
Kirche. Diese beiden Gegenstände sind uns das höchste
aller Interessen auf dieser Erde, heiliger
als alle Staaten, Könige und Königreiche.
Und gerade vermöge des Rechtes, welches wir als Staatsbürger
haben, die alle Lasten des Staates im Schweiße ihres Ange-
sichtes tragen helfen, sind wir befugt, für dieses höchste
43
aller Interessen keine Knechtschaft, keine Bevormun-
dung, keinen Druck, sondern Freiheit und Selbständigkeit
zu verlangen. ' Ja, wir sind befugt zu verlangen, daß wir auf
diesem, von unsern katholischen Vätern seit Jahrhunderten
besessenen und angebauten Boden, in dem von uns
bewohnten Teile des gemeinschaftlichen Vaterlandes, welches
überhaupt nicht den Staaten, sondern den Deutschen
angehört, unsere Kinder katholisch erziehen
underziehen lassen dürfen; wir sind befugt zu ver-
langen, daß unsere katholische Kirche fortbe-
stehe; und endlich sind wir befugt, dafür eine vollständige
und zuverlässige Bürgschaft zu verlangen, das heißt: Freiheit
des Unterrichts.
(Aus: Katholische Kirchenzeitung [Aschaffenburg] 1832, Nr. 17, 18, 19
[stark gekürzt]. Studien S. 218)
44
Gegen das siebenteVolksschuliahr
(1833)
A
Antrag des Abgeordneten Johannes Neeb in Niedersaulheim
die Z wa ngs p f 1 i cht im Schulunterricht auf
dem Lande auf sechs Jahre zu beschränken
Motive :
Die Schulordnung des Großherzogtums verbindet unter Geld-
strafe die Eltern, ihre Kinder vom sechsten Lebensjahre bis
zum vollendeten vierzehnten in ,die Schule zu schicken. Dieses
Einschreiten der Staatsgewalt in das elterliche Recht auf die
Bildung ihrer Kinder, fließt aus der Pflicht des Staates, seinen
künftigen Gliedern die Mittel einer der Zeit gemäßen Zivi-
lisation und dem Stande der Moralität angemessenen Aus-
bildung zu versichern.
In den Kindern der Landleute entwickelt sich bei engerem
geselligen Verkehr die Fassungskraft gewöhnlich erst in dem
siebenten Lebensjahre. Dagegen fordert ihre Bestimmung zu
höheren Arbeiten eine, fernere Entwicklung ihrer Körper-
kräfte, als bei den Kindern der Stadtbewohner. Es ist dem-
nach für den Geist der Landkinder so unnütz als für ihren
Körper schädlich, sie bereits vom sechsten Jahre an auf die
Schulbänke zu fesseln.
Außer der formellen Ausbildung können die dem Landvolke
nach heutigen Bedürfnissen, unentbehrlichen materiellen
Kenntnisse mittelst den dermal igen erleichternden Lehrme-
thoden im zwölften, höchstens dreizehnten Lebensjahre er-
worben sein, und gerade in diesem Alter werden die Kinder
45
beiderlei Geschlechts stark genug" zu unbeschränkter Beihilfe
der Familie in Haus- und Feldarbeiten.
Aus diesen Gründen bittet der Unterzeichnete: „die verehr-
liche Kammer wolle auf verfassungsmäßigem Wege den An-
trag unterstützen und die Staatsregierung ersuchen, die Schul-
ordnung darin zu modifizieren, daß der Schulzwang auf sechs
Jahre, nämlich vom siebenten Lebensjahre bis zum vollendeten
dreizehnten wenigstens bei den Kindern der Landleute be-
schränkt werde".
(Aus: Landtag 1832 — 1833, Abdruck der Beilagen zu den Protokollen der
zweiten Kammer Bd. I, S. 316/17. Vgl. den in folgender Nummer gegebenen
Brief Neebs an den Prinzen Emil, Bruder des Großherzogs und Mitglied der
ersten Kammer.)
B
Brief Neebs in gleicher Angelegenheit
an den PrinzenEmil von Hessen,
Mitglied der ersten Kammer
Darmstadt, den lo, Juli 1833
Durchlauchtigster Prinz,
gnädigster Herr!
Von Herrn Prälaten Schwab vernehme ich heute, daß mein
Antrag: den Schulzwang für die Kinder des platten Landes
auf sechs Jahre zu beschränken, bei der hohen ersten Kammer
bereits zur Beratung gestellt wurde. Ich komme vielleicht
mit diesem Schreiben an Eurer Hoheit als Präsidenten dieses
erhabenen ständischen Vereines zum Behufe meiner Interessen
zu spät. Ich hatte mich schon früher zu diesem Schritte be-
stimmt, weil die Provinz Rheinhessen, die ich vorzüglich im
Auge hatte, bei der hohen ersten Kammer dermalen nicht ver-
treten ist. Das häusliche Verhältnis der dasigen Landleute,
namentlich der großen Anzahl aus der ärmeren Klasse ist
da ganz eigen. Die Kommunen haben da weder Gemeinde-
46
Waldungen, noch Weiden. Die Kinder ärmerer Leute sind im
Frühjahr, Sommer und Herbst den ganzen Tag auf dem Felde,
Kräuter für das Vieh, und Reiser, Laub und Stoppeln von den
Rainen und Feldern und Hecken für das tägliche Bedürfnis
der Küche und den Winter zusammenzusuchen. Auch scheint
es, und meine Kollegen aus den beiden anderen Provinzen be-
kräftigen es, in Rheinhessen, das zu den ältestkultivierten in
Deutschland gehört, sei dem geistigen Organe seines Men-
schenschlages eine größere Beweglichkeit angeboren ; auch dar-
um dürften die Lehrjahre für den Bedarf der Landleute ab-
gekürzt werden.
Ich bin nun als Bürgermeister meiner Gemeinde dreißig
Jahre Mitvorstand der beiden Schulen meiner Gemeinde. Der
Schulzwang, und dabei auf acht Jahre ausgedehnt, besteht
erst etwa drei bis vier Jahre. Wenn nun heute Kinder dieses
Zwanges, nach dem vierzehnten Jahre, und dabei des lächer-
lichen Luxus mit den Himmelskugeln, Geographie, Formen-
lehre und so weiter entlassen sind, so findö ich unter ihnen
und ihren Vorgängern nach kurzer Zeit keinen Unterschied,
als daß sie etwa früher, und trotz dem Schulzwang ihr gutes
und größeres Teil von der öffentlichen Sittenfreiheit ange-
nommen haben.
In betreff des zweiten und wichtigeren Elementes des
Schulunterrichtes, der Religionslehre, so ist, gnädigster Prinz,
dieses ein Gegenstand des geistlichen Amtes. Der Pfarrer
hat die Pflege der Religion von der Wiege des Täuflings bis
zum Grabe des christlichen Greisen zur bleibenden Pflicht.
Man wird zur Reue zu spät erfahren, welchen Sturm der
Wind bringen wird, den man durch teilweise, halb durch
Zeit, halb durch Gewalt herbeigeführte Verdrängung der
Pastoral-Schulen gesät hat. Ich war darauf gefaßt, daß in
mehreren Blättern man über meine trübe Perspektive in die
Zukunft wie ehemals die israelitischen Knaben auf den Straßen
über den alten kahlköpfigen Propheten gespottet haben.
Die Regierungen heutiger Zeit schauen fast eifersüchtig auf
47
das Ansehen der Kirche, und daß es neben ihren eisernen Ket-
ten zartere Bande gibt, die doch fester halten. Sie sollten we-
nigstens aus Machiavell lernen, daß die römische Politik, über-
haupt aller alten gebildeten Völker, es besser als wir verstan-
den, die Kraft des religiösen Volksglaubens zu erhalten, und
sie zur Stütze der weltlichen Autorität und somit der öffent-
lichen Wohlfahrt, Ruhe und Ordnung zu benutzen. Der Thron
steht nicht auf dem, Altare, aber neben dem Altare steht er um
so sicherer, weil er um so heiliger gilt. Vielleicht sind meine
freien Worte an die erlauchte Person, die durch ihre hohe
Geburt und ihren Rang dem Throne meines Vaterlandes so
nahe steht, nicht ohne Wirkung und Eindruck.
Sollte indessen mein Antrag in der hohen ersten Kammer
das ungünstige Geschick haben, das ihm die zweite vorbe-
reitet hat, so schreibe ich es dem Umstände zu, daß meine
Aufgabe rein praktisch war, auf Lokalverhältnisse bezüglich,
und nicht jedes der ständischen Glieder in der Lage ist,
sich mit eigenen Augen zu überzeugen, wo die Grenze des
Bedürfnisses des Vo 1 k e s und wo also auch die Grenze
des Rechtes zu gewaltsamen Maßregeln ist.
Ich bitte, gnädigster Herr! Eure Hoheit, die aufrichtigsten
Segenswünsche für Ihre erlauchte Person von einem Ihrer
wärmsten Verehrer zu genehmigen.
J o h. N e e b , Dep (utierter)
und Bürgermeister von Niedersaulheim
(Aus: Bergsträßer, Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei S. 239)
48
Gegen die Zivilehe
(1836)
Antrag' des Abgeordneten Beck
Modifikation des Eh e gesetzes in Rheinhessen
betreffend
Motive :
Meine Herren ! Bei allen Völkern der alten und neuen
Welt wurden die Ehebündnisse, außer den bürgerlichen Förm-
lichkeiten, auch mit gewissen religiösen Feierlichkeiten ge-
schlossen, um der Ehe jene Würde und heiliges Ansehen zu
verschaffen und zu erhalten, das der Natur nach ihr gebührt.
Es war von jeher das Zeichen eines nahen Sturzes eines
Volkes in moralischer Hinsicht, wenn die Ehe durch Hintan-
setzung und Verachtung jener religiösen Weihe ihre Ach-
tung verlor.
Nach den Grundsätzen des französischen, in Rheinhessen
geltenden Ehegesetzes, ist es für die kontrahierenden Teile
schon hinreichend, wenn sie vor dem Bürgermeisteramte den
Kontrakt abgeschlossen ; sie können nicht angehalten werden,
diesen Kontrakt von ihrem Konfessionsgeistlichen bekräf-
tigen, und ihm das Siegel der geheiligten Religion aufdrücken
zu lassen.
Dieses vorausgeschickt, meine Herren ! möchte ich nur auf
die nachteiligen Folgen aufmerksam machen, die daraus für
Sittlichkeit, und da die Moralität die Grundfeste des Staates
ist, auch für den Staat selbst entspringen. Die Kontrahen-
ten, die bloß bürgerlich getraut sind, müssen, nach den Grund-
sätzen ihrer Kirche, sich immer als im Konkubinat lebend
betrachten, und wie ist zu erwarten, daß sie gute Staats-
HergstraOer I. 4 AQ
bürget sind, und sich den Gesetzen willig fügen, wenn sie
die Vorschriften ihrer 'Religion in Ansehung des heiligsten
Bundes verachten.
Die Lüsternheit hält sich öfter dadurch ein Hintertürchen
offen, die bloß bürgerlich geschlossenen Bande desto leichter
zu zerreißen, da ihnen ja ihr Gewissen nach ihrer Konfession
sagen muß, daß eigentlich noch gar kein Ehebündnis geschlos-
sen sei. Dadurch entstehen dann so oft eigenmächtige Ehe-
scheidungen, oder es werden so oft die kleinsten Veranlas-
sungen gesucht, sich gesetzlich scheiden zu lassen, was der
Staat für sehr nachteilig erachten muß, und auch wirklich
erachtet, wie aus den vielen Beschränkungen hervorgeht, die
er den Ehescheidungen setzt. Wie werden ferner in solchen
Ehen ordentliche Kinder erzogen, wie sittliche Bürger des
Staates herangebildet werden können, da die Kinder von sol-
chen Eltern, denen das Heiligste nicht mehr heilig ist, ich
rede hier aus Erfahrung, weder zur Schule noch zur Kirche
angehalten werden, da die Kinder in häuslicher Hinsicht, Zank-
sucht, Streit und verderbliche Unordnung erblicken, die aus
der Entzweiung der Gewissen der Eltern hervorgeht?
Wie oft ist nicht die Folge davon, daß die Eltern sich
trennen, die Kinder sich selbst überlassen, und dergestalt als
wildes Unkraut entweder der Gemeinde zur Last fallen, oder
als unnütze und schädliche Glieder derselben heranwachsen,
wie ich es bei solchen Ehen wahrzunehmen während meinem
zwölfjährigen Bürgermeisteramte Gelegenheit hatte.
Nun aber ist die Staatsgewalt in Ansehung der Privat-
gesellschaften, die im Staate bestehen, berechtigt und ver-
pflichtet, über die Handlungen derselben zu wachen, und Auf-
sicht zu führen; das, was sie staatsschädlich findet, zu unter-
sagen und abzustellen, und diese Gesellschaft, jedoch ohne
Verletzung der ihr zukommenden religiösen Freiheit, zu be-
nutzen. Diese Rechte und Verpflichtungen hat die Staats-
gewalt denn auch auf die im Staate existierende Kirche, und
sie wird dieselben zu ihrem wahren Interesse benutzen, wenn
50
sie den Kontrahenten die Zivilrechte als Eheleuten so lange
versagt, bis sie von dem betreffenden Konfessionsgeist-
lichen die religiöse Trauung vollziehen lassen.
Das französische, in Rheinhessen geltende Ehegesetz wäre
demnach, nach meiner Ansicht, im Interesse des Staates und
der Bürger dahin zu modifizieren: „daß zwar vor der kirch-
lichen Trauung alle Gesetze des Staates in dieser Hinsicht zu
vollziehen seien, und daß — dieses geschehen — das Bürgermei-
steramt dem Pfarramte eine Bescheinigung zuzustellen hätte,
worin besagt wäre, daß der Trauung kein Zivilhindernis im
Wege stände, daß aber erst nach vollzogener kirchlicher Trau-
ung die Ehe als rechtsgültig abgeschlossen zu betrachten und
ihr erst dann jede gesetzliche Folge beizulegen, mithin — so-
weit Buch I; Tit. 5, Kap. 2 des in Rheinhessen geltenden
Code Napoleon abzuändern sei".
Indem ich, in Verfolgung meines Antrages, meine Herren!
meine Überzeugung, die auf Erfahrung beruht, vor Ihnen
auszusprechen die Ehre habe, habe ich zugleich den Wunsch
vieler achtungswerter Geistlichen vorgetragen, die in ihrer
Amtsführung die traurigen Folgen für Staat und Kirche,
durch Hintansetzung der religiösen Weihe der Ehe, wahrzu-
nehmen oft Gelegenheit hatten.
(Aus: Landtag 1835/36. Verhandlungen der zweiten Kammer, Beilagen
Bd. II, Anlage 270)
5*
Gegen
die moderne Geldwirtschaft
(1837)
Rede des Abgeordneten Ringseis
Rechenschaftsbericht und Finanzgesetz bilden zusammen
einen Januskopf, mit einem der Vergangenheit und einem
zweiten der Zukunft zugekehrten Gesichte. Das meiste, das
vom Rechenschaftsberichte gilt, gilt darum, auch vom Finanz-
gesetze, wie dieses nicht auf andern Grundsätzen gebaut ist.
Ich bekämpfte und bekämpfe die moderne Geld- und Finanz-
wirtschaft als verderblich für jede Regierungsform, insbeson-
dere die monarchische, verderblich dem Bauern, verderblich
dem Gewerbs-, verderblich endlich dem Handelsstande. Dies
erklärend, bemerke ich, daß die Anwendung der Grundsätze
der modernen Geldwirtschaft, insofern sie gesetzlich, nicht dem
Beamten zur Last falle; und indem ich bei allen, deren An-
sichten ich bekämpfe, ja für gefährlich erkläre, redlichen Wil-
len voraussetze, rechne ich auf ähnliche billige Anerkennung
auch für meine Ansichten und Grundsätze. — Aber indem ich
mich auf Grundsätze berufe, begegne ich an der Schwelle
meines Vortrages mehreren Vorwürfen. Man tadelt es wieder-
holt, sich auf Grundsätze zu berufen. Wahrlich, ein Vorwurf
ganz neuer Art; indem man sonst es für kein sonderliches
Lob hielt, von jemandem zu sagen, er sei ohne Prinzipien.
Wodurch unterscheidet der Mensch sich von der Bestie, wenn
nicht durch das Vorrecht und die Pflicht, nach Prinzipien zu
handeln? Wodurch bekämpft man schlechte Grundsätze, wenn
nicht wieder durch gute Grundsätze?
Praktisch, sagt man, sollen wir sein ; aber diePraxis bekommt
ihren Wert nur durch die Grundsätze; ohne Grundsätze ist
52
die Praxis nichtswürdige Praktik. Prinzipien wechseln, erin-
nert man ferner. Ja, schlechte zu ändern ist Pflicht; aber
Torheit oder Verbrechen ist's, gute zu wechseln. Die ohne
Prinzipien kniffig und pfiffig hin und her schaukelnde Politik
erringt keine Vorteile des Augenblicks, nie Großes für die
Dauer. Kleine Staaten wurden groß, das heidnische und christ-
liche Rom weltherrschend durch eisernes Beharren bei ihren
Grundsätzen. Oder gäbe es etwa keine unveräußerlichen, ewi-
:::en Grundsätze? Wahrlich, meine Herren! so fest, ja fester
als die Achsen von Himmel und Erde, gibt es Wahrheiten, die
bleiben, wenn Himmel und Erde vergehen. Diese ewigen
Wahrheiten sind auch die Fundamente für Verwaltung, Poli-
tik und Staatswirtschaft. Soviel von Grundsätzen überhaupt;
nun zur Widerlegung der gegen meine Grundsätze von Mit-
Lrliedern der Kammer, vom Ministertische und in öffentlichen
Blättern geschehenen Erwiderungen. Der allzeit fertige Red-
ner, der gegen die Grundsätze polemisierte, äußerte mit eini-
gen andern Rednern gegen mich: ,,Also wären die vierzehn
gesunden Augen des Ausschusses, die hundert Augen der Re-
gierung und die Millionen Augen der Majoritäten in England
und Frankreich mit Blindheit geschlagen?" Meine Herren!
ich wiederhole, weder eine konkrete physische, noch eine mora-
lische Person nannte ich blind: ich gebrauchte den Ausdruck
lediglich bedingungsweise gegen einen, durch seine mehr als
attische Urbanität in und außer der Kammer bekannten Red-
ner, der mich der Schwärmerei, der Gespensterseherei, des
Obskurantismus und anderer feiner Din^e beschuldigt hatte.
Ich sagte, wer nichts fürchten zu müssen glaubt, sei mit
Blindheit geschlagen; auch denke ich nicht, daß jemand in
dieser Kammer ohne alle Befürchtungen für unsere Zukunft
sein könne. Meinen Gegnern hat es gefallen, meine hypothe-
tische Behauptung als kategorisch zu behandeln. Aber ge-
setzt, — nicht zugegeben, — ich hätte kategorisch die Ma-
jorität verblendet genannt, wäre ich denn damit widerlegt,
weil die Majorität einer andern Meinung ist? Dann lügt ja
53
die ganze Geschichte, wenn sie behauptet, Völker, zum Unter-
gange reif, seien in Masse verblendet gewesen; dann hatten
ja die Juden recht, als sie in unermeßlicher Majorität zu
Pilaten riefen: Kreuzige, kreuzige Christus!
Nicht bloß Christus, meine Herren! auch Sokrates, Aristi-
des, Miltiades, Fabius, Scipio, Cato, Cicero und viele andere
treffliche Männer waren häufig in eklatanter Minorität. War-
um urteilte wohl Montesquieu, daß es in der Regel zweck-
mäßiger sei, die Beschlüsse der Minoritäten zu Gesetzen zu
erheben? — Ein anderer Redner richtete meine Argumen-
tation mit der schlagenden Bemerkung zugrunde, „daß ich
retrograd über fünfzig Jahre zurückginge". Braucht es eines
stärketen Beweises, meine Herren! daß ich der mit Blindheit
Geschlagene sei? Steht doch die beste Welt erst neunund-
vierzig Jahre, und die bayerische Weltparzelle gar erst acht-
zehn! Wir sind also belehrt, daß jede spätere Zeit besser,
als die fünfzig Jahre früher; die Zeiten des Sulla und Catilina
also besser, als die frühere der Fabier und Scipionen; die Zei-
ten Neros, Domitians und Caracallas viel besser, als die des
Cäsars Augustus, die Zeit der dreißig Tyrannen in Griechen-
land unendlich besser, als die des Aristides und Miltiades. Ge-
rade das Gegenteil muß wahr sein von dem, was Horaz sagt
in der Ode an die Römer: aetas parentum, pejor avis tulit
nos nequiores, mox daturos, progeniem visitiorem, zu deutsch:
unsere Großeltern waren schlimm, unsere Eltern schlimmer,
wir sind schlimmer als unsere Eltern, und unsere Kinder und
Enkel werden schlimmer als wir sein. Unleugbar ist also die
Zeit seit der französischen Revolution bei weitem die beste von
allen, und Niebuhr im unverzeihlichsten Irrtum, wenn er in
der Votrede zur zweiten Ausgabe seiner in Frankreich und
England bewunderten Geschichte Roms Ähnlichkeit findet
zwischen der gegenwärtigen und der Zeit kurz vor Roms
Untergang. Notwendig falsch sind also die von mir nachher
anzuführenden amtlichen Notizen über die infolge der Güter-
zerstreuung bewirkte Verminderung des Viehstandes, die
54
enorme Verschlechterung des Ackerbodens, die stetig zuneh-
mende Unsicherheit der Personen und des Eigentums, über-
haupt über die große Verschlimmerung des sittlichen und öko-
nomischen Zustandes in Frankreich und andern Ländern; oder
es ist Torheit, zu behaupten, der wahre Fortschritt bestehe in
der Verbesserung des physischen und sittlichen Wohles; man
könne ohne diese Lappalien auf der Höhe des ,, Zeitgeistes"
stehen. Da die Deputierten der bayerischen Universitäten zu
dieser Torheit sich bekennen, was ist vernünftiger und auf-
geklärter, als ihre Verdammung durch einige höchst ehren-
\v^rte Mitglieder dieser Kammer!
Vom Ministertische ward erwidert: i. Die von* mir so-
genannte Geldwirtschaft, insbesondere Fixationen, Ablösun-
gen und Zertrümmerungen seien gesetzlich, bei vermehrter
Bevölkerung politisch notwendig, und weil bei Teilung des Ei-
gentums die Produktivität des Bodens zunehme, auch staats-
wirtschaftlich, somit konservativ und der Bildung von Prole-
tariern vielmehr hinderlich als förderlich; 2. es sei kein Zu-
sammenhang zwischen meiner Argumentation und dem Kre-
ditvotum des Herrn Finanzministers im Jahre 1819; 3.- die
enormen Holzpreise lägen nicht in der Absicht der Regierung.
— Teils, um schon vorhandene Mißverständnisse zu besei-
tigen, teils, um künftig möglichen vprzubeugen, bemerke
ich vorläufig: i. Grundsätze verteidigend und bekämpfend,
bekämpfe ich keineswegs die Beamten, die sie gesetzlich auf-
recht erhalten; meinem Vater, Bruder und Freund gegenüber
würde ich ebenso reden, wie nun der Regierung gegenüber;
2. die konservativen Prinzipien des Ackerbaues verteidigend,
bekämpfe ich keineswegs Gewerbe und Handel; ich will die
größtmögliche, harmonisch gesunde und somit nachhaltige
Entwicklung von allem; wo aber in einer Gesamtheit ein Glied
überwiegend und wuchernd heraustritt, da leiden nicht bloß
die übrigen Glieder, da geht das Heraustretende selber zu-
grunde.
Endlich war in niehrern öffentlichen Blättern fälschlich be-
:>o
hauptet, ich hätte unbedingt die Fixation der Zehenten ver-
worfen. Ich gebe zu, daß Fixationen in Körnern und Stroh
in vielen, vielleicht den meisten Fällen, dem Pflichtigen und
Berechtigten nützlich, ich verwarf aber und verwerfe als höchst
verderblich eine allgemeine Ablösung in Geld. Ich leugnete
und leugne das Recht aller Regierungen und Kammern, jeman-
den zur Fixation oder Ablösung absolutistisch zu zwingen.
Alle Regierungen und Kammern der Welt können durch Ge-
setze und Verordnungen nicht in Recht verwandeln, was an
sich unrecht ist; vor Gott und Menschen aber unrecht ist,
jemandem das Seine zu nehmen.
Meine Herren! Ich erklärte GeWwirtschaft für verderblich
allen Verfassungen und Ständen; Geldwirtschaft nenne ich
die Wirtschaft, in der das Geld alles oder doch zu vieles re-
präsentiert und vermittelt, auch Dinge, die es nicht repräsen-
tieren soll und kann, ja, wo es aufhörend bloßer Repräsentant
zu sein, zum Repräsentationsgegenstande selbst erhoben wird.
Das Geld in seiner untergeordneten Stellung ist vortrefllich,
aber das Geld hat seine Bestimmung überschritten, wo es
dahin gekommen, daß große Fruchtbarkeit des Bodens, eine
überreichliche Ernte — ein Unglück, Ursache von Finanz-
verlegenheit und der Notwendigkeit eines Kreditvotums wer-
den kann, wie noch gegenwärtig überall der Fall ist. Dem
Ärar und jedem Grundbesitzer wird der Segen des Himmels
zum Fluche, lediglich weil das Geld bei uns nicht mehr bloßes
Mittel, weil es zur Sache, ja zur Hauptsache selber, und der
Ackerbau zum bloßen Mittel des Gelderwerbes wurde, weil
alles bei uns auf den Markt kommt, und der Ackerbau, was
er nimmer werden sollte, zum Geldgewerb geworden. Konse-
quent wäre es bei dieser Wirtschaft ja besser, wenn der Acker,
wie dem König Midas, Gold statt Früchte trüge. Die Natur-
widrigkeit dieser krankhaft gesteigerten Bedeutung des Gel-
des ist so groß, so kapital, daß man, um sie einzusehen, durch-
aus kein Staats- oder Finanzmann zu sein braucht, ebenso we-
nig als man Arzt sein muß, um zu wissen, daß eine funda-
56
mentale Störung der Organisation zugegen sei, wenn das, was
zur Erhaltung des Lebens dienen sollte, und in gesundem Zu-
stande wirklich dient, wie das Wasser in der Wasserscheu zum
zerstörenden Gifte wird. Eine staatswirtschaftliche Verfas-
sung, in welcher der Himmelssegen zum Fluche wird, kann
in dieser Beziehung kein notwendiges, vielweniger ein kon-
servatives Ergebnis sein. Dies Phänomen allein, und kennten
wir auch keine andern, mit denen es zusammenhängt, müßte
uns mit der ernstlichsten Besorgnis erfüllen. Aber das erwähnte
Phänomen ist kein isoliertes, die Geldwirtschaft ist in ihrer
völligen Entwicklung nicht bloß mit Agrikultur, Gewerben
und Handel, sondern auch mit Wissenschaften, Künsten und
Moralität in feindlicher Beziehung. Hinsichtlich der nachtei-
ligen Beziehung der Geldwirtschaft zur Agrikultur berufe
ich mich auf Tatsachen in England, Italien und Bayern. Durch
die von den altern Bourbonen begünstigte, den Code Napo-
leon gesetzlich eingeführte, und während der Restauration
völlig durchgeführte Verteilung des Grundbesitzes zerfiel der
Boden Frankreichs laut amtlichen Katasters bis zum Jahre 1831
in hundertfünfzig Millionen Parzellen, verteilt unter vier Mil-
lionen Familien. Unter drei Millionen von diesen besitzt jede
Familie im Durchschnitt nur ein französisches Tagwerk (hec-
tare), dieses Tagwerk in zehn bis dreißig Stücke gesplittert.
Diese drei Millionen (somit die Hälfte der Bevölkerung) sind
sehr arm und ohne hinreichenden Viehstand; der französische
Bauer düngt im Durchschnitt zehnmal weniger, als der eng-
lische Pächter. Derselbe Grund und Boden, der nach Tolosan
und Rubichon im Jahre 1786 die Einsaat durchschnittlich noch
achtfach, im Jahre 181 1 noch sechsfach lieferte, gab sie im
Jahre 1831 nicht mehr vierfach. Die Zahl der Grundbesitz-
veränderungen und Verkäufe betrug im Jahre i8i6 zwei, und
im Jahre 1827 schon dreiundeinehalbe Million. Die Summe
der Einregistrierungsgebühren stieg von hundertfünf auf
hundertsechsunddreißig Millionen, die Zahl der Strafen aufs
Dritthalbfache, die Einnahme vom Lotto bei vermehrter Not
57
gleichwohl von zweiundvierzig auf dreiundfünfzig Millionen ;
die Taxen erreichten in wenigen Jahren den Geldwert der
Grundstücke. Folge dieser Verschlimmerung der Viehzucht
und des Ackerbaues ist es, daß seit mehreren Jahren laut Im-
portationslisten der Pariser Arbeiter ein Drittel weniger
Fleisch, Brot, Wein und Bier, dafür aber um so viel mehr
schlechte Kartoffeln genießt, als zehn Jahre früher: Folge da-
von, daß von hundert über fünfundzwanzig Jahre alten Fran-
zosen beständig vierzig im unfreiwilligen Zölibat leben.
Im nämlichen Jahre, in dem Rubichon in seinem vorzüg-
lich in England anerkannten Werke (Du mecanisme de la
societe en France et en Angleterre. Paris 1833, nouvelle
edition 1837) die von mir erwähnten Resultate bezüglich auf
Frankreich berichtete, zeigte uns Ritter von Koch-Sternfeld
in seinem Werke (Das Prädialprinzip, die Grundlage und
Rettung der Ruralstaaten, München 1833) aus ähnlichen Ur-
sachen ähnliche Resultate im, südlichen Bayern. Laut seinen
urkundlichen Nachweisungen gibt derselbe Boden, der wäh-
rend des Bestandes der großen Klosterbesitzungen die Ein-
saat sieben- und achtfach lieferte, sie jetzt nicht mehr dreifach,
und der Viehstand sank auf die Hälfte des frühern. — Der
Landrat des Oberdonaukreises beklagte schon im Jahre 1829
das Herabkommen der Viehzucht infolge der Aufhebung der
Verteilung der Weideschaften, den Verfall der Stammgüter
und die ohne Segen vervielfältigten Arbeiten und Barauslagen.
Der Landrat des Rezatkreises gestand, daß die landwirtschaft-
liche Produktion zwar vielfältiger, der Landwirt aber viel
ärmer geworden sei. — Was zeigt uns dagegen England bei
entgegengesetztem Verfahren ? Als im Jahre 1 790 der herr-
schenden Meinung zu Gefallen die Gemeingründe verteilt
wurden, erkannte die niedergesetzte Kommission von Rechts-
gelehrten, daß die bisherigen Nutznießer, sechshunderttausend
Tagwerkerfamilien, keinen rechtlichen Anspruch darauf hätten ;
die von ihnen besessenen Gründe fielen den großen Besitzern
anheim, und durch Einrichtung von Gräben und Kanälen,
58
durch Entwässerung und Bewässerung, durch den nun vielfach
verbesserten Dünger und so weiter stieg der Ertrag desselben
Bodens in Avenigen Jahrzehnten vom Vier- und Sechsfachen aufs
Vierzehnfache, Zwanzig-, ja Fünfundzwanzigfache. Wird alsfi
auch zugegeben, daß hier und da, in besondern Fällen, in der
Nähe von Städten durch Zertrümmerung und Verteilung die
Bodenproduktivität gesteigert werde, so ist dies Ausnahme,
das gerade Gegenteil aber die Regel. Und wohin müßte es
kommen bei fortgesetzter Teilung? Alle Wirtschaftsgebäude,
alle Bauernhäuser würden zu groß, zu unverhältnißmäßig für
den kleinen Besitz, unsere noch stattlichen Dörfer, der Stolz
Deutschlands und Bayerns, würden zu elenden Hütten, wie
wir sie zu tausenden in Frankreich sehen. Die Verschlimme-
rung der Viehzucht und des Ackerbaues ist notwendig ver-
derblich für die Gewerbe und den inländischen Handel. Man
verglich Ackerbau, Industrie und Handel dreien Blumen auf
einem Stengel; dies Gleichnis meines ehrenwerten Freundes
ist mehr glänzend als richtig; nicht drei Blumen auf einem
Stengel sind die genannten, sondern der Ackerbau verhält sich
zu den zwei übrigen, wie Wurzel, Stamm und Zweige zu
Blüten und Früchten. Keine Blüten und Früchte sind ohne
Wurzel, Stamm und Zweige. Den Hauptstoff unserer Gewerbe
liefern die Haustiere, Fett, Häute und Wolle derselben. Wenn
nun bei der großen Zersplitterung des Grundes, wie in Frank-
reich, von vier Millionen Grundbesitzern drei Millionen so sind,
daß sie fast kein Vieh halten können, überhaupt zu wenig Be-
triebskapital haben, so folgt für die Gewerbe der dopj>elte
Nachteil: i. die Gewerbetreibenden erhalten zu wenig gutes
und zu teueres Material aus dem Inlande; 2. zu wenige, zu
teuere und zu wenig kräftige Nahrungsmittel (der franzö-
sische Bauer genießt jährlich neunzehn Pfund und der eng-
lische zweihundertzwanzig Pfund Fleisch), weil die verdop-
pelte Ackerbevölkerung bei einer auf die Hälfte reduzierten
Produktivität für sich selber nicht genug zu leben hat. Dar-
um bezog im Jahre 1830 und so fort die Juliusrevolution den
59
größeren Teil ihres aus dem Tierreiche kommenden Armee-
bedarfs aus England, Belgien und Deutschland.
Als Folge der Geldwirtschaft bezeichnete ich auch die enor-
men Holzpreise und die zunehmende Ohnmacht der Regierung,
die Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse auf mitt-
lerer Höhe zu fixieren. Es ist klar, daß bei dem Bestehen der
Natural- und Personalleistungen, wodurch die Vermittlung
des Geldes in vielen Dingen a.usgeschlossen wird, die maß-
losen Preiserhöhungen der menschlichen. Lebensbedürfnisse
schlechterdings unmöglich sind. Vom Ministertische ward die
Versicherung gegeben: Die Holzpreiserhöhung sei nicht von
der Regierung ausgegangen ; das ist auf der einen Seite sehr
tröstlich, aber höchst beunruhigend auf der andern. Es ist
nicht genug, daß die Regierung mit den unentbehrlichen Le-
bensbedürfnissen keinen Wucher treibt, sie muß die politisch,
moralisch und staatswirtschaftlich unentbehrliche Macht be-
sitzen, die Preise derselben auf mittlerer Höhe zu fixieren,
durch beliebige Eröffnung oder Schließung ihrer großen Vor-
räte. Wenn nun die Regierung die hohen Holzpreise nicht
gewollt, so ist dieses ja ein Eingeständnis, daß sie die enorme
Höhe derselben nicht hindern könnte. Wenn nun dies schon
der Fall ist bei einem Gegenstand, von dem, die Regierung
ein so großer Besitzer, was kann erst geschehen bei andern,
bei denen dies nicht der Fall ist? Gerät nicht hierdurch die
politische Gewalt der Preisebestimmungen der unentbehrlich-
sten Lebensbedürfnisse in die Hände der Geldmacht, und hatte
ich also sehr unrecht zu sagen, daß durch diese Geldmacht die
Regierungen mediatisiert werden? Ich erwähne noch einige
moralische Folgen der Geldwirtschaft. Trotz dem anerkann-
ten verbesserten Unterricht, trotz der in Vergleich mit frü-
hern Jahren ums doppelte verstärkten Polizei, trotz den viel-
fach vermehrten Anstrengungen für das Armenwesen ver-
mehrten sich progressiv, wie Sie gehört haben, nicht bloß die
Körperverletzungen, sondern auch, laut Angabe von vielen De-^
putierten, die Felddiebstähle, alle Arten Eigentumsbeschädi-
60
gungen, insbesondere die Holzfrevel ins Unermessliche. Wenn
allerdings in einigen Kreisen die Zahl dieser letzten nur einige
hundert beträgt, so stieg sie in andern jährlich auf vierzigtau-
send, ja etliche sechzigtausend, die ohne Zweifel sehr häufigen,
nicht zur Anzeige gekommenen gar nicht mit eingerechnet. Was
ist davon die Ursache? Keine andere kann es sein, „als der" —
wie Herr Graf von Drechsel, die Abgeordneten von Anns und
Stöcker, in Übereinstimmung mit dreißig Deputierten, wört-
lich sich ausdrückten — „noch stets zunehmende Notstand, die
noch täglich zunehmende Zahl der Armen". Und diese Ver-
mehrung der Armen, wovon ist sie die notwendige Folge? Sie
kann laut dem Gesagten nur Folge sein in Städten von den
Konzessionen, auf dem Lande von den Grundbesitzzertrüm-
merungen; es bleibt keine andere Hauptursache mehr übrig.
Napoleon sagte, laut dem Berichte des Präsidenten Fontanes
vom 21. März 1819: „Ihr nennt diese Menschen große Be-
sitzer, sie wollen also nicht, daß der Boden wanke, das ist ihr
und mein Interesse," und der Verfasser der Elemente der
Staatskunst, Adam Müller, sagt; „Vom Tage an, wo alle Na-
tionaldienste aus Europa verschwunden wären, wäre auch der
Verfall der Städte und aller Kultur des europäischen Okzi-
dents entschieden; denn die natürliche Verfassung ist recht
eigentlich der Grund und Boden, der diese Städte und alles
von ihnen abhängige Gute und Edle trägt." Ja, meine Herren,
die mit der Geldwirtschaft innig verbundene, ohne sie nicht
mögliche Atomisierung und Pulverisierung des Grundbesitzes
und Gewerbbetriebes führt laut Erfahrung zur ökonomischen,
sittlichen und politischen Auflösung.
„Beunruhigen Sie die Kammer nicht mit Ihrer Gespenster-
seherei," rief mir der ultraurbane Redner zu, der mich des
Obskurantismus beschuldigt hatte, und der in seiner über-
großen Bescheidenheit sich und die Kammer identisch hält.
Ein sehr menschenfreundlicher Rat! wahrlich, ebenso men-
schenfreundlich, als sagte jemand: „Seien Sie ruhig, es brennt
ja erst des Nachbars Haus." Freilich, wer wie der Vogel
61
Strauß bei Gefahren die Augen zudrückt, und den Kopf ins
Gebüsch versteckt, dem ist ringsum alles obskur. Aber wir
haben allerdings Ursache, minder ruhig zu sein.
Die Regierung hat vor Jahren angefangen, der atomisierenden
Richtung Einhalt zu tun; sie suchte, was vom Stamm und
Wurzel noch gesund ist, zu erhalten, zu beleben und zur Ent-
wicklung neuer Blüten und Früchte vorzubereiten. Wer hei-
len will, darf das Objekt seines Heilversuches in keinem seiner
Glieder zerstören, soll es nur von fremdartiger, parasitischer
Zutat befreien. Allerdings soll mit gänzlich Abgestorbenem
kein unnützer Belebungsversuch gemacht werden; allerdings
soll nichts beim alten bleiben, nichts versteinern und verknö-
chern. Aber lebenskräftig Neues entwickelt sich, wie jeder
neue Zweig nur aus Stamm und Wurzel, aus lebenskräftigem
Alter. Was nicht in gesundem Alter wurzelt, wirkt zeh-
rend, wie Schmarotzerpflanzen, wie Psore und Flechte am
politischen wie physischen Leibe. — Die Krone im Ver-
ein mit den Kammern wahrte die materiellen und dadurch
mittelbar die geistigen und moralischen Interessen und
Gesetze gegen die maßlosen Ansässigmachungen in Städten
und Dörfern, ohne jedoch das schädliche Prinzip ganz zu
vertilgen. Die korporative Verfassung ward von der Krone
begünstigt und wiederholt versprochen, ihr noch mehr Gunst
zuzuwenden. Nichts ist geeigneter, der Atomisierung und der
Vermehrung der Proletarier zu wehren, als korporative Selb-
ständigkeit. Am unentbehrlichsten ist diese der Kirche in
allen ihren Instituten; sie genießt derselben noch nicht im ge-
nügenden Maße. Was die Krone für die Künste getan, davon
hat der Ruf sich in alle Weltteile verbreitet. Beklagt wurde,
daß den Wissenschaften nicht dieselbe Gunst geworden, und
sie bei uns hinter den Fortschritten in den Nachbarlanden
zurückbliebe. Beruhigen wir uns ; die Initiative zur Unter-
stützung der Wissenschaften komme von denen, die voll-
kommen wissen, daß die Entwicklung des Ackerbaues, der
Gewerbe, der Künste tind Wissenschaften harmonisch sein
62
müsse; sie wissen, daß die Stärke kleiner Staaten nicht im
Gewichte ihrer physischen, sondern in der freiesten Entfal-
tung- der sittlich geistigen Kräfte beruhe; daß der innere-
organisierte Aufbau der wissenschaftlichen Industrie viel wich-
tiger und dauernder als Werke von Stein sei. Die Säulenhallen
der Stoa und die Marmorsäle der Akademie liegen längst in
Ruinen, während die Fundamente und Säulen ihrer Doktrinen
noch stehend ragen und den Ruf ihrer Begründer verbürgen.
Der verehrliche zweite Ausschuß ist einer andern Meinung,
wobei ich mich laut Präzedentien nicht sehr verwundere, Ist
seine Ungunst gegen die gelehrten Institute und gegen den
Orden der barmherzigen Schwestern vereinbar mit der Adresse
an den Thron um Unterstützung der moralischen und gei-
stigen Interessen? vereinbar mit der geforderten Verbesse-
rung der Justiz-, Polizei-, Industrie- und höheren Staatswirt-
schaft? Justiz-, Polizei-, technische und Wirtschaftsbeamten er-
langen ja ihre höhere Ausbildung auf Universitäten und Aka-
demien. Die von meinen Freunden und Kollegen ausgespro-
chene Rüge gegen den Herrn Referenten über Einnahmen be-
stätige ich, wie ich auch zugebe, daß er sich diese Konsequen-
zen nicht gedacht hat. Meine Herren ! Die Übel, über die ich
klage, sind chronische, wie wir Ärzte sagen, konstitutionelle,
das ist mit unserer Organisation verwachsene ; aber sie sind
Übel oder Krankheiten, man muß sie bekämpfen, darf sie je-
doch nicht auf einmal ausrotten wollen, um nicht den Leib, mit
dem sie verwachsen, selbst zu zerstören. Und hier ist der
Punkt, wo ich mich mit manchem scheinbaren oder wirklichen
Gegner vertrag^e. Vereinigen wir uns über das Prinzip, wir
werden uns auch über die Praxis vereinigen! Es wäre unprak-
tisch, überall Messer und Glüheisen anzuwenden.
(Protokolle der zweiten Kammer Bd. 14, S. 122 ff.)
63
Organischer Verwaltungsaufbau
Rede des Abgeordneten von'Moy
ZU seinem Antrage im bayerischen Landtage
von 1837
„Seine Majestät den König ehrfurchtsvollst zu bitten, der
nächsten Ständeversammlung ein neues Wahlgesetz für den
Landrat vorlegen zu lassen, wodurch die gleichmäßige
Vertretung aller Teile eines Kreises in den
Klassen der Stadt- und Landgemeinden im
Landrate, ohne Rücksicht auf den Wahlzen-
sus, möglichst gesichert werd e."
I
Ich bitte einen Augenblick um Ihre Geduld, indem ich hier
den Anlaß ergreifen will, ein Glaubensbekenntnis abzulegen.
Es wurde die Besorgnis geäußert, daß ein Rückschritt in
die frühere Zeit durch meinen Antrag herbeigeführt werde,
und daß die gesonderten Interessen zum Nachteile des Ganzen
dadurch hervortreten.
Beide Einwürfe sind unbegründet und treffen mich in keiner
Weise.
Was den ersten Einwurf betrifft, so erkläre ich unbedingt,
daß ich der festen Überzeugung bin, daß alles, nicht bloß, was
zurückschreitet, sondern auch, was stehen bleibt, in der Zeit
sein Urteil habe; daß es absterbe; daß ich also gewiß kein
Freund des Rückschreitens bin, in Beziehung auf Institutionen,
die mir kostbar sind, wie ich durch meinen Antrag in Beziehung
auf die Landräte selbst gezeigt habe.
Etwas anderes ist Festhalten an Formen, die allerdings ab-
gestorben sein können; etwas anderes ist, an Prinzipien, die
64
nicht von der Zeit abhängig sind, sondern über der Zeit stehen,
deren Gegensatz der Grund aller Entwicklung in der Zeit ist,
festzuhalten, und wenn ich dies tue, so wird mich der Vorwurf
des Rückschrittes nicht treffen können. Nun stehen im Durch-
schnitte gegenwärtig zwei Prinzipien rücksichtlich der poli-
tischen Gestaltungen sich gegenüber. Das eine Prinzip ist das
der innern Auflösung bei einer bloß äußeren, mechanischen,
formellen Ordnung ohne moralisches, ohne lebendiges Band.
Dieses festgehalten und durchgeführt, hat die notwendige
Folge einer beständigen Spannung zwischen Despotismus und
Zügellosigkeit, eines beständigen Schwankens zwischen Unter-
drücken der Wahrheit durch die Minorität oder der Minorität
durch die Mehrheit.
Diesem Prinzipe kann ich in keiner Weise huldigen, desto
mehr hänge ich dem entgegengesetzten Prinzipe an, dem der
natürlichen Verbindung^der Sozietät. Dieses gründet sich auf
den Schutz der Rechte der Gesamtheit, wie des einzelnen, durch
alle Stufen der Gesellschaft, von der Familie unten bis hinauf
zum Throne, eine Verbindung, die durch natürliche Mittel-
punkte vermittelt, durch moralische lebendige Bande ge-
knüpft ist.
Nach diesem Prinzipe steht, statt abstrakter Gesetze, an
der Spitze ein Herz, das schlägt für alle Untergebenen. Zu
diesem Prinzipe bekenne ich mich mit Freuden und mit der
festen Überzeugung und dem sicheren Vertrauen auf dessen
Kraft und Nachhaltigkeit, nach diesem Prinzipe soll jede Ver-
bindung auf der Achtung der Eigentümlichkeit jedes einzelnen,
jeder Klasse der Sozietät einerseits, auf den natürlichen Ver-
hältnissen von Bedürfnis und Leistung, auf dem natürlichen
Bande der Dankbarkeit und Treue andererseits sich gründen.
Von diesem Prinzipe bin ich auch bei meinem Antrage
ausgegangen.
Mir scheint das wahre Fortschreiten darin zu bestehen, daß
bei Fortschreiten der Vervielfältigung der gesellschaftlichen
Berührungen die Achtung für die Eigentümlichkeit und das
Bergsträßer T. 5 65
Recht des einzelnen, die Achtung für die Freiheit, zugleich
aber auch die Festigkeit der natürlichen Verbindungen immer
lebendiger und nachhaltiger verbürgt werden.
Unsere alten Landstände sind diesem Prinzipe untreu ge-
worden. Es war ihr eigenes, die Vereinigung nämlich der
verschiedenen Klassen derLandbewohner unter sich und mit dem
Regenten zu wechselseitiger Unterstützung und Hilfeleistung.
Sie sind zu Grunde gegangen durch das korporative Ab-
schließen einerseits dem Landesherrn gegenüber, andererseits
gegen die Masse des Volkes. Ich beabsichtige keine Ländtafel,
keine Korporationen zwischen dem Lande und dem Regenten ;
ich möchte aber ein korporiertes Land, und daß die Korpo-
ration des Landes, wie in der 'Ständeversammlung, so auch im
Landrate vollständig repräsentiert wäre, und daß jeder Teil
des Kreises in letzterem seine Vertretung vollständig fände.
Nach meiner Ansicht ist das Prinzip, worauf alles in der Ver-
fassung beruht, der Schutz aller Interessen von oben herab,
wie jeder gesicherte Weg von allen Interessen, respektive Re-
klamationen, von unten hinauf bis zum Throne. Dies führt
mich nun auf die zweite Einwendung, daß durch meinen An-
trag die Sonderinteressen zu sehr hervorragen würden zum
Nachteil des Ganzen. Ich glaube nicht, daß der Vorteil des
Ganzen auf der Unterdrückung der Sonderinteressen beruhe,
ich glaube das Gegenteil, daß nämlich nicht bei der Unterdrük-
kung der Sonderinteressen dem Ganzen wohl sein könne, son-
dern vielmehr, daß das Wohlsein des Ganzen darauf beruhe,
daß jeder in seinem Rechte und Interessen gesichert, getragen
und bewahrt werde. Dies ist wenigstens die Vorstellung, die
ich mir von jeher von der Harmonie gemacht habe, als einem
Einklänge von Tönen, wo jeder für sich tönt, jedoch harmo-
nisch zum Ganzen.
Der Gemeinsinn wird wohl, wie der Herr Referent geäußert
hat, durch eine solche Vertretung der Sonderinteressen nimmer
zu leiden haben. Ich bin der Überzeugung, daß die Individuali-
tät, die Eigentümlichkeit dasjenige ist, was jedem einzelnen,
66
jedem Stande das Teuerste ist. Daher das Bestreben, solche
I Eigentümlichkeiten gewaltsam hervorzuheben, wo nicht ge-
nügender Schutz ihnen in rechtlicher Ordnung gestattet ist.
Der Gemeinsinn wurzelt in der Pietät. Es ist keine Frage,
■I) derjenige, welchem das Interesse seiner Familie, seiner Näch-
sten, seiner Provinz und seines Heimatlandes am nächsten
liegt, es ist, der dem Gemeinwohl am meisten dient, oder der-
jenige, der von diesen Interessen sich entfernt.
Ich glaube, daß der Schutz und die Wahrung der Sonder-
interessen auch das Ziel der Verfassung sei. Nun ist aber in
dem Institute der Landräte rechtlich dieser Schutz nicht ge-
sichert.
Wir haben die Erfahrung, und wir haben auch von den Ab-
geordneten aus verschiedenen Kreisen bestätigen gehört, daß
keineswegs alle Teile eines Kreises die gehörige Vertretung
gefunden haben, und daß man darum durch Verabredung den
Vorteil einer gleichmäßigen Vertretung öfter zu sichern
suchte. Was ich aber durch Verabredung für tunlich halte,
will ich) durch das Gesetz gesichert wissen.
Es ist bekannt, wie verschieden die Bestandteile eines Krei-
ses sind nach Kultur, Gesinnung, Gewerbe und so Aveiter, wie
so verschieden kollidierende Interessen in den verschiedenen
Kreisen zu unterscheiden und zu berücksichtigen sind.
Die Wichtigkeit der Landratsvertretung ist durch neue Ge-
setze bedeutend gestiegen. Er verfügt über Ersparungen und
Erübrigungen, er bringt die wichtigsten Anträge vor, er grün-
det durch .sein Votum Institutionen, die für die Kreise von
höchster Bedeutung sind.
Nun ist es aber bekannt, daß gerade bei diesen Verhält-
nissen es nach der jetzigen Einrichtung in die Hände der
volksreichsten und wohlhabendsten Teile der Kreise gelegt
ist, die ganze Repräsentation an sich zu reißen, und diejenigen,
welche der Hilfe am meisten bedürfen, auszuschließen, ihnen
jede Äußerung zu sperren und sie zu verhindern, ein gesetz-
liches Organ für ihre Interessen zu wählen. Damit wird eine
^7
Aristokratie des Vermögens bewirkt, die nachteiliger hier als
anderswo wirkt, weil sie mittelbar eingreift in die nächsten
Interessen.
Ich erachte diese Einrichtung, wo bloß nach dem Vermögen
gewählt wird, und die einzelnen Teile eines Kreises wegen
Verschiedenheit des Vermögens so ungenügend bedacht wer-
den, für äußerst nachteilig. Die Masse der Bevölkerung wird
da wie eine fungible Sache nach der Kopfzahl geschätzt und
gewogen nach dem Vermögensbesitz.
Ich hege weder plebejische, noch aristokratische Leiden-
schaften. Eines aber verabscheue ich vor allem, das ist die
Geldherrschaft, weil sie das niedrig^e aller Motive, die Hab-
sucht, zur Triebfeder der öffentlichen Tätigkeit macht. Die-
ses habe ich schon oft erklärt und kann mich nicht oft genug
darüber aussprechen. Darum wünsche ich, daß jeder Hebel,
der ihr zustatten kommt, verschwinden möge, und daß auch
vom Wahlzensus, namentlich beim Landrate, deshalb abge-
gangen werden möge.
Man wird zwar sagen: es sei dies eine bedenkliche gefähr-
liche Theorie ; — allerdings — solange man fortfährt, die Pro-
vinzen nach der Bevölkerungszahl repräsentieren zu lassen, ist
man auch genötigt, eine gewisse Bürgschaft zu suchen. Nun
ist aber keine andere materielle gegeben, als das Geld.
Wenn man aber die Gemeinden als Korporation repräsen-
tiert sehen will, so wie sie in der frühern ständischen Ein-
richtung erscheinen, so wird der Vorwurf der Gefährlich-
keit und der Theorie verschwinden, denn es ist die historische
Erfahrung dafür.
Ich empfehle den Antrag dem Wohlwollen der Kammer
und bitte, über dem, was bisher vorgefallen, nicht ganz die
Erinnerung des Wohlwollens verschwinden zu lassen, das bei
der ersten Einbringung demselben entgegenkam.
(Protokolle 1837 Bd. 20, S. 3958.)
68
Aus dem „Athanasius"
(1838)
Von J. G ö r r e s
A
In der Untersuchung weiter voranschreitend, finden wir den
Erzbischof handelnd in dritter Eigenschaft; als hochgestelltes
Mitglied einer Konfession, die, auf die Bedingung der Gleich-
heit der Rechte hin, einer andern Konfession gegenüberstehend,
mit ihr in demselben Staatsverbande zu leben hat. Hier an der
Grenze beiderseitiger Rechtsgebiete, wo sie sich berühren und
gegenseitig durchdringen, entsteht ein drittes Mittelgebiet, in
dem durchaus das Prinzip der Gegenseitigkeit gilt; so zwar,
daß Forderungen und Leistungen, Rechte und Pflichten der
einen Seite die derandern bedingen und wieder von ihnen sich be-
dingt finden. In diesem Verhältnisse ist der Staat der
Schirmherr der Kirche, er übt das sogenannte M a j e -
stätsrecht des Schutzes über diese Kirche ; indem er
alle Angriffe gegen die Würde und Heiligkeit der Religion
ahndet; durch seine Gesetze bekräftigt, was die Kirche im Ge-
biete der Lehre und der Zucht festgestellt, für die würdige
Ausstattung des Gottesdienstes und den Unterhalt der Diener
des Altars Sofge trägt, und überall beide in ihrem Ansehen und
ihrer Würde handhabt. Dieses sogenannte Majestäts-
recht ist aber in Wahrheit eine Majestätspflicht, an
das Wesen der höchsten Staatsgewalt geknüpft, und was die
Regierung, sie ausübend, der Kirche leistet, ist keine Wohltat,
die sie ihr erweist; denn sie- hat nicht als Bettlerin vor ihrer
Türe angesprochen, um ein- Almosen sie ersuchend; sie fordert
nur das ihre, innerlich, was ihr von Gott und Rechtswegen zu-
kommt, äußerlich aber in Geld und Gut nur den kleinsten Teil
69
dessen, was man ihr genommen, und was man ihr wiederzu-
geben schon durch die Gesetze gemeiner Rechtlichkeit und der
Ehre verbunden, überdem noch durch feierliches Versprechen
ihr angelobt. Wie Napoleon getan, als er mit Preußen Frieden
schließend, nicht diese oder jene Provinz genannt, die er ihm
abgedrungen, sondern der Reihe nach jene ihm zugezählt, die
er ihm wiedergegeben, so hat man von Seite derselben Regierung
der Kirche gegenüber es neuerdings gehalten. Man hat dieser
vorgehalten, was jene in den Rheinprovinzen für sie getan; wie
sie es gewesen, der sie den Wiederaufbau der Diözesen zu ver-
danken habe; wie reichlich sie die Bischofssitze und die Dom-
kapitel ausgestattet ; wie sie für die Erziehung vorgesorgt, wie
liberal sie in der Bewilligung von Feiertagen und Prozessionen
gewesen, und mehr dergleichen. Das alles ist lobenswert und
die Kirche wird es gern verdanken; denn die Regierung hätte
auch weniger tun können, hätte sie gewissenlos von allen ihren
Verbindlichkeiten und Verpflichtungen sich losgesagt. Aber
eines hat man doch dabei vergessen: daß es Kirchenprovinzen,
geistliche Kurfürstentümer gewesen, an denen diese Liberalität
sich ausgelassen, Länder, die um den geistlichen Landesherrn
her einen reich dotierten Klerus besessen ; in denen zahlreiche
Erziehungsanstalten der Jugend, drei Universitäten der Pflege
der Wissenschaften sich angenommen, und in denen man
Feiertage und Prozessionen abhielt, so viel es der Kirche ein-
zusetzen beliebt. Das meiste davon hatten freilich die Fran-
zosen zerstört, aber das, worauf das alles ursprünglich sich er-
baut, Grund und Boden, und seinen Ertrag, und die darauf
haftenden Abgaben an die Regierung haben sie zurücklassen
müssen, und man sollte denken, daß der, welcher in den Genuß
dieser Erträglichkeiten eingetreten, auch zu den darauf haften-
den Leistungen einfachhin verpflichtet ist; wenigstens würde
die alte Eigentümerin kein Bedenken tragen, auf diese Be-
dingung hin wieder in den alten Besitzstand einzutreten.
Die Kirche also, ihr Recht verlangend als ein solches, und
es nicht erbettelnd, ist aber deswegen nicht undankbar für das,
70
was sie erhält; sie tauscht den Schutz, den sie also findet, durch
Schutz, den sie g^ewährt ; denn ihrer Sorge und Obhut sind die
Fundamente des Staates anvertraut, die, wenn sie zusammen-
brechen, — mögen oben ihre Heere und die Polizeien noch so
zahlreich und so sorgsam wachen — notwendig seinen Sturz
nach sich ziehen. Sie erwiedert überdem die gewissenhafte Er-
füllung seiner Verpflichtungen damit, daß sie auch ihrerseits
ein Recht ihm zuerkennt, und das mit Grund als ein Recht
bezeichnete Majestäts-Recht der Oberaufsicht
einräumt, vermöge dessen er ein Einsehen in die kirchliche
Ordnung hat, damit von dorther ihm nicht etwa irgend etwas,
was dem öffentlichen Wohle Eintrag tun könnte, zukommen
möge. Wie aber die Pflicht des Staates nur auf jenes Mittel-
gebietsich beschränken darf. unddieKirche in der ihr eigentüm-
lichen Sphäre seines Schutzes und Schirmes ganz und gar nicht
bedarf, so ist auch die Ausübung jenes Rechtes auf das gleiche
Gebiet beschränkt, und der Schirmvogt der Kirche wird ein
Zwingvogt, wenn er es über die Grenze ausdehnend, innerhalb
ihres Weichbildes auszuüben versucht und die Leistungen, -die
er ihr schuldig ist, in Bestechungen umwandelt, um damit ihre Or-
gane zu gewinnen und zu verführen. Die Kirche, die gern ihre
Anordnungen, ihre Erlasse, ihre Breven und Bullen seinem
P 1 a c e t u m hingibt, wenn sie solche äußere Dinge betreffen,
muß ihm das gleiche weigern, wenn sie reingeistliche Gegen-
stände begreifen ; und wenn das Placet in solchen Dingen etwas
mehr, als die an sich überflüssige Konstatierung sein will, der
begutachtende Staat habe nichts darin gefunden, was das ge-
meine Wohl beeinträchtigen könne. Aber auch in gemischten
Dingen geht der Staat des Rechtes der Oberaufsicht, das ihm
zusteht, verlustig, w^enn er zwar das Recht der Kirche aner-
kennend, die gemeinsamen Angelegenheiten auf dem Wege des
Vertrages mit ihr verhandelt und abschließt, hinterher aber
einseitig und eigenmächtig das Vertragene abändert und modi-
fiziert; etwa auf den Grund hin: ihm stehe zu, das, was für
den Zweck der Kirclie unwesentlich, für den des Staates aber
nachteilig erscheine, nach eigener Beurteilung zu verhindern
und anders zu stellen. Die Kirche, der er die Treue nicht ge-
halten, tritt in beiden Fällen, da man Zwangsrecht gegen sie
geltend macht, in die Übung des Notrechts ein; sie zieht sich
außer dem Bereich der tyrannischen Gewalt auf die Mitte ihrer
Einheit in ihrem Oberhaupt zurück: setzt sich mit ihm, der
ihr, in welchem Lande sie immer sein möge, nicht als eine
äußere Macht nach außen, sondern als eine innerliche, ja die
innerlichste überall gegenwärtig steht, in den engsten Verkehr,
den keine Macht auf Erden zu unterbrechen und zu hemmen
imstande ist, und erwartet, bis ihr die Hilfe von dem wird,
der seinerseits ihr zugesagt, wie er zu aller Zeit ihr gegenwärtig
bleibe, und der zu leisten weiß, was er zugesagt: sei es auch,
indem er die Listigen in ihre Fallstricke sich verwickeln, oder
die Gewalttätigen der Gewalt verfallen läßt. *
(3. Auflage S. 51—54)
B
Was die Reformation im kirchlichen Gebiete erwirkt,
das hat die Revolution ins politische des Staates hinüber-
getragen, und auch ist eine gleiche Scheidung und Sonderung
der Parteien die l^olge des hier vorgehenden Zersetzungspro-
zesses gewesen. Indem nämlich die früher gebundenen aus-
einander geschlagen, hat jede sich gesondert auf sich selbst
gesetzt, und die eine hat als die mobilrevolutionäre,
die andere als die stabilabsolute sich konstituiert: so
jedoch, daß auch diese Parteibezeichnung als eine Abstraktion
bloß das, worin zahlreich verschiedene Richtungen, dort wie
hier, in einem Gemeinsamen sich begegnen, ausdrücken will,
ohne im Konkreten irgendwo, in ganzer Schärfe ausgeprägt,
für sich selber hervorzutreten, weil nur die Einheit allein
wahrhaft konkret ist und zugleich auch allgemein. Die soge-
nannte Bewegungspartei hat nämlich in allen ihren Färbungen
und Abstufungen das Gemeinsame: daß sie, mehr oder weniger
72^
^%
Xoph (lein (i«niiil()n von Sollo-rast
entschieden und ausgesprochen, die Selbstbestimmung, so im
Gedanken wie im Willensentschlusse, als die alleinige oder we-
nigstens weit vorwiegende Richtschnur alles öffentlichen Wir-
kens und Handelns anerkennt ; eben wie die rationalistische das
gleiche Prinzip für religiöse und kirchliche Dinge aufgestellt.
Die unbedingte Freiheit der Geister in dieser Selbstbestim-
mung muß der Partei die unbedingte Gleichheit dieser freien
Geister in konsequenter Folge geben ; woraus dann wieder eben
so notwendig das politische Dogma von der Souveränität der
Masse des Volkes, durch die Mehrheit ausgesprochen, sich er-
gibt; an die sich dann wieder in gleicher Konsequenz eine fort-
dauernde Beweglichkeit, Wandelbarkeit und Flüchtigkeit aller
Formen, Institutionen und Gesetze knüpft. Die stabile
Partei hält dann, denen vom Berge gegenüber, die Niederung
besetzt. Sie sucht ihrerseits wenigstens den Reflex der alten
Einheit, insofern er in den Tiefen der Subjektivität wieder-
strahlt, festzuhalten, und an sich festklammernd, jener Flüch-
tigkeit aller Gestaltung, des öffentlichen Lebens sich zu erweh-
ren. Da ist es dann die Monarchie, wie sie sich recht und
schlecht eben findet, und als Ausdruck fragmentarisch trümmer-
hafter Nationalität wenigstens einen Schein der Einheit an sich
trägt; oder inwiefern sie an die Persönlichkeit des Monarchen
geknüpft, zum Gegenstande einer eben so persönlichen, gemüt-
lichen Anhänglichkeit werden kann, bei der diese Weltansicht
einen Anhalt sucht, um in Mitte des Wankens und Schwan-
kens aller Prinzipien eine feste Unterlage zu gewinnen. Da ist
es die alte Standesehre, sie, die einst, eine lebendige Seele,
einen durch und durch realgreiflichen Leib bewohnt; jetzt aber
den stillen Lichtern vergleichbar, die über die Raine und durch
die Wiesen hüpfen, wie eine abgeschiedene Seele körperlos ge-
worden, die Hilfe bringen soll, und Sicherheit und Festigkeit.
Wieder sind es historische Erinnerungen, Wiederbelebung
alter Formen, die den Halt zu geben aufgefordert werden ; da-
mit der Strom, der, von entgegengesetzten Kräften getrieben,
mit schwindelhaft reißender Bewegung vorwärts stürzt, eine
73
Dämmung finde, und in seinem Sturze sich einigermaßen mä-
ßige, und Vernunft annehme. Aber man fühlt leicht, daß, wenn
die revolutionäre Kraft so reißend geworden, und so fressend
giftig, weil sie die bindende Wucht der anderen abgeworfen,
diese antirevolutionäre ihrerseits, indem die Spannung der er-
sten aus ihr gewichen, bei allem guten Willen machtlos ist, für
sich etwas anderes, als eine leichtere Art des Todes herbeizu-
führen. Beide, weil sie, aus der Einheit herausgefallen, sich
nicht ferner ihrer vollen, ungehemmten Einwirkung erfreuen,
sind gleich unzureichend geworden, ein wahrhaftes Leben zu
begründen und aufrecht zu halten, sie können nur dienen, ein
ungesundes eine Zeitlang zu fristen und hinzuschleppen. Denn
so lange das eine Element von dem anderen seine Begeisterung
erlangend, dagegen seine Schärfe gemildert, haben sie beide
in der Haltung höherer Lebenskraft sich zu einer gesunden,
nahrhaften Kost verbunden; jetzt aber, wo sie nach entgegen-
gesetzten Seiten auseinandergewichen, sind sie heftige Reize
geworden und Schädlichkeiten, die nur, wenn sie wie Gift und
Gegengift sich gegenseitig stumpfen und binden, dem gefähr-
deten lieben einigen Spielraum gestatten.
Wie überall, so finden nun auch in Preußen die beiden poli-
tischen Parteien in nächster Nähe sich beieinander. Durchs
ganze Volk mehr oder weniger ausgebreitet, haben sie doch
ihren Brennpunkt und ihren Herd in jenem Stande, bei dem in
jetziger Zeit der größte Einfluß ist, gefunden ; im Beamten-
stand e nämlich, diesen in seiner ganzen Ausbreitung genom-
men. Ihm nämlich gehören nicht bloß etwa die administrativen,
polizeilichen und richterlichen Behörden an; sondern im pro-
testantischen Deutschland auch die gesamte Geistlichkeit, der
Lehrstand in seinem ganzen Umfange, ja selbst gewissermaßen
das Militär, das da im modernen Staate ebenso die Beamten
des Krieges in sich befaßt, wie der geistliche Stand die vom
Staate beauftragten Beamteten der Religion und ihrer Zucht,
der Lehrstand aber die der Wissenschaft. Beide Parteien haben
aber in diesen Stand sehr ungleich sich geteilt; da neben einer
74
indifferenten Masse der bei weitem gfrößere Teil der, bis zu
einem gewissen Punkte gemäßigten, kirchlich und politisch
rationalistischen angehört, der kleinere aber der in beiden
Richtungen pietistischen, und zwar erst in späterer Zeit zugefal-
len. Beide, jede aus ihrem Gesichtspunkte, haben darauf ge-
sonnen, wie der Ungewißheit aller öffentlichen Verhältnisse
einige Sicherheit zu geben, und das Fluten und Treiben in
ihnen einigermaßen zu hemmen und zu befestigen sein möge,
und jede hat nach ihrer Weise Hand an das Werk gelegt. Die
rationalistische hat es nach ihrer Weise politisch als eine chi-
nesische Alandarinenwirtschaft verstanden; jedoch ohne Zopf
und Bambusrohr, die beide vor etwas mehr als einem Menschen-
alter noch bei ihr zärtliche Liebhaber gefunden, jetzt aber frei-
lich in der Verlassenheit sitzen. Über sich möchten sie einen
Regenten sehen, primus inter pares, Fleisch von ihrem Fleische,
Bein von ihrem Beine; als Großpensionarius mit einem, anstän-
digen Gehalte ausgestattet; aller Schreiber Oberschreiber, aller
Kanzleien Großkanzler, Oberbrunnenmeister beim großen
finanziellen und fiskalischen Pumpenwerke, Obervogt aller
Polizei, Oberprofoß aller Gerichtsbehörden; als großer Be-
schützer der Industrie alljährlich auf den Eisenbahnen feierlich
das Reich durchfahrend, und beim Ackerfeste mit eigner Hand
auf dem Staatsacker seine Furche ziehend. Der Aberglaube,
daß er ein Sohn des Himmels sei, wäre nach ihrer Meinung zu
beseitigen ; von den Evangelien als veraltet Absehen zu neh-
men ; statt ihrer, da das unmündige Volk etwas der Art haben
muß, eine Art von Staatsreligion aus dem Besten aller Schu-
len und Sekten nach Art des Schuking durch irgend einen
Staatsdenker zu entwerfen, durch die Kalenderkommission ein-
zuführen, und den Predigern eidliche Verpflichtung darauf ab-
zunehmen. Die regierende Mandarinenklasse, schon inamovibel
gemacht, wäre, größerer Stabilität wegen, durch die Erklärung
der Erblichkeit ihrer Würden und Ämter zu befestigen ; und
dann könnte in einiger Nachgiebigkeit gegen den Geist der Zeit,
und nach der Exemplifikation anderer Staaten, im Antagonismus
75
der Kräfte, eine Art Repräsentativverfas^ung ohne Gefahr ein-
zurichten sein: so jedoch, daß Beamtete hier und Beamtete dort,
schwarz und weiß, einander gegenüber ständen, und durch ihre
lebhafte Aktion einige Veränderung in die Monotonie des ge-
wöhnlichen Lebens brächten.
So möchten die einen gern nach ihrem Sinne die Dinge sich
gestalten ; anders aber die p i e t i s t i s c h e P a r t e i. Sie hält
etwas auf das Christentum ; sie weiß schon, daß es der einzige
Grund ist, auf den man dauerhaft eine Staatsordnung erbauen
kann; aber sie versteht das Christentum nach ihrer Weise, wie es
sich unter den Fichten und Föhren des Nordens gestaltet hat.
Der Konsequenz nach sollte sie sich zum Luthertume halten,
dies möglichst und überwiegend fördern; weil aber die regie-
rende Familie sich zur reformierten Konfession bekennt; weil
diese, der religiösen Anarchie näher stehend, die vorwiegende
in der Zeit geworden: aus diesen und andern Gründen hat sie
die Folgerichtigkeit lieber aufgegeben, und eher die Union auf
die Agende, die sie teilweise schon vorgefunden, zur Unterlage
ihres Baues genommen. Auf diesem teilweise mit harter Ge-
walt geebneten Grunde hat sie es nun versucht, nach dem Vor-
gange Englands eine Art von Episkopalkirche zu erbauen, und
Bischöfe, durch Kabinettsordren kreiert, als Tragepfeiler dem
neuen Bau einstweilen zu unterstellen ; bis es gelungen, die
Trümmer früherer Presbyterialeinrichtungen wieder zu er-
gänzen und herzustellen, und sie damit zu verstärken und zu
umbauen. Wie hier von der katholischen Hierarchie so viel
hinübergenommen werden soll, als dient; so auch von der Li-
turgie, den Sakramentalien, von den Künsten und andern
Äußerlichkeiten ; einiges auch von der Kirchenzucht, jedoch mit
der Vorsicht, daß es die protestantische Freiheit nicht verletze.
Um diese also restaurierte Kirche, zur Hauskapelle des Staats
erklärt, soll dann das Staatsgebäude sich erheben; die könig-
lichen Prunkgemächer zuerst mit ihren Annexen ; dann die Lo-
gen des Adels, in dem das Gefühl der Standesehre wieder zu
belegen, und dessen Einfluß in alle Weise zu heben ist; dann
76
das höhere Militär, in dem das Wesen alter Ritterlichkeit mög-
lichst zu hegen wäre; weiterhin die Dikasterien in ihrem Ein-
flüsse innerhalb gebührender Schranken gehalten, zuletzt Kunsj;
und Wissenschaft unter den Säulenhallen.
(3. Auflage S. 97 — 102
71
Erstes Rundschreiben
der Historiscli-politischen Blätter.
('?38)
Ankündigung- einer h i s t o r i s c h - p o 1 i t i s c h e n
Zeitschrift für das katholische Deutschland
Daß die periodische Presse einen großen, nicht zu berech-
nenden Einfluß auf unsere Zeit und ihre Entwicklung ge-
wonnen, daß sie denselben nur zu oft im Dienste der Zerstö-
rung, zur Untergrabung des Glaubens, des Rechtes und der
Freiheit mißbraucht: dies ist eine Tatsache, welche man wohl
l)eklagen, aber nicht leugnen kann. Ist doch vielen diese Art
der Mitteilung beinahe die einzige Quelle der Belehrung ge-
worden, und was sie täglich mit tausendfachem Echo wieder-
holt, das übt, wenn auch unbewußt, eine unwiderstehliche
Macht auf die Gemüter aus ; so ist vielfältig ihre Lehre zur
Überzeugung und ihr Wort zur Tat geworden, und so ist es
ihr gelungen, viele ihrer abstraktesten Theorien in die Praxis
einzuführen, ihnen rechtliche Geltung zu verschaffen, und mit
ihrer konsequenten Durchführung Folgen hervorzurufen, die
anfänglich niemand geahndet, und von denen die Urheber je-
ner Theorien vielleicht selbst zurückgeschreckt wären.
Dieser neuen Macht gegenüber befindet sich das katholische
Deutschland noch immer in dem entschiedensten Nachteile; es
gehört zu seinen besonderen Prüfungen und Kalamitäten, sich
die Erscheinungen der Gegenwart und Vorzeit größtenteils
von den Gegnern seiner Kirche deuten lassen zu müssen. Na-
mentlich hat es demselben bisher an einem Organe gefehlt,
welches seine Überzeugung auf eine seiner würdige Weise im
Gebiete der Geschichte und des Rechts vertrete, und das als ein
78
Sl^eistiger Mittelpunkt alle Gleichgesinnten zur Verteidigung
der kirchlichen und politischen Ordnung, den mannigfachen Be-
kämpfungen und Anfeindungen gegenüber, vereinigte: ein Be-
dürfnis, welchem Tagesblätter nicht entsprechen können, da
ihre vorzügliche Aufgabe ist, das Neueste, was der Tag bringt,
zu berichten, um es dann einer weniger vom Momente be-
herrschten, ruhigeren Betrachtung zu übergeben, die, ein-
gedenk der Vergangenheit und den Blick auf die Zukunft ge-
richtet, die Geister der Gegenwart prüfe und bei ihrem rech-
ten Namen nenne. Durch diese Umstände haben sich die Un-
terzeichneten bewogen gefühlt, vom ersten April dieses Jahres
an unter dem Titel:
Historisch -politische IMättcr für das
katholischeDeutschland
eine diesen Anforderungen möglichst genügende Zeitschrift
erscheinen zu lassen. Mit ihnen haben sich viele gleichgesinnte
hiesige Freunde vereinigt, unter w^elchen wir zurzeit folgende
namhaft machen können: Hofrat Bayer, Professor Döllinger,
Baron von Freyberg, Professor Görres, Möhler und von Moy,
und denen sich, wie wir hoffen und vertrauen, viele Andere,
fern und nahe, anschließen werden, um uns mit Beiträgen zu
unterstützen, welche dem Geiste und der Form dieser Blätter
angemessen sind. Auch zweifeln wir nicht, daß diejenigen,
welche die Grundsätze billigen, nach Kräften zur Verbreitung
unserer Zeitschrift beitragen werden.
Am I. und 15. jeden Monats wird dieselbe erscheinen und
hat zunächst den Zweck, auf dem staatsrechtlichen und poli-
tischen Gebiete, die revolutionäre, wie die despotische Doktrin
der falschen Staatsweisheit durch die Verkündigung der
Grundsätze wahrer Freiheit und des Rechts zu bekämpfen, in
der Geschichte den immer mehr überhand nehmenden An-
maßungen des Sekten- und Parteigeistes entgegen zu wirken,
und endlich dem katholischen Deutschland Materialien, Hilfs-
mittel und Winke zur Bildung eines selbständigen Urteils über
79
die politischen, wie über die literarischen Tagesereignisse zu
liefern.
München, den lO. Februar 1838.
gez. Dr. G. Phillips, gez. Dr. G. Görres.
ord. öff. Prof. der Rechte und Mitglied
der k. Akademie der Wissenschaften.
(Abdruck: K. Bachern, Joseph Bachern, Köln 191 2, S. 370)
80
über den Frieden unter derKirche
und den Staaten
(1843)
Von dem Erzbischofe von Köln, Clemens Augfust Freiherrn Droste zu Vischerinf^ *)
V
Wechselseitige Freundschaft **)
Kirche und Staat, Kirchen-Gewalt und Staats-Gewalt sind
Aon Gott angeordnet:
Jeder unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt, denn
CS gibt keine Getvalt außer vor Gott, und die, welche be-
steht, ist von Gott angeordnet.
Wer demnach sich der Gewalt widersetzt, der widersetzt
sich der Anordnung Gottes; und die sich widersetzen, ziehen
sich selbst Verdammnis zu. (Rom. XIII, 1.2.)
Gott hat es so angeordnet, daß die Menschen in den ge-
selligen Verbindungen, die wir Staaten nennen, zusammen
leben sollen; mithin, daß die Obrigkeiten, die befehlen,
und Untertanen, die gehorchen, sein sollen und erteilt den
Obrigkeiten die Gewalt zu befehlen, in Allem, was zu ihrem
Bereiche, zu dem Reiche, welches von dieser Welt ist, ge-
hört, und gebietet den Untertanen, in Allem, was zu die-
sem Bereiche gehört, den weltlichen Obrigkeiten zu gehor-
chen. Die übrige ganze Einrichtung der Staaten stellt Gott
den Menschen anheim.
Alit der Kirche ist es anders; der Heiland hat die Kirche,
welche zur Rettung der Menschen aus der Sündflut des Ver-
*) Münster 1843, io der Theissingischen Buchhaodlung, abgeschlossen laut
Vorwort am 21. Januar 1841.
**) S. 83flF.
Bergsträller I. 6 Sl
flerbens dieser Welt bestimmt ist, selbst gebaut oder durcii
seine Jünger, denen er, wie ehemals dem Noe, geboten hat,
wie sie die Kirche bauen sollten; indem er vierzig Tage hin-
durch ihnen erschien, und vom Reiche Gottes redete, (Apostelge.
I. 3.), und zwar so, daß alles, was dazu gehört, einem solchen,
den Orkanen und den stürmenden Meereswogen ausgesetzten
Baue jene Festigkeit zu geben, deren er bedarf, um bis zum
letzten der Tage zu bestehen, völlig ausgebaut worden, so daß
in dem Wesentlichen, in der Lehre, in der Verfassung der
Kirche, überhaupt im Wesentlichen nicht das geringste ge-
ändert werden darf und soll, obgleich in der Kirchenzucht,
im Veränderlichen, dies oder das, den Zeitumständen gemäß,
anders geordnet werden kann; etwa wie an einer Kirche, ihrer
Festigkeit und dem an ihr Wesentlichen völlig unbeschadet,
nützliche Änderungen, oder auch zu ihrer Zierde, gemacht
werden können.
Und wenn auch die von Menschen eingerichteten, gebauten
Staaten unter Gottes Leitung und Führung stehen, so hat
doch der Heiland ganz besonders seine Kirche zur Wohnung
sich erwählt und eingerichtet; in dieser Kirche ist er selbst,
wenn gleich unsichtbarer Weise, der Hausherr — .
Wenn ich aber verziehen sollte, damit Du wissest wie Du
wandeln sollst im H au s e G o t t e s , welches ist die Kirche
des lebendigen Gottes, eine Säule und eine Grundfeste der
Wahrheit, (i. Tim. III, if,.)
Wenn aber nun beide — Kirche und Staat — von Gott an-
geordnet sind, so wird wohl jeder, wenigstens jeder Christ,
anerkennen, daß die mit der Natur der Kirche und der Staaten
gegebenen, daß die in dieser Natur wesentlich gegründeten,
also von Gott gegebenen Gesetze, .Rechte, Pflichten unmöglich,
wofern unter Kirche und Staat Unfriede stattfindet, die' Ur-
sache sein können, sondern daß in solchem Falle die Ursache
ganz allein darin zu suchen ist, daß die Menschen, welche die
von Gott in der Kirche und in dem Staate angeordneten Ge-
walten, als Diener Gottes, verwesen, Rechte zu haben glaubeii.
82
die sie nicht liaben, oder ihre wirklichen Rechte auf eine an-
derseitige, wirkliche oder vermeintliche Rechte verletzende
Weise ausüben. —
Was in Kirche und Staat von Gott kommt, kann nicht
;inders, als in Harmonie sein, nicht anders, als sich die Hand
bieten.
Die von Gott der Kirche und die dem Staate gegebene Be-
stimmung müssen notwendig ebenfalls in Harmonie sein.
Die Staatsgewalt hat nur das Schwert, nur die militärische
Gewalt, daher sie nur die äußern Handlungen erreichen, nur
diese zwingen oder hindern kann, nie aber religiöse
äußere Handlungen darf erzwingen wollen, nur solche
religiöse Handlungen hindern darf, welche aus
einer falscheri Religion entspringen, die Gerechtigkeit wirk-
lich, nicht in der Einbildung, verletzen, den Staat wirklich ge-
fährden würden ; überschreitet die Staatsgewalt diese Grenze,
so greift sie über in das Bereich der moralischen Gewalt und
übt argen Gewissenszwang, bildet Heuchler, fördert Immorali-
tät, Charakterlosigkeit. Auch kann die Staatsgewalt nicht
direkt auf die Gesinnung der Menschen mit dem Schwerte
wirken, darf es nicht wollen — de internis non judicat
praetor.
So zum Beipiel hat sie durchaus kein Recht zu gebieten,
daß die Untertanen den Regenten um des Gewissens, um
Gottes Willen gehorchen sollen, und hat keine Macht, diesen
innern Gehorsam zu erzwingen ; sie erzwingt die äußern Hand-
lungen des Gehorsams; damit aber ist ihr Reich zu Ende; und
dennoch beruht die Festigkeit der Staaten, der Friede in den
Staaten, die Sicherheit gegen, allenfalls feindlich gesinnte.
Nachbar-Staaten, die Macht des Schwertes auf der Gesinnung,
auf dem innern Gehorsam der Untertanen ; denn fehlt die-
ser Gehorsam, ist die Gesinnung der Untertanen schlecht,
so ist das Schwert eines Teils unwirksam, weil es das Innere,
uahin das Auge der Menschen nicht reichet, nicht erreichen
kann, und ändernteils kann geschehen, daß dann das Schwert;
83:
eben wo es not tut, gar nicht gezogen werde, und nicht des
Einzelnen Schwert, sondern das gemeinschaftlich wirkende
Schwert der Untertanen, oder eines beträchtlichen Teiles der-
selben, macht das Schwert wirksam. Es ist nun dem Gesagten
zufolge, insbesondere für den Staat, von der größten Wichtig-
keit, daß die Gesinnung der Untertanen, insbesondere hinsicht-
lich des Gehorsams, die wahre sei; das zu bewirken liegt aber
außer dem Bereiche des Staates, es ist die Aufgabe der Kirche,
welcher sie nur dann, nur da, nur insofern genügen kann, wann,
wo und inwiefern ihre Unabhängigkeit, ihfe Selbständigkeit,
ihre himmlisch^e W^ihe, wenigstens faktisch anerkannt wird ;
eine der Staatsgewalt subordinierte, sogenannte Kirche wirkt
nichts mehr und nicht weiter, als jede andere Staatsbehörde;
es würde daher der Versuch, die Kirche dem Staate, die Kir-
chengewalt der Staatsgewalt zu subordinieren, ein für den
Staat sehr gefährlicher Versuch sein. Indessen zeigt sich
schon hier, wie Kirche und Staat harmonisch zu wirken be-
stimmt sind, und daß, wenngleich die Kirche der Hilfe des
Staates nicht nötig bedarf, wie sie solches recht klar während
der Zeit der heidnischen Kaiser gezeiget hat, dennoch die
Wirksamkeit des Staates der Kirche sehr heilsam sein kann ;
da die Wirksamkeit der Staatsgewalt auf die äußern Hand-
lungen der Menschen der Kirche ihre Wirksamkeit auf den
ganzen Menschen, insbesondere von innen heraus, ihre Wirk-
samkeit auf die Gesinnung der Menschen sehr erleichtern
kann, auch manche, der Wirksamkeit der Kirche hinderliche
äußere Störungen durch das Schwert abgewendet werden
können. Es zeigt sich aber auch, daß der Staat die Kirche, und
zwar eine unabhängige, dem Staate nicht sub- sondern ko-
ordinierte, weil, als von himmlischer Abkunft, für hehr und
heilig anerkannte, daher ungehindert wirkende, wirksame
Kirche durchaus nicht entbehren kann. Die Unentbehrlichkeit
der Kirche, oder einer von Oben kommenden Religion, Reli-
giosität, für den Staat hat schon Numa Pompilius erkanrtt.
Die Bestimmung der Kirche, ihre Aufgabe in Beziehung auf
84
die Menschheit, umfaßt alle Menschen und den ganzen Men
sehen ; alle Menschen für den Himmel zu erziehen, so zu er-
ziehen, zu bilden, daß sie reif werden, durch den Tod in das
ewige Leben, in den Himmel hineingeboren zu werden.
Durch Lehre, durch Beispiel, durch den öffentlichen Gottes-
lienst, durch gottesdienstliche Übungen, durch die heiligen
Sakramente, durch Zucht, die Leidenschaft zu zähmen — die
Axt an die Wurzel des Bösen legend — die Richtung auf das
Himmlische zu erwirken, zu wahren, zu beleben, zu befestigen ;
den wahren Glauben zu gründen und zu verbreiten, die heilige
Hoffnung zu begründen und immer gewisser zu machen, das
heilige Feuer der Liebe mehr und mehr anzufachen, so die ein-
zelnen Menschen, den geringsten Bettler und den größten
König, und alle ihre innern und äußern Handlungen — und
alle Verbindungen der Menschen, die Verbindung zweier Men-
schen in der heiligen Ehe, und die Verbindung unter Millionen
in den Staaten, und was sie immer tun und: vornehmen, zu
heiligen und zu segnen, das ist die Bestimmung der Kirche.
Welche schöne Harmonie nun unter der Bestimmung der
Staaten und jener der Kirche stattfindet, das, denke ich,
braucht nicht weiter erörtert zu werden. Gott will, daß alle
Menschen in jenen geselligen Verbindungen, die wir Staaten
nennen, leben sollen; Gott will ebenfalls, daß dieselben Men-
schen, welche Staatsmitglieder sind, auch Mitglieder seiner
Kirche sein sollen, sodaß einige Wechselwirkung der Kirche
und des Staats auf einander stattfinden muß, obgleich die
Staaten die Menschen nur in Beziehung auf das Irdische, auf
die kurze Zeit dieses Erdenlebens, die Kirche aber, wenn gleich
vorzüglich vom Linern herauswirkend, den ganzen Men-
chen und seine ganze Lebenszeit, von der Geburt an und
in Beziehung auf die ganze Ewigkeit anspricht — und obgleich
die Staaten nur die physische, die militärische Gewalt, dieKirche
aber nur die moralische Gewalt hat — mithin auch hier eine
große Verschiedenheit unter Kirche und Staat in die Augen
fällt. Diese Wechselwirkung aber kann nach Gottes Willen,
85
dem schon Gesagten zufolge, unmöglich eine andere als ein^
freundschaftliche sein, somit wird die hier besprochene Seite
des Verhältnisses unter Kirche und Staat unmöglich anders
als eine w e c h s e 1 s e i t i g e F r e u n d s c h a f t ausgedrückt
werden können.
Aber, wird man hier fragen: kann wohl unter einem Staate,
dessen Regent nicht katholisch ist, und der katholischen
Kirche wechselseitige Freundschaft sein?
Ich aber frage: was die Konfession des Regenten, da das
Bekenntnis zu einer Konfession eine durchaus persönliche An
gelegenheit des Regenten, als Mensch, ist, mit dem öffentlichen
Leben des Regenten, als solchem, zu tun habe?
Die Kirche, und zwar die dem Staate koordinierte Kirche,
also die katholische Kirche, frommet dem Staate — und wie!
— der Staat kann ihrer nicht entbehren — das, denke ich,
reicht hin, um hier die Bezeichnung des Verhältnisses unter
Kirche und Staat durch wechselseitige Freundschaft zu Gna-
den zu bringen; also wird das ganze Verhältnis unter Kirche
und Staat richtig durch:
Beiderseitige Unabhängigkeit, Selbständigkeit — und
W e c h s e 1 s e i t i g e Freundschaft
bezeichnet werden können.
Von demRechte derKircheaufdie
Schulen, Schul-, Erzieh ungs-,
Bildungs- An stalten*)
Die von Gott angeordnete Bestimmung der geselligen
Verbindung unter Menschen, die wir Staaten nennen, ist
offenbar die: das Recht, die äußere, das heißt 'die in Worten
und Werken sich bekundende Gerechtigkeit zu handhaben;
jedes Recht, einzelner wie moralischer Personen wider jeden
Angriff zu schützen ; die Sicherheit der Personen und des
*) S. 115 ff.
86
Eigentums zu wahren; das friedliche Zusammenleben der
Untertanen und den Frieden nach außen hin gegen Nachbar-
staaten zu sichern, und als Vollzieher der Gerechtigkeit Gottes
das Gute durch Irdisches zu belohnen, das Böse durch Irdisches
zu bestrafen.
Sie (die obrigkeitliche Gewalt) ist Gottes Dienerin,
dir zum Besten. Wenn du aber Böses tust, so fürchte
dich; denn nicht umsonst trägt sie das Schwert; denn
sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin, zur Bestrafung
für den, der Böses tut. (Rom. XIII, 4.)
Mir scheint in dieser Bestimmung der Staaten der Beruf,
sich der Schul-, der Erziehungs-, der Bildungsanstalten, über-
haupt der Erziehung zu unterziehen, auch ein dazu gegebener.
Auftrag nicht zu liegen; indessen können wir, wenn man will,
daß die Staatsgewalt auch unmittelbar und auf eine andere
Weise als durch Beischaffung der Geldmittel, Baulichkeiten
und so weiter sorge, das dahin gestellt sein lassen. Die hier
zu beantwortende Frage ist nicht: ob und inwiefern dem
.Staate die Erziehung obliege, sondern in welchem Verhältnisse
die Schule, die Schul-, l^rziehungs-, Bildungsanstaltcn zur
Kirche stehen.
Die Kirche hat ganz eigentlich den Beruf, die Menschheit
7.U erziehen, den Menschen dazu zu verhelfen, daß sie während
des Pilgerlebens auf Erden reif werden durch den Tod in das
ewige Leben, in die himmlische Seligkeit hineingeboren zu
werden — dazu allein ist das Leben des Menschen auf Erden.
Die Kirche ist von Gott dazu berufen, daß sie, die Lehrerin
der Wahrheit, die Menschen vor Irrtum, vor Lüge bewahre;
die Menschen von Innen, wohin die .Staatsgewalt nicht reicht,
die Leidenschaften zähmend, erziehe, 4ieilige; und zwar nicht
allein, daß sie die verzogenen, ungeratenen Kinder wieder zu-
recht bringe, sondern sie zu bewahren, daß sie nicht unge-
ratene Kinder werden.
Ihrer Bestimmung, ihrem Berufe, ihrer Liebe, ihrer Natur
87
zufolge hegt und pflegt die Kirche ihre Kinder von ihrer Ge-
burt an, bis in den Tod, daß sie vor jedem Schaden, vor jedem
Irrtume, vor Unsittlichkeit, überhaupt vor allem, was ihrer Tu-
gend, dem Grunde ihrer Hoffnung auf das ewige Leben, ihrem
Innern Frieden, dem Frieden der Seele Gefahr bringen würde,
möglichst bewahret werden, daß sie ein heiliges Leben führen,
kurz, daß sie von Jugend auf zu echten Christen gebildet wer-
den. — Wird nun die Kirche dieser ihrer Aufgabe genügen
können, wenn sie nicht ihre eigenen Schulen, ^Schul-, Erziehungs-
Bildungsanstalten hat? Würde es nicht eine, der Bestimmung
der Kirche widersprechende Einrichtung sein, wenn die Kirche
sich gefallen lassen müßte, sich mit den ihr vom Staate über-
lassenen Früchten seines Erziehungsbaumes zu genügen?
Gehen wir jedoch ein wenig ins einzelne.
Die Kirchspiels-Schulen sollen dem empfäng-
lichen Gemüte der Kinder die Religionslehi^e und die echte
Religiosität tief und warm einflößen, damit, was da in ihnen
gesät wird, keiifte und Frucht bringe für ihr ganzes Leben.
Lesen, Schreiben und Rechnen sollen die Kinder in diesen
Schulen so viel lernen, als es dessen für solche bedarf,
die nicht zum Studieren berufen sind; aber, was die Kin-
der lesen und schreiben, ist nichts weniger als gleichgültig.
Daß Knaben und Mädchen stricken, die Mädchen nähen,
und alle so viel singen lernen, daß sie die geistlichen Lieder in
d'er Kirche gut, rein mitsingen können, ist sehr zweckmäßig;
daß sie mit d!er biblischen Geschichte gehörig bekannt werden,
ist nötig und gehört zum Religionsunterricht; einige Bekannt-
schaft mit der vaterländischen Geschichte — der Wahrheit
gemäß erzählt- — und, soviel dazu nötig ist, mit der Geo-
graphie kann heilsam sein; eine weitere Ausdehnung der
Geschichtskenntnis, feine weibliche Arbeiten, zum Beispiel
Sticken, Musik und so weiter, das alles lautet sehr schön, taugt
aber zu nichts, als den Kindern den Kopf zu verdrehen. Reli-
giosität, Gehorsam, Achtung des Alters, Ordnungsliebe, Rein-
lichkeit, Arbeitsamkeit, Sanftmut, Bescheidenheit und so wei-
88
tcr, (las alles, überhaupt gute Gewohnheiten den Kindern bei-
ubringen, und die Keime des Bösen möglichst auszurotten,
(las ist die Aufgabe der Kirchspiels-Schulen. Wie wichtig
diese Schulen sind, das kann jeder erkennen, welcher erwägt,
daß — die wenigen ausgenommen, die von Jugend auf eine
Privat-Erziehung erhalten — alle übrigen — Bauern, Diener-
schaft, Handwerker, Bürger, Kaufleute, Militär, höhere und
niedrige Beamte, Gelehrte, Lehrer, Geistliche — in diesen Schu-
lten ihre erste, und zuverlässig auf das ganze Leben Ein-
fluß habende Bildung erhalten. In Beziehung auf die in diesen
Schulen zu erziehende Dienerschaft muß ich die Kinderwärte-'
rinnen betreffend bemerken, daß die auf Religiosität beruhende
unverbrüchliche Treue in Erfüllung der mit der ihnen anver-
trauten Wartung der Kinder verbundenen Pflichten für Leib
und Seele der Kinder von der größten Wichtigkeit ist. Ich
könnte Beispiele anführen von dem Unheile, welches solche
Kinderwärterinnen, denen diese Treue mangelt, anrichten
können.
Wer wird nicht anerkennen, daß diese Kirchspiels-Schulen
ausschließlich der Kirche, dem Berufe der Kirche und der Be-
stimmung der Kirchspiels-Schulen zufolge angehören.
r ) i e S c h u 1 1 e h r e r - S e ni i n a r i e n und die Bil-
dungs-Anstalten für Schullehrerinnen
Zuvörderst muß ich bemerken, daß es wenigstens sehr über-
flüssig sein würde, die Zöglinge in diesen Anstalten zu Ge-
lehrten auszubilden, sodaß sie da allerlei lernen, was sie als
1 .ehrer oder Lehrerinnen in den Kirchspiels-Schulen gar nicht
gebrauchen, und dann wohl auch das nicht lernen, was sie die
Kinder lehren sollen.
Die Schullehrer und .Schullehrerinnen müssen in den frag-
lichen Anstalten so gebildet werden, daß sie das, was sie die
Kinder lehren sollen, gründlich kennen; daß sie sich die rechte
89
Methode, es den Kindern beizubringen, aneignen, daß sie d a s ,
Vvas zu werden sie den Kindern helfen sollen, selbst sind -^-
religiös, bescheiden, folgsam, sanftmütig, demütig, reinlich
und so weiter.
Wenn ich nicht irre, so könnte dem Gesagten zufolge die
Anzahl der Professoren in den fraglichen Anstalten einiger-
maßen vermindert und Ersparnis erwirkt werden. Die höchste
Wichtigkeit der hier besprochenen Anstalten springt in die
Augen bei einem, wenn auch nur flüchtigen Blicke, auf ihr
Verhältnis zu den Kirchspiels-Schulen. Die besprochenen An-
stalten (nämlich die Anstalten zur Bildung der Schullehfer
und Lehrerinnen) sind, in Beziehung auf die Bildung der Ju-
gend, mithin in Beziehung auf das ganze Leben, auf Zeit und
Ewigkeit, die Wurzel, die erste Quelle des Guten wie des
Bösen.
Solche Anstalten sind immer, weil entweder gut oder böse,
weil sehr wirksam, sehr gefährlich — und, wo sie der Kirche
entzogen, in den Händen der Staatsgewalt sind, muß man
füi-chten, daß sie schädlich sind, nicht eben bösen Willens
wegen, sondern weil die amicitia hujus mundi, die, wie der
Apostel Jakob schreibt, inimica est Dei, nur allzuleicht und all-
zusehr dieReiche, die von diese r Welt sind, durchwehet, und
auch den hier besprochenen Anstalten zur Bildung der Schul-
lehrer und Lehrerinnen sich mitteilt; sie gehören, wie die
Kirchspiels-Schulen, für welche sie da sind, ausschließlich der
Kirche an.
Wenn fester im Auge gehalten würde, daß diese Welt, daß
die Menschen nicht für die Staaten, nicht für dieses Erden-
leben, nicht für Industrie, Eabriken und so weiter hier sind,
sondern daß alles in der Welt, dem die Beziehung auf die
Ewigkeit mangelt, über die Massen, um wenig zu sagen, er-
bärmlich ist, und daß die Menschen einzig und allein deshalb
hier auf Erden pilgern, um den Himmel zu erringen; — wenn
nicht die Flachheit, die Halbheit, die Charakterlosigkeit,
welche jede Charakterfestigkeit, jede Selbständigkeit für sehr
90
feindlich, sehr gefährlich hält, unsere Zeit durchwehte, so wür-
den Fragen und Gegenstände, wie die besprochenen und noch
zu besprechenden, gar nicht zur Sprache kommen können.
Ob überhaupt Schullehrer- und Schullehrerinnen-Seminarien
nützlich oder schädlich sind, das hängt davon ab, wer
ihre Leitung hat, von wem, von welcher Gewalt sie abhängen,
wie sie geleitet werden — unbedingt nötig sind sie nicht, wie
das Beispiel Münsterlandes, bis zum Tode des Herrn Over-
berg, klar zeigt; zuverlässig waren bei der damaligen Ein-
richtung die Schullehrer- und Lehrerinnen-Stellen wenigstens
eben so gut besetzt, als jetzt. Auch war diese Einrichtung viel
ökonomischer.
Die G V 111 n a s i e n und P r o g v m n a s i e n
Tch fasse iunde unter die Bezeichnung:
( 'i y m n a s i u m
zusammen.
Wir müssen nun die Bestimmung derselben mit dem Berufe
der Kirche zusammenhalten, um zu versuchen, ob w'ir jenen,
welche die Gymnasien als dem Bereiche der Kirche, mit ein-
ziger Ausnahme der Religionslehre, fremd, und alles übrige
als dem Staate angehörend, ansehen, eine andere Überzeugung
lieibringen können.
Die Gymnasial-Schüler haben noch kein bestimmtes Fach,
noch keinen Stand gewählt; (Ausnahmen machen jene, welche
in die Gymnasien treten, um nur einige Schulen mitzumachen,
dann aber zu irgend einem Gewerbe überzugehen). Beides
aber geschieht bei ihrem Austritt aus den Gymnasien. Was
die Standeswahl betrifft, so ist dieselbe von der größten Wich-
tigkeit, da von der Standeswahl wohl ganz vorzüglich das
zeitliche Wohl und das ewige Heil nicht bloß des Wählenden,
sondern auch derjenigen abhängt, mit welchem der Wählende
durch seine Standeswahl, während seines T>ebens, in besondere
9^
Berührung kommen wird. Auch denke ich, daß kein Christ
glauben werde, daß Gott sich um die Standesw^ahl der Jünglinge
nicht bekümmere — , Er, vor dem alle Haare unseres Hauptes
gezählt sind — Er, ohne dessen Willen kein Sperling vom
Dache fällt.
Die Jünglinge müssen daher in den Gymnasien so gebildet
werden, daß sie befähigt werden und den ernsten Willen haben,
mithin die nötigen Mittel anwenden, zu erkennen, zu wel-
chem Stande sie von Gott berufen sind, und dann auch dem
erkannten Willen Gottes zu folgen.
Die Zöglinge im Gymnasium müssen ferner so gebildet wer-
den, daß sie befähigt werden, den mit dem gewählten oder zu
wählenden Stande ihnen überkommenden Pflichten zu genü-
gen; daher die Bildung Seele und Leib umfassen muß; sie
müssen jene Kenntnisse, welche am besten in dem noch jugend-
lichen Alter erlernt w^erden, und jedem, welchen Stand immer
er wählen möge, nützen, erlernen. Die Bildung muß die Fun-
damente aller Wissenschaften umfassen, damit nach getroffener
Wahl des Standes und des betreffenden wissenschaftlichen
Faches auf jenem Fundamente könne fortgebauet w^erden. Vor
allem andern aber müssen die Zöglinge des Gymnasiums zu
guten Christen gebildet werden; denn sonst ist alles nicht allein
unnütz, sondern schädlich; denn die Bildung in allem andern
ohne die Bildung zum guten Chri.sten, macht den Menschen
zum Gift der Mitmenschen.
Es würde mich zu w-eit führen, wenn ich hier in ausführliche
Erörterungen mich einlassen wollte; jedoch muß ich bemerken:
daß, w^o die Gymnasial-Schüler zu Vielwissern gebildet
werden w^ollen, die Gründlichkeit, das heißt, die Hauptsache ein-
gebüßt wird, und sie allerlei lernen, welches sie nachher gar nicht
gebrauchen können; und diejenigen, ich mag wohl sagen, weni-
gen jungen Leute, welche die Gründlichkeit mit dem Vielwis-
sen zu verbinden das Talent haben, leicht die Gesundheit des
Körpers einbüßen; und endlich in den Jünglingen der Dünkel
so gebildet wnrd, daß sie beim Austritt aus dem Gymnasium
92 •
,s:lauben, gelehrter zu sein, als alle anderen, und glauben, sie
seien mit dem Lernen fertig, da doch das eigentliche Lernen
erst dann anfängt, und eben was sie am meisten in der Gym-
nasialzeit zu erlernen haben, das Lernen ist ; daß die höchste
Wichtigkeit, insbesondere des Verhältnisses der Philosophie
und der Geschichte zum Christentum, nicht verkannt werden
kann — , daß der A^erstand nicht allein sehr gründlich und sehr
konsequent denken, sondern auch -schweigen lernen müsse.
Wenn wir nun die eben angedeutete Bestimmung der Gym-
nasien mit dem Berufe der Kirche — den ganzen Menschen
zu erziehen zum guten Christen, somit zum guten Bürger;
seinen Verstand und seinen Willen, sein Inneres und Äußeres
von der Kindheit an bis in den Tod zu erziehen, zu bilden —
zusammenhalten, dann glaube ich, die Forderung der Kirche,
ausschließlich für sich Gymnasien zu besitzen, völlig gerecht-
fertigt. Aber ich gehe noch weiter, und werde eine Behaup-
tung aufstellen, bei welcher viele Haare sich sträuben, welche
Viele als ein enormes Paradoxum ansehen werden. Ich be-
haupte nämlich, nicht nur daß die Kirche für sich ausschließ-
lich Gymnasien haben müsse, sondern daß die Kirche die völ-
lige Freiheit haben müsse, diese Gymnasien der Leitung geist-
licher Korporationen anzuvertrauen; — (ob Jesuiten oder
andere, darauf kommt es hier nicht an) — ja, ich behaupte,
daß das eine, wie das andere zur Ruhe in den Staaten und zum
Blühen der wahren Wissenschaft durchaus nötig ist, und will
hier nur bemerken, daß völlige Sorgenfreiheit in Beziehung
auf die Bedürfnisse des Lebens, der Regel nach conditio sine
qua non ist, damit sich einer ganz der Wissenschaft, oder
überhaupt seinem Fache widme — nicht Menschen zu gefallen,
daher ihrer Verkehrtheit zu schmeicheln, oder Neues vorzu-
bringen, um höher zu steigen, sondern nur Wahrheit suche
und lehre ; — diese conditio sine qua non findet in gut ein-
gerichteten Korporationen statt.
Nur in geistlichen Korporationen ist vollständig zu errei-
chen, daß alle und alles vom selbigen Geiste, vom Geiste der
93
Wahrheit und der Liebe beseelt, g^emeinschaftlich zu demsel-
bigen schönen Ziele hinwirken.
Nur in geistlichen Korporationen findet sich immer für
jedes Fach passender Nachwachs; NB. ich rede nicht von
modernisierten geistlichen Korporationen, wo die Verbindung
der Klöster desselbigen Ordens miteinander und mit ihrem
General nicht mehr stattfinden soll.
Der Flachheit unserer Zeit zu Liebe will ich nur noch an-
führen, daß vermittelst geistlicher Korporationen mehr, aber
mit viel weniger Kostenaufwand, erzielt wird —
und wende mich zu den
Pensionat e n und K o n v i k t e n
Was ich von den Gymnasien gesagt habe, dürfte auch bei
den Konvikten und, mutatis mutandis, auch bei den Pensio-
naten für das weibliche Geschlecht gelten. Da aber, wenn auch
einerseits in den erwähnten Anstalten die Aufsicht und die
Erziehung sehr erleichtert wird, andererseits wegen des Zu-
sammenlebens der Zöglinge die Gefahr vermehrt wird, so muß
die Aufsicht hier viel schärfer sein, und da eben die größere
Wirksamkeit "dieser Anstaften sie auch sehr mißbrauchbar zur
Verbreitung des Bösen macht, so muß hier mit der möglichst
größten Sorgfalt bei der Auswahl der Vorstands-Personen
verfahren, und dieselben genau beobachtet werden.
D i e P e n s i o n a t e sind durchaus nötig, um so mehr, da ^!a-
weibliche Geschlecht auf die Erziehung, besonders in der
ersten Jugend, so entschiedenen Einfluß hat.
Wo die Gymnasien sind, was sie sein sollen, können die
Ko n V i k t e noch immer großen Nutzen bringen, aber man kann
wohl nilht behaupten, daß sie in solchem Falle nötig sind ; von
gemischten Anstalten, wo nicht alle Angestellte und über-
haupt nicht alles echt katholisch ist, kann hier gar keine Rede
sein ; eine Bemerkung, welche sich insbesondere bei Konvikten
94
und Pensionaten (auch bei Anstalten zur Bildung der Scluil-
Irhrer und Lehrerinnen) auch auf die Zöglinge bezieht.
Ich wende mich nun zu den
Universitäten
Die l'nivcrsitäten sind für Jünglinge bestimmt, deren Er-
ziehung, soviel andere Menschen dazu tun können, als fast voll-
rndet vorausgesetzt wird ; für Jünglinge, die ihr wissenschaft-
liches Fach, dem, von ihnen gewählten Berufe gemäß, gewählt
haben.
Über die Arznei und die weltliche Jurisprudenz will ich
mich nicht einlassen ; aber die große Wichtigkeit der philo-
sophischen Wissenschaften — die Geschichte dahin gerech-
net ^- und der Theologie — das Kirchenrecht dahin gerechnet
— und die große Wichtigkeit des Vortrages dieser Wissen-
schaften und der diesem Vortrage zur Grundlage dienenden
Bücher oder Hefte; die große Wichtigkeit der Persönlichkeit,
Gesinnung und so weiter der Professoren und Lehrer und des
Kurators der Universität, und der Statuten in Beziehung auf
den Glauben, auf die Religiosität der Studierenden, sowie
überhaupt die überaus große Gefährdung ihrer Sittlichkeit,
ihres Glaubens, ihres zeitlichen und ewigen Heils, bei der
gewöhnlichen Einrichtung der Universitäten, kann wohl kein
Verständiger verkennen.
Es wäre doch wohl recht nötig, daß nicht allein Burschen-
schaften und, was den Staat, das irdische Wohl in Gefahr
bringt, sondern nebst dem die Gefährdung des ewigen Heils
bei der Einrichtung der Universitäten berücksichtigt würde.
Sonst standen die Universitäten unter Kirche und Staat; ich
bezweifle, daß das hinreichend war, zur Abwendung der Ge-
fährdung des ewigeji Heils. Jetzt scheint die Ansicht, als ge-
hörten die Universitäten ausschließlich zum Bereiche des Staats,
obzuwalten; um so mehr ist die Kirche verpflichtet, auch für
sich entweder ausschließlich Universitäten zu reklamieren, oder
wenigstens in Beziehung auf alles, was das ewige Heil gefähr-
det, oder dem ewigen Heile frommet.
Daß das Universitätsleben eben nicht geeignet ist zur Bil-
dung der Zöglinge des geistlichen Standes, wird Avohl jeder
erkennen ; wie auch, daß es dazu notwendig der Seminarien
bedürfe.
In Beziehung auf das über die Schul- und Bildungsanstalten
Gesagte bemerke ich: daß ich mit dem für die Kirche in
Anspruch genommenen Rechte, auch für sich ausschließlich
solche Anstalten zu besitzen, nicht sagen will, daß der Staat
nicht soll Einsicht nehmen können von dem, was die Kirche
in den erwähnten Anstalten vornimmt, — die Kirche hat in
dieser Hinsicht kein Geheimnis ; — Einsicht mag der Staat
nehmen, aber nicht Aufsicht, nicht Vormundschaft.
Sind die katholischen Geistlichen, als
Solche Staatsbeamte?*)
Ich kann die Frage noch anders stellen, nämlich: Können
katholische Geistliche, als Solche, Staats-
beamte sein?
Die hier gestellte Frage sollte man eigentlich für ganz un-
nötig, weil in praxi, wie man denken sollte, nicht vorkom-
mend, halten. Aber die Frage kommt wirklich in praxi vor ;
so sehr sind die Begriffe verwirrt, so sehr zeigt sich auch hier
bei einigen die Ansicht, die Kirche sei der Staatsgewalt unter-
worfen. Solche nehmen für die weltliche Gewalt die Befugnis
in Anspruch, katholische Geistliche in Ordnungsstrafe zu nehmen,
welches nur in Beziehung auf Beamte des Staates statt-
finden kann. Solche nehmen ebenfalls für die Staatsgewalt die
Befugnis in Anspruch, katholische Geistliche ab officio suspen-
dieren zu können, wo ebenfalls die Staatsbeamtenschaft der
katholischen Geistlichen vorausgesetzt wird. Indessen kommt
*) S. i86ff.
96
es bei Beantwortung der vorliegenden Frage darauf nicht an,
weil Ansichten, selbst wenn hier und da ihnen gemäß verfah-
ren würde, die Natur der Sache nicht ändern können. Es
kommt hier auf folgendes an:
Die katholischen Geistlichen werden nicht von den welt-
lichen Regenten angestellt, können nicht von denselben ange-
stellt werden ; weil die weltlichen Regenten zu solcher Anstel-
lung weder Recht noch Macht haben, ebensowenig und aus
demselbigen Grunde können die weltlichen Regenten einen
Geistlichen absetzen oder suspendieren ab officio. Die Anstel-
lung der Geistlichen, wie ihre Amovierung, muß, wenn nicht
leere Worte für Realität gelten sollen, von der Kirche, von der
Kirchenobrigkeit ausgehen.
Die Geistlichen haben, als Solche, kein weltliches Anrecht.
Die Geistlichen haben für ihre Amtsverrichtungen nicht die
von den weltlichen Regenten ausgehenden Gesetze, sondern
die Kirchengesetze zur Norm, — welches auch das preußische
Landrecht anei;kennt.
Die Geistlichen sind in Beziehung auf die Verwaltung ihres
Amtes, in Beziehung auf ihre Amtsverrichtungen durchaus
nicht den weltlichen Regenten, sondern nur den Kirchen-Obern
Rechenschaft schuldig, nicht jenen, sondern nur diesen verant-
wortlich. Die Geistlichen werden nicht vom Staate besoldet.
Die katholischen Geistlichen haben also von dem, was dazu ge-
hört Staatsbeamter zu sein, eben gar nichts.
Hier frage ich nun jeden vernünftigen Menschen, ob die
Geistlichen Staatsbeamte sein können ? Sollte nicht
etwa auch hier die Anwendung des Prinzips der Protestanten
auf das Verhältnis der katholischen Geistlichen zur Staats-
gewalt der hier besprochenen Ansicht zugrunde liegen?
Bergsträßer I. 7 ^7
Programm einer politischen
Zeitung am Rhein
(1844)
Kaum hat sich zu irgend einer anderen Zeit das Bedürfnis
nach einer freien öffentlichen Besprechung der Angelegenhei-
ten der verschiedenen Staaten so lebhaft und so allgemein aus-
gesprochen als eben jetzt. Daher ist der Schwärm der Blätter,
welche sich als Organ der öffentlichen Meinung hinstellen
wollen, zahllos; dagegen ihr innerer Gehalt verschieden. Viele
derselben glauben ihre Aufgabe erfüllt zu haben, wenn sie ohne
entschiedenen Charakter, in einem ängstlichen Schaukel-
system sich wiegend, abwechselnd den verschiedensten Ideen
huldigen, und nach der Gunst des Augenblicks haschend durch-
aus unvereinbare Gegensätze vertreten. Andere Blätter da-
gegen verfolgen mit strenger Konsequenz eine falsche philo-
sophische Richtung, unermüdlich alles, was bis dahin für heilig
und ehrwürdig in Staat und Kirche gegolten, anzufeinden, in-
dem sie auf eine allgemeine Verwirrung aller Begriffe über
Recht und Ordnung hinwirken. Und doch ist die B e 1 e b u n g
des religiösen und Rechtsgefühls die wichtigste
und höchste Aufgabe in der Entwicklung des Volkslebens,
welche jeder, dem das wahre Heil des Vaterlandes am Herzen
liegt, immer vor Augen haben soll. Entschiedener Ernst und
Festigkeit des Charaktets und der Gesinnung ist durchaus nötig,
wo Halbheit und Gleichgültigkeit bereits soviel Unheil ange-
stiftet haben, und sind das Erste, welches von einem, der öffent-
lichen Belehrung bestimmten Blatte gefordert werden muß.
Protestanten und Juden haben ihre besonderen Zei-
tungen, welche mit rastlosem Eifer die Interessen ihrer Kon-
fessionen vertreten ; die Katholiken allein besitzen keine
98
politische Zeitung, kein Blatt, welches die Tagesereignisse von
ihrem Standpunkte aus bespricht und beurteilt. Und doch ist
Deutschlands größere Hälfte katholisch und bloß durch äußere
Verhältnisse von einer würdigen Vertretung ausgeschlossen
geblieben, obgleich es sich wahrscheinlich nicht behaupten läßt,
daß sie einer solchen noch niemals bedurft hätte. Während die
Anfeindungen alles desjenigen, welches den Katholiken heilig
und teuer ist, auch in einzelnen Zeitungen, Zeitschriften, Ro-
manen und so weiter sich täglich häuften, geschah nur sehr
\\ cnig zur Widerlegung ungegründeter Anschuldigungen und
selbst boshafter Verleumdung, zur Belehrung und Aufklärung
der lesenden Menge. Die Wahrheit ohne Leidenschaft und
Parteigeist immer darzubieten, sei daher die beständige Aufgabe
eines katholischen Blattes. Ein solches, auch auf
dem politischen Gebiet, ist ein großes und drin-
gendes Bedürfnis nicht nur jedem Katholiken, sondern auch
dem gebildeten und aufgeklärten Protestanten, dem an einem
richtigen und unbefangenen Urteile, einer klaren und ungetrüb-
ten Ansicht der Dinge gelegen ist.
Die ka t h o 1 i s ch e Ki r ch e ist wesentlich erhaltend. Selbst
auf heiligen historischen Überlieferungen beruhend, ehrt sie alle
wohlbegründeten Rechte und lehrt Treue und standhafte Er-
gebenheit. Alle Zerstörungen und gewaltsamen Umwälzungen
sind ihr ein Greuel, und diese haben sich daher immer zuerst
gegen die Kirche verschworen und gegen sie gewütet, daß
sie längst untergeangen wäre, wenn sie nicht gebaut wäre auf
Gott und ihre Grundlagen hätte von Gott. Wenn aber die
Kirche auch allen Aufruhr und alle Unordnung
verdammt, verteidigt sie doch niemals das Unrecht, wel-
ches Willkür und rücksichtslose Gewalt des einzelnen begeht.
ie verdammt die Tyrannerei und die über-
griffe des Absolutismus. Sie hat gesprochen in
Zeiten der rohesten Gewalt, wo niemand zu reden wagte, und
stets hingewirkt zur wahren Freiheit, die auf Recht
und Gesetz, auf Ehrfurcht vor dem Hohen und Heiligen be-
99
ruht. Sie hat die Lehre von der Freiheit der Gewissen zuerst
ausgesprochen und in jedem Menschen das Ebenbild Gottes
zu achten und den Bruder auch noch in dem niedrigsten zu
erkennen befohlen.
Daher wird ein Blatt, welches von dem wahrhaft katholischen
Geiste erfüllt ist, niederWillkürunddem Absolu-
tismus das Wort reden und ebenso allen Um-
trieben der Revolution und des Ultralibera-
lismus entgegenarbeiten. Wohlerworbene Rechte
werden ihm heilig sein, Wahrheitund Gerechtigkeit
gegen jeden ihm ewige Regel bleiben. Es wird unermüdlich zu
gesetzlichem Fortschritt, zu wahrer Aufklärung, zu freier, gei-
stiger Entwicklung des Volkslebens hinstreben.
Wir sind zusammengetreten, ein solches Blatt zu gründen,
diese Grundsätze praktisch ins Leben zu rufen. Sein Wir-
kungskreis wird daher kein einseitiger, seine Richtung aber
eine genau bestimmte sein. Es wird die Interessen des
katholischen Glaubensbekenntnisses allent-
halben wahrnehmen, zugleich aber auch die Entfaltungen
bürgerlicher Freiheit, die Fortschritte der
A u f k 1 ä r u n g zu fördern suchen. Vor anderen Ländern wird
das deutsche Vaterland seine besondere Aufmerksamkeit stets
erregen, aber in den Rheinlanden von Rheinländern geleitet,
wird es mit vorzüglicher Sorgfalt auch alle rheinländi-
schen Interessen und Institutionen umfassen,
keinerlei Art derselben ausschließen und deren gehörige Ver-
tretung sich zur Aufgabe stellen.
Dasselbe wird täglich im großen Format und mit ange-
messener Ausstattung erscheinen und immer die neuesten
politischen Nachrichten auf der Stelle mitteilen. Originalauf-
sätze der gefeiertsten Publizisten, welche ihre Mitwirkung
diesem Unternehmen zugesagt haben, und die Verbindung mit
den ehrenhaftesten Korrespondenten in den verschiedenen
Staaten, werden diesem Blatte einen besonderen Wert erteilen.
IOC
!un dem politischen Teile regelmäßig hinzugefügtes Feuil-
leton wird interessante hitorische und literarische Notizen, mit
steter Rücksicht auf die Tendenz dieses Blattes mitteilen. Der
Preis für das Abonnement wird sehr mäßig sein.
(Abgedruckt bei Karl Bacheni, Josef Bachern, Köln 19 12, S. 378)
lOI
Gegen Ehen
zwischen Christen und Juden
(1847)
Von Dr. Eduard Seitz")
Wenn ich heute mich gegen die Zulässigkeit der
EhezwischenChristenundJudenausspreche,
so muß ich mich vor allem gegen den Vorwurf der Inkonse-
quenz verwahren, den man daraus ableiten könnte, daß ich un-
längst einem Antrage das Wort geredet habe, der auf voll-
ständige Gleichstellung des Juden mit dem Christen in allen
privatrechtlichen und staatsrechtlichen Beziehungen gerichtet
war. Damals ging ich von dem Grundsatz aus, daß man in
Beziehung auf die bürgerlichen Angelegenheiten einen Unter-
schied des Glaubensbekenntnisses und der Religion nicht atten-
dieren möge. Heute aber bewegen wir uns von dem bürger-
lichen auf das religiöse Gebiet, denn ich setze als anerkannt
voraus, daß das Institut neben seiner bürgerlichen .und zivil-
rechtlichen Seite auch eine wesentlich religiöse Seite hat. Er-
lauben Sie, daß ich die Gründe kurz entwickele, welche mich
bestimmen, für die Beibehaltung des Artikels 12 zu stimmen,
der denDisparitaskultus zwischen Getauften und Ungetauften,
also insbesondere zwischen Christen und Juden, als ein ver-
nichtendes Ehehindernis aufstellt, oder vielmehr das Fortbe-
stehen dieses .vernichtenden Ehehindernisses anerkennt. Was
*) Hessischer Landtag 1844 — 1847. (Zehnter Landtag.) Protokoll i68 der
zweiten Kammer S. iiff. Titel II, Artikel 12 des Ehegesetzentwurfes lau-
tete: „Die Ehe zwischen einem Christen und einer Person, welche sich nicht
zur christlichen Religion bekennt, ist unzulässig." Näheres über die Debatte
in meinen Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei S. .106.
102
ist der eigentliche Zweck der Ehe? — Eine Gemeinschaft aller
Lebensverhältnisse, eine Gemeinschaft allen göttlichen und
menschlichen Rechtes, namentlich also eine Gemeinschaft aller
religiösen Interessen und Angelegenheiten der Ehegatten.
Wenn nun die Kluft zwischen Christen und Juden in. religiöser
Beziehung so groß ist, daß der Jude denjenigen, den der Christ
als seinen Heiland anbetet, für einen Betrüger und Heuchler
halten muß, so muß man die Ehe zwischen Christen und Juden
<o lange für unmöglich halten, als die Gemeinschaft aller, und
namentlich der religiösen Interessen die Ehe ausmacht.
Den Juden ist nach mosaischem Gesetz die Ehe mit den un-
beschnittenen Volksstämmen untersagt. Der Jude, der so
\venig Achtung vor den Gesetzen seines Glaubens hat, daß er
>ich dadurch nicht abhalten läßt, eine Christin zu heiraten,
wird auch keinen Anstand nehmen, das Gesetz seines Glaubens
ganz zu verlassen und sich gänzlich zur christlichen Religion
zu bekennen. In gleicher Weise verbietet das Gesetz der christ-
lichen Religion, verbietet das Neue Testament, insbesondere
der zweite Korintherbrief, die Ehe mit den Ungetauften.
Ein Staatsgesetz soll sich meiner Überzeugung nach, nie-
mals in eine gefährliche Kollision mit dem Gewissen setzen,
dies tut aber ein Staatsgesetz, das geradezu jemanden zur
Übertretung der Religions- oder Kirchengesetze auffordert,
das tut ein Staatsgesetz, welches solche Übertretungen
unter seinen Schutz und seine Sanktion stellt, welches solche
Übertretungen durch seine Diener sogar begünstigen läßt.
Die wahre Gewissensfreiheit besteht darin, daß das
Staatsgesetz die religiöse Überzeugung aller seiner Ange-
hörigen achtet, daß das Staatsgesetz niemals auch die leisesten
Übertretungen der Kirchengesetze zu billigen scheint, noch
weniger aber zu Übertretungen auffordert. Dies sind die
Gründe, aus denen ich gegen die Zulässigkeit der Ehen zwi-
schen Christen und Juden stimmen werde.
L03
Das Recht des Christen
auf christliches Begräbnis
Von" Dr. Eduard Seitz')
Der Herr zweite Präsident vermißt ein Recht, welches durch
die Erweiterung der betreffenden Verordnung- (Ausdehnung
auf die Anstalt Hofheim) verletzt worden sei. — Allerdings
aber ist ein Recht verletzt worden, und ich glaube sogar ein
doppeltes.
Es handelt sich um ein religiöses Gut einer ganzen,
leider nur zu großen Klasse von Staatsangehörigem. Es han-
delt sich ferner um ein sehr wichtiges der herrschenden christ-
lichen Kirchen; es handelt sich um das Recht der Freiheit des
■ religiösen Kultus der christlichen Religionspartei, um ein
Recht, das durch kein Gesetz und noch viel weniger durch
eine bloße Verordnung aufgehoben, geschmälert und beein-
trächtigt werden kann. — In Deutschland ist Religionsfreiheit.
Es besteht aber das Wesen der Freiheit des Religions-
exerzitiums gerade darin, daß eine Kirche durch keine äußere
Macht und durch kein Staatsgesetz verhindert werden kann,
diejenigen religiösen Güter, welche sie kirchengesetzlich und
anerkanntermaßen zu verwalten und an ihre Mitglieder zudistri-
burieren berechtigt ist, denselben wirklich zu spenden. Es
besteht das Wesen der Freiheit des Religionskultus ferner
gerade darin, daß kein Angehöriger einer herrschenden christ-
lichen Konfession durch irgendeine irdische Gewalt abge-
*) Rede in der zweiten Kammer des zehnten hessischen Landtages. Pro-
tokoll 152, S. 14 ff. Debatte über einen Antrag, der sich gfegen eine Ver-
ordnung richtet, nach der die Leichen der Insassen der Irrenanstalt zu Hep-
penheim, die dort auf Landeskosten aufgenommen waren, der Anatomie der
Universität Gießen zugeführt werden sollen.
ro4
halten werden kann, ein religiöses Gut, auf welches er kirchen-
gesetzlich ein wohlerworbenes Recht hat, aus der Hand der ver-
waltenden Kirche zu empfangen. Ein solches Gut ist nun eben
das kirchliche Begräbnis; denn solange die christliclie Kirche
besteht, hat sie das Recht in Anspruch genommen, die irdi-
schen Reste der in ihrem Schöße Verstorbenen mit einem ge-
wissen religiösen Ritus zur Erde zu bestatten.
Der Herr zweite Präsident vermißt ein Gesetz, wollurch
(lies Recht auf ein kirchliches Begräbnis begründet werde.
Es besteht ein solches Kirchengesetz allerdings. Nach diesen
Satzungen hat ein jeder Angehöriger ein wohlerworbenes
Recht auf ein kirchliches Begräbnis, sofern es ihm nicht zur
Strafe gesetzlich entzogen ist. Die Kirchengesetze bezeichnen
genau die Personen, denen das kirchliche Begräbnis zur Strafe,
weil sie durch Verbrechen sich ihrer unwürdig gemacht haben,
entzogen ist.
Wahnsinn ist kein Verbrechen, sondern Unglück.
Es denkt vielleicht mancher, das religiöse Gut des kirch-
lichen Begräbnisses sei kein reelles, es sei nur ein eingebildetes,
auf Vorurteile beruhendes Gut.
Eine legislative Versammlung darf sich auf diesen
Standpunkt nicht stellen, denn es existieren in unserem deut-
schen Vaterlande Hunderttausende, welche auf diesem Stand-
punkte nicht stehen und welche Achtung ihrer religiösen Über-
zeugung von einer legislativen Versammlung mit Recht for-
dern können. Ich halte eine öffentHche Ordnung in dem
Augenblick für verloren, in dem der Wert der Gesetze von
der individuellen Meinung einzelner abhängig gemacht wird.
105
Gegen jüdische Volksschullehrer
1847)
Rede des Abgfeordrieten Graf Merveidt
auf dem ersten Vereinig-ten Landtage
Es wird von der hohen Versammlung gewiß der Grundsatz
als wünschenswert anerkannt werden, daß die in unserer Mitte
gefaßten Beschlüsse soviel als möglich innerhalb der Grenzen
der Ausführbarkeit bleiben. In dieser Beziehung muß ich be-
merken, daß dies hier nicht der Fall sein würde, insofern die
als unabänderliche Grundlage unserer Staatsverfassung ge-
währte Parität der religiösen Verhältnisse verletzt wird. Nun
bestehen diese Paritätsrechte, meines Dafürhaltens, nicht in
demjenigen, was von einem geehrten Mitgliede, nämlich von
dem Herrn Referenten, uns gestern auseinandergesetzt worden
ist, indem er sie nach seinen individuellen Ansichten als ein
ihm persönlich vorschwebendes Ideal formulierte, sondern da-
rin, was sie, ihrem" Wesen nach, sein sollen und müssen. Hier-
nach wird von katholischer Seite der Grundsatz festgehalten,
daß 'jeder Unterricht, der in den Elementarschulen oder in
niedrigen Unterrichtsanstalten, die in die Kinder- und Er-
ziehungsjahre der Jugend fallen, gegeben wird, und nicht bloß
technische Fertigkeiten betrifft, den katholischen religiösen
Standpunkt festhalten muß. Wollte man diesen Grundsatz
stören, so würde man in Ausartung verfallen, die einer nicht
genügenden Handhabung der Toleranz angehört, und dieses
würde mit den Paritätsrechten unverträglich sein. Darum
müssen auch in meiner Heimat in solchen Anstalten, die zur
Ausbildung von Elementarschullehrern bestimmt sind, letztere
als Religionslehrer ausgebildet werden, und wird, nebenbei
gesagt, in denselben eine Aufnahme von jüdischen Eleven
106
nie stattfinden können, um so weniger, als katholisch geistliche
Fonds diese Seminarien ausstatten. Nach Maßgabe dieser
Grundsätze ist aber auch die Ausführbarkeit unserer Ent-
schlüsse für mich und meine Mitstände bedingt, und nach dieser
Maßgabe kann nur unter einer Verwahrung dieser unabänder-
lichen Grundlagen von vielen Mitständen und mir abgestimmt
werden. Die Zulassung von Juden als Lehrer zu Elementar-
schulen oder überhaupt zu solchen Unterrichtsanstalten, die
in die Kinder- oder Erziehungsjahre der Jugend fallen, wird
also mit Ausnahme des Unterrichts in bloß technischen Fertig-
keiten, zum Beispiel Zeichnen, Turnen und so weiter, durch-
aus ungedenkbar sein. Nun möchte ich hieran noch die all-
gemeine Bitte an die hohe Versammlung knüpfen, doch zu be-
denken, daß Se. Majestät der König von diesem Throne die
Worte vor der ganzen Nation ausgesprochen haben:
,,Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen."
Ich glaube, wir alle haben diese Worte so verstanden, Se.
lajestät der König habe damit nur sagen können: Wir wollen
als Christen dem Herrn dienen; darum möchte ich bitten, daß
wir diesem großherzigen Beispiel, welches sowohl des hoch-
seligen, als jetzigen Königs Majestät vor der Welt öffentlich
kundgegeben haben, daß sie der christlichen Religion die ihr
gebührende, über alle Weltverhältnisse erhabene Stellung, die
in früheren Jahren leider in den Hintergrund zu treten schien,
wiedergegeben haben, daß wir uns diesem hocherhabenen
Beispiele anschließen möchten, indem wir das christliche Prin-.
zip überall da aufrecht zu halten bemüht sind, wo es eine be-
lehrende eine beratende oder eine befehlende Stellung gilt.
(Bleich, Der erste vereinigte Lnndtag in Berlin 1847, Bd. IV, S. 1888)
107
Betrachtungen über den Artikel III
der Entwürfe der Grundrechte des
deutschen Volkes
(1848)
Von Döllinger*)
Der Verfassungsausschuß hat in seinem Entwurf der Grund-
rechte, Artikel III, einige Bestimmungen, darunter auch die
der völligen Freiheit für die Bildung neuer Religionsgesell-
schaften, aufgestellt. Bestimmungen, die seiner ■ eigenen Er-
klärung zufolge die wichtigsten (richtiger, einige wichtige)
Konsequenzen des allgemeinen Prinzips der Unabhängigkeit der
Kirche vom Staate enthalten. Das Prinzip selbst hat derselbe
nicht aussprechen zu wollen erklärt. Wenn nun ein Gesetzgeber
die Konsequenzen eines Prinzips mit Gesetzeskraft versieht,
und zugleich den inneren notwendigen Zusammenhang dieser
Konsequenzen mit dem Prinzip ausdrücklich anerkennt, gleich-
wohl aber das letztere auszusprechen sich weigert, so müssen
hierzu besondere Gründe vorliegen — Gründe, die nicht von
der Gerechtigkeit hergenommen sein können, sondern Rück-
sichten der Konvenienz oder zufälliger vorübergehender Zeit-
und Ortsverhältnisse entsprossen sein werden.
Eine Anzahl von Abgeordneten, aus Angehörigen der beiden
Kirchen bestehend, hat es demnach für Pflicht erachtet, die
Ausfüllung der im Entwurf gelassenen Lücke zu versuchen,
und deshalb einen auf Paragraph 12 und 14 sich erstreckenden
Verbesserungs-Antrag gestellt.
*) Aus der Flugschrift: Kirche und Staat. Betrachtungen — Volkes-
Frankfurt am Main, im August 1848. Gedruckt bei J. D. Sauerländer, 22 S.
80. Fehlt bei Wentzcke.
108
Der Antrag lautet:
§ 12. Die Freiheit jeder Gottesverehrung und ihrer öffent-
hchen Ausübung ist verbürgt. Verbrechen und Vergehen,
welche bei Ausübung dieser Freiheiten begangen werden, un-
terliegen den allgemeinen Strafgesetzen.
§ 14. Die bestehenden und sich neu bildenden Religions-
Gesellschaften sind als solche unabhängig von der Staatsge-
walt; sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selb-
ständig.
Die Bestellung von Kirchenbeamten unterliegt keiner Mit-
wirkung von Seite der Staatsgewalt, auch nicht vermöge Pa-
tronatrechts.
Die Bekanntmachung kirchlicher Erlasse ist nur denjenigen
Beschränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffent-
lichungen unterliegen.
Jeder Religionsgesellschaft wird der Besitz und die freie
Verwendung ihres Vermögens, so wie ihrer für Kultus-, Un-
terrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten ge-
währleistet.
Es ist klar, daß in diesem Antrage sich alles um das Prinzip
der Unabhängigkeit dreht ; das übrige ist nur die logische Ex-
position dieses Prinzips, es ist die Anwendung desselben auf
die wichtigsten Punkte, welche bisher die Glieder der Staat
und Kirche aneinander bindenden Kette bildeten; es sind Kon-
sequenzen, welche weder nach der Gerechtigkeit noch der
strengen Folgerichtigkeit ferner mehr bestritten oder abge-
lehnt werden können, sobald der Grundsatz selbst als eine
nunmehr unabw^eisbar gewordene Notwendigkeit anerkannt
wird. Diese Notwendigkeit aber liegt sowohl in den gegen-
wärtigen Verhältnissen Deutschlands, als in den übrigen Be-
stimmungen des Artikel III des Entwurfs der Grundrechte.
Stellen wir zuerst den Standpunkt zur richtigen Auffassung
des Antrages dadurch fest, daß wir erinnern, was nicht in
demselben liegen solle, nicht darin gesucht werden dürfe. Es ist
nämlich nicht etwa eine Trennung der Kirche vom Staate.
109
welche hier beantragt wird, oder erstrebt werden soll. Wir
wollen keineswegs, daß der neugeordnete deutsche Staat sich
in aller und jeder Beziehung von der christlichen Kirche los-
sage, daß er die christlichen Elemente, die er von ihr emp-
fangen, wieder ausstoße, gleichsam die Morgengabe, welche
ihm die Kirche ehemals bei ihrer Vermählung mit ihm zuge-
bracht, wieder herausgebe. Vielmehr wird jeder Christ, er
mag dem einen oder dem andern Bekenntnisse angehören,
aufrichtig wünschen und wollen, daß das deutsche Volk
und sein Staat nicht nur das Christliche in seinen In-
stitutionen, Gesetzen und Sitten bewahre, sondern sich immer
mehr damit durchdringe. Es ist also nicht eine Entchristlichung
des Staates, nicht eine Lösung alles Bandes zwischen Kirche
und Staat, welche für dringend erachtet und begehrt wird,
sondern nur eine freundliche Auseinandersetzung, eine Ent-
lassung der Kirche aus ihrem bisherigen unfreien Dienst- und
Hörigkeits-Verhältnisse, damit sie das besser und wirksamer
als freie Gehilfin leiste, was sie bisher,, ihrer Selbständigkeit
beraubt, in ihrer Tätigkeit vielfach gehemmt oder alteriert,
nur mangelhaft zu leisten vermochte. Wir würden sagen, die
Magd, die der Hausherr zur Würde seiner Gemahlin erhebe,
trenne sich damit, daß sie aufhört, seine Magd zu sein, nicht
von ihm, sondern trete nur in ein engeres und edleres Verhält-
nis mit ihm, wenn wir nicht fühlten, daß in diesem Gleichnisse
etwas Unpassendes liege, und wenn uns nicht die religiösen
Spaltungen Deutschlands daran erinnerten, daß der Staat bei
uns nur eine polygamische Verbindung jener Art eingehen
könne.
Die Unabhängigkeit der Kirche vom Staate wird auch nicht
in dem Sinne begehrt, sie kann und soll nicht dazu führen,
daß künftig die Kirche einen Staat im Staate bilde, ob-
gleich man jene Forderung häufig nach einer oberflächlichen
Betrachtungsweise so auszulegen pflegt. Wenn schon die Ein;
führung des freien Associationsrechtes künftighin dem gegen
irgend eine Gesellschaft gerichteten Vorwurfe, daß sie einen
iio
Staat im Staate bilde, die Spitze abbrechen wird, so liegt ins-
l>esondere in dem angestrebten Verhältnisse der Kirchenge-
sellschaften nichts, was irgend einen Grund darböte, sie als
Staaten im Staate zu bezeichnen. Niemand denkt daran, für
die Geistlichen der beiden großen Kirchen eine exceptionelle
Stellung im Staate in Anspruch zu nehmen, sie wollen und
sollen deutsche Bürger gleich jedem andern sein, und bleiben,
den gleichen Lasten unterworfen, die gleichen Bürgerpflichten,
soweit dies nur immer mit ihrem Stande vereinbar ist, erfüllend
unter der Herrschaft des gleichen gemeinen Rechtes, derselben
(iesetze stehend. Es wird für sie kein Privilegium, keine Aus-
nahmestellung, keine Bevorzugung begehrt. Eben so wenig
wollen oder sollen die weltlichen Kirchenglieder auf den Grund
ihres kirchlichen Bekenntnisses sich der Erfüllung irgend einer
Bürgerpflicht entziehen. Alles was begehrt wird, hat nur den
Zweck und läßt sich in dem Postulat zusammenfassen: die
Kirche möge in eine Lage kommen, in welcher sie nicht mehr
genötigt werden könne, eine Maschine des Polizeistaates, Ge-
genstand zugleich und Werkzeug bureaukratischer Admini-
stration zu sein. Überhaupt also kann, soll und will die Kirche
nicht außer dem Staate, noch viel weniger über dem Staate
stehen; jene früheren Verhältnisse längst verflossener Jahr-
hunderte, welche bei der engen Verbindung, dem Verwachsen-
sein der Völker und ihres ganzen Bewußtseins und Lebens mit
der Religion und Kirche selbst eine teilweise Superiorität der
Kirche über die bürgerlichen Gewalthaber mit sich brachten,
sind unwiederbringlich dahin, und wer in dem Unabhängig-
werden der Kirchen die drohende Gefahr einer wiederkehren-
den mittelalterlichen Herrschaft einer Kirche über Fürsten
und Völker erblicken wollte, der dürfte mit gleichem Rechte
(las Wiederaufleben des Feudalstaates, wie er im elften Jahr-
hundert bestand, erwarten.
Nein: Alles berechtigt uns zu der zuversichtlichen Behaup-
tung: Beide Kirchen, die katholische wie die protestantische
werden, auch wenn sie frei und unabhängig geworden, nach
ITI
wie vor, durch ihre eigenen unabänderlichen Prinzipien und
Überlieferungen, durch ihr öffentliches Bekenntnis, selbst dazu
genötigt, ihre Pflichten gegen den Staat gewissenhaft erfüllen;
sie werden, eingMenk des apostolischen Wortes, daß alle obrig-
keitliche Gewalt von Gott geordnet sei, den Trägern dieser Ge-
walt auch fernerhin eine Stelle in ihren Liturgien gewähren
und das kirchliche Gebet für sie verrichten ; sie werden zum
Besten des Staates das erstreben und erreichen, was der Staat
selber mit seinen Mitteln nicht zu erreichen vermag; wenn
ihre Autorität in ein Gebiet hineinreicht, welches dem Staate
unzugänglich ist, nämlich des Gewissens, so werden sie ge-
rade dort, im innersten Heiligtume des Menschen, wo die
Stimme der bloß bürgerlichen Gewalt mit ihren Zwangs- und
-Strafmitteln wie mit ihren Nützlichkeitsgründen wirkungs-
los verhallt, dem Gehorsam gegen die Staatsgesetze die sicher-
ste Stätte bereiten, und dieser Gehorsam, dem Gewissen und
nicht der Berechnung entsprossend, von der Religion getragen,
von dem Lehramte der Kirche fort und fort jedem, Alter und
Stande eingeschärft, wird fürderhin das mächtigste Bollwerk
der öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt in Deutschland sein.
Es ist also keineswegs bloß ein kirchliches Interesse, es ist
wesentlich auch die Sorge für das Wohl, die Kraft und Stärke,
das fröhliche Gedeihen des neuzuordnenden Staates, was die
Urheber des Antrages und die Freunde der kirchlichen Un-
abhängigkeit überhaupt vor Augen haben. Einmal würde eine
Beibehaltung des bisherigen Verhältnisses der Abhängigkeit
eine in dem neugeordneten Deutschland einzige, und daher
grell hervortretende Anomalie sein. Kraft dieser Abhängig-
keit werden jetzt die bestehenden Kirchengesellschaften durch
Ernennung ihrer Kirchenbeamten, durch Überwachung ihrer
Lehre, durch Eingreifen in ihre Angelegenheiten von der
Staatsgewalt beherrscht. Die deutschen Kirchen, oder viel-
mehr die deutschen Staatsbürger in ihrer kirchlichen Stellung
und Eigenschaft, werden künftig aller jener Rechte und Frei-
heiten beraubt sein, welche das deutsche Volk sonst als seine
112
)'^
kostbarsten teils bereits besitzt, teils im weitesten Umfange
von der Nationalversammlung erwartet. Freie AssodOation,
freie Wahl gesellschaftlicher Beamten, Freiheit der Äußerung
und Mitteilung, Freiheit des brieflichen Verkehrs, Freiheit von
polizeilicher Beaufsichtigung — alle diese Freiheiten werden
künftig jedem Deutschen nach jeder Seite hin und in jeglichem
Gebiete gesichert sein, nur in einem Gebiete wird auch ferner-
hin Unfrei|ieit, Zwang und Bevormundung herrschen — näm-
lich im kirchlichen. Ein paar Beispiele mögen genügen, um
den gegenwärtigen Zustand zu charakterisieren.
In Württemberg muß das Direktorium (das heißt die jähr-
lich von dem Bischöfe veröffentlichte, für die Kirchen und
Geistlichen bestimmte Ordnung der Meßliturgie und des Bre-
viergebetes) erst dem königlichen Placet unterworfen werden,
und nur mit Erlaubnis des einem andern Bekenntnisse ange-
hörigen Königs darf dort der Geistliche an diesem oder je-
nem Tage ein Meßgewand von roter oder schwarzer Farbe
tragen, ein längeres oder kürzeres Gebet verrichten. — - In
Bayern muß infolge einer Ministerial-Verfügung jeder Land-
richter über die in seinem Bezirke befindlichen katholischen oder
protestantischen Geistlichen Konduitenlisten anfertigen und ein-
senden, welche die sorgfältigste Überwachung und Auskund-
schaf tung erheischen; in diesen Listen wird nicht nur der Grad
der theologischen Bildung, sondern auch der Grad der Anhäng-
lichkeit an die Person des Monarchen und an das königliche Haus
von dem Landrichter oder seinem Aktuar eingetragen, und die
höhere Zivilbehörde pflegt diese Tabellen bei Anstellungen,
Verleihungen von Pfarreien und dergleichen zu Grunde zu le-
gen. Damit ist nicht nur das Schicksal mehrerer Männer in die
Hand eine^ vielfach feindlich gesinnten Beamten gelegt; eine
einzige übereilte oder mißdeutete Äußerung kann auch bei
einem Manne lebenslängliche Zurücksetzung bereiten. — In
Österreich mußte noch vor kurzem die Erlaubnis, daß bei
einem Abendgottesdienste der Segen gegeben werden dürfe,
von der Regierung mühsam erbettelt werden.
Uergsträfler I. 8 IIJ
Sollen difese Zustände mit allem, was noch daran hängt, un-
geachtet des großen Umschwungs unseres gesamten öffent-
lichen Lebens in Deutschland gleichwohl fortdauern, so wird,
so muß eine solche Anomalie, ein so greller und auffallender
Widerspruch sich früher oder später rächen, das ganze Ge-
bäude unserer sozialen Zustände wird, an einer fort und fort
sich schmerzlich fühlbar machenden Difformität leidend, un-
heilbar kränkeln.
Es ist also nur eine einfache Tatsache, die wir aussprechen,
indem wir sagen: Gerade damit das gute Einverständnis, der
Friede der großen Kirchengesellschaften mit dem Staate nicht
ferner gestört, sondern erst wahrhaft gegründet und! befestigt,
damit der Anlaß zur Zwietracht und zum Kampfe vermieden
werde, ist eine Auseinandersetzung der beiderseitigen Rechte,
eine Gebietsteilung und Grenzenbestimmung, eine Lösung des
bisherigen Abhängigkeits-Verhältnisses unumgänglich not-
wendig. Wenn uns die Ruhe, und Konsolidierung eines einigen
Deutschlands am Herzen liegt, dann muß uns das Mittel will-
kommen sein, — und es gibt nur eines — durch welches endlich
jenen stets sich wiederholenden Anlässen einer weit verbrei-
teten Unzufriedenheit und Verstimmung, jener Sehnsucht nach
politischem Wechsel ein Ziel gesetzt wird, welches in der bis-
herigen Verbindung des kirchlichen Gebiets mit der Staats-
verwaltung nur allzureiche Nahrung gefunden. Wollte man
gegenwärtig in Deutschland Umfrage halten, wie die Masse
des Volks das Verhalten der Regierungen im ganzen und ein-
zelner Beamten insbesondere hinsichtlich der kirchlichen An-
gelegenheiten beurteile, man würde wohl in einem großen Teile
unseres Vaterlandes einem Strome von Anklagen und Vor-
würfen über ungerechte Parteilichkeit, über willkürliche Ein-
griffe in dieses Gebiet begegnen, die Bevölkerung ganzer
Provinzen würde man tief von der Überzeugung durchdrungen
finden, daß die Staatsgewalt ihre Religion und ihre kirchlichen
Institute systematisch anfeinde, daß sie mit allen den mannig-
faltigen ihr zu Gel)ote stehenden Mitteln sie allmählich zu unter-
114
graben suche. Die Schuld liegt hiervon weit weniger an den
Personen, den Staatsmännern und subalternen Beamten, wenn
auch gegen sie vorzugsweise das Mißtrauen und die Abnei-
gung des Volkes sich kehrt; sondern an dem Systeme liegt
die Schuld, und dieses System wird nie eine wesentliche Ände-
rung erleiden, so lange der gegenwärtige Zustand der staat-
lichen Bevormundung und.' Einmischung in die kirchlichen
Dinge aufrecht bleibt. Es ist eine sehr nahe liegende Wahrheit,
so allgemein sie auch während der Blüte und Herrschaft des
Polizeistaates verkannt oder zurückgestoßen wurde, daß die
bürokratisch-polizeiliche Behandlung kirchlicher Dinge der
Natur, dem innersten Wesen derselben widerstrebe, daß sie,
selbst in den Händen billig gesinnter Vollstrecker, fast unver-
meidlich Unzufriedenheit und Erbitterung errege. Und wird
diese Erbitterung nicht dann erst zu einer furchtbaren Höhe
wachsen, wenn das Volk, in allen anderen Zweigen und! Gebie-
ten seines Lebens und seiner Tätigkeit frei, sich nur gerade
in dem Gebiete, auf dessen Freihaltung von fremdartigem Ein-
flüsse es am eifersüchtigsten ist, fortwährend unter eine büro-
kratische Überwachung und Bevormundung gestellt sähe? —
Freilich ließe sich erwidern, daß ein so unnatürlicher Zustand
jedenfalls von kurzer Dauer sein würde, weil die Bürokratie
bald wieder von dem ihr überlassenen kirchlichen Boden aus
ihr verlorenes Terrain Stück für Stück zurückzugewinnen ver-
stehen würde.
1 1
Die Polenfrage
(1848)
Rede DölHngers im Frankfurter Parlament*)
Döllinger von München: Meine Herren, ein
ausgezeichetes Mitglied unserer Versammlung hat bei
einer anderen Gelegenheit erklärt, die Ehre Deutschlands
wahren, daß heiße, altes Unrecht vergüten und neues Un-
recht nicht begehen. Wenn wir aufgefordert werden, etwas
dem Anscheine nach sehr Einfaches, jetzt nämlich eine
bloße Demarkationslinie zu genehmigen, so müssen wir
uns doch, glaube ich, die Frage vorlegen, ob denn
wirklich hinter dieser Demarkationslinie nicht noch ganz
andere Dinge verborgen seien, ob es sich wirklich um nichts
anderes, als eine gleichsam geographische Maßregel handle ;
wir müssen uns fragen, ob denn nicht etwa auch hier die Ehre
Deutschlands beteiligt sei, ob es nicht doch darauf ankomme,
hier altes Unrecht so gut als es möglich ist, zu vergüten, und
vor allem neues Unrecht nicht zu begehen. Es handelt sich
hier offenbar mit der Demarkationslinie zu gleicher Zeit um
das Schicksal derjenigen Fraktion der polnischen Nation,
welche bisher mit Preußen verbunden gewesen ist, um die
ganze Zukunft dieses Teils der polnischen Nation. Es wird
uns das Wort Reorganisation in Verbindung mit der zu zie-
henden Demarkationslinie dargeboten. Damit eine Reorgani-
sation dieses Teils des Großherzogtums Posen auf Grund der
politischen Nationalität stattfinden könne, darum, heißt es, soll
diese Demarkationslinie gezogen, und damit also dieser Teil
des Großherzogtums Posen von der Verbindung mit Deutsch-
land fern gehalten, der bei weitem größere Teil desselben aber
*) Sitzung vom 7. Februar 1849, Stenogr. Ber. S. 5066 ff.
116
Deutschland einverleibt werden. Ist denn aber, frage ich, unter
solchen Umständen überhaupt eine Reorganisation, wie sie von
dem Könige von Preußen damals versprochen wurde, noch
möglich und ausführbar? Kann diese Reorganisation, wenn die
Demarkationslinie, wie sie uns jetzt vorgeschlagen ist, gezogen
wird, noch eine Bedeutung, noch einen Wert für diejenigen
haben, zu deren Gunsten sie angeblich stattfinden soll ? Es wird
jetzt zugegeben, von den Verteidigern des Antrags, daß es nur
noch ein kleines Bruchstück des Großherzogtums Posen sei,
welches übrig gelassen werden soll; dieser Fetzen, abgerissen
von dem übrigen Lande, und von der übrigen sowohl deutscheu
als auch polnischen Bevölkerung, soll nun mit dieser angeb-
lichen Reorganisation beglückt, seinem ferneren Schicksal als
ein für sich gestelltes, nur durch Personalunion mit Preußen
verbundenes Land überlassen werden, denn es scheint, daß die
Grundsätze der Personalunion jetzt auf diesen losgerissenen
Teil von Posen angewendet werden müssen. Die Reorgani-
sation war von königlichem Munde den Polen versprochen
worden, um ihre Nationalität zu schützen, um ihnen das zu
gewähren, was ihnen bisher größtenteils versagt worden war,
vor allem nationale Schulen, höhere Unterrichtsanstalten, Be-
amte, aus der Nation genommen, ein eigenes nationales Heer
und noch einiges andere, was zur Gewähr und dem Bedürf-
nisse der Nationalität gerechnet wurde, — kann, wenn das
der Sinn der versprochenen Reorganisation war, dieses alles
jetzt überhaupt noch in dem übrigbleibenden oder losgerisse-
nen Teile des Großherzogtums wirklich ausgeführt werden?
bisher hatten die Polen drei Gymnasien; zwei davon werden
ihnen jetzt entzogen, das heißt, es befinden sich in dem Deutsch-
land einzuverleibenden Teile das Mariengymnasium zu Posen
und das Gymnasium zu Ostrowo ; es bleibt also den zu reorgani-
sierenden Polen jetzt noch ein einziges Gymnasium im äußer-
sten Winkel des Landes in dem Städtchen Trzemesno an der
russischen Grenze. Haben sie aber vielleicht die Mittel, die
Reorganisation in dieser Beziehung, die doch die wichtigste ist,
117
zu einer Realität zu machen? Es ist bereits behauptet und
meines Wissens nicht widersprochen worden, daß in dem übrig-
bleibenden oder losgerissenen Teile von Posen gar keine öffent-
lichen Güter, Nationalgüter und so weiter mehr übrig sind,
sondern dort die Regierung alles veräußert hat; die reichen
eingezogenen Kirchen- und Klostergüter, die Starosteigüter,
das alles ist verschleudert und in Privathände übergegangen ;
von öffentlichen Mitteln, welche zur Gründung neuer Unter-
richts- und Bildungsanstalten verwendet werden könnten, ist
also dort nichts mehr vorhanden. So sind denn die Polen außer-
stande, auch nur dem mäßigsten Bedürfnisse höherer Unter-
richtsanstalten zu genügen, und es bleibt ihnen wirklich nichts
übrig, als ein einziges Gymnasium. Wie kann aber nun der
andere Hauptpunkt der Reorganisation noch irgend einen Sinn
oder praktischen Wert haben, nämlich die Besetzung der Ver-
waltungsstellen mit polnischen Beamten? Wo sollen denn bei
solchen Umständen diese polnischen Beamten herkommen, wo
sollen sie ihre Bildung erhalten? Bisher waren die Polen der
großen Mehrzahl nach überhaupt von den höheren Studien aus-
geschlossen. (Unruhe und Widerspruch im rechten Zentrum)
Ja ausgeschlossen . . .
Schubert von Königsberg: Sie haben sich aus-
geschlossen.
Döllinger : Ganz richtig, Herr Schubert, sie haben sich
ausgeschlossen, das heißt, die Maßregeln der Regierung haben
dafür gesorgt, daß ihnen nichts anderes übrig blieb, oder daß
die Erschwerung der höheren Studien für viele wenigstens
einer Ausschließung gleich kam. Meine Herren, richten sie in
einer deutschen Provinz das Studienwesen so ein, wie es in
dem Großherzogtum Posen eingerichtet ist oder vor kurzem
noch war, so stehe ich Ihnen dafür, daß die jungen Leute, aus
denen Beamte gemacht werden könnten, in dieser Provinz bald
ausgehen; wenn man in den höheren Gymnasialklassen die pol-
nische Sprache als Unterrichtssprache ausschließt, wenn man
polnische Knaben und Jünglinge nötigt, die schwierigsten Ge-
rj8
genstände, die alle Kraft und Tätigkeit des jugendlichen Gei-
stes erfordern, die klassischen Sprachen, Mathematik, Ge-
schichte und so weiter in einer ihnen fremden und schwierigen
Sprache zu studieren, so ist von selbst klar, daß sie mit den
leutschen Schülern einer solchen Anstalt die Konkurrenz nicht
aushalten, daß sie entmutigt werden, die meisten auf der Lauf-
bahn der Studien zurückbleiben und lieber einem Gewerbe oder
t^inem anderen Lebensberufe sich zuw^enden werden. Das war
bisher die Einrichtung in dem Großherzogtum. Posen; in den
liöheren Gymnasialklassen war die deutsche Sprache die ein-
zige Unterrichtssprache, die polnische aber ausgeschjojssen,
und an allen Gymnasien des Großherzogtums Posen gab es nur
sechs polnische Professoren, alle übrigen waren Deutsche und
/war Deutsche, die zum größten Teile kein Wort polnisch ver-
landen. Wenn nun auf solche Weise das abgerissene Bruch-
stück Posens in die Unmöglichkeit versetzt wird, sich das zu
verschaffen, was zu einer Reorganisation, falls diese eine Wahr-
lieit werden soll, unumgänglich notwendig ist, was ist denn
überhaupt das Schicksal, das diesem Lande bereitet wird?
Kann eine gedeihliche Entwicklung der polnischen Nationa-
lität für die Zukunft unter solchen Umständen erwartet
werden? Muß dann nicht die ganze ihnen versprochene Re-
organisation als ein leeres Schattenbild erscheinen, das auf
dem Papier steht als königliches' Versprechen, das aber auf
mehr als eine Weise gänzlich vereitelt wird, — vereitelt wird,
erstens, indem man, was dem ganzen Großherzogtum ver-
sprochen war, einem Vierteile oder höchstens einem Dritteile
des ganzen Landes gewährt; zweitens, indem man ihm zwar
die Namen der Dinge darbietet, die Sache aber im Grunde
ihnen vorenthält oder unmöglich macht. Ihr könnt nun, sagt
man ihnen, für euch selbst sorgen, seht, wie ihr zurecht kommt,
versucht, aus eigenen Mitteln Studien- und andere Bildungs-
anstalten zu gründen, seht, wie es euch gelingen möge, euch
einen Beamtenstand heranzuziehen und überhaupt die nötige
Bildung und Intelligenz unter euren Landsleuten zu ver-
119
breiten. Man sagt ihnen das, aber unter Verhältnissen, unter
welchen ihnen zu allen diesen schönen und höchst wünschens-
werten Dingen ganz und gar die Mittel gebrechen. Also, unter
dem Namen einer Demarkationslinie, die jetzt gezogen werden
soll, handelt es sich eigentlich, sagen wir es gerade heraus, um
möglichste Schwächung und Verkümmerung der polnischen
Nationalität. Es ist Ihnen gesag^t worden, daß bei der neuen
Demarkationslinie, der dritten, die jetzt projektiert, ist, und
die noch einen größeren Teil des Landes zu Deutschland
schlagen und einen noch unbedeutenderen Bruchteil des alten
Großherzogtums für Polen überlassen will, strategische und
militärische Gründe vorzugsweise berücksichtigt worden seien.
Daß diese militärischen und strategischen Gründe von großem
Gewicht sind, daß sie, wenn man überhaupt eine Demarkations-
linie ziehen will, notwendig mit in Anschlag gebracht werden
müssen, das zu bestreiten fällt mir nicht im geringsten ein,
concedo totum argumentum. Ich gebe zu, daß sie ein großes
Gewicht in die Wagschale werfen müssen, denn das Unbillige
oder Unmögliche kann auch da, wo es sich von der Gerechtig-
keit handelt, die eine Nationalität der andern schuldet, nicht
von uns verlangt werden. Es kann nicht von uns begehrt
werden, daß wir, bloß um den Polen Gerechtigkeit angedeihen
zu lassen, oder ihnen die Mittel zur Sicherung ihrer Natio-
nalität zu geben, unsere Nordostgrenze preisgeben, sie in einem
gefährlichen wehrlosen Zustande lassen sollen. Das alles er-
kenne ich vollkommen an, behaupte aber, wenn wir nach stra-
tegischen Gründen verfahren und eine Linie ziehen wollen,
daß wir dann noch weiter gehen müssen, und daß auch diese
Demarkationslinie noch immer nicht genügt, und daß die
Sache sich so verhält, daß auch die jetzige dritte Linie stra-
tegisch noch ungenügend ist, wird in dem Berichte selbst klar
ausgesprochen auf Seite 15:
,, Durch die Ausschließung von Gnesen aus deutschem Ge-
biete wird die direkte Straße auf Thorn verloren, und dies
ist ein außerordentlich großer Nachteil." Also auch die gegen-
120
\värtig"e Linie gibt noch strategische Blößen, und wenn wir
auch noch einen Kommissär hinschicken, um eine Demarka-
tionslinie festsetzen zu lassen, wird er durch die Natur der
Sache genötigt, wiederum weiter zu greifen, wird also, wie
wir sehen, zum Beispiel Gnesen hereinziehen, sodaß dann in
der Tat zuletzt ein kaum nennenswerter Bruchteil des Landes
noch übrig bleibt. Ich ziehe aus all diesen strategischen Grün-
den und Rücksichten einen anderen Schluß, als der Ausschuß
und sein Berichterstatter gezogen, nämlich den, daß eben das
ganze Großherzogtum Posen, wie es ist, für das deutsche Reich
nicht Avohl zu entbehren ist, und daß, wenn nicht andere Rück-
sichten hier obwalten, wenn nicht eine Partei vorhanden wäre,
der es vor Allem um möglichste Erniedrigung und Schwächung
der polnischen Bevölkerung zu tun ist, diese Ansicht längst
in Deutschland das Übergewicht erhalten haben würde, daß
man ferner von Anfang an nicht auf diese unselige, nach allen
Seiten hin schädliche Teilung des Großherzogtums verfallen
sein würde. Überhaupt aber, meine Herren, sehen wir, es
haben noch ganz andere Rücksichten, als strategische, wie auch
schon von mir erinnert worden ist, mitgewirkt. Das hat der
Berichterstatter ganz richtig bemerkt, und Belege dazu finden
Sie im Berichte selbst. Wir sehen zum Beispiel, daß Rekla-
mationen des Fürsten Thurn und Taxis eingewirkt haben.
Ihnen zu gefallen hat man ein ganzes Stück polnischen Landes
durch die neue Demarkationslinie mit Deutschland vereinigt.
Worauf soll sich nun jetzt die Reklamation des Fürsten
stützen? Was geht es ihn an, ob ein anderer Teil des Groß-
herzogtums Deutschland einverleibt wird? Sein Besitztum
bleibt ihm unverkürzt. Es läßt sich demnach hier, bei offen-
barer Ermangelung jedes Rechtstitels, kaum etwas anderes,
als ein Vorwand erkennen, um wieder ein Stück Landes Polen
wegzurauben und Deutschland einzuverleiben. Es sind noch an-
dere Gründe im Berichte, die auf die Veränderung der Demar-
kationslinie, und zwar immer zum Nachteile des überbleibenden
Teils Polens eingewirkt haben. Wenn ich die Gründe über-
131
schaue, die zur Rechtfertigung der neuen, wiederum den deut-
schen Anteil vergrößernden Scheidungslinie angeführt sind,
so erinnert mich das an die dreizehn Gründe, welche das preu-
üische Landrecht für die Ehescheidung aufstellt. Unter diesen
dreizehn Gründen kommt zuletzt einer, welcher die andern
alle überflüssig macht, nämlich wechselseitige Abneigung. So
ist auch hier ein Grund, der, weil er doch in der ganzen Ange-
legenheit den leitenden Grundgedanken bildet, eigentlich die
Anführung anderer unnötig macht: die Schwächung des zur
Reorganisation bestimmten Polen, die möglichste Verkleine-
rung des nicht einzuverleibenden Teiles. Es steht demnach
in dieser Sache bedenklich mit der Ehre Deutschlands, die nur
dadurch gewahrt werden kann, daß wir altes Unrecht ver-
güten, neues Unrecht nicht begehen, wenn wir gleichwohl
jetzt aufgerufen werden, die neue Demarkationslinie und mit
ihr alles, was an ihr hängt, alle die Folgen, die diese notwen-
dig für den überbleibenden Teil haben muß, zu genehmigen.
Sollen wir denn immer wieder in den Ruf kommen, daß wir
gegen andere Nationalitäten kein Gesetz der Gerechtigkeit
kennen? Soll auch jetzt in unserer kritischen Lage, in der uns
an dem guten Willen und der guten Meinung nichtdteutscher
Nationalitäten soviel gelegen sein muß, die Forderung gerechter
Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Ansprüche und das Wohl eines
unglücklichen Stammes keinen Anklang in unserer Brust finden ?
An Sie wende ich mich, meine Herren, die Sie den Eintritt
oder das Verbleiben Österreichs in dem deutschen Bundes-
staate wollen und mit allen Kräften erstreben, Sie wissen es
zu würdigen, wieviel von der Meinung abhängt, welche nicht-
deutsche Völkerschaften — ich habe zunächst die österreichi-
schen im Auge — von der Frankfurter Nationalversammlung
hegen; Sie wissen es^ warum ein Teil der Wahlen dort nicht
hat vollzogen werden können, Sie wissen, welche Stimmung
dort herrscht, Sie wissen, wie wenig Gerechtigkeitssinn gegen
andere Nationalitäten man der Frankfurter Nationalversamm-
lung dort zutraut. Ich will nicht untersuchen, ob mit Recht
122
der Unrecht, ich will nicht untersuchen, ob dieses Mißtrauen
auf einem Vorurteile oder auf Tatsachen beruht, ich frage
nur, was wird das Verfahren, welches man uns jetzt gegen
die polnische Nationalität zumutet, für einen Eindruck bei
allen jenen nichtdeutschen Völkern und Stämmen machen, die
(loch einmal an Deutschland angewiesen sind, die mit uns im
engeren oder weiterem Zusammenhange stehen? Kann sich
l>ei ihnen die Überzeugung bilden, daß das deutsche Parla-
ment es mit seiner Erklärung, die fremden Nationalitäten in
ihrem Rechte schützen und achten zu wollen, ernstlich gemeint
habe? Kann diese Überzeugung bei ihnen Platz greifen,
wenn wir solche Dinge, wie diese uns jetzt vorgeschlagene De-
markationslinie enthält, ohne weiteres genehmigen, ohne
näher zuzusehen, auf einen so w'enig motivierten Bericht hin,
auf einen Bericht hin, in welchem die w-ahren Gründe hinter
den Vorwänden zum Teil so deutlich hervorblicken; ja auf
diesen Bericht hin sollen wir ohne weiteres den langsamen, viel-
leicht auch ziemlich schnellen Ruin der polnischen Nationali-
tät beschließen. Denn w^elche Existenz kann und soll diesem
von seinen übrigen Stammesgenossen abgesonderten Bruch-
teile beschieden sein? Zw-ischen Rußland und dem deutschen
Reiche eingekeilt, zu schwach und unbedeutend, um politisch
zu leben und doch nicht reif zum Sterben, muß er ein kümmer-
liches, ein wahrhaft sieches Dasein hinschleppen. Wenn
schon die preußisch-deutschen Provinzen an der russischen
Grenze durch das System der russischen Regierung um ihren
Wohlstand gebracht sind, und von dorther die bittersten Kla-
gen zu uns herübertönen, w-as soll erst aus diesem losgerissenen
Fetzen d-es Großherzogtums werden, der nun auf der einen Seite
die" feindliche Grenze Rußlands hat und auf der anderen die
vielleicht nicht minder feindliche der Deutschland einverleibten
Teile? Was soll eine solche Handvoll Menschen machen, in
welch einen Zustand politisch-nationalen Gedeihens wird die
Handvoll Menschen, welche die neue Linie für. die politische
Organisation ausscheidet, sich zu gestalten vermögen? Denn
123
ihre Zahl wird von dem Herrn Berichterstatter nicht höher an-
gegeben, als auf 300 000.
Schubert (vom Platze) 350 000 !
D ö 1 1 i n g e r: Also 350 000. Das Großherzogtum Posen
enthält aber i 200 000 Seelen. Von diesen i 200 000 Seelen
bleiben also jetzt, als der mit der Reorganisation zu beglük-
kende Teil, 350 000 Seelen; wie soll dieser ein nationales Leben
führen können? Ist es nicht ein wahrer Hohn und Spott,
wenn man ihnen sagt, jetzt ist nichts mehr, was euch in eurer
nationalen Entwicklung stört, jetzt habt ihr volle Freiheit,
euch polnisch zu rekonstituieren? Man geht freilich noch
weiter, man sagt: mit dieser Abscheidung ist der Punkt aus-
gemittelt, von w^o aus sich künftig einmal das polnische Reich
wieder erheben und entwickeln kann ; der Anfang da.zu ist nun
gemacht und unter günstigen Verhältnissen wird das weitere
Wachstum nicht ausbleiben, die so ersehnte Wiederherstellung
des polnischen Reiches wird mit der Zeit von dort ausgehen
können. Ich glaube kaum, daß alle, die das äußern, es im
Ernste meinen; ich glaube auch nicht, daß, wenn wir jetzt
entscheiden über das Geschick des Großherzogtums, wir über-
haupt uns um jene Frage der Wiederherstellung eines polni-
schen Reiches zu bekümmern haben, und w^enn ich von der
Ehre Deutschlands rede, die dadurch gewahrt ward, daß wir
altes Unrecht vergüten, dann denke ich nicht wie andere, meine
Herren, an die Wiederaufrichtung des polnischen Reiches.
Nein, ich verweise diesen Gedanken in das Reich der Träume;
ich sehe keine Möglichkeit zur Verwirklichung, ich glaube
nicht, daß wir verbunden sind, durch irgend einen Grund Rech-
tens irgendwie die Hand zu bieten, ad imposibilia nemo te-
netur. Es scheint nun einmal im Rate der Vorsehung be-
schlossen, daß wenigstens in der nächsten Zeit eine Wieder-
herstellung des polnischen Reiches nicht stattfinden soll; es
müßte sich der Zustand Nordeuropas vom Grunde aus ändern,
es müßte eine Schwächung der russischen Macht eintreten,
zu der vorerst auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit
124
vorhanden ist, es müßte sich selbst die Gesinnung anderer ehe-
mals zu Polen gehöriger Länder ändern, denn wir sehen, daß zum
Beispiel in der großen Masse der Bevölkerung Galiziens keines-
wegs ein Verlangen nach Wiederherstellung eines polnischen
Reiches vorhanden ist, kurz, ich sehe, für die nächste Zukunft,
keine Möglichkeit dazu; also daran denke ich nicht, aber das
meine ich, daß wir schuldig sind, dem Teile der polnischen Na-
tion, der einmal per fas oder nefasmituns zusammenhängt, wahre
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das heißt, Schonung seiner
Nationalität und Gewährung der Mittel, durch welche ihm ihre
Erhaltung und Entwicklung möglich wird. Daß wir ihm also
nicht eine Reorganisation anbieten, die unter solchen Um-
ständen ein bloßer Hohn und Spott wäre; darin suche ich
die von unserer Seite ihnen gebührende Gerechtigkeit, daß wir
die diesem Volke feierlich gegebenen Versprechungen, die mit
ihnen oder wenigstens über sie geschlossenen Verträge nicht
brechen oder brechen helfen. Wahrlich, es ist an diesem un-
glücklichen Volksteile des Wortbruchs schon genug begangen
worden, es ist ihm schon mehr als ein feierlich gegebenes
Wort nicht gehalten, ja das Gegenteil der verbürgten Gabe
aufgedrungen worden, und jetzt sollen wir die Ehre und den
Vorteil Deutschlands darin suchen, daß wir zu einem neuen
Wortbruch die Hand bieten ; denn, bemänteln Sie die Sache wie
Sie wollen, es wird doch wohl nicht geleugnet werden können,
daß es sich um einen neuen Wortbruch handelt. Was ist es, wenn
man dem polnischen Volke die Reorganistion des ganzen
Großherzogtums verspricht, und wenn man dann von
I 200 ooo Seelen 350 000 absondert, um diesen allein die
verheißene, jetzt aber freilich sehr zweideutige Wohl-
tat zu gewähren, den übrigen aber sagt: für euch gilt das
alles nicht; ich meine nämlich jenen Teil der polnischen Be-
völkerung, der nun mit Deutschland einverleibt werden soll,
und von welchem zugestanden wird, daß er die Mehrzahl, und
zwar in doppelter Beziehung, bildet; denn einmal ist die in
dem einzuverleibenden Lande befindliche polnische Bevölke-
125
rung bedeutend zahlreicher als die deutsche, zu dererv Vorteil
die Demarkationslinie gezogen werden soll, dann aber ist sie
auch größer, als die Zahl derer, welche von ihnen abgesondert
für sich bestehen und ihre Nationalität, so gut sie es vermag,
in dem übrig gelassenen Winkel des Landes pflegen soll.
Weiter aber, abgesehen von den Forderungen der Gerechtig-
keit, verträgt es sich dann irgendwie auch nur mit unserem
wohl verstandenem Vorteile, daß eine solche Demarkations-
linie gezogen oder eine solche Zerreißung des Landes nun-
mehr vorgenommen würde? Was können wir uns denn von den
künftigen Zuständen dieses losgerissenen Teiles des Landes
überhaupt vorstellen? Was wird nach aller Wahrscheinlichkeit,
mit Rücksicht auf frühere Ereignisse, was wird in diesem
Stücke des alten Großherzogtums Posen, in diesem sich
nunmehr überlassenen Teile vorgehen? Wir wissen alle: die
sogenannte polnische Emigration ist unverbesserlich ! nie und
durch nichts wird dieselbe von ihren Bestrebungen abgebracht
werdefi können! Von der jetzigen Generation der polnischen
Emigration ist nicht zu erwarten, daß sie jemals Ruhe geben
werde, Unruhe und Verwirrung -/,u stiften und ihre Lands-
leute aufzuwiegeln, sie wird unter allen Umständen ihre Be-
mühungen fortsetzen ! Nun aber wird ein eigener Boden für
dieselben hergerichtet, nämlich diese losgerissenen Teile des
Großherzogtums Posen. Dort wird die Emigration freien
Spielraum haben, dort wird sie ihren Sitz aufschlagen, ihre
Komitees werden fort und fort von da aus die Insurrektion
zu organisieren und die benachbarten polnischen Landesteile
in Gärung zu bringen suchen. Wird sich die russische Re-
gierung dies auf die Dauer gefallen lassen? Wird sie einem
solchen Zustande sich zu befestigen gestatten ? Keineswegs !
Es wird also in nicht langer Zeit die bequemste und will-
kommenste Veranlassung für die russische Regierung sich
ergeben, dort zu intervenieren. Das wären doch auch, glaube
ich, wenn nicht gerade strategische, so doch politische Gründe,
die wohl in Erwägung gezogen zu werden verdienen, und
126
man wird wohl tun, sich gegen eine Eventualität vorzusehen, die
nicht in das Reich d'er Unmöglichkeit gehört; wird etwa die
preußische Regierung in diesem abgerissenen Teile Posens
noch stark genug sein, dergleichen Zustände zu hindern? Die
preußische Regierung wird dort weiter keinen Einfluß haben,
als denjenigen, den die Personalunion gewährt, sie wird nicht
berechtigt sein, mit Truppen und Mitteln ihrer übrigen zu
Deutschland gehörigen Staaten die Herrschaft und das An-
sehen der Gesetze, die Ordnung in jenem Landesteile aufrecht
zu erhalten. Doch es drängt mich, zu jener Seite der Frage,
nach welcher es sich nicht um Gutmachung, doch um möglichste
Milderung eines früheren Unrechtes handelt, mich zurück-
zuwenden. Blicken wir doch zurück, meine Herren, wie es
mit der Einverleibung des Großherzogtums Posen in Preußen
ülierhaupt gegangen ist! Denken wir doch darum an jenes
Ereignis zurück, um zu sehen, was unsere Pflicht in den
gegenwärtigen Verhältnissen sein darf? Ob wir irgendwie
berechtigt sind, zu einer Maßregel wie diese Zerstücke-
lung vermittelst der Demarkationslinie ist, die Hand zu bieten?
Es ist hier nicht gesagt worden, soviel ich mich erinnere, und
es ist doch eine historische Tatsache, daß der Vorwand zur
Einverleibung des Großherzogtums Posen in den preußischen
Staat von Seite der Polen dargeboten wurde, durch jene Ver-
fassung, die sie sich im Jahre 1791 gaben, eine Verfassung,
die damals von dem gebildeten und intelligenten Teile Europas
bewundert wurde, von der ein großer Staatsmann, Burkc.
sagte: ,,Sie sei die reinste öffentliche Wohltat, die jemals der
Menschheit gelxDten worden sei." Dieselbe Verfassung, die
wie auch deutsche Geschichtsschreiber sagen, das einzige Mittel
Avar, um Polen zu retten, ihm in Europa eine Stellung zu geben,
wurde von der preußischen Regierung als Vorwand benutzt,
um diesen Teil des polnischen Reiches, das Großherzogtum
Posen, an sich zu reißen. Alles, was die Polen damals taten,
um ihre Verfassung zu verbessern, und die alten Sehärkn zu
heilen: die Abschaffung des Wahlrechts, die Verwandlung der
127
Republik in eine erbliche Monarchie, die Erhebung der Städte
und des Landvolkes; das alles wurde in öffentlichen Mani-
festen der preußischen Regierung ihnen als Attentate ange-
rechnet, als für die Wahrung der Sicherheit des preußischen
Staates gefährlich, und dem Gifte dieser Neuerungen, hieß
es, müsse durch Einverleibung der benachbarten polnischen
Provinzen in den preußischen Staat begegnet werden. Der-
selbe König von Preußen, der die Polen beglückwünscht hatte
bei dem ersten Erscheinen ihres Verfassungsentwurfes, der-
selbe König, der mit ihnen ein Schutzbündnis geschlossen
hatte, erklärte nachher, er erkenne dies nicht mehr an, weil
das Bündnis geschlossen sei mit einer Rupublik, und diese sich
aber nunmehr in eine erbliche Monarchie verwandelt habe.
Die Polen, hieß es, wie in dem sogenannten Friedensschluß
von Grodnow vom Jahre 1793 gesagt ist, hätten sich verderb-
lichen Neuerungsgelüsten hingegeben und gefährdeten dadurch
die Sicherheit des preußischen Staates, und es müsse der
preußische Staat der Ansteckung seiner Untertanen durch die
Jacobinischen Grundsätze zuvorkommen. (Stimmen: Hört!
hört !) Das waren die Umstände unter denen die Einverleibung
des Großherzogtums Posen in die preußischen Staaten er-
folgte, und nun sollen wir die Erbschaft der auf solche Weise
gebildeten Verhältnisse nicht bloß antreten! nein! wir sollen
auch auf altes Unrecht ein neues Unrecht, nämlich das einer
letzten Zerstückelung Polens und einer systematischen Auf-
lösung der polnischen Nationalität häufen? Der polnischen
Nationalität, sage ich, denn was geschieht? — Die Polen in
Posen werden wie ein Wurm in zwei Stücke zerrissen ; nach
der einen Seite hier, der deutschen, werden 500 000, nach
der andern 350000 geworfen; sie werden voneinander
losgerissen, um sich und ihrer Nationalität keine wechselseitige
Hilfe leisten zu können, der eine Teil soll dem anderen ent-
fremdet werden — divide et impera (teile und herrsche) ! da-
mit die deutsche Bevölkerung, die ohnehin mannigfach von ihr
abhängige polnische noch mehr bedrücke und ihre Herrschaft
128
iingeirrt befestigen möge, muß die polnische Nationalität dort
zerstückelt werden; dem einen kleineren Teile aber bietet man
ein Trugbild der Reorganisation dar. Welches Los dem an-
deren Teile bereitet sei, wird nicht gesagt. Freilich werden
sie ja auch die deutschen Grundrechte haben, wenn sie nämlich
dort eingeführt werden, sie werden ja auch der Wohltaten der
neuen preußischen Verfassung teilhaft werden! — möglich — !
ich sage möglich! — so möglich wie es auch in Irland an
sich möglich wäre, daß das Volk dort seinen vollen Anteil an
den Rechten und Wohltaten der englischen Verfassung emp-
finge und genösse; aber leider ist die Möglichkeit noch keine
Wirklichkeit geworden, weil eben die eine herrschende und
bevorzugte Nationalität dort Mittel genug in Händen hat, um
den Gleichgenuß von Rechten und Freiheiten der anderen Na-
tionalität zu hindern und zu verkümmern. Und in welchem
Grade dies gegenwärtig noch in Irland der Fall sei, welche
Zustände noch jetzt dort bestehen, wissen wir ja alle. Hüten
wir uns alle, daß Deutschland nicht ein neues Irland an seiner
Nordgrenze erhalte ! hüten wir uns, daß in jenem Landesteile
nicht ein Zustand eintrete, wie wir ihn auf jener Insel sehen !
durch eine solche Gewalttat, wie sie in der Zerreißung eines
von jeher enge vereinigt gewesenen Landes vermittelst der
Demarkationslinie liegt, erzeugen Sie bei der polnischen "Be-
völkerung eine bittere Stimmung, wenn und wo sie noch nicht
vorhanden ist ; oder wenn sie vorhanden ist, so werden Sie die-
selbe erst recht befestigen und kräftigen. Was werden dann
die Folgen sein? Was werden sich da für Zustände bilden?
Wir haben in Irland gesehen, was es für Folgen hat, wenn
unter solchen Kämpfen friedlicher Stämme das Institut
der Schwurgerichte eingeführt wird; dann wird es fast zur
Regel, daß eine aus Personen einer Nationalität gebildete Jury
die Angeklagten der anderen Nationalität verurteilt. Dann ist
es äußerst schwierig, einen unparteiischen Urteilsspruch zu
erhalten, weil der tiefe Haß der beiden Nationalitäten gegen-
einander das Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte. Könnte es
BergstrHßer I. , 12i)
nicht auch in Posen dahin kommen, welche Stimmung wird
sich der dortigen polnischen Bewohner bemächtigen, wenn sie
sehen, daß ihnen zwar eine Menge von Rechten und Frei-
heiten auf dem Papier angeboten sei, daß sie sich aber faktisch
in der Unmöglichkeit befinden, diese lockenden Früchte sich
anzueignen, l'nd so bestätigt sich w^ieder, w^as ich bereits gel-
tend zu machen suchte: nicht bloß unser Gerechtigkeitsgefühl,
nein, auch unser wohlverstandener Vorteil, unser eigenes In-
teresse als Deutsche fordert von uns, daß wür zu einer Maßregel,
wie die uns vorgeschlagene ist, nicht die Hand bieten. Nein,
meine Herren, ich weiß keine Demarkationslinie aufzufinden,
welche auch nur einigermaßen dem Gebote der allergewöhn-
lichsten Gerechtigkeit entsprechen könnte. Wie tief die jetzt
vorgeschlagene, nunmehr dritte, Demarkationslinie in das
Fleisch des polnischen Landes einschneidet, zeigt uns ja ein
Blick auf die Karte. Lassen wir uns, meine Herren, durch
alle die bisher geltend gemachten Gründe nicht bestimmen,
eine solche Demarkationslinie anzunehmen, und damit zugleich
vorhinein alles das zu sanktionieren, was dann als notwendige
und unabweisbare Folge einer solchen Maßregel sich anschließen
muß. Denn wenn dort ein Schlag nach dem andern erfolgt,
wenn alle von dort kommenden Nachrichten uns zeigen, daß
nichts zur Versöhnung geschieht, daß die Erbitterung immer
höher steigt und die Unzufriedenheit der Masse mit den dor-
tigen Zuständen immer bedrohlicher, nicht bloß für Preußen,
auch für Deutschland wird, was werden wir dann sagen, mit
welchem Gefühl der Reue müßten wir dann auf dieses unser
Werk zurückblicken? Denn diejenigen, welche glauben, es
sei damit, daß man ein Stück von Posen losreiße und es außer
Berührung mit den übrigen setze, dem konservativen Interesse
ein Dienst geleistet, möchten sich sehr irren. Ich glaube, der
Erfolg der Wahlen in Posen zeigt uns jetzt schon, welche Ge-
sinnung unter der einverleibten oder vielmehr einzuverleiben-
den polnischen Bevölkerung herrscht, und je mehr Sie diesell)c
erbittern, je mehr vSie zeigen,, daß für sie keine Gerechtigkeit
130
slatttindcn soll, desto jp-oßeren Vorschub fjewähren Sie deif
l-iestTobfimgen der dorti|»cn Anardiisten, desto sicherer wird!
«las polnische Volk die Beute derer werden, welche es auf den
ITmstirrz der pr6ußischea MotiaTcliie oder auf mehr noch abg^e-
scTien liaben. Ms scheint mir also, meine Herren, der von
>{errn Ostcrrat'h und Genossen gestellte Antrag unter den g^e-
1,'enwäTtigen Umständen derjeni-gc zu sein, welcher unserer,
■-^telkinj^ und den an uns zu machenden Anforderungen noclv
am meisten entsprechen kann, dem wir daher mit gutem' Ge-
wissen unser-e Zustimmung greben können. Mir scheint, es
bleibt nichts anderes übrig, als die Hand dazu zu reichen, daß
(las ganze Großherzo^tum Posen mit dem Deutschen Reiche
verbunden werde. Keine Demarkationslinie! Die strategischen'
(Vünde müssLMi mit weit mehr Gewicht dafür sprechen, daß
das ganze j.and Deutschland einverleibt werde, und nicht ein
'Peil desselben als Herd von Intriguen und fortwährender Un-
zufriedenheit an der Grenze gelassen werde. Lassen Sie uns
vom dem Prinzip, auf dem wir ja selbst mit ganzer Existenz
beruhen und welches wir immer vorangestellt haben, daß näm-
lich der VolksAville entscheiden solle, nicht auf so flagrante
Weise abgehen; lassen Sie ims in Bezug auf Posen keinen Be-
schluß fassen, welcher sich über jenes Prinzip gänzlich hin-
wegsetzt; denn das heißt nicht nach dem Prinzip, daß der
\'olkswille das oberste Gesetz sein soll, handeln, wenn wir nur
dem einen (deutschen) Teile Gehör geben, dem andern aber,
dem polnischen, das mfdringen, was ihm das verhaßteste ist.
Man hat es ehemals, zur Zeit Ludwigs XIV. als ein Zeichen
OS französischen Übermutes ausgelegt, daß der französische
( icsandte zu den Holländern sagte: Wir werden verhandeln bei
euch und ohne euch! Und was anderes ist denn jetzt in Po-
rKMi geschehen? Was haben denn die dahin gesandten Reichs-
kommissärc anderes getan? Man hat verhandelt bei den Po-
len, über die Polen und ohne die Polen! (Beistimmung von
einigen Seiten. — Stimmen auf der Rechten: Oh! oh!) Daß
sie. wie auch im Berichte bemerkt ist, sich an diesen Verhand-
131
lungen nicht beteiligten, war ganz natürlich und wird uns für-
wahr nicht, wundernehmen, wenn wir bedenken, daß es doch der
polnischen Nation am wenigsten zugemutet werden kann, auf
das der Demarkationslinie zugrunde liegende Prinzip der Tei-
lung einzugehen. Hätten sie dies getan, so würden sie ja da-
mit die Berechtigung zu einer solchen, den völkerrechtlichen
Verträgen offenbar zuwiderlaufenden Zerreißung anerkannt
haben. Ich muß gestehen, wenn ich Pole wäre, so würde ich
mich entschieden dagegen verwahren, und zwar sowohl im. In-
teresse der Nationalität und alles dessen, was mir wert und
teuer ist, als im Interesse der Aufrechterhaltung längst ge-
schlossener Verträge. Also, meine Herren, lassen Sie uns
unter allen Umständen und vor allem nach dem Prinzip der
Gerechtigkeit handeln. Es ist die Lage der Dinge jetzt eine
andere, die Gesinnungen sind wohl auch jetzt andere als da-
mals, wo die Posenschen Stände mit sechsundzwanzig gegen
siebzehn Stimmen die Einverleibung des ganzen Landes in
den deutschen Bundesstaat ablehnten. Damals dachte diese
Majorität nicht daran, daß man statt der Einverleibung des
ganzen nur die des größeren Teils, und zwar ohne ihre Einwil-
ligung beschließen und ausführen würde. Die Sache steht
jetzt so, daß die Polen nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln
haben, wenn ich nämlich vom Standpunkte der polnisch-natio-
nalen Ansicht aus reden soll. Mögen sie damals jede Einver-
leibung als ein Übel betrachtet haben, jetzt werden sie dieselbe,
falls sie nur das ganze Land und die gesamte Bevölkerung um-
faßt, als das kleinere Übel und folglich als ein relatives Gut
dem größeren, nämlich der teilweisen Einverleibung, und der
daraus hervorgehenden Zerstückelung ihres Landes vorziehen,
und willig zu jener die Hand bieten.
132
Katholische
Agitation und Vereinsbildung
(1848— 1849)
A
Belehrung über den katholischen Verein
des Erzbistums Freiburg
. Es gehört zu dem Wesen der katholischen Kirche, daß sie,
obwohl die Leitung derselben verfassungsmäßigen Obern, in
der ganzen Kirche dem Papst, in jedem Bistum dem Bischof
übertragen ist, zur Besorgung vielartiger kirchlicher Anliegen
die Bildung von Genossenschaften und Vereinen billigt und
begünstigt.
Solche Vereine sind notwendig, einmal, um die Anord-
nungen der kirchlichen Obrigkeiten im Volke zur lebens-
vollen Übung zu bringen, sodann, weil viele religiöse Zwecke
sich nur verwirklichen lassen, wenn sich viele dazu freiwillig
verbinden: solche Vereine sind nützlich, weil viele gute Werke
gar nicht zur Ausführung kämen, wenn nicht viele für die-
selben zusammenständen: solche Vereine sind erlaubt, weil
sie keinerlei Rechte anderer verletzen, nicht die der kirch-
lichen Obrigkeit, nicht die der weltlichen Obrigkeit, nicht die
Andersgläubiger.
Diese Vereine sind aber ganz besonders in Zeiten notwendig
und nützlich, wo ein plötzlicher Umsturz den ganzen öffent-
lichen Zustand verändert hat. Unmöglich kann das Volk mit
seinem Urteil sich in einer solchen Lage rasch zurecht finden ;
es entstehen verworrene Begriffe, das Volk wird die Beute
schlauer Verführer.
So ist es in Deutschland, vor allem in Baden,
133
In solchen Zeiten ist es die Pfliclit redlicher, gottesfürch-
tiger Freunde des Volkes, dasselbe zu belehren, zu leiten.
In dem Bewußtsein dieser Pflicht haben einige dem katho-
lischen Volke wohlbekannte Männer, wie v. Andlaw, Büß und
andere die Stiftung des katholischen Vereins in dem Erzbis-
tum Freiburg mit ausdrücklicher Genehmigung unsers hoch-
würdigsten Herrn, Erzbischofs unternommen, um einerseits
Gefahren abzuwehren, welche die Änderung unserer Zustände
den Katholiken bringen könnte, und um andererseits Güter
zu erlangen, welche das katholische Volk schon längst ersehnt
hat, und die es jetzt erlangen kann, wenn es nur will.
Diese Gefahren kann aber nur die vereinte Kraft der Katho-
liken abwehren, diese Güter nur ihre gesammelte Anstrengung
erringen.
Welches sind diese Gefahren?
Bekanntlich hat die Regierung allgemeine Religionsfreiheit
und die Gleichstellung der Nichtchristen mit den Christen in
bürgerlichen und politischen Rechten zugesagt und der Land-
tag sie beschlossen; darnach darf jeder sich eine Religion
machen, welche er will, und bleibt dennoch zur Verwaltung
von Staats- und Gemeindeämtern fähig; sonach können Ju-
den und Heiden und völlig Ungläubige die Leitung des katho-
lischen A^olkes in ihre Hände bekommen.
Das will aber das katholische Volk nicht.
Es ist zu befürchten, daß diejenigen, welche von dem rö-
misch-katholischen Glauben abfallen, dennoch einen Anteil an
dem den römisch-katholischen Gemeinden gehörenden Kir-
chen-, Schul- und vStiftungsvermögen ansprechen und erlangen
werden.
Das will aber das katholische Volk nicht.
Es ist zu befürchten, daß die gemischten Schulen errichtet
werden, in welchen die Kinder der Katholiken mit den Kin-
dern Andersgläubiger zugleich unterrichtet werden, wodurch
die katholische Erziehung geschädigt wird.
Das wdll aber das katholische \'olk nicht.
134
Ks ist zu hcfürcliten, daß andere gemischte Anstalten, zum
Beispiel Waisenhäuser, für die Angehörigen verschiedenen
(ilau4)ens errichtet werden, welche dann nicht in katholischer
Richtung geleitet werden, wodurch die Jugend ihrem" (ilauben
entfremdet ward.
Das will aber das katholische \ olk nicht.
Was will aber das katholische Volk?
iCs will seinen katholischen (jlauben, seine katholischen Schu-
len, seine katholischen Stiftungen und seine katholischen An-
stalten unverniischt für sich behalten.
Das katholische \'olk will in dem Glauben seiner Väter leben
und sterben, und denselben als den kostbarsten Schatz und die
alleinige Gewähr der ewigen Seligkeit und der irdischen Wohl-
fahrt unverkümmert auf seine Kinder vererben ; das katholische
A'olk will, daß die Kirche Gottes von dem Papst und den
Bischöfen und von keinem anderen regiert werde, daß die Ka-
tholiken alles tun dürfen, was ihnen ihr heiliger Glaube ge-
bietet und alle Stiftungen und Anstalten gründen dürfen, durch,
welche die Sendung der Kirche gefördert wird, ohne daß die
Rechte anderer verletzt werden.
Die Katholiken wollen also hVeiheit der Kirche und der
Schulen, des Glaubens und des Unterrichts.
Die oben ausgesprochenen Gefahren will nun der katholische
\'erein abwehren, die erwähnten Güter erstreber).
Man beruft sich jetzt in allen Dingen auf den Willen des
\'olkes. Gut! Das katholische Volk will, soll sich aussprechen.
Ks spricht sich aus durch den Verein.
So ist dieser A^erein streng katholisch, notwendig, nützlich,
erlaubt, von der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit nur zu
billigen.
Seine Stiftung war geräuschlos und einfach: ebenso soll
seine Verbreitung sein. Man macht in jeder Gemeinde ein Ver-
zeichnis mit der Aufschrift: ,, Verzeichnis der Mitglieder
(Männer imd Frauen) des katholischen Vereins des Erzbis-
tums Freiburg für die Erhaltung des römisch-katholischen
Glaubens, für die Freiheit der Kirche, für die Erhaltung des
katholischen Kirchen-, Schul- und Stiftungsvermögens, für die
Freiheit des Unterrichts und die fortdauernde Verbindung
der Schule mit der Kirche."
Auf diese Listen zeichnen sich die Beitretenden ein.
Hat sich eine genügende Anzahl, und seien es auch nur zwan-
zig, gemeldet, so wählen sie einen Vorsteher und einen Schrift-
führer für den Ortsverein: die Namen der Gewählten und das
Verzeichnis der Mitglieder wird dann an den Vorstand des
katholischen Vereins in Freiburg eingeschickt.
Der Verein soll aber um so schneller ins Leben treten, als
er sich mit Eingaben um die Verleihung der Freiheit der
Kirche und der Schule und um Gewährleistung des katho-
lischen Kirchen-, Schul- und Stiftungsvermögens an die
Reichsversammlung in Frankfurt wenden soll, welche diesen
Gegenstand bei der Beratung der Grundrechte des deutschen
Volkes schon in kürzester Zeit verhandeln wird;
Auf diesem Wege ist der Verband zwischen dem Gesamt-
verein und den Ortsvereinen einfach vermittelt. Der Gesamt-
verein bringt seine Entwürfe zur raschen Ausführung, die
Ortsvereine finden in dem Vorstand des Hauptvereins die
Quelle verlässigen Rats und sicherer Unterstützung in allen
Anliegen des kirchlichen und des öffentlichen Lebens, Der
Geist brüderlicher Gemeinsamkeit, ausgleichender tätiger
Liebe tritt im vielfordernden Leben unter Gottes Segen anp
Werk.
Durch den Verein seid ihr, Katholiken des Erzbistums, eine
siegreiche Macht, in der Vereinzelung seid ihr schwach und
verlorne Trümmer. Wählt.
(Aus: F. J. Büß, Der katholische Verein, S. 133^
136
B
Petitionen
,,H o h e R e i c h s V e r s a m m 1 u n g" 1 *)
In der gegenwärtigen Zeit, wo das Streben nach Freiheit
das ganze deutsche Volk durchdringt, entbehrt die katholische
Kirche noch jener Freiheit, in welcher allein sie ihre hohe Sen-
dung erfüllen kann. Obwohl w^ir nun überzeugt sind, daß die
hohe Reichsversammlung in eigener Ehrung des Rechts den
christlichen Kirchen die ihnen gebührende Freiheit gewähren
werde, so halten wir dennoch im Hinblick auf den traurigen
Druck, der lange auf der katholischen Kirche in den deutschen
Landen gelastet, und auf vielseitige Hemmung derselben in
ihrer Wirksamkeit, es für notwendig, als treue Söhne unserer
heiligen Kirche, die hohe Reichsversammlung unter An-
schließung an die von dem Vorstande des katholischen Vereins
Badens in Freiburg im Juli dieses Jahres eingereichte Eingabe
in diesem Betreff zu bitten, gerechtest auszusprechen:
1. Die bürgerlichen und politischen Rechte jedes Christen
sind unabhängig von seinem religiösen Bekenntnisse.
2. Alle christlichen Bekenntnisse genießen der gleichen
Freiheit und des gleichen Schutzes.
3. Jede Kirchengemeinschaft ist in ihren kirchlichen und
religiösen Angelegenheiten, in Lehre, Gottesdienst,
Verfassung, Anstellung ihrer Geistlichen, Kirchen-
zucht, Verwaltung ihres Vermögens frei und unab-
hängig.
4. Die Staatsregierung wird sich nie und unter keinem
Vorwand in die kirchlichen Angelegenheiten irgend
einer Kirchengemeinschaft einmischen.
5. Die Verordnungen und Erlasse der kirchlichen Behörden
aller Kirchen unterliegen keiner vorgängigen Staats-
genehmigung.
*) Büß, s. 135.
137
6. Das freie Versammlungs- und \^ereinsrecht gilt auch auf
dem religiösen Gebiet für alle Kirchengemeinschaften.
7. Jede Kirchengemeinschaft hat das Recht, A^ermögen
zu erwerben und es frei und selbständig zu verwalten
und zu verwenden.
8. Alle bestehenden und wohlerworbenen Eigentums-
und Vermögensrechte der einzelnen Kirchengemein-
schaften sind unantastbar.
9. Jedem dazu befähigten .Staatsbürger, wie allen recht-
mäßig bestehenden (jemeinden, Körperschaften und
Kirchengemeinschaften steht es frei, Schulen zu er-
richten und Unterricht zu erteilen.
10. Jeder Familienvater darf seine Kinder nach seiner
Wahl den iluu beliebigen niedern und höhern Schulen
anvertrauen. Es gibt keinen Zwang zum Besuch ge-
wisser Unterrichtsanstalten. Bei öffentlichen Anstel-
lungen entscheiden bloß dieKenntnisse und Fähigkeiten,
wo und aufweiche Art dieselben erworben sein mögen.
11. Die bestehenden Schulen und Schulstiftungen der
Kirchengemeinschaften dürfen ihrem Zweck nicht ent-
fremdet werden.
Wir erkennen in unserer heiligen Kirche die Gewähr unse-
rer ewigen Seligkeit und der zeitlichen Wohlfahrt. Wir wollen
die Freiheit, in unserem heiligen, uralten Glauben zu leben und
zu sterben, und wie derselbe überliefert wurde, ihn auch auf
unsere Kinder zu ihrer Beseligung zu überliefern. Freiheit der
Kirche, Freiheit der Schule, sind die Grundlagen jeder Frei-
heit: sie müssen es vor allem sein bei dem geistigsten, sittlich-
sten, frömmsten aller Völker, bei den Deutschen.
(Ortsnamen) im Großherzogtum Baden, den 13. August 1848.
Im Namen des katholischen Vereins daselbst mit (so und so
vielen) Mitgliedern:
Der Vorstand
N. N.
N. N., Schriftführer.
138
c
,,11 oh c 1\ c Ichs V e r s a rn m 1 u n g" ! *)
Bitte des katholischen Ortsvereins in N. N. im Groü-
herzogtum Baden die Erläuterung des in der fünfund-
siebzigsten Sitzung der Reichsversammlung am ii.
dieses Monats beschlossenen § 14 des Art. TU der Grund-
rechte betr. — eventuell Verwahrung gegen den in
diesem J\iragraphen enthaltenen Beschluß.
Hochdieselbe hat nach ernsten und langen Verhandlungen
durch ihre Beschlußfassung in der fünfundsiebzigsten Sitzung
am II. September den § 14 der Grundrechte des deutschen
\'olks gefaßt, wie folgt:
.Jede Religionsgesellschaft (Kirche) ordnet und verwaltet
ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber, wie jede andere
(lesellschaft im Staat, den Staatsgesetzen unterworfen.
Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte
durch den Staat. Es besteht fernerhin keine Staatskirche.
Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Aner-
1 rnnung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht."
Untersuchen wir nun den ersten Satz, offenbar den wichtig-
sten, so scheint es. sollten wir glauben dürfen, derselbe ge-
währe den Katholiken alles, w^as sie begehrt haben ; denn wenn
eine Kirche selbständig, als sie selbst, unabhängig vom Staat
und von jedem Dritten, ihre Angelegenheiten, das heißt ihre
sämtlichen kirchlichen Angelegenheiten ordnen, das heißt ur-
sprünglich feststellen, und dann selbständig verwalten, das
heißt gemäß der eigenen ursprünglichsten Anordnung unab-
hängig vom Staat und von jedem Dritten ausführen und voll-
ziehen darf, so ist offenbar die Freiheit der Kirche ausge-
sprochen.
Auch der zweite Teil des ersten Satzes: Die Kirche bleibt
aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen
unterworfen, zerstört die Auslegung des ersten Satzes zu-
*) Büß, s. 141. ~^
130
gunsten der Freiheit der Kirche nicht; denn die Kirche will
nur in religiösen Dingen frei sein; in bürgerlich-rechtlicher,
in polizeilicher, in staatsrechtlicher» Beziehung unterwirft sie
sich willig den Gesetzen des Staates, wie jede andere Körper-
schaft, wie jeder andere Bürger; zum Beispiel sofern sie
Eigentum hat, befolgt sie willig die Bestimmungen des bürger-
lichen Gesetzbuches über das Eigentum. Gerät sie in einen
Rechtsstreit über dieses Eigentum, so unterwirft sie sich den
Gerichten des Staates und den Bestimmungen des bürgerlichen
Gerichtsverfahrens. Ordnet zum Beispiel die Polizei im Staat
in ihrer Sorge für die öffentliche Gesundheit an, daß die Grab-
stätte der Menschen von den Wohnungen der Lebenden ent-
fernt liege, so gehorcht die Kirche, und versagt das Begräbnis
in und in der Nähe der Kirche.
Gewährt zum, Beispiel die Staatsverfassung eines- Landes
der Kirche eine landständische Vertretung, so entscheidet über
diese die Gesetzgebung des Staats.
Also in privatrechtlicher, polizeilicher und staatsrechtlicher
Beziehung unterwirft sich die Kirche den Gesetzen des Staates.
Hingegen in allen religiösen Verhältnissen, sonach im Kreis
der Lehre, des Gottesdienstes und der Leitung der Kirche,
bedarf und fordert die Kirche unbedingte Freiheit, Selbständig-
keit und Unabhängigkeit vom Staat.
Unterwirft sich nun die Kirche, wie jede andere Gesell-
schaft, wie jeder Bürger in privatrechtlicher, polizeilicher und
staatsrechtlicher Beziehung den Gesetzen des Staates, so ist sie,
wie es sich von selbst versteht, denselben auch nicht anders,
als jeder Bürger, als jede Gesellschaft im Staat unterworfen,
das heißt sie unterliegt keinen Ausnahmegesetzen, nämlich sie
will nicht wenigere und nicht andere Rechte im Staat genießen,
als andere Bürger und Gesellschaften im Staat genießen; sie
will nicht mehrere und andere Pflichten im Staat übernehmen,
als andere Bürger und Gesellschaften im Staat übernehmen.
Die Kirche fordert hier nur die Gleichheit vor dem Gesetz.
Es läßt sich nicht leugnen, diese unsere Auslegung des ersten
140
itzes des § 14 tut dem Wortlaut desselben, wenn man den Satz
für sich und vereinzelt betrachtet, keinen Zwang an, und in-
sofern wären wir Katholiken in allen unsern dcßfallsigen Be-
gehren zufrieden gestellt, und der hohen Versammlung zu freu-
digem Dank verpflichtet.
Allein, vergleichen wir den Satz mit den in Hochderselben
gestellten Anträgen auf verwandte Fassung, welche verworfen
worden sind, so erwacht in uns die ernste Besorgnis, d^ß unsere
Auslegung nicht die der hohen Versammlung ist.
Denn warum hätte sie sonst das erste Minderheitsgutachten,
welches das Auszudrückende deutlicher ausdrückt und nicht
weiter geht, als die jetzt angenommene Fassung, mit 357 Stim-
men gegen 99 verworfen ! Dieses erste Minderheitsgutachten
lautet: ,,Die bestehenden und die neu sich bildenden Religions-
gesellschaften sind als solche unabhängig von der Staatsgewalt
und verwalten ihre Angelegenheit selbständig."
Die Fassung ist viel deutlicher, als die angenommene ; denn
nach ihr sollen die Religionsgesellschaften nur als solche, das
heißt nur als religiöse von der Staatsgewalt unabhängig sein,
während sie in jeder andern Eigenschaft von ihr abhängig sein
sollen.
Warum hätte die Versammlung sonst die von dem Herrn
Abgeordneten Zachariä und Genossen beantragte Fassung ver-
worfen, welche lautet: ,,Die bestehenden und neu sich bilden-
den Religionsgesellschaften, ordnen und verwalten ihre Ange-
legenheiten selbständig und unabhängig von der Staatsgewalt."
Aus der geschehenen Verwerfung dieser beiden Anträge
scheint hervorzugehen, daß man die angenommene Fassung
so auslegen müsse: Jede Religionsgesellschaft ordnet und ver-
waltet ihre Angelegenheiten selbständig, ist aber darin den
Staatsgesetzen unterworfen. Darnach wäre die Selbständig-
keit der Kirche allerdings die Regel. Allein sie wäre be-
schränkt durch die jeweiligen kirchliche Angelegenheiten be-
treffenden Gesetze der Staatsgewalt als eben so viele Ausnah-
men ; es müßte allerdings immer die Selbständigkeit der Kirche
141-
vermutet werden; in jedem 1^'alle aber, in welchem das Dasein
eines Staatsgesetzes über ein kirchliches Verhältnis bewiesen
würde, würde dieses letztere gelten. Durch diese Annahme
allein kommt Sinn und Zusammenhang in die verschiedenen
Abstimmungen der hohen Versammlung, leider aber auch die
Kirche um die ihr von Gott und Rechtswegen gebührende
Freiheit.
Daß diese betrübende Auslegung allein die richtige ist, das
zeigt auch die Verwerfung solcher Anträge, welche, wenn sie
angenommen worden wären, die wahre Freiheit der Kirche
allein gesichert hätten.
So wurde der Antrag verworfen, welcher lautet: ,,Die Be-
stellung von Kirchenbeamten bedarf keiner Bestätigung vom
Staat".
Diese Verwerfung verletzt die Freiheit der katholischen
Kirche, weil sie die Befugnis der Ernennung der Pfarrer den
Kirchenobern benimmt, welche doch die Verantwortlichkeit
für deren Leitung der (lemeinden tragen.
Ferner wurde der Antrag verworfen, welcher forderte: ,,Die
Bekanntmachung kirchlicher Erlasse ist nur denjenigen Be-
schränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffent-
lichungen unterliegen."
Durch die Verwerfung dieses Antrages ist der Freiheit der
Kirche die tiefste Wunde geschlagen. Das Placet, diese fluch-
würdige Fessel der gottgebotenen Wirksamkeit der Oberhirten
der Kirche in Verkündigung des Wortes Gottes, ist dadurch
wieder aufs neue der Kirche Gottes angelegt. In einer Zeit,
in welcher gemäß der in Deutschland geltenden unbedingten
Rede-, Schreib- und Druckfreiheit selbst jeder sittlich Ver-
worfene ungehemmt zum Volk sprechen darf, ist das pflicht-
gebotene Wort, das freie Gebot der Oberhirten an dreißig Mil-
lionen Deutsche gesperrt.
Durch die Verwerfung des Antrags des Herrn Abgeordneten
Nagel, welcher forderte: ,, Jeder Religionsgesellschaft wird der
Besitz und die freie Verwaltung ihres Vermögens, sowie ihre
142
'ür (jottesdienst-, Unterrichts- und Wohltätij^keitszwecke l)c-
iinmten Anstalten gewährleistet", hat die hohe Versammlung-
nicht bloß die Freiheit der Kirche, welche auch in der Selbst-
verwaltung des Vermögens sich betätigt, sondern durch die
Nichtgewähr des Besitzes des Kirchenvermögens selbst die
wohlerworbenen Rechte der Kirche verletzt, ja den Rechtsbe-
griff selbst gebrochen, und zugleich den Weg zur Erleichterung
einer die ganze sittliche Mächtigkeit der Nation zerklüftenden
^L'ktenbildung gebahnt. Bis jetzt hat das alte gute Re^ht be-
>iimmt, daß bei dem Abfall eines Teils der Gemeinde von ihrem
(ilauben der dem alten Glauben anhängig bleibende Teil, und
wäre er auch die Minderheit, das ganze für Gottesdienst, Unter-
richt und Wohltätigkeit gestiftete Vermögen der Pfarrei
behalte und nichts davon an die Ausscheidenden abzugeben
habe.
Wir hätten es für um so würdiger erachtet, diese Gewähr des
Besitzes und der Verwaltung des kirchlichen Vermögens der
Kirche in der Reichsverfassung zu geben, als dadurch das bloß
aus menschlicher Hoffart erwachsende Gelüst zur Sekten-
wucherung gezügclt wird, welches bald verglüht, wenn es mit
Geldopfern seinen Scheinglauben nähren soll, und welches nur
die Einheit unserer Nation vergiftend wegzehrt. .
Wenn nun der Kirche die Selbstbestellung ihrer Priester.
lie freie Ansprache der Oberhirten an das Volk, die Selbst-
verwaltung und sogar das Anrecht ihres Vermögens abge-
sprochen wird, was erübrigt denn noch von der im ersten
Satz des § 14 durch die hohe Versammlung den Kirchen ver-
heißenen Selbständigkeit in der Anordnung und Verwaltung
ihrer Angelegenheiten ? Wahrhaft der Schatten eines Schattens,
'!er, Schein eines Scheins; es träte ein Zustand der Kirche ein,
\iel, unendlich viel schlimmer, als der gegenwärtige; darin läge
aber die fruchtbare Saat eines verewigten Streites zwischen
der Kirche und dem Staat.
Die Kirche würde sich an den ersten Satz des § 14 halten, der
von der Selbständigkeit der Kirche spricht, der Staat dagegen
143
an den zweiten Satz, der die Unterwürfigkeit der zur er-
niedrigenden Gleichstellung mit jeder andern Geselllschaft
im Staate herabgewürdigten Kirche unter den Staat ver-
kündet.
Da nun jeder Teil auf das neu gefestete Recht sich beruft
und berufen darf, so wird der Kampf verheerender, denn je,
entbrennen, und die arme Nation wird zuletzt den herben Scha-
den schwer entgelten.
Wir wollen gern glauben, daß durch die Verwerfung des
Nageischen Antrags die hohe Versammlung den darin liegenden
wohlbegründeten Rechtsschutz nicht habe aufheben wollen, wie
sie ihn denn auch nicht aufzuheben vermag, sondern daß sie le-
diglich diese Gewähr als überflüssig erachtet habe; allein Hoch-
dieselbe möge uns die Bemerkung erlauben: in einem Reichs-
grundgesetz, das sich herabläßt, so viele oft sich von selbst ver-
stehende Kleinigkeiten zu gewährleisten, scheint es wohl der
Mühe wert gewesen zu sein, die Gewähr des Vermögens der be-
stehenden Kirchen auszusprechen, der Kirche zur Förderung,
welche, wenn sie auch in den Himmel ragt, und im Wort Gottes
wurzelt, doch, um den schwachen Menschen zu nahen,
sich in irdische Verhältnisse einlassen und auf Eigentum
siedeln muß, sodann dem Recht zu Ehren und dem Willen
der sich und ihr Gut Gott aufopfernden Stifter zum ewigen
Danke.
Die Gefahr des Kampfes zwischen Staat und Kirche wird
aber dadurch noch gesteigert, daß der von der hohen Versamm-
lung angenommene Beschluß: „Neue Religionsgesellschaften
dürfen sich bilden, einer Anerkennung ihres Bekenntnisses
durch den Staat bedarf es nicht," die Zahl der Sekten,
welche jetzt den alten Kirchen gleichgestellt sind, und
sonach die in den Streit Verflochtenen nur zu mehren ge-
eignet ist.
Der Kampf wird um so mehr hervorgerufen werden, als der
weiter beschlossene Satz: „Keine Religionsgesellschaft genießt
vor der andern Vorrechte durch den Staat, es besteht fernerhin
144
keine Staatskirche," christliche Kirchen und nicht christliche
Bekenntnisse dem Staat gegenüber einander völlig gleichstellt;
darnach darf der Staat, der in Deutschland bei der Säkulari-
sation am Anfang dieses Jahrhunderts ein ungeheures Ver-
mögen der katholischen Kirche weggenommen, für die katho-
lische Kirche fernerhin nicht mehr tun, als für das Bekenntnis
der Juden und der Heiden.
Nun — die Kirche Gottes könnte diese rechtsschuldige, ma-
terielle Hilfe gern missen, wenn sie nur die Freiheit im Heilig-
tum gewänne.
Allein auch diese wird, wie durch den ersten Satz des § 14, so
durch den ersten Satz des § 15 verkümmert, welcher bestimmt:
„Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit
gezwungen werden."
Diese Bestimmung will der Kirche das Recht verkürzen,
welches jeder gewöhnlichen Gesellschaft eignet, das Recht zur
Verhängung von Gesellschaftsstrafen, hier von Kirchenstrafen,
welche letztere im allgemeinen nur in Entziehung der Vorteile
bestehen, welche die Kirche selbst gewährt. Die Mitte und
strengste der Kirchenstrafen ist die Ausschließung der unver-
besserlich Ungehorsamen aus der Gemeinschaft ; alle andern
sind Nachteile, welche der Schuldige, zur Vermeidung der
Ausschließung, freiwillig übernimmt.
Gleichwohl wird Böswilligkeit und Unverstand den ersten
Satz des § 15 anrufen, um die bessernden für die Kir-
chenzucht unerläßlichen Kirchenstrafen als verboten zu er-
klären.
Die in neuester Zeit eingetretene Versäumung der Kirchen-
zucht hat die Sittlichkeit der Nation tief erschüttert, da die
Kirche hier in ein Gebiet hinein zu wirken vermag, auf
welchem der bloß äußerliche Strafzwang des Staates unwirk-
sam ist.
Die Selbständigkeit der Kirche ist ferner verletzt durch
den von der hohen Versammlung angenommenen zweiten Satz
des § 15:
Bergsträßer I. lo ^^45
„Die Form des Eides soll eine für Alle gleichmäßige, an
kein bestimmtes Religionsbekenntnis gebundene sein."
Die ganze Gewähr des Eides wurzelt im Glauben an Gott,
als den allwissenden und allgegenwärtigen Richter, und kam
erst im Christentum zu ihrer Vollendung.
Christen, Juden und Heiden können keine gemeinsame Form
des Eides haben; daß hieße dem Eid seine religiöse Wurzel
nehmen, und dann ist er eine leere Täuschung, das Werkzeug
einer gräßlichen sittlichen Entartung.
Ist durch die von der hohen Versammlung beschlossenen
§§ 14 und 15 die Selbständigkeit der Kirche verletzt, so ist es
mit ihr durch den angenommenen § 16 zugleich die öffentliche
Sittlichkeit der Nation.
Er lautet: ,,Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von
der Vollziehung des Zivilakts abhängig; die kirchliche Trau-
ung kann erst nach der Vollziehung des Zivilaktes stattfinden.
Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehin-
dernis/'
Die Ehe hat allerdings eine religiöse und eine rechtliche und
staatliche Seite, die religiöse den Katholiken als Sakrament
und allen Christen als Einsetzung Gottes; die rechtliche als
personenrechtlicher Stand, eingehbar durch Vertrag ; die staat-
liche als Grundlage einer sittlichen Familienordnung. Welche
Trauung, die kirchliche oder die bürgerliche, die wesentlich
notwendige sei, das hängt davon ab, welche die religiösen, recht-
lichen und staatlichen Anforderungen an die Ehe allein oder
am besten erfülle.
Nun erfüllt die kirchliche Trauung die religiösen, rechtlichen
und staatlichen Anforderungen alle ohne Ausnahme, hingegen
die bürgerliche Trauung erfüllt nicht die religiösen und sitt-
lichen, ja selbst die rechtlichen und staatlichen nur ungenügend.
Die kirchliche Trauung hat achtzehn Jahrhunderte zum
Frommen der Gesittung und zum Segen der Christen-
heit gewirkt. Jetzt will man aber die kirchliche und die
bürgerliche Trauung auseinanderreißen, als wenn die Ehe nicht
146
eine einheitliche Anstalt wäre, und die hohe Versammlung
hat nur die- bürgerliche Trauung als wesentlich und notwendig
vorausgehend, die kirchliche als läßlich und erst nachfolgend
erklärt.
Das sittliche Gefühl der Nation weist das entrüstet zurück.
Man wende nicht ein: das Volk werde nach der bürgerlichen
Trauung die kirchliche von selber suchen; es vergesse niemand,
daß, wie der Deutsche in seinem Wesen der gläubigste Mensch
imter allen Völkern ist, er in der Entartung auch der un-
gläubigste aller wird. Die Gesetzgebung soll erziehen; der
deutsche Ernst sollte aber namentlich in unseren Tagen natio-
naler Erhebung die erst aus dem revolutionären Frank-
reich eingeschleppte Ehe als Impfe der Ausländerei von sich
abwehren.
Mitten unter schmerzlichen Verkümmerungen der deutschen
Nation im Kreis der Völker hat sie unter allen Stämmen der
Menschheit ein hohes Leben reiner Sittlichkeit geführt, — eine
volle Entschädigung für große Verluste der Freiheit, eine
sichere Gewähr einer großen Zukunft. Die nationale Sittlich-
keit der Deutschen wurzelt in der Reinheit ihres Familienlebens ;
das reine deutsche Familienleben aber wurzelt in der Heilig-
keit der Ehe, dem Heiligtum, das die Kirche baut um den häus-
lichen Herd.
In dieses Heiligtum der Ehe schreitet man nicht durch das
Tor des einer gesetzlichen Gottesleugnung immer mehr ver-
fallenden Staats, sondern nur durch die Kirche. Es ist ein
gesundes Gefühl deutscher Nation, welches die bürgerliche Ehe
als eine staatsgesetzliche Beischläferei verurteilt, und damit
zugleich die die bürgerliche Ehe einführenden Gesetze und auch
Ihres richtet.
Die hohe Versammlung hat im § i6 ferner beschlossen:
„Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehe-
hindernis."
Wir halten schon die Ehe unter Christen verschiedener Be-
kenntnisse für unvollkommen und daher von der Gesetzgebung
lo* 147
nicht zu beg-ünstig-en, weil die Erziehung der Kinder, die
wesentlich eine religiöse ist, bei dem geteilten Glauben der El-
tern nicht gedeihen kann.
Die von der hohen Versammlung angenommene Bestimmung
gestattet aber selbst die Ehe zwischen Christen und Juden und
andern Ungläubigen, ein gefährlicher Versuch leerer Philan-
thropie, weil er das Wesen der Ehe und folgeweise die Gesit-
tung der Gesellschaft opfert.
Wir geben gern zu, die Bestimmungen der §§15 und 16
sind strenge Folgerungen- aus der Trennung der Kirche und
des Staates und der Gleichstellung aller Bekenntnisse ohne Un-
terschied. Allein wir, die Katholiken des Erzbistums Frei-
bürg, haben nur die Gleichstellung der christlichen Kirchen
unter sich, nicht aber die christlichen Kirchen und der
unchristlichen Bekenntnisse begehrt.
Wähnte sich aber die hohe Versammlung zu der Gleich-
stellung der Christen und der Nichtchristen gedrungen, so
mußte sie als strenge Folge der verkündeten Trennung der
Kirche vom Staate auch die unbedingte Unabhängigkeit der
Kirche von der Staatsgewalt aussprechen. Das Eine setzt das
Andere folgestreng voraus. Und warum sollte die hohe Ver-
sammlung unserer, der katholischen Kirche, diese unbedingte
Freiheit verweigern? Etwa weil mit der katholischen Kirche
in ihrer Freiheit kein anderes Bekenntnis die Mitwerbung im
Reich der Geister bestehen mag? Das wäre eine demütige
Furcht. Oder hat die katholische Kirche diese Freiheit nicht
verdient, sie, welche als große Macht der Sittigung die Welt-
geschichte segnend durchschritt? Das weiß freilich nur die
Wissenschaft und anerkennt bloß ein hoher weltgeschichtlicher
Standpunkt. Wenn nun auch die hohe Versammlung in der
Mehrheit ihrer Mitglieder solche Betrachtungen nicht an sich
heranläßt, so ertrage sie doch wenigstens die Logik und den
Anstand des Rechts! Es ist wahrlich kein billiges Maß, eine
Kirche mit achtzehn Jahrhunderten Verdienst auf dem Boden
148
zu fesseln, und der Frechheit der SektieTerei freie Wucherung
zu gewähren.
Die Deutschen sind das Volk des Gewissens, und die Säule
des Gewissens ist der christliche Glaube. Wer den Glauben
verletzt, der verletzt, mordet sittlich die Nation. Eitel ist es,
die Freiheit des Gewissens zu verkünden, wenn man die Frei-
heit der Kirche, der Erziehung der Gewissen, zerstört. Nicht
in der Entbindung der Einzelnen sondern in der Sammlung
Aller zu einer großen sittlichen Einheit ruht die Größe, die
Freiheit deutscher Nation.
Der Ruhm des neuesten Umschwungs in unsetn öffentlichen
Dingen ist der, an die Stelle des bevormundeten Polizei- und
Beamtenstaats den Rechtsstaat mit seiner freien Bewegung
aller Kräfte der Nation vorbehaltlich ihrer rechtlichen Ver-
antwortlichkeit gesetzt zu haben. Und diese Verjüngung sollte
nicht auch der Kirche Gottes gelten?
Nein — ein frommes gläubiges Volk von fünfundvierzig
Millionen gläubiger, erlöster Seelen hat die Versammlung zum
bürgerlichen Heiligtum der edelsten der Nationen, zum Bau
einer heiteren großen Zukunft abgeordnet, und diese Vertreter
sollten das Volk in seinem höchsten Gut, in seiner Gläubigkeit
nicht vertreten ! —
Das können, das dürfen wir nicht glauben. Unmöglich dürfen
wir eine so hoch gestellte Versammlung einer ihrer unwürdigen
Verfänglichkeit und Zweideutigkeit beschuldigen, so sehr sie
der erste Satz des § 14 der Grundrechte auch zu bieten scheint.
Sie wird, sie muß es unter ihrer Würde halten, vor der Nation
solche Doppelzüngigkeit zu üben. Deswegen bitten wir ehr-
furchtsvoll die hohe Versammlung um hochgefällige Erläute-
rung des ersten und zweiten Satzes des § 14 der Grund-
rechte zur Taschen Beruhigung des durch die erwähnten Be-
schlüsse hochderselben schmerzlich aufgeregten katholischen
Volks.
Wir wünschen, daß die hohe Reichsversammlung offen, un-
umwunden und voll die Freiheit der Kirche ausspreche, über
149
das Verhältnis der Kirche zum Staat nichts der Anordnung"
der deutschen Einzelstaaten überlasse. Hierfür verlangen wir
unbedingte Einheit der deutschen Gesetze.
Unsere katholische Kirche wurde von dem größten bis zum
kleinsten Staat Deutschlands seit einem Jahrhundert durch ein
heilloses Schreibertum bedrängt. Die Möglichkeit zu einer
solchen Mißhandlung muß durch die Reichsverfassung in der
Wurzel abgeschnitten werden.
Wir Katholiken ehren und lieben unsern Fürsten, und dulden
keinerlei Rücksichtslosigkeit gegen ihn, woher sie auch immer
stamme ; aber wir ehren und lieben auch die Einheit des Reichs
deutscher Nation. Wir sind treu dem zu bauenden Reich und
in ihm unserem Fürsten; wir stehen zur deutschen Reichsver-
sammlung, wenn sie zum Volke steht. In den ergangenen Be-
schlüssen über das Verhältnis der Kirche zum Staat hat sie aber
nicht zur deutschen Nation gestanden ; darum ergreifen wir die
Berufung von der hohen Nationalversammlung an die deutsche
Nation selbst, und dies sofort nach Hochderselben Beschluß-
fassung.
Möge die hohe Versammlung uns deshalb keiner Voreilig-
keit beschuldigen; wurdeMoch an demselben ii. September
auf den Antrag des Herrn Schoder von derselben beschlossen,
eine Reihe von Beschlüssen über die wichtigsten Verfassungs-
rechte des deutschen Volks durch den Verfassungsausschuß
zusammenstellen zu lassen, das Ergebnis aber mit den in Folge
der zweiten Beratung und Abstimmung sich ergebenden Ände-
rungen ohne Verzug zu verkünden. Bei dem Stand der Ge-
schäfte und bei dem ernst gebotenen Drang könnte diese Ver-
kündigung schon in 14 Tagen gescliehen, ehe das katholische
Volk im Verein mit seinen Oberhirten die Stimme seiner be-
kümmerten Seele im tiefen Schmerz erhoben hätte. Das darf
nicht sein. Nein, uns soll nicht das Zuspät, nicht die voll-
endete Tatsache überraschen. Daher bitten wir unmittelbar
nach der Kundwerdung der betreffenden Beschlüsse die
hohe, verfassungsgebende Versammlung dringend und ehr-
150
furchtsvollst um eine hochgefällige öffentliche Erläuterung
über die beiden ersten Sätze des § 14 Artikels III der Grund-
rechte.
Sollte aber diese Erläuterung gegen die Freiheit der Kirche
ausfallen, dann erheben wir in unserem Gewissen, in dem
Namen unserer Nation, im Namen der dadurch gefährdeten
Einheit Deutschlands, unserer nationalen Zukunft, im Namen
des ewigen Gottes gegen die über die Kirche ergangenen Be-
schlüsse der hohen Versammlung die feierlichste Verwahrung.
Hochdieselbe hat die Oberherrlichkeit des Volks ja immer
und einstimmig anerkannt; wohlan, so muß sie denn auch
wollen, was das Volk will. Das Volk will aber die Freiheit
der Kirche. Wir, hunderttausend Katholiken des Erzbistums
Freiburg, haben mit mehreren Hunderttausenden Katholiken,
mit der stillgebliebenen unendlichen Mehrheit der Katholiken
deutscher Nation elf Begehren für die Freiheit der Kirche und
des Unterrichts gestellt, und nicht ein einziges hat die hohe
Versammlung uns gewährt.
Wir gehen einer schweren Zeit entgegen. Die hohe Versamm-
lung — das merke sie sich — tagt auf einem Vulkan. Die
Würfel können in jeder Stunde fallen. Wie sie aber fallen —
die hohe Reichsversammlung wird nur stehen, wenn sie zur
Nation hält; — die Nation selbst aber wird ihre äußeren und
inneren Feinde und sich selbst nur dann besiegen, wenn sie das
Heiligtum ihrer höchsten Überzeugungen bewahrt, wenn sie
mit der christlichen Kirche geht unter der Fahne des nur in
ihr und in dem erschreckten Gewissen des Volkes thronenden
Gottes."
N. in dem Großherzogtum Baden, i6. Sept. 1848
Im Namen des katholischen Vereins daselbst mit
. . . Mitgliedern
Der Vorstand:
N. N.
Der Schriftführer:
N. N."
151
D
An die deutsche Nationalversammlung in
Frankfurt erließ der katholische Verein
Deutschlands folgende Verwahrung:
,,Hohe Reichsversammlung"!*)
Als der Ruf nach Freiheit durch alle deutschen Gaue erscholl
und zugleich die Äußerungen falsch verstandener Freiheitsbe-
griffe anarchische Bewegungen in manchen Teilen Deutsch-
lands erregt hatten, blickten die Katholiken unseres Vaterlandes
mit Hoffnung nach der gesetzlich berufenen Versammlung,
welche die Grundrechte aller Deutschen feststellen, die wahre
Freiheit gründen, die Anarchie niederdrücken sollte.
Unter allen Aufgaben der Reichsversammlung war es un-
streitig die höchste und wichtigste, die Grundzüge religiöser
Freiheit festzusetzen.
Die Lösung dieser erhabenen Frage mußte klar, gerecht und
folgerichtig sein, wenn sie den gespannten Erwartungen vieler
Millionen entsprechen sollte.
Die Hohe Reichsversammlung hat diesen billigen Ansprü-
chen nicht genügt. — Die Entscheidungen sind in bezug auf
Kirche, Schule, Eigentum von Kirche und Staat nicht klar,
nicht gerecht, nicht folgerichtig.
In dem zweiten Abschnitte des § 14 der Grundrechte, lautend:
,,Jede Religionsgesellschaft (Kirche) bleibt aber, wie
jede andere Gesellschaft im. Staate, den Staatsgesetzen
unterworfen."
ist eine Beschränkung des in dem ersten Abschnitte desselben
Satzes aufgestellten Rechtes zur selbständigen Ordnung und
Verwaltung ihrer Angelegenheiten ausgesprochen, welche im
Hinblick auf die Verwerfung des von dem Herrn Abgeordneten
Z a c h a r i ä und Genossen formulierten Antrages, auf die
Verwerfung des Antrages für freie, vom Staate unabhängige
Bestellung der Kirchendiener, auf die Verwerfung des Antrages
*) Baß, s. 251.
152
für freie Bekanntmachung kirchlicher Erlasse und so weiter
und so weiter zu der Besorgnis führen muß, daß es fortwäh-
rend den Staatsbehörden unbenommen bleiben soll, durch ihre
schon bestehenden und etwa noch zu erlassenden Gesetze in
das kirchliche Leben und Wirken und dessen segensreiche Ent-
wickelung, wie bisher, hemmend einzugreifen.
Schon diese Besorgnis allein reicht hin, das Vertrauen des
katholischen Volkes zu der hohen Reichsversammlung auf das
tiefste zu erschüttern.
Die vollkommen freie und unabhängige Bewegung der
Kirche in allen Beziehungen auf Lehre, Disziplin, Verfassung,
ungefährdeten Besitz und sichere Verwaltung des Kirchen-,
Schul- und Armenvermögens mußte das katholische Volk vor
allem als den eigentlichen Schlußstein in Aufstellung seiner
Grundrechte gewährleistet sehen. Das katholische Volk hatte
sich der Hoffnung hingegeben, hohe Reichsversammlung werde
es nicht verkennen, daß ohne Sicherstellung dieser höchsten,
weil geistigen Freiheit, der Zustand des katholischen Volkes
ein schlimmerer sein müßte, als der materieller Sklaverei. —
Das katholische Volk sieht mit banger Besorgnis diese seine
Hoffnung durch die in der fünfundsiebzigsten Sitzung der
Reichsversammlung am ii. September jüngsthin gefaßten Be-
schlüsse gefährdet. — Damit das erschütterte Vertrauen zu der
hohen Reichsversammlung nicht vollends weiche, ist es durch-
aus notwendig, daß Hochdieselbe durch eine beruhigende Er-
läuterung des Eingangs erwähnten zweiten Abschnittes des
ersten Satzes des § 14 der Grundrechte jeder Besorgnis vor
möglichen Eingriffen staatsgesetzlicher Bestimmung in die
freie, selbständige, unabhängige Bewegung der Kirche vor-
beuge.
Sowohl der Fortbestand vorhandener, als die mögliche Wie-
derkehr staatsgesetzlicher, die kirchliche Freiheit verletzender
Normen sind mit dem vorangestellten Grundsatze einer selb-
ständigen Kirche unverträglich.
Indem wir die geziemendste Bitte um Gewährung einer
153
solchen Erläuterung ehrfurchtsvoll aussprechen, können wir
nicht umhin, für den Fall, daß solche nicht befriedigend bewil-
ligt werden möchte, vor den Augen Gottes und des katho-
lischen Volkes die feierlichste Verwahrung der in den ewigen
Forderungen der Gerechtigkeit gegründeten Ansprüche, Rechte
und Freiheiten des Volkes. gegen die Beschlüsse des ii. Sep-
tembers, wie hiermit geschieht, auszusprechen.
Eine solche feierliche Verwahrung sehen wir uns schon
heute gedrungen einzulegen gegen die Art und Weise, wie in
den Beschlüssen der hohen Versammlung das Verhältnis der
katholischen Schulen aufgefaßt, oder besser, das naturnotwen-
dige Verhältnis der Schule zur Kirche geradezu geleugnet
worden ist.
Der Kirche ist als solcher die Leitung der Schulen entzogen,
hingegen die Eigenschaft der Schule als Staatsanstalt dadurch
ausgesprochen, daß die Schullehrer zu Staatsdienern auf der
einen Seite erklärt, der Tat nach zu den Dienern der Ge-
meinden, aber in einer für die letztern beschränkenden Weise,
ernannt sind. — Die Freiheit des Unterrichts erheischt, daß
den Familieti, daß den Gemeinden allerdings, als Inbegriff vie-
ler Familien, die Sorge für die Schule verbleibe. Soll die Frei-
heit des Unglaubens unbeschränkt walten können, so gestatte
man der Schule auch die Freiheit des Glaubens.
Weiter hat das katholische Volk ein unverkennbares Recht
auf freie Vereinigung und freie Institutionen. — Dieses
Recht wurde durch Ausnahmebestimmungen in dem Gesetze
selbst auf eine Weise verkümmert, welche alle wahren Katho-
liken tief verletzen mußte, da sie eine Herabwürdigung der
erhabenen katholischen Kirche, dieser Mutter europäischer Ge-
sittung, in sich schloß.
Es handelt sich nicht um die Frage, ob die Berufung be-
stimmter religiöser Genossenschaften in diese oder jene Ge-
genden und Orte im eigenen Interesse der Kirche liege, sondern
um einen einseitigen Ausschluß bestehender und von der Kirche
gutgeheißener Körperschaften von einem Allen, auch den
?54
verworfensten, unumschränkt eingeräumten Rechte. Und was
uns bei dieser von hoher Versammlung beliebten, für die Katho-
liken Deutschlands schon an und für sich tief kränkenden Aus-
nahmsmaßregel am peinlichsten berührte, war die Wahrneh-
mung, daß hohe Versammlung hier eine genauere Prüfung des
wahren Sachbestandes für so überflüssig betrachten zu dürfen
glaubte, daß Hochderselben in ihrer Eile sogar der Umstand
entging, daß der von dem heiligen Alphons von Liguori ge-
stiftete Orden der Redemptoristen mit dem der Liguorianer nur
einer und derselbe ist, und daß es somit im vorliegenden Falle
einer Verbannung von drei katholischen Orden, statt nur von
zweien, gar nicht bedurft hätte. In der Tat, die hohe Achtung,
welche wir den gesetzlichen, so ausgezeichnete Männer unter
sich zählenden Vertretern des deutschen Volkes so gerne zollen,
verhindert uns, hier die Betrachtungen in ihrer Vollständigkeit
darzulegen, welche uns ein unter solchen Umständen statt-
gehabtes Versehen aufdringt, und es kann uns nur dabei die
Hoffnung beruhigen, hohe Versammlung werde bei der zweiten
Abstimmung über diesen Gegenstand, durch gänzliche Weg-
lassung dieser dem Geiste echter Freiheit und: Toleranz -Wider-
strebenden Ausnahmsmaßregeln, sich selbst und der katho
lischen Kirche diejenige Genugtuung verschaffen, welche der
hohen Würde beider entspricht.
Endlich haben wir auf das schmerzlichste zu beklagen, daß
in den Verhandlungen über die Unabhängigkeit der Kirche so-
wohl als über das Verhältnis derselben zur Schule Entstellun-
gen und Schmähungen der katholischen Kirche, ihrer Institu-
tionen und Korporationen laut werden konnten, welche die
edlere Sitte kaum irgendwo, auch der augenfälligsten Igno-
ranz zugute halten zu sollen, sich bequemen möchte.
Daß das katholische Volk dergleichen Erscheinungen im
hohen Rate der Vertreter der deutschen Nation nur mit Ent-
rüstung vernommen, dies laut und unverhohlen auszusprechen,
ist uns eine heilige Pflicht.
155
Also beschlossen auf der ersten allgemeinen Versammlung
des katholischen Vereines Deutschlands.
Mainz, am 6. Oktober 1848.
Im Auftrage sämtlicher Abgeordneten des kathol. Vereines
Deutschlands.
Der Vorsitzende des Mainzer Pius-Vereins, A. F. L e n n i g ,
Moser, Schriftführer."
1=^6
über Staat und Kirche
(1848)
Rede dos Abgeordneten von Radowitz
in der Frankfurter Nationalversammlung
im Auftrage des katholischen Klubs
Meine Herren ! Ich bin mir bewußt, zu der Betrachtung, die
uns heute beschäftigt, die Ruhe und Leidenschaftslosigkeit mit-
zubringen, die sie erheischt. Mag sie den tiefsten Gegensätzen
verwandt sein, die zwischen uns bestehen, warum sollte es
einer ernsten und patriotischen Versammlung nicht möglich
sein, sie außerhalb aller Gehässigkeit zu halten? Wir haben
allerdings von dieser Stelle hier mannigfache Verletzungen und
Verdächtigungen vernommen, aber wir werden nicht im glei-
chen Tone und Geiste fortfahren, das hoffe ich. — Meine
Herren! Wenn man den Artikel III der Grundrechte vor sich
hat, so drängt sich sofort die Bemerkung auf, daß er eine Reihe
von Folgerungen aus dem Prinzip der Unabhängigkeit der
Kirche vom Staate enthält, ohne dieses Prinzip selbst auszu-
sprechen. Dies scheint mir bedenklich und schädlich, denn hier-
durch wird die Forschung nach einem obersten Prinzip hervor-
gerufen und Interpellationen veranlaßt, für welche kein Anhalt
gegeben ist. Die Mehrheit des Verfassungs-Ausschusses hat
ohne Zweifel reiflich erwogen, weshalb sie ihr Werk mit diesem
Mangel behaftet ließ. Ihre Motive geben drei Gründe dazu an:
die Besorgnis von konfessionellen Schwierigkeiten, die mög-
lichen Übergriffe ins Staatsgebiet, und die jetzige Lage der
protestantischen Kirche. Ich glaube nicht zu irren, meine Her-
ren, wenn ich zu diesen Gründen noch einen vierten hinzu-
füge: die Besorgnis, daß den protestantischen Genossenschaften
aus einer unabhängigen katholischen Kirche Nachteile erwach-
157
sen könnten. Erlauben Sie mir, daß ich diesen Bedenken ein-
zeln nähertrete. — Niemand kann inniger wünschen als ich,
daß nur unser großes Verfassungswerk von dem Zwist der
Konfessionen unberührt bleibe. Ich bin lebhaft davon durch-
drungen, daß hierin eine der obersten Bedingungen für jedes
Gelingen liegt. Eben darum aber verlange ich, daß der Grund-
satz der Scheidung jener beiden Gebiete offen und unverhohlen
an die Spitze gestellt werde. Nur hierdurch kann verhindert
werden, daß neben den politischen Parteien auch die religiösen
Parteien in die Schranken treten, innerhalb welcher unser
Kampf ausgefochten werden muß. Sollte die zweite Besorgnis
begründeter sein, daß die Befreiung der Religionsgesellschaften
den Staat größeren Übergriffen aussetzen werde, als bisher?
Ich wüßte nicht, was sie rechtfertigen sollte. Bei der Sonde-
rung beider Gebiete wird weder der Staat von seinen Rechten
aufgeben, noch die Kirche einen Teil dieser Rechte an sich er-
werben. Es handelt sich lediglich darum, daß der Staat das-
bisherige Präventivsystem verlasse und hier wie überall sich
auf das Repressivsystem beschränke, das ihm niemand streitig
macht. Letzteres aber ist im § 12 vollkommen vorgesehen, der
alle Verbrechen und Vergehen, die bei Ausübung der kirch-
lichen Freiheit begangen werden, dem Gesetze überweist. Was
darüber hinaus liegt, das ist eben jene Polizeihoheit, die Sie
aus allen Teilen des Staatswesens verbannen wollen. Soll hier
allein der mögliche Mißbrauch einer Freiheit deren rechtliche
Anerkennung hindern? Blicken Sie auf Ihren Entwurf der
Grundrechte, auf die Preßfreiheit, die Redefreiheit, die Frei-
zügigkeit, das Versammlungsrecht, das Vereinsrecht, die
Unterrichtsfreiheit ! Sind nicht alle diese Freiheiten der gefähr-
lichsten Ausartung fähig und haben Sie sich dadurch abhalten
lassen, das auszusprechen, was Ihnen als notwendige Folgerung
aus einem obersten Prinzip erschien? — Achtbare Stimmen
innerhalb und außerhalb des Hauses haben ferner darauf hin-
gewiesen, daß die Unabhängigkeit der protestantischen Kirche
vom Staate nicht ohne Gefahr für erstere in völlige Trennung
übergehen könne. Hier ist zunächst zu bemerken, daß die ge-
forderte Unabhängigkeit keineswegs eine Trennung der Kirche
vom Staate in sich schließt. Was konnte die protestantischen
Genossenschaften im Ganzen oder in einzelnen deutschen Län-
dern abhalten, den Regierungen gewisse Vollmachten zu ihrem
eigenen Besten zu übertragen, oder, wie sich ein einsichts-
voller protestantischer Theologe unlängst ausdrückte, im Inter-
esse des Friedens, der Einheit. Wenn denn das Bekenntnis, die
Lehre, der Gottesdienst, die eigentliche Autonomie der Kirche
den geistlichen Vertretern der Kirche überlassen bliebe, so
stände doch nichts entgegen, daß den Regierungen ein gewisses
Schutz- und Aufsichtsrecht, selbst eine Mitwirkung bei der
Besetzung der Kirchenämter übertragen würde. Nur würden
diese Befugnisse nicht wie bisher aus einer vorausgesetzten
bischöflichen Gewalt des Landesherrn fließen, sondern die Frucht
freiwilliger, selbst revokabler Verträge sein, — Ich muß endlich
auch der Besorgnis gedenken, daß eine unabhängige katholische
Kirche dem Prottestantismus Gefahren und Nachteile bereiten
könne. Entsprungen ist dieser Gedanke wohl zumeist aus
der Wahrnehmung, daß die Scheidung beider Gebiete von der
Mehrheit der Katholiken gewünscht und angestrebt wird. Aber,
meine Herren, sollte es wirklich so stehen, daß, was einer der
christlichen Kirchen nützlich ist, eben deshalb von der anderen
zurückgewiesen werden müßte? Nein, so weit ist es gottlob
mit dieser schmerzlichen Spaltung nicht gediehen, daß jede Seg-
nung des einen Teiles notwendig zum Unsegen für den andern
werden müßte! Sollte selbst die Unabhängigkeit der Kirchen
der katholischen wegen ihrer festeren Organisation größere
Vorteile versprechen, als der protestantischen, so würde letztere
dafür doch nicht den Preis zu zahlen haben. Die katholische
Kirche hat seit einer Reihe von Jahren das sonderbare Schick-
sal gehabt, von den einen als nahem Tode verfallen angesehen
zu werden, und gleichzeitig von den andern als maßloser An-
grifTspläne dringend verdächtig. Allerdings wird sie stets dar-
nach streben müssen, ihre Lehre auszubreiten. Ist ihr aber
'59
hieraus ein Vorwurf zu machen? Hat jede Genossenschaft das
Recht, ihre Überzeugung- frei zu bekennen, so erwächst ihr
auch hieraus die Pflicht, sie mit allen erlaubten Mitteln zu ver-
breiten. Sie befindet sich dazu wenigstens doch in derselben
rechtlichen Stellung, wie jede politische Partei, denen unsere
Zeit hierzu die weiteste Bahn eröffnet hat. Aber ich sagte: mit
allen erlaubten Mitteln; die Schranken sind hier nicht bloß
durch den äußeren Richter gezogen, sondern auch durch den
innern, nicht bloß alle ungesetzlichen Mittel, sondern auch alle
unsittlichen bleiben ausgeschlossen. Würden nun die protestan-
tischen Religionsgesellschaften durch die beiderseitige Unab-
hängigkeit wirklich in unabweisliche Nachteile versetzt? Ich
vermag nicht die Gründe davon einzusehen. Auch sie würden
ganz ebenso die freie Presse, das freie Vereinsrecht benutzen;
ja, da sie innigere Beziehungen mit dem Staate einzugehen ver-
mögen, als die katholische, so würden sie sich eines größeren
Schutzes und wirksamerer Hilfe zu erfreuen haben. Wie eine
solche Lage praktisch wirkt, kann an dem «achtzehnjährigen
Beispiel Belgiens gezeigt werden. Eine Klage belgischer Pro-
testanten über Übergriffe seitens der unabhängigen und dort so
übermächtigen katholischen Kirche ist dort, so viel ich weiß,
nirgends vorgekommen. Ja, als im Jahre 1832 sich in Brüssel
eine St. Simonistische Gemeinde auftat und die Regierung sie
als gefährlich unterdrücken wollte, waren es katholische, prie-
sterliche Deputierte, welche die Freiheit auch dieser religiösen
Gemeinschaft aufrecht erhielten und durchsetzten.
Weshalb sollte ich nicht auch das letzte Wort aussprechen!
Nicht wenige innerhalb und außerhalb des Hauses erblicken in
der eröffneten Unabhängigkeit der katholischen Kirche eine
eröffnete Tür, um den Jesuitenorden in Deutschland einzufüh-
ren. Dieses Schreckbild wirkt auch auf das Urteil in der Haupt-
frage zurück. Auch diejenigen, welche den Kirchen volle Frei-
heit gönnen, glauben ihrer besseren Überzeugung Schranken
setzen zu müssen, um nicht in jene Folgerungen zu geraten.
Meine Herren, ich trage kein Bedenken, Ihnen ohne allen und
160
~^^ii^t^\
jeden Rückhalt darzulegen, wie wir die Frage über das Verhält-
nis des Jesuitenordens zu Deutschland betrachten. (Links
tinige Unruhe). Es ist Ihnen bekannt, daß die sichtbare katho-
lische Kirche einen lebendigen Organismus darstellt, der an
Haupt und Gliedern vollständig geordnet ist. Nur diese Ord-
nung ist wesentlich und notwendig, alles andere ist vorüber-
gehend, ist lediglich eine Aushilfe für augenblickliche Zwecke,
für augenblickliche Bedürfnisse. Nun, meine Herren, der
Jesuitenorden war im sechzehnten Jahrhundert eine solche Aus-
hilfe, um augenblicklichen Bedürfnissen der katholischen Kirche
zu genügen. Es kommt hier durchaus nicht darauf an, diese
kirchengeschichtlichen Verhältnisse näher darzulegen. Aber
ich spreche es deutlich und klar aus: ein solches Bedürfnis be-
steht in Deutschland jetzt in keiner Weise. Der deutsche Epi-
skopat, der deutsche Klerus bedürfen dieser Hilfe nicht, um
ihre Aufgabe zu erfüllen, die deutsche Wissenschaft bedarf kei-
ner Unterstützung dieser Art. (Links Heiterkeit). Der Nutzen,
welchen man sich aus dem Jesuitenorden für die katholische
Kirche Deutschlands versprechen könnte, würde daher in gar
keinem Verhältnisse zu den tiefen Störungen und Gefahren
stehen, welche seine Gegenwart hervorrufen müßte. Daher,
meine Herren, ist es weder unser Wunsch, noch weniger unser
Bestreben, den Jesuitenorden über Deutschland auszubreiten.
Ja, obgleich wir uns gegen den Antrag erklären müßten, die
allgemeine Kirchen- und Vereinsfreiheit durch gesetzliche Aus-
schließung irgend eines Ordens anzutasten, so würden wir den-
noch, wenn uns von irgend einer Seite der Vorschlag entgegen-
träte, in irgend einem deutschen Lande den Jesuitenorden ein-
zuführen, aus höheren Interessen der katholischen Kirche gegen
die Ausführung eines solchen Planes uns mit vollster Entschie-
denheit aussprechen. (Unruhe.) Dieses ist unsere offene Erklä-
rung. (Zuruf: Wer sind wir?) Wir? Meine Herren, ich bin
zwar nicht verpflichtet, hierauf zu antworten, aber ich stehe
nicht an, zu erwidern: „Wir sind die unter Ihnen sitzenden
katholischen Mitglieder, Ihre Kollegen. Ich erwarte denje-
Berg-sträßer I. n l6l
nigen, der mit auf diesem Platze widerspricht. Bis daher
werden Sie aber die Güte haben, zu schweigen und mich zu
hören. (Beifall auf der einen Seite, Unterbrechung auf der an-
dern, Unruhe).
Eisenmann von Nürnberg (vom Platze aus) : Ich bin
auch Katholik, gehöre aber nicht zu dieser Partei.
V. R a d o w i t z : Meine Herren ! Wenn ich auf die Reihe
jener Einwürfe zurückblicke, so kann ich in keinem derselben
die zwingende Gewalt erkennen, die uns abhalten dürfte, die
notwendige Unabhängigkeit der Kirche vom Staate auszu-
sprechen. Denn eine Notwendigkeit ist sie geworden. Hierfür
erlauben Sie, daß ich Ihre Aufmerksamkeit noch einige Augen-
blicke in Anspruch nehme, — Das Verhältnis der Kirchengesell-
schaften zu den Staatsgesellschaften war zu jener Zeit ein
schwieriges. Wir haben zwar hier die einfache Lösung ver-
nommen: „Man vernichte die Kirche, man lasse sie im Staate
aufgehen!" Ich werde mich mit dieser Lösung indessen nicht
beschäftigen, da sie neben vielen Mängeln auch noch an dem
krankt, daß sie unmöglich ist. Keine Macht auf Erden ist
mächtig genug, die katholische, die protestantische Kirche zu
vernichten, selbst wenn sie hierzu gewissenlos genug wäre.
(Beifall.) Es ist nicht notwendig, darzulegen, wie, nachdem das •
Christentum Weltreligion geworden, das Durchdringen der
beiden großen Gebiete des Daseins erstrebt wurde, und wie
hieraus der Begriff des christlichen Staates erwuchs. In Byzanz
zeigte dieser Begriff bekanntlich den einen seiner Pole: die
Cäsaropapie; im Abendlande oft genug die Erscheinung, daß
die Kirche sich auch eine weltliche Gewalt zu verschaffen strebte,
die ihrem Wesen fremd bleiben muß. Ich untersuche nicht,'
wieviel hierbei in dem Drange der Zeit oder der damaligen
Gesellschaft lag. Vielleicht würde es sich dabei zeigen, daß die
Kirche unter dieser aufgedrungenen Rolle nicht minder litt,
als der Staat. Die Reformation hat auf dieses Verhältnis einen
tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Wir wissen, daß es nicht in
der Absicht ihrer Führer lag, die neuen Kirchengenossenschaf-
162
ten in die Botmäßigkeit der weltlichen Herrscher gelangen zu
lassen, aber es geschah aus bekannten Gründen. Auch auf die
katholischen Staaten Deutschlands hat sich dieses neue Staats-
kirchenrecht erstreckt, auch dort hat sich das Territorialprin-
zip mehr oder minder geltend gemacht. Wenn auch die
concordia imperii et sacerdotii seit der Spaltung der Konfes-
sionen ein offener Widerspruch wurde, so blieben den Kircheu-
gesellschaften doch noch zwei Bürgschaften übrig. Die eine
lag in dem damaligen Staatsprinzip, welches neben der zentra-
len Staatsgewalt eine Mannigfaltigkeit von sondertümlichen
Rechtsverhältnissen bestehen ließ und wirksam schützte. Die
andere in dem christlichen Charakter der Regierungen, den sie
als Grundlage der Staatsgesetzgebung bekannten. In den
flrückenden Zeiten, die seit dem westphäli sehen Frieden ver-
flossen sind, haben die Kirchengesellschaften hierin noch immer
die notwendigste Hilfe gefunden. Eben diese Bürgschaften
->ind es aber, die seit geraumer Zeit untergraben, jetzt auch for-
mell untergegangen sind. Der neue Staat ist absolut, er hat die
Schranken des gewordenen Rechts und der hierin wurzelnden
Sonderrechte gebrochen und sich als alleinige Quelle alles des-
sen hingestellt, was innerhalb seiner Grenzen als Recht gelten
soll. Gleichzeitig auch hat er den christlichen Charakter ab-
gelegt, indem er die Gleichberechtigung aller Religionen in
religiösen Ansichten zum obersten Satze seiner Verfassung
erhoben hat. Ob man darüber jubelte oder trauerte, darauf
kommt es nicht an, es ist Tatsache. Dann aber wolle man auch
die notwendigen Folgerungen nicht abweisen. Man wolle er-
kennen, daß das bisherige Verhältnis zwischen Kirche und Staat
vollständig gelöst, seine Fortsetzung unter anderer Form un-
möglich und eine neue Schöpfung unerläßlich sei. Das ist hier
unsere Aufgabe. Sie ist es, die keine andere Lösung zuläßt,
als daß man die Religionsgesellschaften, bestehende wie neue,
vom Staate unabhängig erkläre und ihnen überlasse, wie andern
Vereinen, ihre eignen Angelegenheiten zu ordnen. Was jedem
Vereine, vom kleinsten bis zum größten, durch § 24 gesichert
163
ist, seine eigene Gesetzgebung Leitung und Disziplin, das ist
es, was auch die Religionsgesellschaften fordern und was man
ihnen nicht ohne offenbarste Ungerechtigkeit vorenthalten
kann. Nicht mehr und nicht minder! (Mehrere Stimmen von
der rechten Seite Bravo ! auf der linken Unruhe.)
(Stenographische Berichte Bd. III, S. 1695. Sitzung am 29. Aug. 1848)
164
über die deutsche Frage
(1849)
Parlamentsrede von Aag-ust Reichensperger')
So groß auch das Gewicht ist, welches ich, trotz aller der
gegenteiligen Versicherungen auf dieser Seite (zur Linken
gewandt), auf diese hohe Versammlung lege, so kann ich ihr
doch unmöglich die Macht zutrauen, den Tatsachen und Ver-
hältnissen zum Trotz etwas zu schaffen. Wo der lebendige
Keim nicht vorhanden ist, da hilft alle Kunst des Gärtners
nichts. — Wie ich glaube, daß man durch bloßes Dekret die
Freiheit einem Volke nicht schenken kann, welches dieselbe
oder wenigstens ihre Elemente nicht bereits in sich trägt, so
glaube ich auch, daß man einen Souverän, geschweige denn eine
Dynastie, einem Volke nicht geben kann, wenn dieselben nicht
gleichsam naturgemäß aus dem Volke herausgeboren werden.
Nein, nie und nimmer glaube ich, daß ein Souverän durch eine
Majorität von ein paar Dutzend Stimmen improvisiert werden
kann. Eine solche Improvisation würde gleich einer Seifen-
blase eine Weile vielleicht lustig schillern, dann aber platzen
und in die Luft aufgehen, woher sie stammte. Warum befindet
sich England seit vielen Generationen im gedeihlichsten
Wachsen? Weil seine „glorreiche" Revolution von 1688, wie
deren neuester Geschichtsschreiber Macaulay sagt, eine konser-
vative und nicht eine subversive Revolution war, weil sie ge-
wissenhaft an die unmittelbare Vergangenheit anknüpfte und
nur das ganz Unerträgliche beseitigte; weil seine Verfassung
nicht aus der Studierstube stammt, sondern gewachsen ist mitten
im Leben; weil dort der Gemeingeist fort und fort in natür-
*) Deutsche Nationalversammlnng in Frankfurt, 18. Januar 1849. Steno-
graphischer Bericht Bd. VI, S. 4737 ff.
165
lieber Triebkraft die Institutionen aus sich herausgebiert von
welchen die wichtigsten zum Teil nicht einmal schriftlich for-
muliert sind, die aber so sehr als ein Ergebnis des jedesmaligen
Bedürfnisse erscheinen, daß man in bezug auf viele kaum sagen
kann, ob sie die Regel, ob sie die Ausnahme bilden. Wie
in der physischen Welt der einzelne Mensch nur ein Faktor,
und zwar nicht eben ein sehr bedeutender ist, so oder mehr
noch in der sozialen Ordnung; er möge sich nicht vermessen,
in derselben als Schöpfer, als Urheber auftreten zu wollen ; im
besten Falle vermag er dann für das bereits wesenhaft vor-
handene nur den adäquaten Ausdruck zu finden. Ich knüpfe
an diese Betrachtung die Behauptung, daß der erbliche Kaiser,
soviel auch davon geredet werden mag, ein Bedürfnis des
deutschen Volkes nicht ist, wenigstens noch nicht ist, daß er
noch nicht in dessen Bewußtsein als eine Notwendigkeit lebt.
Schütteln Sie aber, meine Herren, ja nicht am Baume der Ge-
schichte, bevor die Frucht reif geworden; an der Erde liegend
würde sie nimmer reifen. Ja, wenn wir insgesamt, die wir hier
als Repräsentanten des deutschen Volkes versammelt sind, den
uns vorgeschlagenen erblichen Kaiser auf das Schild erhöben,
dann will ich rufen: Es lebe der deutsche Kaiser! mit einer
knappen Mehrheit von einigen Stimmen ihn auszurufen und
dazu noch ausgestattet mit einem Suspensivveto, das
scheint rryr sehr gewagt, mehr als gewagt I — Ich gehe vom
Allgemeinen zum mehr Konkreten über. Die Verfechter des
erblichen Kaisertums tragen dabei stets die Krone Preußens
im Sinne, und Herr Scheller hat sogar keinen Anstand ge-
nommen, es unumwunden auszusprechen, daß er nur in dem
Falle für den erblichen Kaiser sei, wenn der König von Preußen
dazu ausersehen werde. Gewiß ist das viel Ehre für uns
Preußen, und ich danke vor allem bestens meinerseits für die
unserem Fürstenhause zugedachte Ehre. Es ergibt sich aber
dabei die Frage, ob diese Ehre nicht allzu teuer erkauft sein
würde, und diese Frage glaube ich bejahen zu müssen. Fast
alle Verfechter des fraglichen Plans sind darin einverstanden,
i66
daß die preußische Einheit zu Grunde gehen müsse, wenn die
deutsche Einheit aus ihr erstehen solle. Sie geben zu, daß eine
Nationalversamlung in Berlin neben einer Nationalversamm-
lung in Frankfurt unmöglich tagen könne. Sie schlagen daher
vor, Preußen in seine Provinzen zu zerschlagen, oder wie der
Kunstausdruck lautet: „In Deutschland aufgehen zu lassen".
Ich für meinen Teil hege die Überzeugung, daß viele Altpreußen
mit mir dem Neupreußen, die Ansicht teilen, daß ein solches Ex-
periment ein überaus gefährliches wäre, daß, wenn man einmal
mit demselben begonnen hätte, ein Weg betreten sei, auf dem
ein Umkehren nicht mehr möglich ist. Ich fürchte allen Ernstes,
Preußen könnte das Schicksal jenes Greisen erleben, der, wie
die Volkssage berichtet, um sich zu verjüngen, sieb zerhacken
und in einen Zauberkessel werfen ließ. Der Zauber versagte; dem
Zerhackten wurde nicht bloß nicht die gehoffte ewige Jugend zu-
teil ; er hatte auch außerdem noch das Leben eingebüßt. Unter
denjenigen Argumenten, welche man vorzugsweise für den
preußischen Erbkaiser anführt, gehört das Gewicht der öffent-
lichen Meinung. Man sagt, dieselbe habe sich auf das Entschie-
denste für den Plan ausgesprochen und müsse schon für sich
allein maßgebend sein. Ich glaube fürs erste nicht, daß sie sich
wirklich in solcher Weise ausgesprochen hat. Abgesehen aber
davon, erinnere ich daran, wie diese sogenannte öffentliche Mei-
nung in der dänischen Waffenstillstandssache so plötzlich zu Fall
gekommen ist; ich erinnere an ihre neuliche wilde Jagd auf das
Ministerium Brandenburg; ich erinnere daran, wie die öffent-
liche Meinung, nachdem sie in Frankreich vor wenigen Monaten
noch erst der Republik zugejauchzt, in den letzten Tagen eine
Verschwörung von sechs Millionen Franzosen gegen Cavaignac
organisierte, und warum?, weil er, wie selbst seine Gegner zu-
geben, der honetteste unter den Republikanern ist ! Herr Basser-
mann hat sich dieses Beispiels zugunsten seiner Argumentation
bedient. Mir scheint es jedoch, daß es in seinem Munde zu-
viel beweist, wenn es nicht gar gegen ihn spricht. Sollte oder,
könnte es sich wirklich begeben, daß sein erblicher Kaiser so
167
aller Sympathien bar dastünde, so wurzellos, in der öffentlichen
Meinung, wie Lamartine in Frankreich, so sähe es doch wahrlich
schlecht aus um diesen Kaiser, trotz aller Erblichkeit und
äußerer Macht ! Ich reihe an diese Bemerkung noch eine andere,
gleichfalls durch Herrn Bassermann veranlaßte an. Herr
Bassermann hat uns auf die Königswahl in Belgien aufmerk-
sam gemacht, und hieraus ein für sein System günstiges Argu-
ment herleiten zu können geglaubt. So entschieden ich auch
im wesentlichen zu der konstitutionellen Staatsreform mich be-
kenne, so glaube ich doch, daß nichts gefährlicher sein kann,
als diese konstitutionelle Schablone auf die Verhältnisse von
Deutschland anwenden zu wollen, dieselben nach ihr zu-
schneiden zu wollen. Nichts ist mißlicher, als die konstitutio-
nellen Einrichtungen Belgiens für die himmelweit verschiedenen
Verhältnisse unseres Vaterlandes irgendwie als Norm aufzu-
stellen. — Man sagt ferner zur Unterstützung der Erbmonarchie,
ein Direktorium führe uns geradeswegs zurück, zurück zum
alten Bundestage. Die Wahlmonarchie aber habe Deutschland
schon einmal zerrissen und öffne der Intrigue wie der Beste-
chung Tür und Tor. Es ist ein gewöhnlicher dialektischer Kunst-
griff, daß man die Gründe des Gegners künstlich und gewaltsam
auf die Spitze treibt, um selbige dann desto besser abbrechen
zu können. Ich glaube, daß man auch hier von diesem dialekti-
schen Fechterstreiche Gebrauch gemacht hat. Es grenzt wirk-
lich ans Wunderbare, wie man es wagen kann, uns hier die
Gestalten der sieben Kurfürsten zu zitieren, um der Wahl-
monarchie den Todesstoß zu geben ! Was aber die noch in Aus-
sicht gestellten Intriguen oder gar Bestechungen betrifft, so
möchte ich doch fragen, ob in unserer Versammlung, die gewiß
weit größeres und wichtigeres zu tun hat, indem, sie nicht nur
das Oberhaupt, sondern die ganze Verfassung, worauf es ruht,
bestimmen soll, sich solche Intriguen und Bestechungen gel-
tend gemacht haben? Wenn aber wir uns frei und rein davon
zu halten wußten, so dürfen wir unseren Nachfolgern doch
wohl auch nichts Schlimmeres zutrauen ! Ich dächte, dieses
i68
Argument sollte man ein für allemal aus der Liste streichen.
Mit einem Direktorium aber soll also der alte Bundestag wieder
entstehen, dieser achtunddreißigköpfige Bundestag, worin jeder
Kopf sein Veto zu üben hatte. Ich begreife ebensowenig, wie
man hier noch einmal diese so oft schon zur Erde bestattete
Leiche uns hier vorführen kann, wie man vergessen kann, was
wir selbst mittlerweile alles geschafft haben, was, so Gott will,
im wesentlichen wenigstens uns erhalten bleiben wird, wie man
übersehen kann, daß neben dem Direktorium, wenn es ge-
schaffenwerden sollte, ein Reichsrat, ein Staatenhaus, ein Reichs-
gericht, ein Volkshaus und noch manche andere Garantie für
die Einheit und Freiheit Deutschlands bestehen würde! Kann
man da wirklich noch im Ernste ein Auferstehen des Bundes-
tages in seiner alten Form befürchten? Ähnelt dieses Direk-
torium auch nur dem alten Bundestage? Nein, es ähnelt ihm
nicht, und eben deshalb, behaupte ich, würde es auch nicht „zu
Schanden werden". Auch ich, meine Herren, will den Bundes-
staat. Das Wesen des Bundesstaates aber ist meiner Über-
zeugung nach gerettet, wenn eine konzentrierte Gewalt vor-
steht, wenn das Veto einer einzelnen Regierung diese Gewalt
nicht hemmen kann und wenn neben ihr feste Institutionen
zur Sicherung der Volksrechte bestehen. Im Übrigen ist der
Bundesstaat, wie uns Herr Dahlmann in seinem Neujahrs-
wunsche gesagt hat : „Ein Staatswesen von der mannigfaltigsten
Dehnbarkeit." Nun wohl, meine Herren, dehnen wir ihn so,
daß alle deutschen Stämme sich in demselben behaglich fühlen
und vor allem auch Österreich Platz darin finden kann! Herr
Bassermann hat gesagt, wenn es nach den neuesten Beschlüssen
und dem, was bei der gegenwärtigen Sachlage zu erwarten steht,
auch scheine, daß Österreich zurzeit nicht eintreten werde, so sei
ihm doch darum die Tür nicht verschlossen. Machen Sie sich
oder uns darüber keine Illusionen, meine Herren: wenn wir
das jetzt vorgeschlagene System annehmen, so ist die Türe ver-
schlossen, der preußische Erbkaiser schließt für Österreich un-
widerruflich und auf immer zu! Meine Herren! Die Einheit,
169
führt man noch gegen uns an, sei außer der Erbmonarchie auf
das allerbedenklichste bedroht, ohne Einheit aber gebe es keine
Freiheit. Vor allem muß ich hier bemerken, daß Einheit in
politischen Verhältnissen ein gar relativer Begriff ist. Der
Bundesstaat ist doch wahrlich auch keine Einheit! Hat die
Einheit einen so absoluten unbedingten Wert, so begreife ich
nicht, warum der Verfassungsausschuß, wie es ihm ja so oft
angeraten worden ist, nicht tabula rasa ä la franqaise gemacht
hat, warum er nicht ganz Deutschland in eine Hauptstadt kon-
zentriert hat, von der aus alles dirigiert würde, wie von Paris
aus ganz Frankreich, Man muß daher wohl' immer die Frage
stellen, inwieweit die deutschen Verhältnisse mit den Verhält-
nissen solcher einheitlich gestalteten Länder übereinstimmen,
wie weit man nach diesen Verhältnissen einer Forderung der
Einheit wie der Freiheit nachgeben kann, damit das Einzelne
neben dem Ganzen zu bestehen und gedeihlich sich zu entwickeln
vermag. Mit dem bloßen Worte Einheit ist daher ebensowenig
entschieden, als mit dem Worte Freiheit alles über den Haufen
geworfen werden kann, was dieselbe in irgend einer Weise
beschränkt. Meine Herren ! Es gibt auch in der Einheit Stufen !
Überspringen wir mehrere Stufen, so könnten wir gar leicht zu
Fall kommen, — Endlich wirft man uns auch noch das
Schreckenswort Republik entgegen und denkt, wenn die übrigen
Popanze, die sieben Kurfürsten und der alte Bundestag, ihre
Wirkung etwa verfehlen sollten, so müßte doch jedenfalls die
Republik uns Konservative dem erblichen Kaiser in die Arme
scheuchen. In der Theorie kann ich mich fürs Erste so ganz
unbedingt nicht gegen die Republik erklären ; es gibt und hat
ganz neuerlich eine Zeit gegeben, wo uns die einheimischen Re-
publikaner bald dahin gebracht hätten, bei anderen Republikanern
jenseits des Meeres Schutz zu suchen. Ich bin aber überzeugt,
daß man der Republik, und zwar nicht der zahmen, der „k ü h -
len Laube" des Herrn Schüler, sondern der wilden,
der roten Republik eine Gasse bahnen würde, wenn man gewalt-
sam alles nach dem erblichen Kaiser hindrängte, daß dann viel-
170
leicht sehr bald schon diese Spitze herabgeworfen sein würde,
wo dann nur die Anarchie an die Stelle treten könnte. — Auch
von den konfessionellen Verhältnissen ist hier die Rede ge-
wesen. Man hat teilweise geglaubt, oder doch zu glauben
sich den Anschein gegeben, als ob dieses Moment zu gewissen
Parteibildungen der letzten Zeit zunächst der Anlaß gewesen
wäre. Ich trage kein Bedenken, in dieser Hinsicht meine
Überzeugung unumwunden auszusprechen; ich glaube, daß
wir uns nicht bloß die Wahrheit, sondern die ganze Wahr-
heit schuldig sind. Die konfessionellen Gegensätze, meine
Herren, sind Tatsachen, denen gegenüber kein Ignorieren oder
Vertuschen etwas hilft, und wollte man sie selbst ignorieren,
so wird einem das unmöglich gemacht, wenn man gewisse
norddeutsche Blätter liest, in denen Sie noch ganz andere Aus-
fälle finden können, als das eine, isolierte, allerdings überderbe
Wort von Görres, welches Herr Bassermann, aus dem Zu-
sammenhange gerissen, zuvor anführte. Eine gesunde Politik
wird jene Tatsachen aber um so sorglicher berücksichtigen,
weil sie die zarteste und verletzbarste Seite des Volksbewußt-
seins darstellen oder doch berühren. Wohl mögen viele glauben,
es sei das alles Vorurteil, welches der fortschreitenden Bil-
dung und Aufklärung weichen werde. Aber, meine Herren,
es gibt auch noch viele andere, und diese anderen haben ein
Recht darauf, berücksichtigt zu werden, welche in einer posi-
tiven Religion, nicht in einem bloß allgemeinen instinktmäßigen
religiösen Drange, den Grundpfeiler der bürgerlichen Ordnung,
sowie die sicherste, wenn nicht einzige Gewähr für die
Zivilisation und deren Güter erblicken. Diese aber haben eine
sehr begründete Veranlassung, bei jeder Neuerung, bei jeder
staatlichen Einrichtung zu fragen, welches Verhältnis dieselbe
zu ihrer Religion, ihrer Kirche einnimmt. Wie besagt, wer das
engherzig nennt, und als solches vornehm bei Seite liegen
lassen will, dem erwidere ich, daß er keinen Begriff, ja keine
Ahnung von der Größe einer Idee hat, welche alle Länder und
alle Zeiten umfaßt, deren Ausdruck, die Kirche, allen Stürmen
171
und allen Verfolgungen seit achtzehn Jahrhunderten Trotz ge-
boten hat. Daß man nun von diesem Gesichtspunkte aus eine
Suprematie des Nordens über den katholischen Süden nicht
mit ganz gleichgültigem Blick ansieht, zumal wenn noch 13 -Mil-
lionen Österreicher ausscheiden sollten, das versteht sich wohl
von selbst, und braucht nicht von mir besonders hervorgehoben
zu werden. Die Beispiele von Bedrückung der Minorität durch
die Majorität in religiösen Angelegenheiten liegen uns noch
viel zu nahe, als daß nicht eine gewisse ängstliche Besorgnis
noch geblieben sein sollte. Die ausdrücklichsten Stipulationen
der Bundesakte, ich erwidere dies auf das, was Herr Stahl ge-
sagft hat, haben in der Schweiz die übermächtigen Kantone
nicht verhindert, unter allerhand Vorwänden die tnindermäch-
tigen katholischen Kantone um ihrer religiösen Einrichtungen
willen niederzuwerfen und ihr Unterdrückungswerk endlich
durch die Plünderung und Konfiskation des Hospizes auf dem
St. Bernhard würdig zu krönen! So ist es, ich weiß es wohl,
daß es an Phrasen und Vorwänden für derartige Unterneh-
mungen niemals fehlt; man behauptet bloß, man stehe auf der
vSeite der Humanität, der Aufklärung, des Fortschrittes und
hat damit alles gerechtfertigt. Aber gerade, weil diese Vor-
wände so nahe liegen, und weil weiter in unserer Zeit die abso-
lute Herrschaft der Majoritäten sich immer mehr geltend macht,
gerade deshalb halten sehr viele es für dringend nötig, daß mit
dem guten positiven Rechte auch eine materielle Macht ver-
bunden sei, auf welche es im Notfalle sich lehnen könne. Ich
für meinen Teil bin weit entfernt, eine drohende Gefahr für
Deutschland zu erblicken, daß hier im Geiste des Schweizer
Radikalismus verfahren werden möchte. Weit mehr als auf
die preußische Verfassung aber und als auf die Satzungen der
Grundrechte baue ich auf den Geist der wahren Duldung, die
zu achten weiß, was anderen heilig ist, und auf den Geist der
Billigkeit, welcher von Tag zu Tag fortschreitet und sich auch
in dieser Versammlung bereits auf eine höchst erfreuliche Weise
kundgegeben hat. Allein das darf uns doch nicht abhalten,
172
vorsichtig alles zu vermeiden, was auf dem religiösen Gebiete
dem Glauben, es werde die Suprematie einer Religionspartei be-
günstigt, irgend wie Vorschub leisten könnte ; gar leicht
aber würde sich dieser Glaube in das katholische Deutschland
eindrängen, wenn man in übereilter Weise ein Hauptgewicht
in die Wagschale der einen Konfession legen wollte. Die kon-
fessionellen Unterschiede beschränken sich übrigens keines-
wegs auf ein paar Katechismussätze, wie vielleicht mancher
glauben mag, sie greifen unendlich weiter, sie wurzeln unend-
lich tiefer, es hängt damit die Geistesrichtung, die ganze An-
schauungsweise, das innerste Leben und Bewußtsein der Völker
zusammen; deswegen muß man doppelt vorsichtig verfahren,
wenn man auf diesem Gebiete Befürchtungen zu wecken im
Begriffe steht. Ein Volk,, welches für seinen Glauben fürchtet,
fürchtet damit für sein eigenstes innerstes Sein und Wesen, wie es
dasselbe auch mit seinem Glauben einbüßt. Nach allem Diesem,
glaube ich, einem Direktorium, ungefähr in der Art, wie Herr
von Rotenhan uns vorgeschlagen hat, unter den obwaltenden
Verhältnissen den Vorzug geben zu müssen. — Ich lege um
so w^enrger Gewicht auf die einzelnen Modalitäten, als ich der
Überzeugung bin, daß wir nach der ersten Lesung unseres Ver-
fassungswerkes das Produkt desselben, namentlich aber den
hier in Frage stehenden Abschnitt, den Regierungen vorzulegen
haben, nicht damit sie statt unser — denn dies ist und bleibt
Sache der verfassunggebenden Reichsversammlunf — den de-
finitiven Ausspruch tun, wohl aber, damit wir >on ihnen, in
welchen ich die Repräsentanten der betreffenden Volksstämme
erblicke, ihre Ansichten und Wünsche hören, um dieselben nach
Möglichkeit zu berücksichtigen. Je breiter aber die Basis des
Projektes ist, desto eher kann eine Einigung unter den Regie-
rungen sowohl als unter den Stämmen, welche sie vertreten,
stattfinden. Wenn dann alle Stämme, oder doch die bedeu-
tendsten unter ihnen, sich dahin einigen, daß ein preußischer
Erbkaiser an die Spitze gestellt werden solle, so werde ich
wahrlich der Letzte sein, der dagegen etwas einzuwenden hat.
^7?>
Es ist aber jedenfalls viel leichter, bei der zweiten Lesung vom
Direktorium zum Erbkaiser hinauf, als umgekehrt vom Erb-
kaiser zum Direktorium oder einer ähnlichen Institution, die
vielleicht durch die Macht der Tatsachen, durch die Verhältnisse
als notwendig sich herausstellen möchte, hinabzusteigen. Lassen
Sie sich, meine Herren, frühere Vorgänge zur Warnung in dieser
Beziehung gereichen. Als wir hier über die Paragraphen 2 und 3
verhandelten, sagte man uns von allen Seiten, es wäre das nur
ein Projekt, der Berichterstatter des Ausschusses erklärte uns
nicht ein- und zweimal, sondern fünfmal, in mehr oder weniger
direkten Ausdrucke!^ daß diese Paragraphen nur die Grund-
lage zur Unterhandlung mit Österreich bilden sollten, und nun,
nachdem dieselben votiert sind, was ergibt sich nun? In alle
Welt redet und schreit man hinaus, ja sogair in offiziellen Akten-
stücken aus der höchsten Sphäre des Reiches wird behauptet,
es sei durchaus nicht anzunehmen, daß die Versammlung von
den Paragraphen 2 und 3 lassen könne, das könne man uns
unmöglich zumuten, kurz diese Paragraphen 2 und 3 werden be-
reits wie eine Art von Dogma behandelt, ganz so, als ob die
zweite Lesung eine reine Formalität sei ; man gibt sie gewisser-
maßen als Grundsteine des Verfassungswerkes aus und baut
darauf richtig weiter. Sie sind einmal in diese Falle gegangen,
nehmen Sie sich in acht, daß es nicht zum zweiten Male ge-
schieht. Überhaupt scheint es mir, als ob der Verfassungs-
ausschuß - - mit aller Hochachtung im übrigen von den ge-
lehrtet H errn, die ihn bilden, gesprochen ! — seine Mission
zum Teil verfehlt habe. Statt sein Werk möglichst dem Tat-
sächlichen, wie es einmal vorliegt, den Verhältnissen des Landes
anzupassen, hat er sich wie ein orthopädisches Institut konsti-
tuiert, er hat sich ans Ziehen, ans Recken, ans Strecken und
ans Foltern gemacht, damit um den schönen idealen Leib ein
kunstgerechtes Gewand sich werfen lasse ; aber der Verfassungs-
Ausschuß hat dabei vergessen, daß derartige Kuren in einem
gewissen Alter und bei einer gewissen Konstitution des Pa-
tienten gefährlich, ja sogar lebensgefährlich sind. Meine
174
Herren! Noch ist es Zeit, umzukehren; tun Sie *s, selbst auf
die Gefahr hin, nicht bloß zwei, sondern zwanzig Paragraphen
und noch mehr von unserem Verfassungswerk auszuschneiden
oder umzubilden, andernfalls bin ich sehr bange, daß, wenn wir
nach Hause kommen, wir allerdings etwas recht schönes
Schwatzes auf Weißes mitbringen, daß es damit aber geradezu
sein Bewenden hat. Insbesondere aber sehen Sie zu, ob die
Massen recht homogen und im Flusse sind, aus denen Sie Ihr
Kaiserbild gießen wollen. Sind sie nicht homogen und
flüssig genug, und ich bezweifle dies, so möchte es sich leicht
ergeben, daß über dem Gusse die Form zerplatzt und das
flüssige Metall sich über das Vaterland ergießt. Ich aber
rufe: Gott bewahr das Haus!
i7S
Die deutsche Einheit
und die Preussenliebe
(1849)
Von Dr. F. J. Büß
Aber Sie mögen es mir glauben oder nicht, in der so ungläu-
bigen und glaubensgleichgültigen Paulskirche war der Kampf
über die Oberhauptsfrage von Seiten der Mehrheit vorherr-
schend ein konfessioneller. Ich habe es offen auf der
Tribüne ausgesprochen, und die gereizte Art, mit welcher
man mir geantwortet, hat mir gezeigt, daß ich die Wunde be-
rührt hatte. Und auch in dem jetzigen Stand der Frage beherrscht
dieses Moment die Protestanten viel mächtiger, als uns Katho-
liiken; aber daß wir, die wir unter dem Bund durch die Be-
günstigung der fast ausschließlich protestantischen Klein-
staaten ohne Rücksicht auf die Zahl der Bevölkerung bei fast
drei Fünftel katholisch :r Bevölkerung nur ein Viertel Stimmen
hatten, jetzt wieder aus falscher konfessioneller Demut und
wahrer Feigheit in die Lage der Minderheit uns herabdrücken
lassen sollten, das ist bei Gott zu viel uns zugemutet.
Wir haben nie Fehde gegen das protestantische Volk, sondern
stets nur gegen uns Katholiken protestantisierende Regierungen
geführt, solang sie für die Katholiken Sklavenhalter gewesen.
Jetzt, wo die Freiheit der Kirche verfassungsmäßig verkündet,
wenn auch praktisch noch gar nicht durchgeführt ist, fällt auch
diese Klippe der Einigung weg. Die Kirchen haben jetzt freie
Bahn: Ehre jener, welche der Menschheit am meisten nützt!
Unter gemeinsamer Freiheit kein Streit, nur Wettstreit, zwi-
schen Katholiken und Protestanten mehr!
Wir haben keinen Haß gegen Preußen, wir haben aber, so
176
gern wir l^reußen seinen Wert und seine Ehre lassen, objektive
CiTÜnde gegen Preußens Oberhauptschaft.
Wir haben von ihr keine Gewähren für unsere religiösen
Interessen; denn eine Regierung, welche die Freiheit der katho-
lischen und der eigenen protestantischen Kirche so feindselig
verfolgt hat, wie die preußische, wechselt über Nacht das Sy-
stem, das feste, nicht, wenn auch die Gerechtigkeit des Königs
iiim vorübergehende Zugeständnisse abtrotzt.
Wir haben keine Gewähren für die Reinerhaltung unserer
Schulen: eine Regierung, wie die preußische, welche eine so
peinliche Schulpolizei geübt und dennoch alle ihre Schulen von
Unglauben und Hegelei anfressen gelassen, beruhigt uns nicht.
Wir haben keine Gewähr für die Verfassung des Reichs: eine
Regierung, die erklärt hat, es soll kein Fetzen Papier störend
zwischen den König und das Volk treten und später, der ge-
rechten Forderung des Volks entsprechend, doch eine ver-
briefte Verfassung oktroyiert, und das Oktroyierte wieder um-
oktroyiert, weiß entweder nicht, was sie gibt, oder sie achtet
das Gewährte nicht.
Wir haben keine Garantie für die Ehre, Würde, Größe
r!es Vaterlandes, wenn diese Opfer von der reichsvor-
-tändlichen Monarchie fordern. Eine Regierung, welche im
Jahre 1795 schon des deutschen Reiches Freiheit und Ehre aus
Selbstsucht durch den Abschluß des Baseler Friedens und durch
die Ziehung der Demarkationslinie an den Reichsfeind hingab,
und welche im Jahre 1848 die Ehre des wieder geeinigten
großen Deutschlands durch den Malmöer Waffenstillstand und
den noch demütigenderen vom 10. Juli dieses Jahres an das
kleine Dänemark überantwortet, weil Preußen für Deutschland
die Opfer der Sperrung seines Handels nicht ferner bringen
wollte, hat bewiesen, daß ihr die dem Reichsoberhaupt an-
stehende Hingebung für das Gesamtvaterland nicht eignet.
Wir haben aber auch keine Gewährung für die rechtmäßigen
Sonderinteressen der einzelnen Stämme. Die preußische Regie-
rung hat den Regierungsgrundsatz: alles sich anzugleichen
Hergstriißer 1. i.; I77
und anzuorganisieren; selbst die Sprache findet da keine Scho-
nung; mit der so zentralisierten Reichsverfassung, wie sie
Preußen oktroyiert hat, wären die rechtmäßigsten Sonderinter-
essen der deutschen Stämme gefährdet.
Mit dem Ausschluß Österreichs sind uns Süddeutschen aber
alle festen Stellungen der Kriegsverteidigung entzogen: wir
sind schutzlos dem deutschen Erbfeind bloßgestellt: die preu-
ßischen Festungen und die preußischen Heere, in Reichskosten
stehend, nützten uns nichts. An Österreich aber, unserm Boll-
werk, finden wir später einen, durch die natürlichsten Vesten
begünstigten Feind, der stets aus dem gleichgültigen Freund
erwächst.
Überhaupt ist aber unser ganzes süddeutsches Wesen gegen
das Preußentum natürlich gestimmt. Wir sind gewohnt, und
mit uns der Österreicher, uns gehen zu lassen: wir bleiben
auch in der Kultur natürliche Menschen. Bei dem Preußen ist
alles gemacht, gespreizt, er ist ewig auf der Parade, im Schlaf-
rock macht er Dienst. Auch ekelt uns die ewige Selbstvergötte-
rung der Preußen, wie wir Badener in neuestem Tag sie er-
fahren.
In wirtschaftlicher Beziehung finden wir im Anschluß an
Preußen, wie uns der Zollverein so lange belehrt, nur eine Hem-
mung unserer jungen Industrie, die von Preußen den Inter-
essen des norddeutschen Freihandels und seinem eigenen ge-
opfert wird. In Österreich, das sich nach Ungarns Besiegung
und nach uns gegebenem Versprechen dem Zollverein an-
schließt, finden wir dagegen für unsere entwicklungsreiche
Industrie Absatz und für unsere Übervölkerung in dem frucht-
baren Ungarn und andern Provinzen des Kaiserstaats wohl-
feile, durch Reisekosten nicht verteuerte Niederlassung.
Gingen wir aber in d'en preußischen Sonderbund ohne Öster-
reich ein, so wären wir Süddeutsche, die schon durch die Frank-
furter Reichsyerfassung und durch die Dreikönigeverfassung
im Stimmenverhältnis Verkürzten, der norddeutschen Mehrheit
als geltungslose Minderheit zur steten Beute verfallen.
178
Von der Union zwischen dem so sich nennenden deutschen
Reich und zwischen dem weitern Bunde, dem verwundbarsten
Teil des preußischen Plans, spreche ich gar nicht; so etwas ist
eine politische Unmöglichkeit und es gehört eben so viele
.NTaivität der Herrschsucht dazu, so etwas zu bieten, als Selbst-
wegwerfung dazu gehören würde, sich so etwas bieten zu
lassen.
Und das wäre also das große Vaterland, das die Nation im
vorigen und im laufenden Jahr geträumt!
Mit siebzig Millionen wären wir Deutschen die Herren der
Welt: w'ir trügen die Schlüssel zum Tempel des Janus: Die
X'ation, welche zur Zeit ihrer Entwürdigung nur noch das Vor-
recht hatte, den andern Völkern Handwerksburschen, Bediente
Lind Hofmeister zu liefern, und in Allerweltsgelehrten die No-
tare für fremden Ruhm, erstände inmitten der Bildung der
neuesten Zeit wieder als erneuertes Reich Karls des Großen,
Und dessen sollen wir verlustig -werden, weil es einen Staat ge-
lüstet, unsere Lage in Selbstsucht zu nützen. Ewig wird es eine
Anklage gegen Preußen bleiben, daß es die Not Österreichs,
die Verlegenheiten der kleineren Staaten für sein Wachstum
hat ausbeuten wollen. Nein — das ist und bringt Unsegen dem
preußischen Volk, das gew^iß nicht diese Schädigung seiner
deutschen Brüder wall, und der deutschen Nation, welche solche
Zumutungen von sich abzuwehren weiß.
(Aus der Flugschrift gleichen Titels, Stuttgart 1849, S. 32 ff. [Wentzckes
Bibliographie Nr. 851])
I7Q
Hundert Schlagworte
zurVerlassungspolitik derZukunit
(Auszüge)
(1851)
Von Carl Ernst J a r c k e
23. Monarchie oder Republik?
Wer heute in Europa die Gesellschaft retten will, muß die
Monarchie retten. Die Republik ist keine Verfassungsform
für unsere Zeit, und dies zwar, weil es keine Republikaner
gibt. Es gibt aber keine Republikaner, weil der individuelle
Egoismus durchgängig den Korporationsgeist erstickt hat.
34. Statistik der Revolution
Die Vaterschaft der deutschen Revolution gehört zur größern
Hälfte def Beamtenwelt, welche, durch Rationalismus und falsche
Staatslehre auf die Republik dressiert, sich schlechterdings
nicht in den Gedanken finden konnte, daß der Beamte Diener
seines Fürsten sei. In die andere Hälfte haben brotlose Lite-
raten und literarische Juden, talentvolle antichristliche Poeten,
verbildete Handwerksburschen, viele Ärzte, viele Professoren
und Gymnasiallehrer, viele rationalistische Prediger, einige ab-
trünnige katholische Priester, die Mehrheit der Buchhändler
und eine Legion Dorfschullehrer sich mit den Regierungen ge-
teilt, welche den Wahn hegten, in Konzessionen liege das Heil,
und wer seine Macht zum Opfer bringe, werde seine Existenz
retten.
Was wir wollen
Eine große Anzahl denkender Menschen hat heutzutage bereits
den Täuschungen des Repräsentativsystems auf den Grund ge-
180
sehen, und will unter keiner Bedingung in den Abgiund hinein,
welchem diese Straße notwendig zuführt, wenn man „vorwärts*"
schreitet. Auf der andern Seite hat aber auch die überwiegende
Mehrzahl aller gescheiten Leute in Deutschland die Schwäche.
lie Verdorbenheit und innere Faulheit der reinen Beamten-
regierung durchschaut, und will unter keiner Bedingung in
den Zustand zurück, wie er etwa vor Anfang der Revolution
in Oestereich oder Preußen bestand. Dies sind zwei Negationen.
Aber das neue Positive, welches uns gegen das Verderben vor
und gegen die Verwesung hinter uns schützen könnte, dies ist
noch nicht einmal annäherungsweise formuliert worden. Wir
wissen, was wir nicht wollen, aber, wenigstens nicht genau und
praktisch ausgedrückt, was wir wollen. Und. dies eben ist die
schwache Seite der Wohlgesinnten, und die Stärke der bor-
nierten und unheilbaren Anhänger Delolmes die, ohne es zu
wissen und zu wollen, dem Kommunismus die Wege bereiten.
80. Vertretung des Proletariats
Kein Stand bedarf mehr der Vertretung, und keiner ist we-
niger fähig, seine eigenen Interessen zu kennen, zu würdigen
und zu vertreten, als der vierte. Nun kann aber der Arme nicht
schlechthin vom Reichen, der Arbeiter nicht vom Fabrikherrn,
der Tagelöhner auf dem Lande nicht unbedingt vom Grund-
besitzer vertreten werden, weil die Interessen dieser verschic-
lenen Klassen nicht nur nicht identisch, sondern einander
größtenteils gerade entgegengesetzt sind. Jener vierte Stand,
(das moderne Proletariat) der seiner Natur nach ohne Bevor-
mundung nicht leben kann, darf nur von der Regierung ver-
treten werden, und diese allein ist imstande, dessen Interessen
den höheren Klassen der Gesellschaft gegenüber wahrzunehmen
und zu schützen. Nur auf diesem Wege wird dem Kriege
zwischen Armen und Reichen vorgebeugt.
96. Lehre der Geschichte
Ohne Träger der Gewalt, die Gott zur Regierung geschaffen
und berufen, ohne Völker, die einer freien, menschlich milden
181
Regierung fähig und würdig sind, ist alles Suchen und Trachten
nach politischen Formen, welche Freiheit und Ordnung sichern
sollen, rein vergeblich. Ist das in einem Volke liegende sittliche
Kapital vergeudet, so ist dort nur noch eine Staatsform mög-
lich: Der Despotismus des Schwertes. Und hat die Nation
nicht selbst mehr die Kraft, diesen aus sich hervorzubringen,
so ist sie reif zu ihren letzten Dingen. Dann folgt die Ent-
kräftung, wie beim Einzelnen der Tod: fremde Invasion und
Eroberung.
98. Är.gernis und Torheit
Deutschlands und Europas politische Genesung ist unmög-
lich, wenn ihr nicht eine Rückkehr der modernen Bildung zum
Christentume und die Heilung des Bruches vorausgeht, der
die abendländische Christenheit zerreißt.
99. Kirche und vStaat
Ohne daß die christliche Gesinnung wieder oben und unten
zur Herrschaft über die Gemüter gelangt, ist die europäische
Gesittung verloren. Auch der moderne, atheistische Staat be-
darf des Christentums, um sein Leben zu fristen. Aber die
despotische, alles regierende Bureaukratie und die Kopfzahl-
majorität sind darin vollkommen einig, dem Christentum jeden
Einfluß auf die Wiederherstellung der Gesellschaft abzuschnei-
den. Wenn Kirche und Religion günstig auf den Staat zurück-
wirken sollen, so bedürfen auch sie solcher politischen Formen
und Institutionen, welche ihnen Luft und Licht zur Entfaltung
ihrer Lebenstätigkeit gewähren.
(Aus: Hundert Schlagworte zur Verfassungspolitik der Zukunft [anonym],
München, J. G. Weiß, 185 1 [als Manuskript gedruckt]. Wieder abgedruckt
in C. E. Jarcke, Prinzipienfragen, Paderborn 1854. — Die Schlagworte ent-
standen in der Revolutionszeit.)
182
Katholische Politik
(1851)
Von Dr. F. J. Hüll
Es gibt allerdings eine katholische Politik. .Es hat zwar an
der TIT. Generalversammlung ein Redner erklärt: „Wie jetzt die
Dinge in Deutschland stehen, gäbe es für uns keine katholische
Politik, über die wir uns verständigen könnten, sobald wir
auf die einzelnen Fragen eingehen wollten." Ein O'Connel hat
im englischen Parlament sie groß geübt, ein Montalembert
handhabt sie sicher in der gesetzgebenden Versammlung Frank-
reichs, ein Gerlache in dem gesetzgebenden Senate Belgiens.
Freilich, die Katholiken der Paulskirche haben sie nicht ge-
übt > sonst hätten sie den Karren der deutschen Politik nicht
so tief in den Kot schieben geholfen.
Aber eine katholische Politik besteht, überall die gleiche, und
so auch für Deutschland, mit folgenden -Grundzügen:
1. Der Katholizismus huldigt ehrlich der Freiheit und strebt
nach ihr; aber jede Freiheit ist ihm begrenzt durch Sittlich-
keit, er will sie nicht, um dem einzelnen Bürger Raum zur
Ausübung seiner Willkür, sondern zum aufopfernden Zusam-
menwirken mit seinen Mitbrüdern für die Erringung jener
Rechte undi Interessen zu geben, durch welche er den Anforde-
rungen seines ganzen sittlichen Wesens nnd den Bedürfnissen
eines sittlichen Gemeinwesens Befriedigung geben kann.
2. Der Katholizismus huldigt der Ordnung und strebt nach
ihr, nicht nach der Ordnung der den Menschen niederhaltenden
Polizei, sondern nach der Ordnung, welche die Grundlage eines
Reichs von Institutionen ist, die aus dem innersten Wesen der
Gesellschaft der Menschen nach göttlicher Vorbildung stammt
Es besteht ein Kreis solcher großen Gesamteinrichtungen, wie
183
der Kirche, der Schule, des Staats und der von ihm' geübten
Rechtspflege und Wohlfahrtsordnung, der Familie, der Ehe,
des Eigentums. Nie wird der Katholizismus dulden, daß diese
großen Anstalten verletzt werden.
3. Der Katholizismus huldigt der organischen Entwicklung
der öflfentlichen Zustände; das heißt er weiß, daß nur eine all-
mähliche Fortbildung derselben zulässig ist ; daß Nationalrechte
und Freiheiten gewisse Voraussetzungen, Bildung und so wei-
ter haben, und daß jeder sprungweise Fortschritt auf frühere
Stufen zurückwirft.
4. Der Katholizismus verwirft die Revolutionen, er macht
sie nicht, er nimmt sie aber an, als natürliche Selbstbestrafung
übermütiger Willkür von oben oder unten.
5. Der Katholizismus will den Staat zu einer natürlichen
Ordnung der Gesellschaft machen ; nicht zwingt er die Nei-
gungen des Volkes in künstliche Formen und Schranken:
nein, er will freie Entwicklung und Teilnahme der Bürger unter
eigner Verantwortlichkeit, er liebt einfaches, offenes, unmittel-
bares Verhandeln, ohne Papierwirtschaft und Bureaukratie.
6. Der Katholizismus trägt Rechnung der Eigentümlichkeit
der Gestaltung öfif entlicher Zustände und Verhältnisse: er
liebt die Selbständigkeit der Körperschaften und haßt eine
verallgemeinernde und nur zwangvolle Verflachung. '
7. Der Katholizismus liebt seinem Wesen gemäß große Ge-
sichtskreise, Auffassungen und Konzeptionen in der Politik,
die Universalität ; aber er liebt und erkennt auch die Nationen,
als die von der göttlichen Vorsehung bestellten Träger und
Gefäße der Menschheit, in deren Geschichte er einen Plan
Gottes verehrt. Er weiß stets mit dem menschheitlichen Ge-
sichtspunkt den nationalen zu vermitteln und mit dem letztern
die Interessen der Körperschaften und der Einzelnen.
8. Der Katholizismus nimmt sich in Wahrheit der Wohlfahrt
des Volkes an, indem er nach Vereinfachung der öffentlichen
Verwaltung, nach Erleichterung der Staatslasten strebt, dem
184
Volk das erreichbare Maß der Freiheit, deren Wirklichkeit,
^latt ihrer leeren Schlagwörter gibt, und überall die Ansprüche
der Selbstsucht dem Gemeinwohl zu opfern gebietet.
So weiß die katholische Politik, voll und reich, wie das Le-
ben, allen Vorkommenheiten des Lebens der Menschheit, der
Nationen und der einzelnen Menschen mit dem sichern Maß
ihres Urteils und dem Heil ihrer Tat zu nahen.
Von einer solchen Politik haben gerechte Regierungen nichts
zu befürchten: wohl aber fordert ihr Interesse, die von einer
solchen Politik geleiteten katholischen Vereine als gleichge-
sinnte Leiter des Volkes nach Kräften zu fördern.
Überhaupt aber braucht man die Katholiken Deutschlands in
der Politik nicht abzuspannen, sie sind ihrer Natur nach nur
gar zu ruhig.
Wohl aber darf man ihnen das Vorbild der Katholiken ande-
rer Völker vorhalten.
(Aus: Die Aufgaben des katholischen Teils deutscher Nationen in der Ge-
genwart, oder der katholische Verein Deutschlands. Durch den ersten Präsi^
deuten F. J. Büß Regensburg 1851, S. 401 ff. "l
185
Reaktion und kirchliche Rechte
in Preussen
Brief des Abg^eordneten L in hoff
an den Bischof Drepper von Paderborn
Berlin, den 19. März 1851
,,\'on der in dem liochgeehrten Schreiben vom 5. dieses
Monats mir gütigst erteilten Erlaubnis mache ich schon gegen-
wärtig Gebrauch, überzeugt, daß ich den Josefstag nicht besser
anwenden kann, als wenn ich mit dem hochwürdigsten Herrn
Bischof mich in A'erbindung setze, und. in der Hoffnung, daß
Ew. Bischöfl. Gnaden die Mitteilungen mit derselben Nach-
sicht wie früher aufnehmen werden.
Die Äußerungen des Kultusministers v. Raumer, worüber
sich mein ehrerbietigstes Schreiben vom 19. vorigen Monats
verbreitete, gewinnen leider durch neue Vorgänge eine Bedeu-
tung, welche bei mir und meinen Freunden nicht geringe Be-
sorgnis erregt. Wurde damals offen ausgesprochen, daß der
König als membrum praecipuum der evangelischen Kirche mit
seiner Macht und seinem Ansehen diene, so verkündigt die
,,Neue Preußische Zeitung" — das Organ derjenigen Partei
(Gerlach, v. Kleist-Retzow), welcher sich von Raumer sicht-
lich anschließt — in einer Reihe von Leitartikeln mit einer
seit dem Jahre 1848 unerhörten Unverschämtheit, daß die Re-
gierung endlich den Beruf von Preußen als eines protestan-
tischen Militärstaates erkenne und anerkenne, und als Gerlach
kürzlich darüber zur Rede gestellt wurde, war die Antwort, es
sei doch einmal nicht anders.
Bringt man hiermit die neueste Erklärung des Ministers bei
Gelegenheit der Verhandlung über den Etat des geistlichen
186
Ministeriums in Verbindung,, welche dem Vortrage des Abge-
ordneten Landfermann über die Notwendigkeit der endlichen
Dotation der evangelischen Kirche und der Erwiderung des
Abgeordneten Rohden folgte, so drängt sich unwillkürlich der
iedanke auf, daß von nun an die evangelische Kirche als die
bevorzugte und herrschende, die katholische nur als die ge-
duldete, als ein Stiefkind behandelt werden soll.
Während die Verfassungsurkunde beide Kirchen nebenein-
ander nennt, um, wie sich die ,, Erläuterungen" ausdrücken,
darzutun, daß diese in der ihnen zustehenden feierlich verbrief-
ten Stellung nicht beeinträchtigt werden sollen, während nach
Art. 15 das Rechtsverhältnis einfach dahin festgestellt ist, daß
beide Kirchen ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und
verwalten, beide im Genuß und Besitz der für ihre Kultus-,
Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten,
Stiftungen und Fonds bleiben, deren sie sich bei Erlaß der oktroy-
ierten, beziehungsweise bei der Verkündigung der Verfassungs-
urkunde vom 31. Januar 1850 zu erfreuen hatten, während da-
nach von Ansprüchen auf fernere Unterstützungen, soweit sie
nicht auf einem Rechtstitel beruhen, nicht die Rede sein kann,
jedenfalls nicht anders als bei gleichzeitigen Zuwendungen an
beide je nach der Zahl der Konfessionsverwandten, wird von
demselben Ministerium, welches mehr als einmal versprochen
hat. mit der Revolution, also mit jeder Rechtsverletzung, zu
brechen, eine Stellung eingenommen, als wäre ausschließlich
oder wenigstens vorzugsweise auf die Protestanten Rücksicht
zu nehmen, als könne von den sechs bis sieben Millionen Ka-
tholiken erst in zweiter Linie geredet werden.
Niemand wird dieser Folgerung widersprechen können, wel-
cher erwägt, daß die Bulle De salute animarum trotz aller feier-
lichen, bis in die neueste Zeit reichenden Erklärungen (als ich
während der vorigen Sitzungsperiode einmal mit v. Ladenberg
über die Ausführug derselben mich unterhielt, äußerte derselbe,
er müsse offen bekennen, es sei ihm unerklärlich, wie jene so
lange hingehalten) noch nicht ausgeführt ist, daß Hunderte von
187
Rechtsansprüchen noch unbeachtet geblieben sind und daß des-
ungeachet eine neue Dotation der evangelischen Kirche aus
Vergünstigung in Aussicht gestellt wird, ohne mit einem Worte
der zunächst zu erfüllenden Verpflichtungen gegen die katho-
lische Kirche zu gedenken.
Ew. Bischöfl. Gnaden und die übrigen Herren Bischöfe wer-
den gewiß die Ansicht teilen, daß eine Vergleichung zwischen
den für beide Kirchen bestimmten Mitteln erst dann angestellt
werden kann, wenn entschieden ist, welche Summe auf recht-
licher Verpflichtung, welche auf freier Bewilligung beruhen.
Ein sehr unterrichteter Mann äußerte, das Ergebnis dieser
Trennung werde sein, daß von den Beträgen für die katholische
Kirche noch nicht ein Fünfzigstel anders als aus Rechtsan-
sprüchen herzuleiten sei. Wie dagegen bei den Protestanten?
Mein enger Gesichtskreis erinnert mich schon an die aus Staats-
fonds ohne jeden Rechtstitel gegründeten Kirchensysteme zu
Arnsberg, Meschede, Brilon, Marsberg, Attendorn, Belecke
und so weiter, sowie daran, daß der Staat für die evangelischen
Elementarschulen in Münster, wo so viele hochgestellte und
wohlhabende Protestanten wohnen, sechshundert Taler jährlich
zahlt.
Ebenso glaube ich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß
dieselben allein berechtigten Vertreter der Katholiken in Preu-
ßen den unzweifelhaft für das Jahr 1852 zu erwartenden Forde-
rungen für die evangelische, verhältnismäßige für die katho-
lische Kirche entgegensetzen und frühzeitig anmelden werden.
Nach dieser Auseinandersetzung erlaube ich mir, Ew. Bischöfl.
Gnaden Augenmerk noch auf einen andern wichtigen Punkt
zu lenken, auf die katholische Abteilung im Kultusministerium.
Früher bestand dieselbe aus einem wirklichen Direktor (v. Dües-
berg) zwei ordentlichen Mitgliedern (Schmedding und Aulike)
und mindestens einem Hilfsarbeiter (Reg.-Rat Mazerath).-
Gegenwärtig fehlt ein Direktor, indem der Geh. Oberregierungs-
rat Aulike nur mit der Geschäftsleitung beauftragt ist. Außer
demselben sind der Geh. Justizrat v. Ellerts und der Assessor
188
Ulrich nur als Hilfsarbeiter anzusehen, da keiner von beiden
definitiv angestellt ist. Wenn das Staatshandbuch den Geh.
Reg-ierungsrat Brüggemann als Mitglied der katholischen Ab-
teilung aufführt, so ist das eine Unwahrheit, indem derselbe,
worauf ich noch zurückkommen werde, ausschließlich in der
Unterrichtsabteilung beschäftigt, und demselben nur gestattet
ist, nach Relieben den Sitzungen der katholischen Abteilung
beizuwohnen.
Es ist mir recht wohl begreiflich, daß die Herren Bischöfe
an diesen Gegenstand nur mit einer gewissen Vorsicht heran-
treten können, ebenso unzweifelhaft aber auch, daß für die
Katholiken die größten Nachteile erwachsen werden, wenn die
Abteilung bis zur völligen, voraussichtlich erst nach zehn Jah-
ren, vielleicht nie, durchzuführenden Auseinandersetzungen zwi-
schen Kirche und Staat nicht wiederhergestellt und mit einer
bis jetzt fehlenden Allerhöchst zu genehmigenden, bestimmten
Instruktion über die von ihr ausschließlich oder in Gemeinschaft
mit der Unterrichtsabteilung zu bearbeitenden Gegenstände ver-
schen wird.
In der Unterrichtsabteilung wurde vor Jahren das katho-
lische Elementarschulwesen von dem Geh. Reg.-Rat Brüggemann
bearbeitet, dem auch die katholischen Gymnasien und Univer-
sitäten zur Bearbeitung überwiesen sind. Später mußte er sich
in jenes mit dem famosen Geh. Rat Stiehl teilen, zuletzt ganz
darauf verzichten. Daß ein solches Verfahren nicht länger fort-
dauern darf, braucht kaum angedeutet zu werden. Wohlunter-
richtete glauben sogar, es müsse darauf gedrungen werden,
daß fortan das katholische Unterrichtswesen in Gemeinschaft
mit der vorher zu vervollständigenden katholischen Abteilung
bearbeitet werde."
(Abgedruckt bei O. Pfülf S. I., Josef Linhoff, Freiburg 1907, S. 33!.)
189
Die Bildung
der katholischen Fraktion im
preussischen Abgeordnetenhause
August Reich ensperger an Steinle
23. September 1852
,,Die preußische Regierung hat nun auch in ihrer Weisheit
die religiöse Gärung wieder in Gang gebracht. Und das nach
allen Erfahrungen der letzten Jahre ! Sie kommt mir vor wie
ein Rekonvaleszent von einer schweren Krankheit, der sich auf
seinem ersten Ausgang in geistigen Getränken übernimmt und
dann in krankhaftem Übermut die harmlos Vorübergehenden
mißhandelt. Aber der Protestantismus lebt ja nur vom Hasse
und der Ignoranz. Das Einzige was die Regierung entschul-
digt, ist, daß die Katholiken sich immer so ruhig haben ducken
lassen."
Derselbe
Berlin, 6. Dezember 1852
,,Hier schwimmt noch alles im Trüben herum, indes hat
sich doch bereits eine katholische Fraktion von etwa 60 Mit-
liedern gebildet, die freilich in politischer Beziehung ziem-
lich weit auseinandergehen. Auf Zahlenmajoritäten gebe ich
nicht viel, dafür aber danke ich dem Konstitutionalismus
bestens, daß er die Katholiken aus allen Gegenden der Wind-
rose auf einen Punkt zusammenführt."
,,Vnn unserem hiesigen Tun und Treiben, unserer katho-
lischen Fraktion, unsern Anträgen und Debatten und so weiter
erfährst Du wohl so gut wie nichts? Und doch scheint mir
190
nicht unwichtig- zu sein, was sich hier begibt, und dazu im
L^anzen ad majorem Dei gloriam auszuschlagen. In einigen
Pagen will ich Dir den stenographischen Bericht über unsere
am 12. dieses Monats gelieferte Hauptschlacht mitteilen. Wir
sind zwar abmajorisiert worden, allein alle Welt meint, daß dem
Ministerium mit solchen Siegen nicht gedient sein könne.''
(Aus: A. M. V. Steinle, Eduard v. Steinle und August Reichensperger,
Köln 1890, S. 74. Görresgesellschaft, Dritte Vereinsschrift.)
Zusammentritt der katholischen Abgeord-
neten
,,i. Dezember. Was unsere politische Stellung betrifft, so
halte uns Gott einig, was ich von seiner Gnade fest hoffe, dann
werden wir wohl sicher stärker sein als jede der anderen Par-
teien ; deshalb möchte jede uns zu sich herüberziehen: wir sind
aber entschieden, uns keiner anzuschließen. Treffen sie mit uns
zusammen, so wird es dann uns recht Sein. Übrigens bete und
laß für uns beten."
,,3. Dezember. Unsere äußere Stellung geht nun zunächst
darauf hinaus, daß Wilderich Bornheim, mehrere unserer
Bekannten und ich die Katholiken, die hier zugegen sind, zu
einer Fraktion gesammelt haben, die, ihr Banner an der Spitze,
sich die ,, Katholische Fraktion" nennt. Zu dieser Fraktion
haben wir diejenigen Katholiken, denen es um die Sache ernst
ist, dadurch zu ziehen uns bestrebt, daß wir entschieden als
Katholiken auftreten. Dadurch sind dann auch viele zurück-
geschreckt — tant mieux ! — Ich möchte vielleicht wünschen,
daß dieses Schreckmitel noch entscheidender gewirkt hätte, in-
des wird Gott das schon leiten. Als Katholiken haben WMr
uns nun für alle kirchlichen Fragen fest un-
tereinanderverbündet. Da aber alle politischen Nu-
ancen unter uns sich befinden, haben wir in politicis uns inso-
fern freigestellt, daß die Abstimmung jedem frei bleibt. Zur
.gegenseitigen Aufklärung aber und zur möglichsten Annähe-
191
rung und Ausgleichung werden in unseren Fraktionssitzungen
alle vorkommenden Fragen unter uns scharf und entschieden
diskutiert Und zur Abstimmung gebracht, und da glaube ich
wohl wahrzunehmen, daß einige Ausgleichung sich anbahnt."
(Aus dem Tagebuch des Abgeordneten Josef Graf v. Stolberg-Westheim,
mitgeteilt in dem Lebensbild von Otto Pfülf S. L, Freiburg i. B. 19 13, S. 125.)
ÜberdieBildungderkatholischen Fraktion
„In norddeutschen Blättern ist die Bildung einer katho-
lischen Fraktion mehrfach unter einem ungünstigen Lichte be-
sprochen worden. Mögen im Interesse der Wahrheit folgende
Bemerkungen eines persönlich Unbeteiligten eine unbefangene
Würdigung finden!
1. Die Bildung der Katholischen Fraktion ist nicht durch
ein unbestimmtes konfessionelles Interesse, sonicrn durch
eine bestimmt vorliegende Verletzung verfassungsmäßiger
Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche veranlaßt
worden.
2. Die Katholische Fraktion besteht aus Männern, die sich
in dem Gedanken begegnet sind, daß die Abhilfe dieser ver-
fassungsmäßigen Beschwerden im Interesse der Kirche wie
des Staates von hoher Wichtigkeit und als solche von den
Kammern anzusehen, daß aber die Abhilfe nur durch mühsame
und zeitraubende Anstrengungen zu hoffen sei.
3. Die Katholische Fraktion läßt in rein politischen Fragen
die Meinungsfreiheit unbeschränkt, sie hat daher kein Pro-
gramm, sondern nur eine Geschäftsordnung aufgestellt, und
die Erfahrung hat auch gezeigt, daß bei Wahlen und anderen
Gelegenheiten die Mitglieder teilweise auseinandergingen.
4. Wenn sich in der Mehrzahl der Katholischen Fraktion
auch in politischen Fragen eine Übereinstimmung gezeigt hat
und noch zeigen wird, so ist dieses nicht die Wirkung der
katholischen Fraktionsbildung als solcher, sondern die Wir-
192
kung der Übereinstimmung und Sympathie, die unter den
Katholiken von selbst auch in politischen Anschauungen ent-
steht, welche Sympathie auch bei anderen Fraktionsbildungen
tätig ist und von selbst deren geistiges Band bildet.
5. Die katholische Fraktion als bloß für kirchenstaatsrecht-
liche Fragen bestimmt, wofür sie nur Gerechtigkeit und Parität
in Anspruch nimmt, schließt Altkatholiken nicht aus und wird
sich durch deren Zutritt sehr erfreut finden.
6. Die katholischen Abgeordneten, die sich in jener Richtung
begegneten, sind von den öffentlichen Blättern selbst zuerst
die ,, Ultramontane Partei", dann die ,, Katholische Partei oder
Fraktion" genannt worden, und die Fraktion ist nur in den
ihr bereits zugewiesenen Namen eingetreten, der ihr auch im
Sprachgebrauche immer verblieben wäre, wenn sie sich auch
eine andere Benennung ausgewählt hätte.
7. Wenn in Bayern eine Verletzung der verfassungsmäßigen
protestantischen Kirchenfreiheit vorkäme, wenn in der dor-
tigen Kammer die Abgeordneten der evangelischen Konfession
zur Bekämpfung derselben sich vereinigten, wenn diese Ver-
einigung die „Evangelische Fraktion" genannt würde und sich
selbst so nennte, so würde katholischerseits jeder das voll-
kommen begreiflich finden und nichts dawider einzuwenden
haben.
8. Der vorgekommene Einwand, daß zur Vertretung der
katholischen kirchlichen Interessen die Bischöfe, nicht eine
Kammerfraktion, das berechtigte Organ seien, ist offenbar
unbegründet. Denn wenn die Verfassungsurkunde Rechte der
Kirche zugewährt, so haben die Abgeordneten das Recht wie die
Pflicht, wo sie solche Rechte für verletzt halten, die Beschwerde
an die Kammer als Wächter der Verfassung zu bringen, und na-
türlich werden sich dazu vorzugsweise die Abgeordneten der
Konfession bewogen fühlen, welche die beschwerte ist.
9. Der Einwand, daß die Bildung einer katholischen Frak-
tion mit dem von einer gemischten Bevölkerung übernom-
menen Mandat in Widerspruch stehe, ist ebensowenig be-
BergstrHßer I. i ; I93
gründet. Denn daraus, daß katholische Abgeordnete ihre
evangelischen Mitbürger nach der vollen Gerechtigkeit mit
zu vertreten haben und vertreten werden, folgt nicht, daß ste
die verfassungsmäßigen kirchlichen Rechte der katholischen
Mitbürger nicht vertreten dürften; sie haben dazu ebensogut
wie zu jenem die Pflicht, also auch die Pflicht, die Mittel zu
ergreifen, die sie zu jenem Zwecke als die wirksamsten er-
kennen, insoweit dadurch die Rechte der evangelischen Mit-
bürger nicht verletzt werden, was hier gewiß niemand be-
haupten wird.
10. Die Ansicht, daß die Mitglieder der Katholischen Frak-
tion besser getan hätten, sich in die andern Fraktionen zu ver-
teilen und bloß für die katholischen Fragen zusammenzutreten,
widerspricht der parlamentarischen Erfahrung; denn erstens
nimmt die Teilnahme an einer Fraktion, wenn man im. Zusam-
menhang der Geschäfte bleiben will, die Kräfte so sehr in An-
spruch, daß zu besondern nebenhergehenden Versammlungen
keine Zeit übrig bleibt. Dieses ist der Grund, weshalb in der
Berliner Nationalversammlung 1848, wo man keine katholische
Fraktion gebildet hat, als es an die Kirchen- und Schulfrage
kam, gar keine ordentlichen Versammlungen der Katholiken
mehr zusammengebracht werden konnten. Zweitens legt die
Teilnahme an einer Fraktion Verpflichtungen gegen die Ma-
joritätsbeschlüsse auf, und wenn die Majorität gegen die katho-
lische Frage wäre, so bliebe den katholischen Mitgliedern jener
Fraktion nichts übrig, als entweder auszutreten, was für Männer
immer peinlich ist, oder gegen ihr Gewissen zu stimmen, min-
destens sich der Abstimmung zu enthalten. Die Zer-
streuung der katholischen Abgeordneten unter die andern Frak-
tionen würde daher mit dem Aufgeben der vorliegenden katho-
lischen Fragen gleichbedeutend sein.
11. Jedenfalls ist die katholische Fraktions-Bildung nur
eine untergeordnete Frage der Zweckmäßigkeit und des Mit-
tels. Die Hauptsache ist, die Verletzung verfassungsmäßiger
Rechte wieder rückgängig zu machen, und es ist keine aufrich-
194
tige Taktik, \venn norddeutsche Blätter die Aufmerksamkeit
auf jene, bloß sekundäre Frage hinlenken, um die Kraft und das
Interesse für den Hauptpunkt zu teilen und zu schwächen."
(Einsendung einer „bedeutenden Persönlichkeit" an die Kölnische Zeitung,
aus ihr in der „Deutschen Volkshalle" 1853 Nr. 13 ohne Bemerkung über-
nommen, abgedruckt bei Pfülf, Stolberg, S. 125 Anm. 2)
195
„Die Ministerialerlasse"
A
Rede des Abfreordneten von Wal dbott-B o rnheim
Über die Raumerschen Erlasse
im preußischen Abgeordneten hause
am 12. Februar 1853
Meine Herren ! Der Antrag, den, wie Sie eben von dem Herrn
Referenten*) gehört haben, wir eigentlich so trocken behandeln
sollten, und den er durch den Bericht des Zentral-Ausschusses als
erledigt betrachtet, er trägt meinen Namen ; aber deshalb, so
lieb er mir seiner Tendenz und seiner Begründung wegen ge-
worden, ist er doch nicht mein Eigentum: er ist das Eigentum
vorzugsweise, wenn auch andere Herren mit unterschrieben
haben, der so vielfach angefeindeten Katholischen Fraktion, —
einer Fraktion, die man daran erinnern zu müssen glaubte,
daß sie auch evangelische Mitglieder des Staates zu vertreten
habe; der man geglaubt hat vorführen zu müssen, daß sich die
Kammer mit l^olitik und nicht mit Religion zu beschäftigen
habe, die aber eigentlich weiter nichts als eine Versammlung von
Menschen, die jede nach den einzelnen Lebensstellungen Man-
chem fremde Frage besprechen, dann aber in allen nicht spezi-
fisch katholischen Sachen, als worüber sich jeder klar ist, es
jedem überlassen, nach der Überzeugung, die er gev/onnen,
sein Ja oder Nein in die Wagschale zu legen. Zusammenge-
drängt wurde allerdings diese Fraktion gleichsam durch den
Willen ihrer Wähler, welche in der heutigen Frage die wich-
tigste, die uns beschäftigen kann, erkannten ; und im Gegensatz
*) Dar Berichterstatter der KommissioQ war der Abg. von Gerlach-Neu-
stetiin.
196
zu dem Rate, den von Waldbottschen Antrag als abgemacht zu
behandeln, erinnere ich daran, daß, wenn wir auf die Wähler
zurückblicken, welche die Mitglieder der Fraktion hierher-
schickten, es zwei Fünftel der Bevölkerung der Monarchie sind,
die die Frage für eine wahre Lebensfrage unseres Vaterlandes
halten.
Hierin liegt wohl auch teilweise mit die Bedeutung, welche
der Antrag weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus
erhalten hat. Der Herr Referent verläßt nun auch wirklich
seinem Rate getreu den Antrag und die Motive für und gegen
in dem Berichte des Zentral-Ausschusses fast gänzlich, und
spricht vorzugsweise über religiöse Gegenstände, namentlich
über Jesuiten. Es handelt sich aber hier weder um eme Kirchen-
geschichte, noch um Widerlegung der dem Jesuiten-Orden
zu allen Zeiten gemachten Vorwürfe, oder um eine Lobrede auf
dieselben, sondern einfach um Zurücknahme eines Unrechts, und
hierauf bezüglich sind die Motive, welche dem uns beschäf-
tigenden Antrage zugrunde gelegt wurden, doch näher ins Auge
zu fassen; einmal ist es der Rechtspunkt, dann auch die poli-
tische Seite der Sache. Das Recht glauben sie verletzt und ihre
Gründe hierfür nicht widerlegt. In politischer Hinsicht glauben
sie, daß nur in dem Christentum die tiefen Schäden der Zeit
ihre Heilung finden können, und daß alle bürgerliche Ordnung
nur dann als dauernd gesichert erachtet werden kann, wenn sie
in einem lebendigen religiösen Glauben wurzelt, daß also die voll-
kommene und wahre Restauration und Regeneration unserer
Zustände nur auf dem kirchlichen Gebiet zu suchen, daß die
sozialen Zustände nur aus den Händen der Religion die allein
dauernde wahre Weihe wiederum erhalten können, daß dies nur
erreicht werden kann, wenn jede Kirche frei ist, das zu tun,
was sie nach ihrem Bekenntnisse zur Förderung dieses reli-
giösen Glaubens für das Ersprießlichste hält.
.Sie sehen, meine Herren, aus dem Gefühl, daß auf dem kirch-
lichen Gebiete dejji Staate geholfen werden müsse, ist der
Antrag vorzugsweise entstanden. Daß meine Freunde mir
197
erlauben, einem Antrage solcher Tendenz meinen Namen an
die Spitze der Unterschriften setzen zu dürfen, dafür bin ich
um so dankbarer, als eine Anerkennung- dessen darin liegt, was
die Provinz, der ich angehöre, in dieser Sache getan hat. Er ist
freilich auch entstanden aus dem Gefühle verletzten Rechtes,
und wenn ein solches auch nur bei den Katholiken verletzt wurde,
so gehörte er doch um so mehr und recht eigentlich vor die
Kammer, als er ferner hervorgegangen ist aus dem gefühlten
Bedürfnisse der Einheit, und daß bei der massenhaften Teilung
unseres Staates nach Konfessionen der Wohlfahrt desselben und
seiner Fortentwicklung nichts verderblicher als Mißtrauen,
das schädlichste Mißtrauen aber jenes sei, welches in der Ver-
schiedenheit religiöser Bekenntnisse wurzelt, daß dem Mini-
sterium und noch mehr der Kammer die Gelegenheit gegeben
werden müsse, dies Mißtrauen und die Aufregung, welche die
Erlasse in die Bevölkerung unverkennbar gebracht, in ein
segensreiches Vertrauen umzuwandeln, und Preußen wirklich
zu einer einheitlichen Großmacht zu einigen, während es das
verderblichste Streben sei, in Verfolgung des Zweckes eines
spezifisch evangelischen Staates das Vaterland in zwei große
Hälften mit zehn Millionen Berechtigten und sieben Millionen
Nichtberechtigten zu zerlegen. Hiernach gehe ich nun näher auf
das Referat ein, und frage, ob, aus diesen Gesichtspunkten be-
trachtet, denn wirklich die Sache durch den Bericht oder die
Erklärung des Ministeriums in demselben abgemacht sei.
Ich muß gestehen, solange die Erlasse die Unterschrift des
Ministeriums des Kultus, des Unterrichts und der Medizin
tragen, scheint mir, müssen sie ganz zurückgenommen werden,
weil dieses Ministerium nach dem Reskripte vom Jahre 1851
nicht mehr ressortmäßig ist, und nichts mit der Polizei, weder
mit der Straßenpolizei, noch mit der Paßpolizei zu tun hat.
Der Erlaß vom Jahre 1851 hat, wenn ich recht berichtet bin,
seine Entstehung folgendermaßen nachzuweisen: In dem Jahre
1850 wurde zuerst eineMission in dem jetzigjen preußischen Erb-
lande Hohenzollern gewünscht; sie sollte vor sich gehen; der
198
damalige Präsident, Graf Spiegel, frug an, wie es damit zu hal-
ten? Und das Staatsministerium trat zusammen und setzte fest,
daß nach der neueren Gesetzgebung, nach unserer Verfassung
das Kultus-Ministerium mit den inneren Angelegenheiten der
Kirche, also auch mit den Missionen, nichts mehr zu tun habe,
daß aber nötigenfalls das Ministerium des Innern, als das der
Polizei, und selbst, wenn es erforderlich, auch das Justiz-Mini-
sterium ressortmäßig einzuschreiten habe, wenn Polizeiwidrig-
keiten oder gar weiter gehende Ungehörigkeiten vorkommen
sollten.
Wenn nun noch ein Jahr später der Kultus-Minister die Er-
lasse, die wir jetzt so beanstanden, mit vollzogen hat, so liegt
darin schon das Zuweitgehen von seiner Seite, das heißt: das
Eingreifen in die Rechte der Kirche.
Man verbietet Missionen, weil man fürchtet, es könne da-
durch Aufregung herbeigeführt werden ; diese Aufregung ist
nicht nachgewiesen, der Berechtigte aber doch jedenfalls in
seinem Rechte zu schützen. Die Befugnis zu Repressiv-Maß-
regeln sprechen wir dem Staate gewiß nicht ab, aber wir be-
haupten, daß die Präventiv-Maßregeln zu weit gegangen sind.
Was würde man wohl sagen, wenn in einer vorzugsweise
katholischen Gegend den sporadisch dort sich bildenden Ge-
meinden der Evangelischen von Seiten der Katholiken nichts
wie Unfug bei ihrem Gottesdienste entgegengesetzt würde.
Würde die Regierung sie nicht schützen, würde man ihnen
nicht Schutz schuldig sein? Wäre es also umgekehrt wirklich
an der Zeit gewesen, zu sagen, wenn solche Missionen in ein^
zelnen zerstreut liegenden katholischen Gemeinden gehalten wer-
den sollen, so hat die Behörde vorzugsweise darauf zu sehen,
daß dieselben nicht von Seiten der umwohnenden Nichtkatho-
liken gestört werden. In diesem Sinne wären die jetzt so sehr
beanstandeten Erlasse, wenn man gewollt hätte, auch leicht zu
ändern gewesen, und zwar in ganz faßlicher Weise, wenn es
z. B. hieße: ,,Der Fall einer, die öffentliche Ruhe gefährdenden
Aufregung kann besonders in Orten gemischter Konfession
199
leicht eintreten", „und wird ein Auftreten der Missionare in
katholischen Gemeinden, welche mitten in evangelischen Pro-
vinzen zerstreut liegen, leicht Verdacht erregen können, daß
hier andere Zwecke zugrunde liegen", und wenn das Kultus-
Ministerium solchen Erlaß abschriftlich den geistlichen Behör-
den, den Bischöfen, mitgeteilt, und nun gebeten hätte, damit das
Gute, welches in den Missionen gefunden wird, den katholi-
schen Untertanen nicht verkümmert werde, möchten sie auch
die Missionare anweisen, dafür zu sorgen, daß keine Auf-
regung bei anders Glaubenden vorkomme. Ja, meine Herren,
dann wäre der Erlaß nicht allein milde, sondern sogar wohl-
Avollend zu nennen, wir würden dem Ministerium sogar sehr
dankbar sein, dann wäre das Ministerium ganz auf dem Boden,
den ich eingangs bezeichnete, indem ich sagte, auf dem kirch-
lichen Gebiete wollen wir dem Staate helfen, daß er wieder zur
sozialen Ordnung zurückkehre. Der zweite Erlaß vom i6. Juli
ist ebensowenig durch die Erklärungen des Ministeriums j;e-
rechtfertigt. Man sagt, die Erlaubnis, nach Rom zu gehen,
habe nur zentralisiert werden sollen, und müssen, weil (wie es
scheint) das Besuchen des Collegii germanici, das Studieren
daselbst bei den Jesuiten so etwas Gefährliches ist, die Pässe
vom Ministerium erteilt werden. Ich gestehe Ihnen, ich habe
bei dieser Auffassung durch den Bericht des Zentral-Aus-
schusses das Reskript nochmals und mehrmals durchgelesen
und kann nichts als ein Verbot herauslesen.
Zentralisiert hat man da nichts, wohl aber eine auf einen
Fall angewendete Verfügung generalisiert, und zwar heißt es,
dem Herrn Rosenbaum soll die Erlaubnis nicht gegeben wer-
den, weil kein Grund vorhanden ist, ihm den Paß zu geben,
und soll in allen folgenden Fällen die Regierung so verfahren.
Es heißt also doch offenbar, wo kein besonderer Grund ist, wird
die Regierung den Paß ins Collegium germanicum nicht er-
teilen; umgekehrt sollte ich doch glauben, verweigert man in
der Regel nur Pässe, weil ein Grund der Verweigerung da ist.
Nehmen sie nun das Datum der beiden so schnell hinterein-
200
ander folgenden Reskripte vom 22. Mai und vom 16. Juli, das
ine, die Misson der Jesuiten verbietend, das andere das Stu-
dieren bei den Jesuiten — beide eben unverständlich oder miß-
verständlich abgefaßt, — so wird es Ihnen, wenn Sie den Be-
richt des Zentral-Ausschusses noch dazu lesen, und den letzten
Vortrag über die Jesuiten, den Sie eben von dem Herrn Refe-
renten gehört haben, auch noch hinzunehmen, offenbar und klar
werden, daß es sich nicht darum handelte, in milder Form Auf-
regung zu verhindern oder Paßpolizei zu üben, sondern
darum, der Furcht, die sich gegen den Jesuiten-Orden ver-
breitet hat, gerecht zu werden und seiner Ausbreitung einen
Damm entgegenzusetzen. Deshalb läßt sich auch aus dem Res-
kripte unmöglich herauslesen, was das Ministerium behauptet,
daß es nur ein Verbot der Missionen auf öffentlichen Plätzen
habe aussprechen wollen, daß es nur bei Paßerteilungen ins
Collegium germanicum die Erteilung sich selbst vorbshalte.
Wenn die Missionen anzuordnen zum Ressort der Bischöfe
ii^ehört, und die Lehre ihrer Diener zu leiten Sache der Kirche
ist, so hätte man erwarten dürfen, daß das Ministerium sich mit
diesen über die in dem Reskripte berührten Punkte benommen
hätte. Das wäre wohlwollend gewesen ; wollte man dieses aber
nicht, so hätte wenigstens erwartet werden dürfen, daß öffent-
lich, und zwar zunächst denen, die es anging, das Verbot mit-
geteilt worden wäre. Der Bericht des Zentral-Ausschusses sagt
uns aber, daß die Reskripte eine heimliche Korrespondenz mit
den Behörden gewesen seien. Mich streng am Antrage haltend,
folge ich dem Berichte und dem Referenten in dem Gebiete der
Geschichte der Jesuiten nur sehr beschränkt.
Der Standpunkt, den wir alle einnehmen, kann so verschie-
den sein, muß für den, der aus Eugene Sue geschöpft hat, und
für den, der aus den Schriften der Jesuiten selbst schöpfte. Ich
sage nun mit Heinrich IV. von Frankreich, was er seinem Par-
lamente antwortete, als er damit umging, die Jesuiten wieder
in Frankreich einzuführen, und das Parlament ihm seine Be-
denken entgegenstellen wollte, er sagte unter andrem: Wenn es
20 r
dumme Professoren, ungeschickte Prediger wären, so würdet
ihr sie verachten; jetzt da es geschickte Prediger sind, wollt ihr
es ihnen zum Vorwurf machen.
Für den Antrag genügt die Bemerkung: sie sind ein Glied
der katholischen Kirche und das Konzilium von Trient nennt
sie eine fromme Anstalt.
Auf das Gebiet, auf welches wir sollten geführt werden, daß
selbst der Erzbischof von Köln sich „gegen die Jesuiten" ausge-
sprochen habe, werde ich noch weniger folgen, und hoffe, daß
keiner meiner politischen Freunde es betreten werde. Denn wir
sind vorgetreten mit unserem Antrage, nicht um zu erbittern und
alte Wunden aufzureißen, sondern um zu zeigen, daß wir es ge-
rade sind, die nicht Preußen, was der Referent vielleicht meint,
in zwei Teile teilen wollen, sondern die herzlich gern durch
Vertrauen von beiden Seiten es dahin bringen und diese Ge-
legenheit benutzen möchten, um. zu sagen, Preußen ist nur
eins; es sind zwei Konfessionen im Vaterlande, aber nur eine
Großmacht Preußen.
Nein, meine Herren, seitdem Schlesien, Posen, Westfalen,
die Rheinprovinz selbst wie Erblande mit verbrieften Rechten
zu unserm Preußen gezählt werden, da gibt es nur noch ein
Preußen mit Katholiken und Evangelischen, die, wenn auch in
verschiedenen Provinzen vorherrschend lebend, völlig friedlich
mit und durcheinander leben, und die es nur beklagen, wenn
höhern Orts durch solche Erlasse Zwietracht und Mißtrauen hin-
eingesät wird. Ich gebe es nicht zu, daß unsere westlichen Pro-
vinzen (denn es ist gesagt worden, der Antrag gehe vorzugs-
weise von da aus) durch diesen Antrag minder preußische Her-
zen als die östlichen Provinzen zeigen. Ich darf wünschen, daß
mein geehrter Vorredner mit demselben guten preußischen
Herzen aus unserer Versammlung gehe, wie ich und meine
Genossen in die Versammlung gegangen sind, und ich würde
nur wiederholen, wenn ich anführte, aus welchen Motiven
der Antrag hervorging. Man entgegnet nun endlich, die Erlasse
seien nicht recht verstanden worden. Acht Bischöfe haben sie
202
>u verstanden, wie wir sie verstanden haben, und man hat bis
heute, so viel ich weiß, es nicht der Mühe wert gefunden, durch
irgend eine Antwort zu sagen, wie denn eigentlich die Sache
zu verstehen gewesen wäre. Zwei Landtage haben sie auch
verkehrt verstanden, sie haben sich an das Herz Se. Majestät
wenden wollen gegen eine Bedrückung, gegen eine Auslegung
der Verfassung, wenn ich nicht einen stärkeren Ausdruck ge-
l)rauchen will; sie haben sie nicht verstanden, denn sie haben
sich dagegen erklärt. Die Ober-Präsidenten als Landtags-Kom-
missarien müssen sie auch falsch verstanden haben, denn was
wäre leichter gewesen, als den Landtags-Mitgliedern zu sagen,
es handelt sich ja nur darum, daß auf öffentlichen Straßen keine
Mission abgehalten werden soll, und nur darum, daß vom Mini-
sterium und nicht von der Provinzialbehörde Pässe nach Rom
erteilt werden. Alle Präsidenten, wenigstens die unserer west-
lichen Provinzen, müssen sie falsch verstanden haben ; denn die
einen legten sie ad acta und taten nichts weiter damit, die an-
dern ließen sie an die Landräte gehen ; die Landräte müssen sie
auch falsch verstanden haben, denn von ihnen sind sie teilweise
an die einzelnen Bürgermeister gegangen ; die Presse muß
sie auch falsch verstanden haben. Der eine Teil verteidigte
die Erlasse, und zwar aus dem Gesichtspunkte, daß ein evan-
c^elischer Staat (wie sich die ,,Zeit" ausdrückt) einen notorisch
zur Vernichtung der evangelischen Ketzerei gegründeten Or-
den nicht in sich dulden könne. Der andere Teil der Presse
,i;riff sie an als mit der Verfassung nicht vereinbar; bis heute
aber blieb die Ausrede, daß sie nicht richtig verstanden seien,
neu. Wenn also die ganze Presse, die Landräte, die Oberprä-
sidenten, W'cnn, mit einem Worte, ich glaube jeder, sie so falsch
verstanden hat, dann muß ich gestehen, wäre es doch der Mühe
wert gewesen, ein besseres Verständnis in das Volk zu bringen;
um so mehr als wahrlich das Mißverstehen mehr Aufregung
ins Volk brachte, als alle Missionen zusammen. Die Antrag-
steller haben auch zu diesem Verständnis alle Zeit lassen wollen,
sie haben durch eine Deputation den Herrn Minister-Präsiden-
203
ten in Kenntnis gesetzt von allen Schritten, die sie tun wollten ;
sie haben den Zeitpunkt der Eingabe ihres Antrages gewählt,
daß er vor die Weihnachtsferien fiel. Meine Herren, es sind
seitdem zwei Monate fast verflossen, und erst heute kommt der
Antrag, der so lange besprochen worden ist, zur Sprache,
gewiß haben die Antragsteller das Ministerium nicht gedrängt.
Wenn es aber in dieser ganzen Zeit nicht die Muße gefunden
hat, durch irgend eine genügende Antwort an die Bischöfe
den Gegenstand zu beseitigen, können wir dann, kann die Bevöl-
kerung, die uns hierher geschickt hat, dann ein Zutrauen
fassen, daß Abhilfe erfolge, ohne daß wir an die Quelle gehen,
an die eigentliche Quelle jedes Preußen, mag man ein absoluter
oder konstitutioneller Preuße sein; ist es auffallend, daß wir
uns mit einer Adresse an Se. Majestät den König wenden
wollen, um ihm zu sagen, dieses Mißtrauen wird in Dein Volk
hineingelegt, daß wir ihm sagen, das ist die Auslegung, die
man zwischen Dir und uns geschworenen Worten geben will?
Der Antrag einer Adresse ist um so gerechtfertigter, als man
uns versichert hat, das Ministerium des Kultus wünsche die
Debatte, es wünsche also durch die Majorität das Ja oder Nein
über diesen Antrag. Glauben Sie, meine Herren, daß damit
die Sache erledigt ist, wenn sie hier gefallen? Ich gestehe,
ich glaube es nicht! Stände ich hier bloß als Katholik vor
Ihnen und verteidigte bloß eine katholische Angelegenheit, dann
meine Herren, würde ich sagen, die Sache ist bereits erledigt,
dadurch erledigt, daß sie hier zur Sprache gekommen ist, daß
die Katholiken Preußens gezeigt haben, auf welchen Boden sie
die sozialen Zustände regeneritieren wollen, daß sie gezeigt
haben das Zutrauen, was sie zu ihren andersglaubenden Mit-
brüdern haben. Aber für unser Vaterland ist damit die Sache
heute noch gar nicht erledigt.
Denken Sie sich, meine Herren, was es heißt, zwei Preußen,
oder ein Preußen mit zehn Millionen berechtigter und sieben
Millionen unberechtigter Einwohner, das ist keine Großmacht;
aber das wird eine Großmacht sein, wenn die Protestanten und
204
Katholiken vom fernsten Osten bis zum fernsten Westen sich
brüderlich die Hand geben, wenn jeder auf der Leiter, wie er
es glaubt, tun zu können oder tun zu müssen, zum Himmel her-
ansteigt, deshalb aber gerade dem Andersglaubenden gerecht
wird und jeder sich bemüht, dem Vaterlande ohne Haß und
ohne Mißtrauen gegen Andersglaubende auf dem Boden, auf
dem er steht. Zustände herbeizuführen, die demselben allein
dienlich, allein nützlich und ersprießlich sind. (Lebhafter
Beifall.)
B
AusderRededesAbgeordnetenAugust
Reichensperger (Köln)*)
Der Herr Berichterstatter hat uns noch, um den Jesuiten oder
ihren nunmehrigen Verteidigern eins zu versetzen, in die neue-
ste Zeit unserer politischen Enwicklungen oder Verwicklungen,
die stenographischen Berichte der Paulskirche in den Händen,
eingeführt; mit welchen Empfindungen er sie in der Hand ge-
habt haben mag, überlasse ich Ihnen zu beurteilen. Er hat uns
aus der Paulskirche mitgeteilt, wie der Träger eines berühmten
katholischen Namens,' den ich hochschätze, — ich glaube nicht
so zurückhaltend sein zu müssen, wie der Herr Vorredner, und
nenne den Namen von Radowitz — im Frankfurter Parlamente
sich gegen die Einführung der Jesuiten in Deutschland aus-
gesprochen habe, und zwar nicht bloß in eigenem Namen, son-
dern indem er sich hier des Ausdrucks bedi'ente: „Wir sind nicht
dafür, daß jetzt Jesuiten in Deutschland auftreten". Irre ich
nicht, so äußerte damals Herr von Radowitz, der Ausdruck:
Wir bedeute ihn und seine katholischen Freunde. Ich bin
stolz darauf, unter der letzteren Bezeichnung damals mit ein-
begriffen gewesen zu sein, und erkläre dem Herrn Bericht-
erstatter, daß ich unter denjenigen war, welche in einer Vor-
beratung (die Sache ist nämlich speziell unter uns beraten
*:i a. a. u. S. 74 ff.
20«;
worden) beschlossen hatten, daß Herr von Radowitz die frag-
liche Erklärung- abgeben möge, sodaß derselbe damals nur im
Auftrage der Katholiken, die um ihn versammelt waren, gehan-
delt hat, und letztere seine Verantwortlichkeit teilen. Warum
haben wir so gehandelt? Wir haben es erstlich aus dem. Grunde
getan, weil eben, wie der Abgeordnete für Neuwied gesagt,
der Jesuitenorden so wenig', wie irgend ein anderer Orden, sich
mit der Kirche identifiziert, weil die Kirche noch höhere Inter-
essen kennt, als die irgend eines Ordens, selbst aller Orden zu-
sammen. Damals standen die Gesamtinteressen der Kirche in
Frage. Im Deutschen Parlamente wurden die Grundrechte aus-
gearbeitet, und in denselben sollten die Rechte der katholischen
Kfrche fixiert w^erden. Ich muß nun daran erinnern, daß gerade
damals die Jesuiten das Stich- und Schlagwort des ganzen
großen Publikums, nicht bloß der Republikaner, sondern auch
der Liberalen, selbst von den gemäßigten Schattierungen, wa-
ren. Ich will nur den Abgeordneten für Neustettin daran er-
innern, mit welchem unendlichen Applaus aus allen Zeitungen
der Sturz des Sonderbundes und die Vertreibung der Jesuiten
als eine der bedeutendsten Großtaten gepriesen wurde. Es er-
folgte dieser Sturz durch diejenigen, welche jetzt noch die
frevelhafte Faust auf Neufchatel legen. (Bravo!)
Damals, als alles, was nicht zu den entschiedensten Katholiken
gehörte, so dachte, handelte es sich darum, ob wir uns um der
höheren Interessen wüllen gegen die Niederlassung von Jesuiten
erklären sollten, das heißt gegen ihre sofortige Niederlassung
in Deutschland. Es ^teht nämlich ausdrücklich ,,für jetzt" da;
Herr von Gerlach hat dies Wort etwas obenhin gelesen. Da
haben wir denn dieses Opfer der damaligen Situation und
der öffentlichen Meinung gebracht. Ich muß noch einmal
bemerken, daß diese öffentliche Meinung getragen war von
allen Schattierungen des Liberalismus und selbst von hoch-
stehenden königlichen Beamten, von welchen einer sogar, ein
Protestant, mit seinen Freunden so weit gegangen war, in das
Deutsche Parlament eine Bittschrift zu bringen: der Papst
3o6
möge ersucht werden, das Zölibat der Priester aufzuheben!
Daß man solchen Kollegen nicht mit den Jesuiten nahekommen
konnte (Heiterkeit), das versteht sich von selbst. Wir verzich-
teten vorübergehend auf die Tatsache, um das durch einen An-
trag bedrohte Recht der Jesuiten zu retten, wie dann auch bei
der zweiten Lesung der Grundrechte die Verbannungssentenz
wirklich zurückgenommen wurde. Allein, meine Herren, damit
will ich doch keineswegs gesagt haben, daß das, was wir da-
mals optima Tnente, was wir als treue Söhne der Kirche getan
haben, daß dies durch und durch gerechtfertigt sei. Ich nehme
aber für uns in Anspruch, was uns so oft vom Ministertische
aus gesagt wird, daß man sich irren, daß man zum Bewußt-
sein des begangenen Irrtums kommen könnte, ohne daß damit
der Sache und dem Rechte ein Abbruch geschehe; ich glaube
aber, meine Herren, daß unser Irrtum unter den obigen Ver-
klausulierungen jedenfalls ein sehr entschuldbarer war.
C
Vus d erRede des Grafen Stolbcrg- Westheim
Die Tatsachen führen uns zurück auf eine tiefe Wunde, sie
führen uns zurück auf die Stellung der Katholiken in Preußen,
auf die paritätische Stellung, oder, will man dieses Wort nicht,
auf die Gleichberechtigung der Katholiken, und das, meine
Herren, ist die Stelle, die uns Katholiken wurmt und nagt, und
wer diese Wunden berührt, der berührt einen brennenden Fleck,
der durch die Katholiken durch und durch geht. Dies ist der
Gegenstand, den ich hier sehr gern behandelt hätte, weil ich die
Überzeugung habe, daß in diesem Punkte der Brennpunkt
nicht allein dieser Frage, sondern der Frage der ganzen Zu-
kunft liegt. Was ich Ihnen gern ausgeführt und mit mehr
Gründlichkeit behandelt hätte, ist der Punkt der Gleichberechti-
gung, insofern diese den Begriff unserer Stellung im Staate,
oder unsers staatlichen Verhältnisses, der Vertretung der Ka-
tholiken im Staate in sich faßt.
207
' Es ist dies ein unendlich lehrreiches Beispiel, und ich würde
Ihnen bewiesen haben, daß in der Tat von oben bis unten wir
gar nicht vertreten sind. Ich gehe nicht in die Sache ein,
sondern zitiere einfach das Beispiel, daß wir ganze Provinzen
und Regierungsbezirke haben, in denen vom Oberpräsidenten
bis zum Landrat herab in der ganzen Administration kein ein-
ziger Katholik angestellt ist. Ein summarischer Abschluß ist
zum Beispiel der, daß von 1227 Beamten, welche in der Ad-
ministration angestellt sind, vom Minister bis zum Landrate
herab nur 108 Katholiken sind. Ich wäre sehr gern tiefer in
die Sache eingegangen, weil ich gern gezeigt hätte, daß die
Mißgriffe, welche de'n konfessionellen Frieden stören und ein
beständiges Mißtrauen erregen, die alten Provinzen gegen die
neuen, die westlichen gegen die östlichen aufregen, darin ihre
Ursache haben. Meine Herren! Dieses Mißtrauen wohnt in
Preußen, dieses Mißtrauen ist die Ursache, daß Preußens Macht
sich nicht so entwickelt und sich nicht so entwickeln kann, wie
es sein sollte. (Murren.)
Ihr Murren soll mich nicht abhalten, mich auszusprechen;
dieses Mißtrauen wird bleiben, es wird wühlen und zehren an
dem Staate Preußen, bis uns Recht wird; wir werden uns be-
klagen, wir werden uns beschweren, wir werden auf diesen
Punkt zurückkommen, so lange noch ein Atem in uns ist. Wir
sind Preußen, das heißt wir gehören der Krone Preußen an
und haben bewiesen, daß wir diese Pflicht erkennen und ihr
treu bleiben wollen; sind wir aber Preußen, das heißt bei uns
im Westen, nein, das können wir nicht sein (Unruhe. Pfui,
pfui !), ich wiederhole es . . .
Präsiden t: Äußerungen, wie ich sie eben vernommen habe,
sind nicht in der Ordnung. Ich bitte den Herrn Redner durch
solche Rufe nicht zu unterbrechen. Wenn auf der Tribüne etwas
geschieht, was der Ordnung nicht entsprechend ist, so werde
ich unterbrechen. Ich bitte, Herr Graf, daß Sie sich mehr an
die Sache halten.
Abgeordneter Graf zu Stolberg-Stolberg: Wir
208
sind nicht Preußen, insofern wir mit Freudigkeit unser Heiz und
iinsern Willen an Preußen anschließen sollen, insofern wir ge-
hindert sind, das geschichtliche Fideikomiß Preußens an uns zu
nehmen, so lange Preußen nicht auch unsere historischen Fidei-
kommisse an sich nimmt. Wir können nicht Preußen werden, so
lange nicht auch von Ihrer Seite das, was uns stark und kräftig
macht, so lange unsere Geschichte und der Schatz ihrer Erinne-
rungen nicht auch von Ihrer Seite mit Ehrfurcht und Achtung
behandelt wird, in diesem Sinne sage ich allerdings, wir können
^rst mit Freudigkeit Preußen sein, wenn wir mit Freudigkeit
und Stolz sagen können, daß wir katholische Preußen sind.
Das können wir aber nicht, weil man uns das staatliche Recht,
<iie Gleichberechtigung nicht angedeihen läßt. (Unruhe.)
Meine Herren! Man hat von dem Berufe Preußens gespro-
chen: auch ich habe meine Ansichten darüber. Preußen hat
nach meiner innigsten Überzeugung einen sehr großen und
liohen Beruf. Durch eine eigentümliche Fügung der Geschichte
sind die konfessionellen Gegensätze in Preußen in einem so
massenhaften Verhältnisse vortreten, wie in keinem andern
Staate. Wir dürfen uns nicht wundern, daß die Ausgleichung
der konfessionellen Gegensätze im staatlichen Gebiete sehr
viele Kämpfe erfordert. Es wäre von uns eine sehr große Tor-
heit, erwarten zu wollen, daß diese Ausgleichung, diese faktische
rileichberechtigung mit einem Federstriche erreicht werden
könne. Sie dürfen es uns aber nicht übelnehmen und werden es
auch anerkennen, daß wir in dieser Beziehung empfindlich sind,
und werden anerkennen, daß diese Schwierigkeit nur dann erst
überwunden werden kann, wenn eine vollständige Gleichberech-
tigung erreicht ist, daß wir aber bis dahin uns in einem ge-
wissen Zustande des Druckes, der Zurücksetzung befinden. Der
Beruf Preußens ist diese Ausgleichung der konfessiötiellen
( Gegensätze in staatlicher Beziehung. Dieser Beruf kann rii cht
in kurzer Zeit erfüllt werden, aber zur Erreichung dieses Zieles
voranzuschreiten, das ist unsere Aufgabe. Eine jede dieser Kri-
sen ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Völkef'ünd ich
Hergstraßer I. 14 209
hoffe, wir stehen auf einem solchen. Deshalb, ich wiederhole es,
halte ich es für ein sehr großes Glück, daß auch diese konfes-
sionellen Gegensätze uns zu gleicher Zeit hier ergriffen haben,
die wir aus den verschiedensten Provinzen, mit den verschie-
densten Interessen und Ansichten hier zusammengetreten sind.
Ich halte es für ein großes Glück, daß der Kampf hier ent-
brennt und daß wir auf denselben hingewiesen werden. Wie
tief dieser Kampf auch eingreife und alle Verhältnisse unseres
staatlichen Lebens durchzucke, doch scheue ich den Kampf
nicht, und scheue es nicht, die Wunde unseres Staates nackt
hinzulegen. Wenn Sie es mir aber verdacht haben, daß ich mich
hier stark ausdrückte, so beruhige ich mich durch die Über-
zeugung, daß Sie früher oder später einsehen werden, daß das
Vertuschen dieser Wunde dieselbe nicht heilt, sondern daß es
nötig ist, dieselbe anzusehen. Wer so, wie ich, davon durch-
drungen ist, wird auch den Mut haben, trotz aller Mißdeu-
tungen und aller Mißbilligung diese Wunde aufzudecken, und
dies hat mich veranlaßt, so zu sprechen, und ich hoffe, daß die
Herren dies anerkennen werden. (Ruf von der Rechten: Nein !)
(Nach rechts gewandt:) Dem sei, wie ihm wolle, der Kampf
ist da, und der Kampf muß zum Austrag kommen. Unser
Wunsch, unser Streben wird sein, diesen Kampf auf dem
geistigen Feld durchzukämpfen. Es ist uns vielfach zugerufen,
man wolle ein geistiges Aneinanderplatzen. Wohlan, wir wollen
es, wir bieten die Hand dazu. Aber, wenn man das will, möge
man diesem geistigen Aneinanderplatzen, dieser geistigen Kraft,
die von einer Seite aufgestellt wird, nicht mit Ministerial-
reskripten, nicht mit Verordnungen, nicht mit Bretterplanken
entgegentreten !
Meine Herren ! Durch alle diese Schroffheiten, durch alle
materielle Macht wird das nicht überwunden werden, und da-
v^on bin ich überzeugt, die Wahrheit wird sich ihren Weg bah-
nen! Die große Aufgabe, der große Beruf Preußens, den ich
soeben angedeutet und von dessen hoher Würde ich durch-
drungen bin, kann aber nur erreicht werden dutch ein kräftiges
2IO
Zusammenwirken. Deshalb ersuche ich Sie allerseits heute, die
Gelegenheit zu ergreifen und zum Zeichen, daß Sie unsere
Stellung Avohl anerkennen, daß Sie unsere Ansprüche, die aus
unserer Stellung hervorgegangen, anerkennen, — für unsern
Antrag zu stimmen.
(a. a. u. 1., c, S. 119 ff. nicht Stolberg-Stolberg, wie dort fälschlich steht. Vgl.
Pfülf, a. a. O. S. 140 ff., wo Teile des handschriftlichen Entwurfes abgedruckt
sind, auch ein an die Rede anschließender Briefwechsel mit Friedrich Wil-
helm IV.)
D
A u s d c ni Schi u ß w o r t des Buches
Durch Jahrhunderte war Preußen ein evangelischer Staat
und in diesem evangelischen Charakter des Staates, sowie in
dem dadurch bedingten Einflüsse auf die kleineren protestan-
tischen Länder des Kontinents lag ebensosehr, als in der per-
sönlichen Bedeutung seiner Herrscher und mehr noch als in
seiner materiellen Macht der Schwerpunkt seiner politischen
Stellung. Diesen Schwerpunkt aber hat die Neuzeit verrückt.
In dem umgekehrten Verhältnisse, wie der Umfang und die
materielle Macht des Staates gewachsen sind, ist der evan-
gelische Charakter desselben verschwunden. Mehr und mehr
hat der evangelische Staat sich zu gemischter Ehe den katho-
lischen Staat verbunden. Denn die alten Lande haben nicht als
Sieger die neuen Provinzen sich unterworfen, sie besitzen die-
selben nicht kraft der Eroberung zu Eigentum, die Neugestal-
tungen der letzten Kriege sind nicht nur Akte des Triumphes
auf der einen, der Niederlage auf der anderen Seite, sondern
sie sind ein großer Akt der Befreiung für alle, und indem die
alten und neuen Lande zu dem Preußen der Gegenwart ver-
einigt wurden, haben die evangelischen und katholischen Staa-
ten sich zu dem einen paritätischen Staate verbunden, zu dem
Staate voller Gleichberechtigung der beiden Bekenntnisse. So
war das Verhältnis seit lange von rechtswegen und so hätte
' ;* 211
es sich verwirklichen sollen. Allein dieTatsachen zeugen anders.
Verwaltung und Politik trugen nach wie vor die Färbung des
einseitig evangelischen Staates und eben diese Verwaltung war
es, deren Hand nach Josephinischer Auffassung den Bewe-
gungen der kirchlichen Organe die beengendsten Schranken
zog und die Ereignisse des Jahres 1837 herbeiführte, deren
befriedigenden Austrag die katholischen Untertanen nur des
Königs wohlwollender Gerechtigkeit zu danken haben. Aber
auch dann vermochten die unteren Organe noch nicht, dem
Könige auf die Höhe seiner Anschauung zu folgen, vielmehr
verriet die fortbrennende Eifersucht und Mißgunst gegen die
katholische Kirche sich bald nachher wieder in der Gunst,
welche man dem Abfall von derselben entgegentrug.
Erst als die Revolution des Jahres 1848 das Land erschüt-
terte und vor aller Augen die tiefen Schäden der Zeit in ihrer
ganzen häßlichen Nacktheit aufdeckte, da erkannte man in dem
Glauben des Volkes und in der freien Tätigkeit der selbstän-
digen Kirche den allein festen Boden der Zukunft und, da man
zugleich das Bedürfnis fühlte, der berechtigten Forderung und
Erwartung der Bevölkerung genug zu tun, warf man den An-
ker darnach aus. Die Artikel 12 und 15 der Verfassung wurden
die Grundlage des Staats-Kirchenrechts, die Gewährung und An-
erkennung der vollen Selbständigkeit der Kirche trat an die
Stelle mißtrauensvoller Beaufsichtigung und Bevormundung,
und die paritätische Stellung beider christlichen Kirchen zum
Staate fand neuerdings ausdrückliche Anerkennung.
Die kirchlichen Oberhirten haben die dargebotene volle Frei-
heit nicht allein mit Eifer empfangen, sondern sie. haben auch
sofort weisen Gebrauch davon gemacht, und seitdem hat der
Baum, der aus dem Senfkorn erwachsen, in Jugendkraft Blüten
und Knospen mannigfacher Art getrieben, und es begann die
Hoffnung sich zu befestigen, daß noch einmal dei Geist der
Zucht und Sitte, des Opfers und der Hingebung den dauernden
Sieg erringen werde über die verneinenden und zerstörenden
Geister der jüngsten Zeit. Wo nun diese kirchliche Freiheit,
212
an welcher die Hoffnung der Zukunft hängt, nur irgend bedroht
erscheint, was ist natürlicher und berechtigter, als daß da das
katholische Volk sich zusammenschart zur Verteidigung sei-
nes Rechts und seines Besitzes Fuß um Fuß und Zoll um Zoll,
und nicht minder zur Abwehr aller derjenigen Einflüsse, welche
der freien und vollen Entwicklung des jungen Rechtszustandes
entgegenstreben.
Ob dessen aber wirklich not war und ist? Wahrlich, es wäre
gut, wenn die Besorgnisse der Katholiken nur Hirngespinste
wären. Aber, wenn das, an Veranlassung dazu hat es minde-
stens nicht gefehlt. Mit ziemlicher Sicherheit läßt sich verfol-
gen, wie die lebendige Bewegung in der katholischen Kirche
auf Seiten der evangelischen neben dem Wetteifer im Guten
auch alte Befürchtungen wieder weckte und wie der Wächter-
ruf aus den unteren Kreisen zu den höheren und mittelsten
(il ledern des Kirchenregiments sich fortpflanzte, und wie er
liinübergeschlagen ist als Hilferuf an das Ohr der Staatsgewalt.
Als deshalb von hier aus unter Mitwirkung des Kultusmini-
sters Verfügungen ergingen, deren erste bei an und für sich
richtiger Bezeichnung der beiderseitigen Beziehungen zwischen
Staat und Kirche zunächst nur den ausländischen Geist-
lichen galt, als man dann ohne Rücksicht auf die Herkunft der
Missionare die Missionen selbst, wenngleich nur erst die Mis-
sionen in überwiegend protestantischen Landesteilen traf, als
hieran die Wiederaufnahme älterer Bestimmungen wegen des
Besuches der theologischen Lehranstalten zu Rom und deren
Verschärfung sich anreihte und obendrein ohne irgendwelche
direkte Veranlassung ein allgemeines Verbot der Niederlas-
sung der Jesuiten beigefügt wurde, als außerdem von einer
Verfügung verlautete, welche die Einstellung dotationsmäßiger
Zahlungen in Aussicht stellte, — da sah man in diesen Reskrip-
ten eben so viele Rückschritte zu der früheren wenig heilvollen
Lage der katholischen Kirche, ja — um die ganze Wahrheit
zu sagen — man beargwöhnte die Staatsregierung als heim-
liche Verbündete des Protestantismus gegen die katholische
213
Kirche, und man hielt die darin sich anlehnenden Befürchtun-
g^en um so gerechtfertigter, als ziemlich gleichzeitig- seitens des
evangelischen Kirchentages zu Bremen die Festhaltung der Auf-
sicht über die katholische Kirche beantragt wurde, und das
öffentliche Preßorgan, welches den Ministern des Kultus und
des Innern zumeist befreundet ist, mit der Aufstellung des
Satzes ,, Preußen kein paritätischer, sondern ein evangelischer
Staat" den Handschuh hinwarf. Auch zur Stunde vermißt man
noch eine irgend befriedigende Antwort auf die sehr nahe lie-
gende Frage, durch welche — von dem Vorangeführten unab-
hängige — Vorgänge und Erwägungen die Minister denn
sonst eigentlich bestimmt worden seien, zwei Zirkular-Verfü-
gungen zu erlassen, von welchen, wie man auch über deren
Recht- oder Unrechtmäßigkeit urteilen mag, zum mindesten
mit Sicherheit vorauszusehen war, daß sie bei ihrem Bekannt-
werden Mißtrauen und Aufregung unter den Katholiken her-
v^orrufen würden. Der Minister der geistlichen Angelegen-
heiten scheint zwar selbst das Bedürfnis einer Antwort auf
diese Frage gefühlt zu haben, und hat deshalb darauf hinge-
Aviesen, wie durch die Bestimmung der Verfassungs-Urkunde
die Auffassung der Behörden über ihre Stellung in diesen An-
gelegenheiten zweifelhaft geworden sei und gegenüber den zum
Teil einander geradezu entgegenstehenden Auffassungen sich
für die Regierung die Notwendigkeit gezeigt habe, ihre Grund-
sätze in einer klaren Anordnung auszusprechen. Mit dieser An-
führung ist indessen schwer zu vereinigen, daß schon der
Minister von Ladenberg, wie derselbe den Kammern im De-
zember 1849 mitteilte, gleich nach dem Erscheinen der Ver-
fassungs-Urkunde an sämtliche Provinzial-Behörden mehrere
Zirkular-Reskripte über die durch die Verfassungs-Urkunde
hinsichtlich der katholisch-kirchlichen Angelegenheiten einge-
tretenen Ressortveränderungen erlassen hat, welche geeignet
waren, irrigen Auffassungen der angegebenen Art zuvorzukom-
men. Auch war jedenfalls den Provinzial-Behörden seitens des
jetzigen Kultus-Ministers schon durch das Zirkular-Reskript
214
vom 25. Februar 185 1, und zwar unter ausgedehnter und sehr
bestimmter Wahrung des staatlichen Standpunktes die ent-
sprechende Weisung erteilt worden. Es bleibt demnach die
Veranlassung zu streitigen Erlassen um so mehr im Dunkeln,
als das Reskript vom 22. Mai auf einen etwa vorhergegangenen
anfragenden Bericht gar nicht Bezug nimmt, das Reskript vom
16. Juli aber das Gesuch eines katholischen Studenten um einen
Paß nach Rom als Gelegenheit ergreift, um allgemeine Anwei-
sungen zu erteilen, welche mit dem Gegenstande des Gesuchs
zum Teil in gar keiner Verbindung stehen. Ja, das Dunkel
wird vollends undurchsichtig, wenn man nicht nur den von dem
Berichterstatter verlesenen amtlichen Bericht ins Auge faßt,
worin der Wirksamkeit der Jesuiten nachgerühmt wird, daß
sie sich von Erregung konfessionellen Unfriedens vollkommen
freigehalten, daß sie überall den Grundsatz der Autorität so-
wohl in weltlichen wie in kirchlichen Dingen verfochten, daß
sie die sozialistischen Trugbilder schonungslos entlarvt, daß sie
mit ihrer tiefen und gewaltigen Glaubenskraft auch den ein-
gewurzelten Indifferentismus erschüttert, daß nach den über-
einstimmenden Berichten der Landräte nicht genug zu rühmen
sei, wie wohltätig sich der Erfolg der Missionen auf dem Ge-
biete äußerer Sittlichkeit und Gesetzlichkeit, wie in der Er-
weckung christlicher Zucht und Liebe gestaltet habe — son-
dern, wenn man auch ferner noch das eigene Zeugnis des Mi-
nisters erwägt, welcher selbst den in der Verfügung vom 22. Mai
ausgesprochenen Verdacht, daß bei den Missionen andere
Zwecke als eine Einwirkung auf die katholischen Gemeinden
verfolgt würden, auf das vollständigste entkräftet, indem er
ausdrücklich erklärte, „die Jesuiten-Missionen hätten bisher für
die Evangelischen keinen anderen Erfolg gehabt, als daß sie
die Gemeinden aufgeweckt und zu neuem Leben befestigt hätten
in der Liebe und Treue gegen ihren Glauben". Wir gestehen,
diese Tatsachen und Äußerungen auf der einen, die polizeilichen
Ausnahme-MaßregeJn auf der andern Seite, daneben einerseits
die Konkurrenz des Ministers der geistlichen Angelegenheiten
215
bei den polizeilichen Anordnungen, andererseits aber die durch
die unbeantwortet gebliebene Anfrage des Abgeordneten
Reichensperger I konstatierte Nichtzuziehung der katholischen
Abteilung bei dieser ganzen Angelegenheit, darin zeigen sich
Widersprüche, deren Lösung in einer dem Minister günstigen
Weise nicht über unsere Wünsche, wohl aber über unsere Ein-
sicht hinausgeht. Außerdem berechtigt der letzterwähnte Um-
stand zu der Bemerkung, daß die Umgehung der katholischen
Abteilung bei diesen nicht minder religiösen Gefühlen wie den
Rechten der katholischen Untertanen des Königs zuwider-
laufenden Maßnahmen offenbar nicht der Absicht entspricht, wel-
che Se. Majestät bei Errichtung jener Abteilung geleitet hat.
Hervorgegangen aus Kölner und Posener kirchlichen Wirren,
sollte sie dazu dienen, der Wiederkehr ähnlicher Ereignisse vor-
zubeugen und den Katholiken des Landes für die Beachtung
der Rechte und Interessen ihrer Kirche eine Bürgschaft zu
gewähren. War diese Bürgschaft allerdings keine rechtliche,
so kam sie einer solchen doch tatsächlich gleich, so lange die
Achtung vor hergebrachten Geschäftsformen, welche früher
bekanntlich auch in anderer Beziehung vielfach den Mangel
rechtlicher Garantie vertrat, in Geltung gebracht. Wie der
erwähnte Vorgang beweist, hat diese Bürgschaft aufgehört.
Solchen Verhältnissen gegenüber genügt nicht ein gelegent-
liches gutes Wort, auch nicht ein Wort vom Ministertische in
der Kammer, um das wirkliche Unrecht, welches durch die Er-
lasse vom Mai und Juli vorigen Jahres — zwar nicht unwider-
sprochen, aber doch unwiderleglich, wenn auch vielleicht nur
unbewußt — den Katholiken angetan worden ist, gänzlich zu
beseitigen und der Vergessenheit zu übergeben. Es hätte dazu
mindestens auch der ausdrücklichsten anderweitigen Anweisung
der einmal zu Unrecht instruierten Behörden bedurft. Die
Kammer hat leider ihre Mitwirkung abgelehnt, um dieses Ziel
auf dem Wege einer Adresse an Se. Majestät den König zu er-
reichen.
Dies Ergebnis berechtigt indessen keineswegs zu dem
216 .
Schlüsse, daß die Majorität die Beschwerden selbst für unbe-
gründet halte. Im Gegenteil hat ein ansehnlicher Teil, die Frak-
tion Bethmann-Hollweg, in einem besonderen Amendement
diese Beschwerden großenteils als begründet ausdrücklich aner-
kannt und lediglich, die Form einer Adresse als einen außer-
ordentlichen, nur im äußersten Falle zu betretenden Weg be-
anstandet. Welche Beweggründe für die übrigen Mitglieder
der Mehrheit vorzüglich bestimmend gewesen seien, wollen und
können wir füglich nicht näher erforschen. Jedenfalls sind die
Reden der Abgeordneten Hahn und Beyer als getreuer Aus-
druck der herrschenden Meinung nicht anzusehen; viel eher
möchte das folgende letzte Wort des Berichterstatters ein rich-
tiges Schlaglicht darauf werfen: ,,Ein Tadel gegen die Regie-
rung in dieser Angelegenhieit wird das Land nicht beruhigen und
versöhnen, sondern erst recht aufregen." Bedauerlicherweise
läßt indessen auch dieses Wort nur noch zu sehr durchfühlen,
'laß der Ausspruch der Kammer nicht aus Erwägung des Rechts
allein, sondern daneben auch aus Berücksichtigung konfessio-
neller Stimmungen, Besorgnisse und Antipathien hervorge-
gangen ist. Doch wie dem sei, wir wollen nicht nachträglich
Tadel häufen. Dahingegen aber müssen wir andererseits um so
mehr mit Anerkennung und Dank die wesentlich vorurteils-
freie Auffassung und Beurteilung hervorheben, welche der
Streitgegenstand immerhin doch bei nicht wenigen Abgeord-
neten evangelischen Bekenntnisses gefunden hat, und zwar zu-
nächst bei denjenigen Abgeordneten der linken Seite des Hau-
ses, welche mit den Antragstellern stimmten, sodann aber auch,
wenn schon nicht im gleichen Maße, bei den denselben sich
bedingterweise gegenüber stellenden Mitgliedern der Beth-
inann-Hollwegschen Fraktion. Es liegt darin allein schon eine
Art Ereignis, denn es bekundet einen großen Fortschritt zu
allgemeiner unbefangener Beurteilung konfessioneller Veihält-
r.isse und berechtigt zu der Erwartung, daß es in der Folge nicht
wieder der Teilung emes politischen Körpers in ein corpus
catholicorum und ein corpus evangelicorum bedürfen wird,
217
um den kirchlichen Rechten des einen oder andern Teiles
Schutz zu sichern. Mehr aber noch als über diese erfreuliche
Erscheinung' haben, die Katholiken Ursache der Einmütigkeit
froh zu sein, welche sich in ihrer Mitte kundgegeben hat, wie
weit auch sonst die Ansichten auseinanderweichen. Dieses
hundertfache „Ja" der katholischen Landesvertreter in solcher
Sache ist an und für sich schon von geschichtlicher Bedeutung.
Es gibt Kunde, daß die Unterscheidung zwischen ultramon-
tanen und aufgeklärten Katholiken bei uns aufgehört hat, eine
Realität zu haben ; es begründet das Vertrauen, daß der Stand-
punkt der , .liberalen" Katholiken Frankreichs, Belgiens und
Sardiniens für die Katholiken Preußens als ein glücklich über-
wundener angesehen werden darf; es hat ein lautes und weit
hinausdringendes Zeugnis gegeben zu Ehren der am meisten
und am heftigsten angefeindeten Orden und Institute der hei-
ligen Kirche; es wird endlich neu belebend und zu fernerem
Mühen und Hoffen ermutigend auf nahezu sieben Millionen
Preußen zurückwirken.
Unser vertrauenvolles Hoffen lehnt sich an den Geist und
das Herz unseres Königs. Die Konflikte, welche aus den vor-
handenen Gegensätzen hervorgehen, werden trotz aller Schwie-
rigkeiten zuletzt befriedigende Lösung finden. Mit Vertrauen
sehen daher die katholischen Untertanen und deren Vertreter
zunächst der Entscheidung entgegen, welche von höchster Stelle
auf die noch unerledigte Beschwerde der preußischen Bischöfe
ergehen wird, und mit Zuversicht hoffen sie, daß von dort aus
die Mittel und Wege gefunden werden, welche geeignet sind.
für die Zukunft ähnliche bedauerliche Verwicklungen zu ver-
meiden und die Aufrechterhaltung jener erleuchteten Grund-
sätze in der Behandlung katholischkirchlicher Angelegenheiten
wieder sicher zu stellen, welche nach dem Regierungsantritte
Friedrich Wilhelms TV. zum Heile des Landes befolgt worden
sind.
(a. a. u. S. 109 ff. Verfasser unbekannt, wahrscheinlich Abg. Otto, der
auch die späteren verfaßte.)
218
Die Texte sind entnomniea der Schrift: Die Ministerial^rlasse rom 22. Mai
und 16. Juli 1852 in der zweiten Kammer mit zwei Beilagen. Paderborn
1853, Verlag von F. Schöningh, zrgS. — Der in der Schrift gegebene Text
der Waldbottschen Rede ist vom Redner eigens zu diesem Abdruck noch-
mals durchgesehen. Der Redner hat einige Veränderungen vorgenommen.
Die Schrift bildete den ersten Rechenschaftsbericht der Katholischen Fraktion.
219
Die Wahlen zum Hause der Abge-
ordneten in Preussen
(1858)
Von Peter Reichensperirer')
I
Die Stellung- der Krone in Preußen ** )
Der Regel- und Schwerpunkt des Preußischen Staatswesens
liegt seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung nach sicherlich
im Königtum, allein dies Königtum selber, welches im sieb-
zehnten Jahrhundert die abgestorbene Feudalverfassung in die
Formen der absoluten Monarchie hinübergeführt, hatte bereits
im achtzehnten Jahrhundert die Unverträglichkeit jener abso-
luten Gewalt mit der Rechtsauf fassung und den politischen Be-
dürfnissen der Neuzeit erkannt und deren Überleitung in die
repräsentative Staatsordnung beizeiten vorbereitet. Darum ist
dann auch die Verfassungsurkunde Preußens im mindesten
nicht das Produkt einer willkürlichen Doktrin neuesten Datums,
sondern sie beruht auf der breitesten historischen Grundlage
des uralten Rechtes aller deutschen Stämme, sie beruht unmittel-
bar auf der ganzen Reform-Gesetzgebung dieses Jahrhunderts,
deren Grundprinzipien durch Friedrich Wilhelm III. und durch
Se. Majestät den regierenden König allmählich, aber sicher
ihrer allseitigen Verwirklichung zugeführt worden sind.
Wenn daher auch der Preußischen Landesvertretung durch
das Staatsgrundgesetz von 1850 eine entscheidende Stimme in
den wichtigsten Angelegenheiten des Staates zugewiesen und so
die absolute Monarchie in eine beschränkte umgewandelt wor-
*) anonym: von einem Katholiken, Paderborn 1858.
**) a. a. O. S. 4.
220
den, so ist damit in keiner Weise ein verderbliches, revolutio-
näres Element in unser Staatswesen hineingebracht worden,
dessen ernstliche Benutzung möglicherweise den Rücksichten der
Loyalität widerspräche. Seinen wesentlichen Grundzügen nach
wurzelt es in den altverbrieften historischen Rechten und den
neuesten Verheißungen des deutschen Bundes. Die gesamte
Staatsgewalt ist, wie die Wiener Schlußakte es vorschreibt, nach
wie vor in dem Oberhaupte des Staates vereinigt, der Souverän
aber in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung
der Stände gebunden. Durch diese Mitwirkung der Landesver-
tretung wird also keinem fremden Götzen gehuldigt, sondern
das berechtigte Freiheitsinteresse des Landes mit der Würde
der Krone in den wünschenswertesten Einklang gebracht.
Die Aufgabe der Volksvertretung im All-
gemeinen und die katholische Fraktion
im Besonderen
Eine *) Landesvertretung kann ja in der Tat kaum eine Be-
deutung, kaum einen vernünftigen Sinn haben, wenn es nicht
der ist, daß eben die Möglichkeit des Irrtums hinsichtlich der
Bedürfnisse und Interessen des Landes seitens der Staatsregic-
rung bestehe, und daß zur Abwendung der hieraus erwachsen-
den Schäden und Gefahren ein Mittel der Berichtigung und
der Kontrolle gesucht und gefunden w^erden müsse. Die Kam-
mern sind darum wesentlich kontrollierende, neben der Regie-
rung und im Wechselverhältnis mit ihr wirkende Körperschäften.
Wenn nun aber denjenigen, welche zur Ausübung jener Kon-
trolle berufen wurden, nicht der erforderliche Charakter der Un-
abhängigkeit und der Festigkeit beiwohnt, um als echte Zeugen
des Volksbewußtseins das für recht und heilsam Erkannte der
Regierung gegenüber 7.ur Geltung zu bringen, — wenn die
*) S. 6.
221
Landesvertretung vielmehr durch die Wahlen abhängiger Per-
sonen, oder gar infolge ungebührlicher Einwirkungen als eine
bloße Schöpfung der Regierung erscheint, alsdann ist der Zweck
jeder Landesvertretung schlechthin verfehlt, dieselbe ist nur
noch ein gemeinschädliches, hemmendes Räderwerk im Staate,
welches denselben nicht stärkt, sondern abnutzt. Ja eine solche
Landesvertretung ist nicht bloß von keinem denkbaren Nutzen,
sondern alle Übel, welche sie abwenden sollte, werden gerade
durch sie unter dem Schleier offizieller Selbsttäuschung in
wachsenden Progressionen hervorgerufen, es ist dann, wie Ed-
mund Burke sagte, ,,ein wahrhaft monstruöser Zustand ein-
getreten, gleich bedrohlich für die Krone, wie für das Land."
Die Landesvertretung stellt alsdann nicht mehr eine große,
ehrfurchtgebietende Staatsgewalt, sondern in der Tat nur noch
ein klägliches Gaukelspiel dar, in welchem die Staatsregierung
als ihr eigener Doppelgänger erscheint, Steuern fordert und
sich selbst bewilligt, sich selber lobt und preist, ihre eigenen
Finanzprojekte und Gesetzentwürfe gut und vortreflflich findet.
Hiermit kann niemandem gedient sein, wenigstens nicht den
allein berechtigten Interessen der Krone und des Landes, die
ja bei richtiger Würdigung stets Hand in Hand gehen.
Es*) darf behauptet werden, daß die zu Recht bestehende
Verfassungsurkunde den wahrhaften Interessen und Bedürfnis-
sen aller Landesteile der Monarchie entspricht, insofern sie unter
Abschaffung des Systems der Standesbevorzugung das gleiche
Recht und die Wohlfahrt aller Klassen der Bevölkerung für die
Richtschnur der Gesetzgebung und den Zweck des Staatsver-
bandes erklärt. Allein mit verdoppeltem Rechte erblicken ge-
rade die westlichen Provinzen in dieser Verfassungsurkunde
das Palladium ihrer bürgerlichen, politischen und religiösen
Freiheit; sie fühlen sich um so dringender zur einträchtigen
Verteidigung derselben aufgefordert, je lauter und eifriger
deren Änderung seitens der Freunde des ständischen, auf Son-
*) S. 9.
222
(lerprivilej^ien und Bevorzugung beruhenden Feudal- und Patri-
inonialstaates gefordert wird.
Die Grundlagen und Grundbestimmungen dieser Verfas-
sungsurkunde sind aber die Gleichheit vor dem Gesetze, die
Unbeschränktheit und Teilbarkeit des Grundeigentums, die
gleiche Tragung der öffentlichen Toasten, die Selbstverwaltung
der Gemeinden, endlich die religiöse Freiheit, wie sie die
Art. 12 und 15 der Verfassungsurkunde proklamieren.
Diese beiden Verfassungsbestimmungen haben prinzipiell
alle die unseligen Streitigkeiten abgeschnitten, welche Jahrhun-
derte hindurch den Staat und die Kirche erschütterten und die
gedeihliche Wirksamkeit beider lähmten ; sie tragen in sich
die Keime einer großen, fruchtbaren Zukunft, sie bedürfen aber
zu ihrem gesicherten, unverkümmerten Fortbestande aller der-
jenigen Garantien, welche die Verfassungsurkunde im allge-
meinen der Rechts- und Freiheitsentwicklung des Landes ge-
währt, — sie stehen und fallen mit diesem letzteren. In diesen
Fundamentalsätzen ist also die tiefbegründete Rechtsüberzeu-
gung der Gegenwart in feierlicher Weise anerkannt und sank-
tioniert worden, allein es fehlt viel daran, daß dieselben auch
bereits überall in der Gesetzgebung und Verwaltung ihre tat-
sächliche Verwirklichung gefunden hätten. Es fehlt noch viel
mehr daran, daß jene großen Rechtsprinzipien auch von allen
Klassen der Bevölkerung, namentlich der östlichen Provinzen,
offen und unumwunden angenommen würden. Bei der wesent-
lich veränderten Lage der Gegenwart akzeptiert zwar dermalen
selbst die Kreuzzeitungs-Partei die Verfassungsurkunde, die
sie früherhin auf Tod und Leben bekämpft und nach Kräften
verstümmelt hat, — in welcher der Abgeordnete von Gerlach
nur einen guten Artikel fand, nämlich den Art. 107, welcher
die Abänderung und mithin auch die Abschaffung der Verfas-
sungsurkunde selber in so gar erfreulicher Weise erleichterte.
Allein das Land erblickt in jener Änderung der Kreuzzeitungs-
Position mit Recht keine Bekehrung, sondern nur einen ihr
auferlegten Zwang, weil jetzt nur noch der Weg der Verfas-
sungsurkunde zu ihrem unverändert gebliebenen Ziele führen
kann. Der Abgeordnete Wagener (Neustettin) hat es klar
genug ausgesprochen, ,,die Rechte halte an der Hoffnung fest,
daß es gelingen werde, eine ständische Vertretung Preußens
auf einer reinen und klaren Grundlage herzustellen." Wir
müssen diese Tatsachen konstatieren, wenn wir sie auch im
Interesse des Landes und des preußischen Adels selber in vollem
Maße beklagen. Gewiß ist es, daß der englische Adel jederzeit
eine gerechtere und weisere Stellung gegenüber der Freiheits-
entwicklung des Landes eingenommen und nur auf diesem
Wege seinen ebenso mächtigen, als segensreichen Einfluß
begründet hat. Es darf indessen an der Hoffnung festge-
halten werden, daß auch der preußische Adel sich nicht auf die
Dauer der richtigen Erkenntnis seiner Aufgabe verschließen
werde, da durch definitive Begründung des Herrenhauses die
durch Ansehen und Besitztum ausgezeichneten Elemente des-
selben von der übergroßen Zahl derjenigen ausgeschieden wor-
den sind, für welche die Beibehaltung oder Wiederherstellung
des ehemaligen Privilegienstandes nicht bloß eine Frage des
Parteiinteresses, sondern, wie sie selbst erklären, wegen der
bestehenden Überschuldung ihrer Rittergüter eine eigentliche
Existenzfrage bildet. Der Adel des Herrenhauses, dieser
eigentlich politische Adel Preußens, wird sich hoffentlich nach-
gerade auf einen höheren Standpunkt zu erheben wissen und
sich nicht immer engherzigen Sinnes nach untergegangenen
Zuständen zurücksehnen, sondern in Gemeinschaft mit der
Krone und dem Lande die große Zukunft im Auge behalten,
welche die politische Neugestaltung der Monarchie eröffnet.
Im Hinblicke auf diese Frage des Landes muß die erste posi-
tive Anforderung, welche an jeden zu wählenden Abgeordneten
gestellt wird, die sein, daß er volle Bürgschaft dafür gebe, treu
dem Grundgesetze des Landes dasselbe aufrecht zu erhalten
und durchzuführen, jedenfalls nur zu solchen Verfassungs-
änderungen die Hand zu bieten, deren Notwendigkeit im Inter-
esse des Staates in klarster Weise hervortreten möchte. Diese
224
Haltung haben in der abgelaufenen Legislaturperiode die-
jenigen drei Fraktionen eingenommen, welche sich im vollsten
Sinne des Wortes: ,,Sr. Majestät getreueste Opposition" nennen
durften. Sie haben dieselbe mit Ehre, ja mit einem anfangs
kaum für möglich erachteten Erfolge behauptet. Das Land
wird daher auch bei den bevorstehenden Wahlen auf die Män-
ner und die Bestrebungen dieser Seite des Abgeordnetenhauses
vor allem sein Augenmerk zu richten haben. Es wird sich da-
her durch den gewöhnlichen taktischen KunstgfiflF nicht beirren
lassen, daß man jene Kammerfraktionen unter der Bezeich-
nung ,, Linke" oder , .Opposition" schlechthin als systematische
Gegner der Regierung, wenn nicht gar als eine gegen dieselbe
unablässig arbeitende Koalition zu kennzeichnen sucht, um
mittelst dieses Parteimanövers die gerechte Antipathie des
wahrhaft konservativen Volkes gegen dieselben zu erregen.
Wer irgend die Verhandlungen unserer Landesvertretung ver-
folgt hat, der kennt den völligen Gegensatz, welcher in
dieser Beziehung zwischen der tendenziösen, nur auf Porte-
feuille-Jägerei abzielenden Opposition des vormaligen französi-
schen Konstitutionalismus und dem loyalen Verhalten unserer
preußischen Opposition besteht. Diese letztere hat nach dem
unbestechlichen Zeugnis der Tatsachen niemals die Regierung
als solche bekämpft, sondern mit der größten Loyalität die-
selbe unterstützt, sobald ihre Maßregeln dem Rechte und dem
wahren Interesse desLandes entsprachen. Diese verfassungstreue
Opposition, die Linke, wurde gebildet durch die Katholische
Fraktion (51 Mitglieder), die Fraktion des Grafen von
Schwerin-Putzar (28 Mitglieder) und die Fraktion
Mathis (20 Mitglieder), welche wohl nach Herrn von
Bethmann-Hollweg fortgenannt wurde, obgleich der-
selbe nicht mehr Mitglied des Hauses war, endlich die polni-
schen Abgeordneten (5). Die numerisch stärkste Frak-
tion, nämlich die katholische, hat der Mehrzahl nach aus rhei-
nischen, westfälischen und schlesischen Abgeordneten bestan-
den, und diese Provinzen haben die Wirksamkeit derselben
Her>rstr;ißer I. 15 225
im ganzen und einzelnen mit so viel Teilnahme verfolgt, daß
es für dieselben am. wenigsten der Aufforderung bedarf,
die von jener Fraktion erstrebten Ziele durch den Wahl-
akt nach Kräften zu unterstützen und zu fördern. Die-
selbe hat zur Verwirklichung ihrer Bestrebungen mit den
zwei andern Parteien der Linken teilweise im Bündnis ge-
standen, zeitweise dieselben Ziele verfolgt und ist fast in allen
Fragen, welche nicht besondere katholische Angelegenheiten
betrafen, mit dehselben Hand in Hand gegangen. Sie hat sich
dieser Finigung stets aufrichtig erfreut, allein auch die pein-
liche Überzeugung immer wieder gewinnen müssen, daß die
Schranken, welche schon vor sechs Jahren der vollen Einigung
der genannten Parteien entgegenstanden, ungeachtet jenes
langjährigen Zusammenwirkens noch immer teilweise bestehen
und daß dieselben erst gänzlich fallen werden, wenn die Gegen-
seite zu der Einsicht gelangt, daß den kirchlich-konfessionellen
Interessen im Allgemeinen und der durch Artikel 12 der Ver-
fassungs-Urkunde gewährleisteten Autonomie der katholischen
Kirche insbesondere, mindestens dieselbe politische Berechtigung
beiwohnt, wie den andern Grund- und Freiheitsrechten.
Wenn*) trotz allem das Dasein der Katholischen Fraktion
noch- immer manchen Gegnern unbequem und störend ist, so
mögen dieselben überhaupt nicht aus dem Auge verlieren, daß
das Repräsentativsystem, der Natur der Sache nach notwendig
ein System gegenseitiger Opfer und Transaktionen zwischen
mancherlei sich kreuzenden Interessen ist, die nun einmal in der
modernen Gesellschaft, ganz besonders im Preußischen Staate
nebeneinander bestehen. In demselben Verhältnisse, wie das
Repräsentatiysystem jene Gegensätze hart aneinanderrückt,
legt es allen die absolute Notwendigkeit auf, sich gegenseitig
zu verständigen und zu vertragen und durch ein volles Maß
von Takt und Selbstverleugnung die Erreichung der großen
gemeinsamen Zwecke möglich zu machen. Wer dieseNotwendig-
_______
226
keit verkennen wollte, würde die möglichen Segnungen des
Repräsentativsytems in ebenso viele Schädlichkeiten umwandeln
und alles verderben.
Es*) ist daher wahrlich nicht abzusehen, wie in dem Be-
stände dieser Fraktion etwas Verletzendes und Trennendes für
irgendwen gefunden werden kann, da gerade in ihr, ja in ihrem
Streben allein, die Bedingungen und Wurzelkeime der innig-
sten und reellsten politischen Einigung des Landes liegen. Die
Religion wird damit in keiner Weise als trennendes Element in
die gesetzgebende Versammlung hineingetragen, da ja, wie be-
reits oben bemerkt, die sogenannten katholischen Anträge nicht
auf konfessionellem, sondern auf staatsrechtlichem Boden stehen.
Dabei handelt es sich auch nicht etwa um Geltendmachung einer
sogenannten katholischen Politik, wie sie von der Gegenseite
supponiert wird, sondern lediglich der politischen Anschauung
deutscher Katholiken, die so tief als irgend jemand von der
Überzeugung durchdrungen sind, daß das religiöse Gebiet als
solches keine Vermischung mit dem staatlichen erheischt.
Gern*) mag endlich anerkannt werden, daß die vorbezeichne-
ten, sich selbst rechtfertigenden Zwecke der Katholischen Frak-
tion auch ohne jenen Parteinamen verfolgt werden können,
letzterer also nicht das wesentliche ist. Wenn daher trotz alle-
dem jener Name, welcher eben nur als Antwort auf die oben-
bezeichneten ministeriellen Erlasse dienen sollte, immer und
immer wieder störend nach anderer Seite hin wirken möchte, so
'vird dessen Beibehaltung oder Aufgebung sicherlich als eine
tfene Frage gelten, nachdem seine spezielle Veranlassung be-
seitigt ist. Jene Beibehaltung oder Aufgebung wird eben nur
von der mehr oder minder hellen Aussicht in die Zukunft, mit-
hin von der Frage abhängen, ob die Rückkehr der Fraktion
u einer rein politischen Parteigliederung nur als ein Zeichen
der Waffenruhe und nicht der Desertion gedeutet werden kann.
*) s. 17.
. * 227
Die*) Zahl der katholischen Abgeordneten wird freilich selbst
bei der größten Wahlanstrengung- dem zwischen Konfessionen
bestehenden Bevölkerungsverhältnisse (bei einer Gesamtzahl
von 352 Abgeordneten müßten über 140 Katholiken erscheinen)
so lange nicht entsprechen können, als nicht entschieden mit
demjenigen Systeme gebrochen ist, welches der Mini-
sterialrat Hahn in der Sitzung der Tl. Kammer vom 7. Fe-
bruar 1856 als Regierungs-Kommissar ganz unverhohlen zu
proklamieren kein Bedenken getragen hat. Katholischerseits
war nämlich Beschwerde darüber geführt worden, daß die
Staatsregierung bei der letzten Abgeordnetenwahl mehrfach
katholische Landesteile, namentlich Ermeland, welches bis dahin
katholische Abgeordnete gewählt hatte, allem historischen
Rechte und aller Billigkeit zuwider, ja im Widerspruche mit
traktatmäßigen Verpflichtungen, in drei Bruchteile zerrissen
und dieselben als Minoritäten den benachbarten protestanti-
schen Wahlbezirken zugeworfen, das heißt politisch annulliert
habe. Herr Hahn erklärte hierauf von der Ministerbank wört-
lich: ,,Die Regierung habe es für ihre Pflicht gehalten, da
Wahlbezirke in ihrer bisherigen Zusammensetzung entschieden
oppositionellen Einflüssen, teils korporativer (!) teils persön-
licher Natur unfehlbar unterliegen' mußten, eine Änderung
dieser Wahlbezirke, insoweit es möglich war (!) herbeizu-
führen" Sapienti sat! In den weltlichen Provinzen ist dies
System vor drei Jahren durch mancherlei Verlegungen der
Wahlorte in Wirksamkeit gesetzt worden, allein nach der Na-
tur der Sache ist es eben nicht überall mit gleichem Erfolge
,, möglich" gewesen und wird dermalen bei der veränderten
Situation wohl noch weniger als ,, möglich" erachtet werden.
*) S. 24.
228
Die Namensänderung
(1859)
(^ M a 1 1 i n c k r o d t an seine Familie*)
„Mit unserer Nomenklatur sind wir nach langen Debatten
ins Reine gekommen. Die Ansichten standen einander ziem-
lich schroff gegenüber, die Mehrheit offenbar für Namensände-
rung, die Westfalen aber meist hartnäckig dagegen. Als alles
mürbe war, und keiner ein befriedigendes Ende absah, weil das
Abmajorieren über die Frage wegen der weiteren Folgen für
uns selbst bedenklich war, habe ich Vertagung und vorläufige
(Überweisung an den Vorstand beantragt und dort die kombi-
nierte Statutenüberschrift: , Fraktion des Zentrums (Katholi-
sche Fraktion)' vorgeschlagen, sodaß der erste Name der offi-
zielle in der Kammer werde, der andere aber Festhalten an der
Sache und Geschichte ausdrücke und zum beliebigen Gebrauch
in Gespräch und Presse neben dem neuen Namen bleibe. Der
Vorstand einigte sich, und die nunmehrige einstimmige Propo-
sition fand ohne Abstimmung allseitige Billigung und An-
nahme. Auch in den anderen Parteien und höheren Regionen,
wo man Gewicht auf die Frage legte, wird man wohl befriedigt
sein." .
AugustReichensperger an Steinle, •
9. Februar 1859 (Berlin)**)
„Im großen und ganzen dürfen wir nicht klagen ; da es wenig-
stens im Innern besser geworden ist als früher. Das beste aber
ist jedenfalls, daß unsere Partei trotz ihrer Namensänderung,
*) O. Pfülf, S. I, H. V. Mallinckrodt, Freiburg i. B. 1892, S. 200.
**) a. a. O.
229
teilweise sogar infolge derselben einiger dasteht als je. Über-
haupt sehe ich mit Vertrauen in die Zukunft, insofern sich
dieselbe nur friedlich entwickeln kann. Da liegt nun aber leider
der Knoten. Es ist schon traurig genug, daß alle Welt das Ohr
spitzt, wenn in Paris gepfiffen wird, daß der Pulsschlag aller
Börsen sich darnach richtet. Es braucht nur der Deutsche Bund
und England ein entschiedenes Wort zu sprechen, so würde es
auch ein entscheidendes sein. Allein man will nicht reizen ! !
Im übrigen ist aber doch unter den verschiedenen Parteien
dermalen mehr Erkenntnis von der Notwendigkeit des Zu-
sammengehens mit Österreich vorhanden, als früher; man
scheint sich daran zu erinnern, daß auf Austerlitz ein Jena
folgte. Wenn das bißchen deutscher Patriotismus nur nicht
über den Manöverien des Pariser Diktators verfliegt" Gott
möge alles zum Guten lenken!"
230
Eine Petition fi^ir den Papst
(•859)
Die Katholiken der Stadt Münster und des
Kreises Stein fürt an den Prinzref^i-enten
von Preuße n*)
Durchlauchtigster TVinz und Regent ! Gnädigster Prinz und
Herr! ,
l'.w. Königlichen Hoheit nahen sich die unterzeichneten ka-
tholischen Untertanen voll unbeschränkten Vertrauens zu
Höchstdero hohem Sinn für das Recht und die Sache der Ord-
nung mit der untertänigsten Bitte, Ew. Königliche Hoheit
wollen geruhen, dem durch die Ränke der sardinischen Regie-
rung im Bupde mit der Revolution aufs äußerste bedrohten
ehrwürdigen Besitz der katholischen Kirche Höchstihren
ritterlichen Schutz angedeihen zu lassen und; im Rate der Für-
sten ihre Stimme zu erheben für die Integrität des Kirchen-
staates. Der älteste Thron der europäischen Staatenfamilie, des-
sen Rechtstitel ein Jahrtausend geheiligt, soll der neuen Ausge-
burt der Demagogie, einem Prinzip, welches die Auflösung
aller sozialen Verhältnisse in sich begreift, dem sogenannten
Nationalitätsprinzip, zum Opfer fallen. Mit Schmerz und
Bangen sehen wir als Katholiken, deren geistlicher Vater in
der freien Ausübung seiner hohenpriesterlichen Pflichten -durch
den Verlust seiner weltlichen Macht bedroht ist — mit Schmerz
und Bangen sehen wir als treue Untertanen unseres glorreichen
Könighauses der Hohenzollern in die Zukunft — wenn so die
ältesten und heiligsten Rechte der Fürsten mit Füßen getreten
und die Throne der Spielball des Ehrgeizes und der pcrmanen-
*) Nach dem Abdruck bei B.istgen, Die römische Frage l (1917) S. 333.
231
ten Revolution werden sollen, Se. Majestät, unser allergnädig-
ster König, bot nun vor elf Jahren, der erste der Fürsten, dem
Heiligen Vater Schutz und Asyl vor den andrängenden Fluten
der Revolution. Ew. Königliche Hoheit wollen geruhen, den
ehrwürdigen Oberhirten unserer Kirche gegen Verrat und Raub
zu schützen, und Gottes Segen, den wir auf Ew. Königliche
Hoheit herabflehen, wird die fürstliche Tat lohnen.
232
Programm der „Kölnischen Blätter"
Köln, März 1860*)
Rücksichtlich der Beurteilung der Tagesereignisse bekennen
sich die Kölnischen Blätter zu folgenden Grundsätzen:
,,i. Wir sind katholisch und werden uns bei allem, was wir
schreiben, vor der leisesten Verletzung der Lehren und Grund-
sätze der Kirche hüten, vielmehr durch dieselben uns in unserem
Urteile leiten lassen und die Rechte der Kirche nach Kräften ver-
treten. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir in konfessio-
nellen Fragen den abweichenden Ansichten, ja selbst den An-
griffen anderer gegenüber, bei aller Entschiedenheit unserer
Überzeugung, uns Ruhe und Milde zur Pflicht machen.
Daß die Kölnischen Blätter eine katholische politische Zei-
tung, nicht eine Kirchenzeitung sein werden, brauchen wir
wohl kaum hervorzuheben.
2. Wir sind konservativ und werden darum die Achtung vor
dem rechtmäßig Bestehenden immer betätigen und die wohl-
erworbenen Rechte eines Jeden, wer es auch sei, gegen Umsturz
und Despotismus verteidigen.
3. Die Kölnischen Blätter werden patriotisch sein. Wir wer-
den für die Aufrechterhaltung der Verfassung und für die Ent-
wicklung des Verfassungslebens in unserem preußischen Vater-
lande eintreten; durch freimütige und wohlwollende Darstel-
lung und Beurteilung der Verhältnisse wollen wir die rechte
patriotische Gesinnung bei unseren Lesern zu fördern und das
rechte Verhältnis zwischen Regierung und Volk zu befestigen
suchen."
*) Entworfen von Dr. Reusch, Professor der Theologie in Bonn. Vgl.
ür. Hermann Cardanns, Fünfzig Jahre Kölnische Volkszeitung, Köln (1916),
S. 18 f.
233
Die Fraktion des Zentrums
Aus dem Rechenschaftsbericht vom Jahre 1861 ")
T
Religion und ]* o 1 i t i k
Ich spreche es schon gleich und ohne Rücksicht aus: Wohl
hat die Religion etwas mit der Politik zu schaffen und nicht
bloß etwas, sondern viel, sehr viel !
Die christliche Religion besteht nicht in einer Sammlung
von äußeren Formen und Gebräuchen. Sie ist vielmehr ein
Komplex von genau determinierten Glaubens- und Sittenvor-
schriften, bestimmt, das ganze Leben des Menschen in allen
seinen Beziehungen zu Gott, zu sich selbst und seinen Mitmen-
schen zu regeln. Wer sie angenommen hat und sich zu ihr be-
kennt, hat damit die Verpflichtung übernommen, sein gesamtes
Tun von ihr durchdringen zu lassen. Man legt also die Religion
nicht ab, wenn man in die Kammer eingeht, ungefähr wie man
Hut und Mantel, Stock und Überzieher ablegt, um sie beim
Nachhausegehen wieder aufzunehmen. In der Kammer, wie
überall, in den Verhältnissen der Fürsten zu den Untertanen,
wie in den Beziehungen der Nationen zueinander sollen die
ewigen unabänderlichen Gesetze der Religion Norm und Richt-
schnur sein.
Wir alle kennen sehr gut das glaubenslose Geschlecht, wel-
ches in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit jenem
Prinzip und anderen, die aus derselben Pfütze des Unglaubens
*) Aus der Schrift: Die Fraktion des Zentrums, ([^katholische Fraktion.)
Gewidmet den katholischen Wählern in Preußen. Mainz, Verlag von Franz
Kirchheim 1861. 44 S., 8". Staatsbibliothek Berlin, Fe. 4510. I, S. 21 ff.,
II, S. 36-37, ni, S. 37 ff., IV S. 41 fl"
234
geschöpft waren, die menschliche Gesellschaft aus ihren Angeln
zu heben sich 1)estrebte. Gewiß hat es zu keiner Zeit an gott-
und gewissenslosen Fürsten und Ratgebern derselben gefehlt,
die in der Politik aller höheren Interessen bar und ledig waren;
aber die Enzyklopädisten haben das Mißverdienst, die Reli-
gionslosigkeit auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens
in ein förmliches System gebracht zu haben. Wie man das Chri-
stentum vom häuslichen Herde verbannte, die väterliche Ge-
walt aufhob, die Ehe der Heiligkeit des Sakramentes entkleidete,
wie man die Religion aus den Schulen verdrängte, aus den
Werkstätten, aus den Hospitien und endlich aus den Tempeln
selbst, so noch weit mehr aus der Politik, wo dem Ehrgeiz,
der Habsucht und jeder wilden Leidenschaft das weiteste Feld
der Gewalt und ITngerechtigkeit geöflfnet war.
Wohin eine Politik führt, welche die Religion über Bord ge-
worfen hat, das lehren uns die italienischen Zustände. Oder
ließe sich wohl eine unmoralischere Politik ersinnen, als die ist,
die Sardinien gegen das unglückliche Italien befolgt? Die
Untertanen fremder Fürsten werden durch geheime Agenten,
durch Flugblätter und Zeitungen, durch Bestechung und lügen-
hafte Verheißungen gegen ihre Herrscher aufgewiegelt; mit
Proklamationen voll Verleumdung und Heuchelei wird das Volk
irre geleitet, ohne Kriegserklärung fällt man ins Gebiet ver-
wandter Fürsten ein, verleitet die Generale und Offiziere durch
Geldspenden und Zusicherung ihrer Stellen zu Meineid und
Treubruch, vergießt das Blut der treugebliebenen Krieger in
Strömen auf dem Schlachtfeld und in Füsilladen, brennt Städte
und Dörfer nieder, füllt die Gefängnisse mit Schuldlosen, zer-
stört Kirchen und Klöster, beraubt sie ihres Eigentums und
bringt die Bewohner der letzteren so\vie zahllose andere an den
Bettelstab, verkauft die geraubten Gefäße und Paramente auf
öffentlichen Vergantungen und überzieht mit einem Worte das
ganze schöne Italien mit unsäglichem Elend. Eine eklatantere
Verleugnung der Moral des Evangeliums, als hier vorliegt, ist
wohl nimmer aufzutreiben. Wenn es aber eine ausgemachte
235
Sache ist, daß zwischen Moral und Dogma ein noch innigeres
Verhältnis der Unentbehrlichkeit besteht, als in der Zusammen-
setzung des menschlichen Körpers zwischen Fleisch und Ge-
bein, und daß die Moral nur das Dogma im Leben und Han-
deln, der Glaube in seiner Betätigung ist, dann ist die Wahr-
heit, Sardiniens Politik eine total irreligiöse zu nennen. Aber
ihre Früchte sind der Ruin der Völker.
Daß Preußen Sardiniens Politik in Deutschland aufnehme,
ist nun allerdings seit geraumer Zeit der geheime und öffent-
liche Wunsch der fortgeschrittenen Liberalen. Darum also ruft
man den Katholiken zu: ,,Die Religion hat nichts mit der Poli-
tik zu schaffen." Die katholischen Abgeordneten sollen ihren
Bund und damit ihren einträchtigen Widerstand gegen solche
gottlose und unmoralische Politik aufgeben. Ihre Stimmen
sollen verschallen, damit Deutschland zerrissen und das katho-
lische Österreich hinausgestoßen werde. Sie sollen schweigen,
wenn den deutschen Fürsten mit Gewalt ihre Kronen entrissen
werden, der deutsche Boden mit Bürgerblut getränkt wird.
Aber das Christentum brandmarkt diese Greuel und der
christliche Abgeordnete wird zum Verräter an demselben, wenn
er sie fördert oder zu ihnen stillschweigt.
Wenn also gerade die Religion es gebietet, sich in diesen
schwebenden Zeitfragen auf die Seite des Rechtes und der Mo-
ral zu stellen, und den katholischen Abgeordneten die besondere
Pflicht auferlegt, ihre Stellung zur Lösung derselben in christ-
lichem Sinne zu verwenden, so ist ihnen also auch gewiß er-
laubt, die geeigneten Mittel dazu zu gebrauchen. Als das ge-
eignetste Mittel aber steht die Bildung eines festen und ein-
heitlichen Bundes obenan. In solcher Parteibildung erschauen
auch die Gegner das wirksamste Förderungsmittel ihrer eige-
nen Pläne, und wenn es ihnen erlaubt ist, Fraktionen zu bil-
den, um Deutschland zu zerreißen, und unmoralische Zwecke
zu verfolgen, dann wird es gewiß den katholischen Abgeord-
neten auch erlaubt sein, sich zu einer Fraktion zu einigen, um
den Zerfall Deutschlands zu hindern und jeden durch ihren
236
Glauben wie durch ihre Moral g^eforderteu Zweck zu er-
streben. •
Nicht bloß nach allen Regeln des parlamentarischen Lebens,
sondern auch von dem Standpunkte der Religion aus ist es dem-
nach den katholischen Abgeordneten erlaubt, eine eigene
Fraktion zu bilden. Hört man die Gegner der Fraktion des
Zentrums, dann sollte man sich zu der Vermutung für be-
rechtigt halten, sie betrachten die Religion als ein Hindernis
für die gewissenhafte Prüfung politischer Fragen. Die Religion
soll den Blick trüben, die Einsicht schwächen, das Urteil be-
fangen machen. Man kann über solchen Unsinn nur lachen.
Aber einer Zivilisation gegenüber, die allein dem Christentum
ihren Ursprung und ihre gegenwärtige Höhe verdankt und
die in kurzer Zeit sich wieder in die einst an ihrer Stelle ge-
standene Barbarei verwandeln würde, wollten wir das Licht,
das in die Welt gekommen ist, auslöschen, wäre es Torheit,
denselben einer weitläufigen Widerlegung zu würdigen. Wenn
schon jeder Verein um so leichter seine Aufgabe erfüllen kann,
je inniger das Freundschaftsband ist, welches die Mitpflieder
desselben verbindet; wenn ferner bei jeder politischen Fraktion
ein gewisser Grad der Freundschaft, welche indessen nur auf
der Übereinstimmung in den Grundanschauungen der poli-
tischen Fragen zu beruhen braucht, sich vorfinden muß, um eine
allseitige und genaue Prüfung der vorliegenden Materien zu
ermöglichen und zu erleichtern, und wenn diese Freundschaft
wirklich die Aufgabe des Abgeordneten erleichtert, dann
müssen diejenigen, deren Freundschaft noch eine tiefere Grund-
lage hat, gewiß ebenfalls geeignet sein, politische Fragen ge-
wissenhaft zu prüfen. Ich sollte meinen, daß, wenn dies bei
Freunden überhaupt schon der Fall ist, es noch mehr der Fall
sein muß bei solchen, welche bezüglich des Höchsten, was es
gibt, nämlich der Religion, auf demselben Boden stehen und
nicht bloß sich äußerlich zu derselben bekennen, sondferri auch
stets bemüht sind, nach den Grundsätzen der Religion zu leben.
Finden wir doch im täglichen Leben, daß, wo das religiöse Band
237
die Menschen in Freundschaft einigt, die höchsten Ziele, mate-
rielle wie geistige, viel leichter erreicht werden. Warum sollte
es auf den parlamentarischen Gebieten nicht ebenso sein?
11
Die !"" r a k t i o n des Zentrums u n 1
das ,,p r a k t i s c h e Leben"
Nun w ill ich auch zeigen, daß die Meinung, die Fraktion des
Zentrums lasse ,,das praktische Leben" unberücksichtigt, ganz
irrig ist. Zunächst brachte die Fraktion des Zentrums im
Jahre 1859 durch den Abgeordneten Reichensperger
(Geldern) mit den Abgeordneten v. Vincke und Mathis den
Antrag auf Erlaß einer Adresse an Se, Königliche Hoheit, den
damaligen Prinzregenten ein. Ferner stellte Reichensper-
ger (Geldern) mit seinen politischen Freunden den Antrag
auf Errichtung eines ständigen deutschen Bundesgerichts. Im
Jahre 1860 brachten die Abgeordneten Reichensperger
(Geldern) und Genossen den Antrag ein, daß für das künftige
Etats jähr Vorsorge dahin getroffen werde, daß das Grundsteuer-
kontingent der beiden westlichen Provinzen, sowie der Pro-
vinzen Sachsen und Schlesien um zwanzig Prozent herabgesetzt
werden könne; ferner stellten sie einen Antrag, betreffend die
Reform des Hypothekenrechtes im Bezirke des rheinischen Ap-
pellationsgerichtshofes zu Köln; ebenso beteiligten sie sich an
dem Antrage der Abgeordneten von Ammon und von Dier-
gardt, betreffend die Aufhebung des Rheinzolles und des
Lotsenzwanges ; endlich stellten sie einen Antrag, betreffend
die Bewirkung der Einnahmen und Ausgaben des Staates auf
Grund des genehmigten Staatshaushaltes. Nachdem sie vor
zwei Jahren den Bau einer Eisenbahn vom Rhein nach Trier
zur direkten Verbindung der Bundesfestung Luxemburg mit
den Festungen Koblenz und Köln beantragt, reichten sie in
diesem Jahre einen Antrag ein, betreffend die Verpflichtung der
238
Rheinischen Eisenbahngesellschaft zum Bau der Bahn von Kre-
feld nach Kleve. Ferner stellten sie den Antrag, die in den
westlichen Provinzen eingeleitete Revision des Grundsteuer-
katasters zu sistieren, und brachten durch den Abgeordneten
R o h d e n einen Gesetzentwurf ein, betreffend den Kaufstem-
pel, durch welchen Immobilien auf Deszendenten übertragen
werden; sodann stellten ihre Mitglieder Brüning, Her-
bert z, P laß mann und Schult mit fünf anderen Abge-
ordneten der Fraktion Vincke einen Antrag auf Genehmigung
eines Gesetzes betreiTend die Landgemeindeordnung für die
Provinz Westfalen und die Rheinprovinz. Diese und andere
Vnträge, von denen die meisten eine günstige Erledigung ge-
funden haben, beweisen wohl hinlänglich, daß die Fraktion des
Zentrums überaus , .praktisch" ist. Daß sie sich ferner an allen
andern Fragen, ohne gerade besondere Anträge zu stellen, be-
teiligt hat, wird wohl nunmehr jeder, der die Verhandlungen
nicht genau verfolgt hat, auf mein Wort glauben. Hier beispiels-
weise eine Tatsache. Es ist bekannt, wie gegenwärtig die,,Fo r t-
schrittsmänner" gewallig auf Einführung der geheimen
Stimmabgabe bei den Wahlen und Abschaffung des Dreiklas-
sensystems, tesp, Modifikation desselben hinarbeiten ; wie sie
in ihren Wahlprogrammen tun, als hätten sie zuerst die For-
derung gestellt. Auch hier können wir konstatieren, daß die
Fraktion des Zentrums sich schon längst dafür ausgesprochen
hat, zuletzt durch den Abgeordneten. Reichensperger
fGeldern), dessen Rede über diesen Gegenstand, die er bei Ge-
legenheit der Beratung eines Gesetzentwurfes über die Städte-
ordnung für die sechs östlichen Provinzen gehalten hat (Steno-
graph. Ber. I, S. 1267, Sitzung vom 16. Mai 1861), an Klar-
heit und Entschiedenheit wohl alles übertrifft, was bisher dar-
über gesagt worden ist. Um schließlich noch einen Beweis zu
i;eben, bis zu welchem Grade die Fraktion des Zentrums „das
l>raktische Leben" ins Auge faßt, will ich nur anführen, daß
auch in dieser Legislaturperiode der Abgeordnete Reichens-
perger (Köln) wiederholt beantragt hat, das Briefporto für
239
alle Briefe auf einen Silbergroschen festzusetzen und das Be-
stellgeld gänzlich fallen zu lassen, indem er darauf aufmerksam
machte, wie das Bestellgeld nur ein faktisches Privilegium
einer Klasse von Korrespondenten begründe, die geradezu vor-
zugsweise in der Lage ist, Porto zu bezahlen, ja oft sogar, das-
selbe überzuwälzen, daß dagegen die ärmeren Klassen vorzugs-
weise von demselben betroffen werden.
III
Die Fraktion als Hort der kirchlichen'
Interessen
„Die Fraktion hat sich ihrer Hauptaufgabe, der Vertretung
und Verfolgung der katholischen Interessen, fortwährend mit
Hingebung gewidmet, daneben aber auch an allen übrigen An-
gelegenheiten, der Unabhängigkeit des Charakters und der
Stellung aller ihrer Mitglieder entsprechend, mit Ausdauer und
Entschiedenheit sich beteiligt. Sie hat auch während der letz-
ten Session in Eintracht fortbestanden. Die Vorhersagungen,
welche in der ersten Zeit nach ihrer Bildung im Spätherbste
1852 hinsichtlich ihres Fortbsstandes vielfach laut wurden, sind
nicht in Erfüllung gegangen." Mit diesen Worten, welche der
selige Otto in der Vorrede zu seiner Schrift: „Die Lage der
Katholiken in Preußen, am Schlüsse der dritten Legislatur-
periode. Düsseldorf 1855" aussprach und die wörtlich auf die
Fraktion des Zentrums während der letzten Legislaturperiode
anwendbar sind, könnte ich füglich schließen, doch dürften wohl
noch einige Bemerkungen hier nicht am unrechten Platze sein.
Was zunächst die Vertretung und Verfolgung der katho-
lischen Interessen in unserem Vaterlande betrifft, so hat sich
freilich in der verflossenen Legislaturperiode die Fraktion des
Zentrums nicht so bemerkbar gemacht, wie früher; es liegt das
zum Teil in dem Eintritt des neuen Ministeriums, welches, wenn
es auch noch nicht dahin gekommen ist, die Parität offen zu
240
handhaben, doch zu Beschwerden, wie sie das vorige Mini-
sterium hervorgerufen, keinen Anlaß gegeben hat. Was aber
den noch nicht erledigten Teil der bekannten Ottoschen Anträge
betrifft, so hat die Fraktion des Zentrums bisher die geeigneten
Schritte durchaus nicht unterlassen. Überhaupt wird jeder, der
die Verhandlungen des Hauses verfolgt hat, ihr die Anerken-
nung nicht versagen, daß sie überall die katholischen Interes-
sen, wo dieselben verletzt waren, mit Entschiedenheit .vertreten
hat. Zu diesem positiven Resultate, welches freilich nach der
gegenwärtigen Lage nicht so groß sein konnte, wie in frühe-
ren Jahren, kommt aber noch ein negatives, auf welches ich be-
sonders hinweisen zu müssen glaube, da es weniger in die Au-
gen fällt. Beispielsweise erinnere ich hier nur an die wohlbe-
gründete Nachricht von dem beabsichtigten Erlaß sogenannter
Organischer Artikel zu dem fünfzehnten Paragraphen
der Verfassungsurkunde, wodurch die Freiheit der Kirche zu
irabe getragen werden sollte. Daß es in Preußen manche Be-
amte gibt, welche nur zu gerne die Rolle französischer Prä-
fekten spielen, ist bekannt. ^\ber was auch der Verfasser der
,, Briefe eines Sorglosen" und seine Anhänger, Richter,
Dove, Friedberg und so weiter tun, um den Boden urbar
zu machen, auf dem die Präfekten hantieren können,. — sie wer-
den einstweilen ihre Ideale nicht ins Leben führen. Sie und
ihre Freunde in der Kammer, die bereits vor Jahr und Tag ein
Vorgehen gegen die katholische Kirche verlangten, haben er-
fahren, daß an letzteres nicht zu denken ist. Wer weiß aber,
wie es gekommen wäre, wenn die Fraktion des Zentrums nicht
gewesen? Es müßte sich alles gewaltig ändern, ehe in Preußen
gewisse Leute mit ihren Tendenzen durchdringen können ; dazu
würde nicht allein ein Napoleon III., sondern auch ein ,,E m -
p i r e" gehören, ohne ,, Empire" geht es nicht. Sehen wir ab
von den katholischen Interessen in Preußen; es gibt heutzutage
höhere katholische Interessen, als die in Preußen, ich meine die
Frage der weltlichen Herrschaft des Papste sl
Das sind katholische Interessen, welche die ganze Welt berüh-
Hergsträßer I. k. 24'I
ren und um die sich alles dreht, was gegenwärtig den Boden
unter unsern Füßen zittern macht. Ich will indessen keine Re-
flexionen über diese Frage anstellen, sondern nur einige kurze
Bemerkungen an dieselbe anknüpfen. !Die Frage bezüglich der
weltlichen Herrschaft des Papstes hat zwei Seiten, die des
Papstes und die des Rechtes. Die eine Seite können
wir füglich unbeachtet lassen, denn es versteht sich von selbst,
daß jeder gute Katholik zu dem Papste stehen muß. Zudem
haben wir ja hier, wie unsere Gegner sagen, nur mit der Poli-
tik zu tun, und darum wollen wir ihnen zu Liebe uns an die
Rechtsfrage halten. Betrachten wir aber auch nur die Rechts-
frage, so kann kein Mensch, er mag sogar ein Heide sein, wenn
er noch einen Funken von Ehrlichkeit in sich trägt, die Berau-
bung des apostolischen Stuhles billigen. Ob es gut oder nicht
gut ist, daß der heilige Vater ein weltliches Besitztum hat, dar-
auf kommt es hier zuvörderst gar nicht an ; es handelt sich nur
um das Recht. Angenommen, selbst der türkische Sultan
herrsche infolge ähnlicher Rechtstitel, wie der apostolische Stuhl
sie aufweisen kann, über Rom und einen Teil Italiens, so
könnte das sehr zu beklagen sein, aber niemand hätte ein Recht,
ihm seinen Besitz zu nehmen. Und was dem türkischen Sultan
gegenüber Recht ist, das bleibt doch auch wohl Recht dem Papste
gegenüber. Will man die Handlungen, wie sie die Revolutio-
näre in Italien verüben, durch Berufung auf ähnliche .in ande-
ren Staaten und Zeiten beschönigen und verteidigen, so beweist
das ebenfalls, daß man allen Rechtssinn verloren hat; denn das
Unrecht eines andern berechtigt keinen, ebenfalls Unrecht
zu tun.
Auf Deutschland angewendet stellt sich die Antwort in der-
selben Weise heraus. Es mag Menschen schön und vorteilhaft
dünken, wenn zum Beispiel der König von Bayern seine Krone
niederlegen wollte zugunsten eines einigen Deutschlands unter
einem Herrscher; aber ihn dazu durch Gewalt zwingen, dazu
hat niemand das Recht. Nach diesem Grundsatze allein schon
ist das Auftreten der Fraktion des Zentrums bestimmt; ihre
242
Mitglieder werden daher nie und nimmer zugunsten der Revo-
lutionäre diesseits und' jenseits der Alpen das Wort ergreifen,
sondern hier wie dort für das Recht in die Schranken treten, maj,^
es sich auch um das Recht eines Gegners handeln. So hat sie e>
gehalten von ihrer ersten Bildung an bis auf diesen Tag, und
so wird sie es auch in Zukunft halten, trotz alles Geschreies der
sogenannten liberalen Zeitungen und Tageshelden, Die Heilig-
haltung des bestehenden Rechtes und die Fortentwickelung
lesselben auf gesetzmäßigem Wege ist die Richtschnur für
ihre politische Tätigkeit.
Man hält gewöhnlich der Fraktion des Zentrums ihr Auf-
treten in der kurhessischen Verfassungsfrage
vor, um ihr einen Vorwurf zu machen. Zunächst sei hier be-
merkt, dai3 die kurhessische Frage überaus verwickelt und
durchaus nicht so einfach ist, wie die liberalen Blätter vor-
geben; letztere sind bekanntlich bald immer fertig, wo es gilt,
Hindernisse, die ihren Tendenzen im W-ege stehen, wegzuräu-
men. So wollen sie und ihre Genossen in dem Abgeordneten-
hause auch in dieser Frage frischweg durch die preußische Re-
gierung dem Kurfürsten befehlen resp. denselben mit Gewalt
zwingen lassen, daß er sich dem Willen der Unzufriedenen
beuge. Die Fraktion des Zentrums dagegen, die nicht minder
wie die Liberalen den traurigen Konflikt in Kurhessen bekla- '
gen, erkennt nur in dem Bundestage die einzige zu Recht be-
stehende Behörde an, welche denselben zu schlichten berufen
ist. Wie inkonsequent die Liberalen sind, zeigt sich auch hier
wieder; in der kurhessischen Frage erkennen sie den Bundes-
tag nicht an, für S c h 1 e s w i g - H o 1 s t e i n dagegen wohl ;
in die kurhessische Angelegenheit hat sich nach ihrem Willen
der Bundestag gar nicht einzumischen, indem er nach ihrer An-
schauung nicht zu Recht besteht, Schleswig-Holstein dagegen
soll er von dem Joche der Dänen befreien. Bekanntlich hat der
Bundestag auch wirklich Anstalt gemacht, gegen die Dänen
ernstlich vorzugehen. Was geschah aber? Als es wirklich Ernst
wurde, setzten die Liberalen „Himmel und Erde" in Bewegung,
243
um die Exekution zu hintertreiben. Man sieht aus diesem Ge-
bahren, daß es den Liberalen und vor allem dem Herrn
von Vincke, ihrem Führer, nur um Alarm zu tun ist. Mögen die
Inkonsequenzen und Widersprüche noch so kolossal sein,
von Vincke bringt sie vor mit einer Keckheit, wie sie dem aus-
gebildetsten Sophisten Ehre machen würde. Sobald eine An-
gelegenheit, über die er einen Antrag mit obligater Rede vor-
gebracht, anfängt in Vergessenheit zu geraten, holt er eine
neue hervor, um sich als Held des Tages in frischem Andenken
zu erhalten. Bis jetzt hat er mit keinem seiner ,, großartigen"
Anträge etwas erreicht, indem die Regierung keinem derselben
Folge gegeben hat, sei es nun aus Klugheit, sei es aus Schwäche,
Ob er endlich zur Einsicht kommen wird, daß alle Nadelstiche,
mit 'denen er das Ministerium heimsucht, ohne Wirkung blei-
ben? Und ob er endlich sein großes Talent nur dazu benutzen
wird, wirklich Erreichbares und dem preußischen wie dem deut-
schen Vaterlande wirklich Heilbringendes zu erstreben? Bis jetzt
war Herr v. Vincke in der Tat der kostspieligste und unnützeste
Mann im ganzen Abgeordnetenhause. Um diesen Ruhm, un-
ausführbare Anträge zu stellen, bloß um vor der Welt zu glän-
zen, hat die Fraktion des Zentrums nie gebuhlt; ihre Mitglieder
verzichten stets auf die Ehre, solche Anträge zu unterschreiben,
um dadurch ihre Namen in die Zeitungen zu bringen.
IV
Die Fraktion und die andern Parteien
Die Fraktion des Zentrums hat kein Programm
aufgestellt, einesteils weil sie sich die Lehre der Geschichte
von der Nutzlosigkeit eines solchen zu eigen gemacht hat, an-
dernteils weil sie es verschmäht, das Volk zu täuschen, als wäre
sie imstande, durch ein bloßes Programm das Glück und die
Freiheit desselben zu begründen. Was sie erstrebt, liegt klar
vor in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, sowie in
244
den früher erwähnten Schriften ; in diesen ist, wenn man den
Ausdruck gebrauchen will, ihr Programm enthalten. Darnach
ist sie, um mit der deutschen Frage zu beginnen, g r o ß -
deutsch, das heißt sie will, daß das ganze Deutschland
vereinigt bleibe, daß Österreich nicl^t von uns getrennt werde;
sie will das, weil das Nationalgefühl und die Pflicht der Selbst-
erhaltung es fordern. Sie will nicht die Einheit Deutschlands,
welche nur durch die Revolution und Bruderkrieg zu erreichen
ist; sie will zunächst eine Einigung Deutschlands auf der Grund-
lage der Fortentwicklung der bestehenden Rechtsverhältnisse,
die weit eher zur Macht und Freiheit des Vaterlandes führt,
als der gewaltsame Umsturz der legitimen Obrigkeiten, wie ihn
die sogenannten Kleindeutschen beabsichtigen. Aus diesem
Grunde kämpft sie auch für das legitime Recht der Obrigkeit
in andern Ländern, Sie kämpft ferner für die Freiheit nicht
allein der katholischen, sondern jeder Konfession von staatlicher
Bevormundung, für die Verbindung der Schule mit der Kirche,
für die korporative Selbständigkeit des Handwerkerstandes
und der volkswirtschaftlichen Genossenschaften, kurz, für die
Selbstregierung auf allen Gebieten des bürgerlichen Lebens.
Aus diesem Grunde hat sie sich bisher nicht für die unbe-
schränkte Gewerbefreiheit erklärt: sie will, daß der Handwer-
kerstand selber sich darüber ausspreche, was er für heilsam
hält, aber nicht daß Kapitalisten und Demagogen, von denen die
einen wie die andern nur ihren Vorteil im Auge haben, über
sein Wohl und Wehe Gesetze machen, ohne seinen Willen und
seine Wünsche zu beobachten. Der Handwerkerstand muß am
besten selbst wissen, was ihm not tut; bisher aber hat die bei
weitem größere Zahl desselben sich gegen die unbedingte Ge-
werbefreiheit erklärt. Hoffentlich wird er mit der Zeit die gol-
dene Mittelstraße finden.
In den angedeuteten Punkten steht die Fraktion des Zen-
trums mit der Kreuzzeitungspartei auf demselben Standpunkte.
Dagegen kämpft sie ihren Grundsätzen getreu mit den Libe-
ralen für die Grundsteuerausgleichung, für die Aufhebung un-
245
berechtigter Privilegien, für die Ausbildung des Rechtsstaates,
für die Beseitigung bureaukrati scher Willkür, für eine freie
Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverfassung. Aus dieser Zu-
sammen- und Gegenüberstellung der Hauptpunkte auf dem Ge-
, biete der inneren und äußeren Politik geht schon hervor, daß
die Fraktion des Zentrums ihren eigenen Weg geht, daß sie
weder mit den „Junkern" oder „Kreuzrittern", noch mit den
Liberalen im Bunde steht; sie sucht das Gute zu erreichen, wo
und wie sie kann, und darum geht sie zuweilen mit dieser, zu-
weilen mit jener Partei. An einen Bund aber, mit der einen
oder andern Fraktion ist nicht zu denken, dafür sind die Unter-
schiede zwischen ihr und ihnen zu groß.
Nun nocheinige Wo r t e f ü r d i e bevorstehen-
den Wahlen ! Kein Unbefangener wird mit Recht etwas
gegen die Fraktion des Zentrums vorbringen können. Sie ver-
bietet nicht einzelnen ihrer Mitglieder, . ihre Überzeugung in
der Kammer auszusprechen und sich ihrer Stimme zu enthalten,
sobald die Majorität der Fraktion etwas anderes beschlossen
hat, — solche Fraktionen sind nicht nur unsittlich, sondern
sie sind auch geradezu gegen die Verfassung. . Die Fraktion
des Zentrums ist kein Staat im Staate, Tceine Kammer in der
Kammer, sie übt keinen Gewissens- und Stimmzwang aus; auf
dergleichen Machinationen hat sie sich nie eingelassen. Alle
Ausstellungen, die man ihr gemacht hat, sind, wie wir gesehen
haben, völlig unbegründet. In die Fraktion c^es Zentrums kann
jeder Ehrenmann von gutem Willen eintreten. Wie aber Katho-
liken Mitglieder einer andern Fraktion sein können, das ver-
stehe ich nicht.
Ein katholischer Wahlmann, der noch von wahrem Katholi-
zismus durchdrungen ist, kann nicht allein keinen Anstand neh-
men, einem solchen Kanditaten bei der Wahl seine Stimme zu
geben, der in die Fraktion des Zentrums eintreten will, sondern
er hat sogar die moralische Verpflichtung, nur
einen solchen zu wählen, der sich für den- Eintritt in: dieselbe-
erklärt. Ein solcher Abgeordneter wird nämlich nicht allein .die
246
katholischen Interessen vertreten, sondern auch für die Interes-
sen des bürgerlichen und politischen Lebens wirken; er wird
also tun, was jedem Katholiken sowohl als solchem wie auch als
Staatsbürger die Pflicht auferlegt. Während der Katholik,
der in eine andere Fraktion eintritt, immer nur halb dieselbe
erfüllen kann, — um keinen andern Ausdruck zu gebrauchen,
— erfüllt er als Mitglied der Fraktion des Zentrums dieselbe
ganz und in ihrem vollen Umfange. Die Wahl kann demnach
einem katholischen Wahlmann von guter Gesinnung gewiß nicht
schwer fallen.
247
Programm entwurf
von Mallinckrodt
(1863)
Fraktion des Zentrums
Programm
Die Unterzeichneten begegnen sich in folgenden Anschau-
ungen:
T. Die wesentliche Unterlage eines gerechten, freien Staats-
lebens besteht in den Lehren und Grundsätzen des Christen-
tums. Deshalb gegen alle Bestrebungen, welche diese Grund-
lage des Staatswohles zu untergraben drohen, Widerstand; da-
hingegen volle, tatsächliche Entwicklung des in Geschichte und
Verfassung beruhenden paritätischen Charakters des preußi-
schen Staates, und zu dem Zwecke Förderung gleichen Wohl-
wollens und gleicher Gerechtigkeit für die gleichberechtigten
Bekenntnisse und deren Angehörige.
2. Je höher Beruf und Recht der obrigkeitlichen Gewalt zu
achten, um so weniger darf verkannt werden, daß deren Rechts-
sphäre in dem Recht der Individuen, Familien und Korpora-
tionen ihre Beschränkung findet; demgemäß starkes, im eige-
nen Recht wurzelndes Königstum und freie, selbstbewußte
I.andesvertretung, beide fest und treu auf dem Boden der Ver-
fassung stehend — besonnene, den Bedürfnissen der Gegenwart
entsprechende Fortbildung des Verfassungslebens — Entwick-
lung korporativer Selbständigkeit in den Gemeinden, Kreisen
und Provinzen.
3. Die Grundsätze der Moral und des Rechtes müssen auch
in der Politik Leitsterne sein. Unwürdig eigenen Rechtes, wer
fremdes Recht mißachtet. Deshalb Bekämpfung aller revolutio-
248
Hermann v. Mallinckrodt
f%
nären Tendenzen, sei es in den äußeren Beziehungen, sei es auf
(1cm inneren Gebiete des Staates. Eine deutsche Politik, welche
dem Machtverhältnis wie den Interessen unseres preußischen
Staates volle Würdigung zu teil werden und die letzteren kemem
fremden Sonderinteresse nachsetzen läßt, aber auch ebenso-
wenig in engherzigem Pflegen eigener Sonderinteressen den
laßstab sucht für die Bedürfnisse und die nationale Aufgabe
des deutschen Volkes. Diese Aufgabe erfordert Eintracht und
festere Einigung aller Glieder Deutschlands, sie erheischt
Bundesreform und Gründung einer Zentralgewalt, aber sie ge-
stattet nicht behufs engerer Verbindung einzelner Glieder die
Sprengung des Bundes und Zerteilung der Nation. Eben in
dem festeren Zusammenschluß Gesamtdeutschlands liegen die
Bedingungen zum Wiedergewinn nationaler Macht und Größe,
zum Wachstum der materiellen Wohlfahrt auf allen Gebieten
produktiver Tätigkeit, zur Festigung des Friedens und zu dau-
ernder Verminderung des eigenen Staatsaufwandes.
(O. Pfülf, Hermaun v, Mallinckrodt, P'reibur^' i. B. 1892, S. 241.)
249
Ein Rückblick auf die letzten Ses-
sionen des Preussischen Abgeord-
netenhauses
(Auszüge)
(1864)
Von Angust Reichensperger
A'
DieKatholischeFraktion
ist konstitutionell
Ich hatte mit meinen Fraktionsgenossen einen Zusatz zum
Artikel 2 des Entwurfs proponiert, welcher dahin lautete:
„Das Preußische Volk will ein starkes, auf eigenem Rechte, über
den Parteien stehendes Königtum."
Der Entwurf hatte aufgestellt, daß der Gegensatz zwischen
königlichem und parlamentarischem Regimente verfassungs-
widrig sei und die Redner des ,, Fortschritts" hatten denselben
nicht undeutlich dahin kommentiert, daß die Majorität des Ab-
geordnetenhauses für das zu befolgende Regierungssystem
maßgebend sein müsse, während der Abg. Virchow die ganze
Distinktion als eine Erfindung und zugleich als das Parade-
pferd des verewigten Professors Stahl bezeichnete. Gegen
Herrn Virchow führte ich näher aus, was mein Bruder in bezug
auf Frankreich bereits angedeutet hatte, indem ich ihn daran
erinnerte, wie der übrigens royalistisch gesinnte Fortschritts-
mann Laf itte (doch gewiß kein Professor oder Doktrinär !) so-
gar bereits an der Spitze seines Ministerprogramms erklärt
habe: „In welcher Art die Wahlen auch immer ausfallen mögen,
die Regierung wird sich dieselben unbedingt zur Richtschnur
nehmen", wie demnächst überhaupt unter der Julimonarchie^ un-
ausgesetzt das parlamentarische Regiment von der Opposition
250
als eine dringende ,, Zeitforderung" auf ihre Fahne geschrieben
und verlangt worden sei, daß der Regierungsgedanke stets
aus der zweiten Kammer hervorzugehen habe. Den Herren
vom „Fortschritte", die mehr als lo Jahre hindurch bis dahin,
laß sie selbst Ma}orität geworden waren, es nicht hatten gel-
len lassen wollen, daß der Schwerpunkt der Regierung im
Volkshause liege, erwiderte ich im übrigen, daß es hieße, die
Zügel der Anarchie zuwerfen, wenn unter den bei uns zu
Lande obwaltenden Verhältnissen eine Regierung ihre innere
und äußere Politik nach den, so häufig und mitunter so launen-
haft wechselnden Majoritäten einzurichten sich veranlaßt sehen
wolle; am wenigsten werde aus solchem Systeme die Freiheit
hervorgehen und ,die Achtung' des Rechtes aller; für Freiheit
und Recht finde ich meinerseits nicht in dem Prinzip der Majo-
ritäts-Ortinipotenz die solideste Garantie, sondern in dem der
Selbstregierung, in der stets fortschreitenden Entwicklung der
letzteren auf dem Boden der Verfassung, und unter dem
Schutze eines über allen Parteien stehenden Königtums.
B
Die Polenfrage
Seit dem Beginne meiner parlamentarischen Tätigkeit nahm
stets alles, was sich auf Polen bezog, mein besonderes Interesse
in Anspruch, und ich mache nicht das mindeste Hehl daraus,
daß auch konfessionelle Sympathien sich einmischten. Die
offene, ja wahrhaft grausame Verfolgung der polnischen Katho-
liken in Rußland war nur geeignet, diese Sympathien zu
steigern. Aber auch im Großherzogtum Posen ging das De-
nationalisieren mit dem Dekatholisieren vielfach Hand in Hand.
Allerdings war beides nicht in russischef Weise betrieben; die
Tendenz indes war aus gar vielen Tatsachen, die im Abgeord-
netenhause und sonst aus glaubhafter Quelle zu meiner Kennt-
nis kamen, unschwer zu entnehmen. Allen solchen Tatsachen
251
gegenüber hielten wir — meine Freunde und ich — stets zur
Polnischen Fraktion, die ihrerseits unter den ungünstigsten Ver-
hältnissen eine Energie, eine ausdauernde Opferwilligkeit und
zugleich ein Geschick in der Benutzung ihrer Hilfsmittel be-
kundete, wie solches wohl niemals eine andere Partei in der
parlamentarischen Versammlung getan. Es hatte etwas Er-
greifendes für mich, diese kleine Schar nur von einem Gedanken
erfüllt und getrieben zu sehen; fast alle waren begabte, nicht
wenige tiefreligiöse Naturen — auch ihr prinzipieller Feind
konnte, wenn er anders ein loyaler Feind war, ihnen seine
Hochachtung nicht versagen. Ich weiß sehr wohl — und wie
oft habe ich es gehört! — daß man mit den Polen als solchen
nicht fertig werden zu können glaubte ; allein mir will scheinen,
es verhielte sich nur so, weil man das Heil des Staates allzusehr
in seiner Uniformierung und Zentralisierung erblickte, weil
man den Besonderheiten möglichst wenig Spielraum lassen zu
müssen glaubte, um die Einheitlichkeit der Staatsmaschine nicht
zu gefährden; wenigstens hat man, meines Wissens, niemals
einen gründlichen Versuch gemacht, auf einem anderen Wege
mit den Polen fertig zu werden, obgleich doch gewiß der
Staat Preußen stark genug war, um einen solchen Versuch ohne
alle Gefahr wagen zu können.
So lange die Polen auf legalem Wege ihre Besonderheit zu
wahren suchten, glaubten wir, wie gesagt, mit unseren geringen
Mitteln sie unterstützen zu sollen, wie sehr es auch von anderer
Seite her verdacht werden möchte; eine ganz neue Frage aber trat
uns entgegen, als irti russischen Polen die Flammen der Revo-
lution aufloderten und es keinem Zweifel unterliegen konnte,
daß der Brand weiter um sich greifen werde.
Jedes Volk ist gewissermaßen, ein Individium, jedenfalls ein
organisches Glied der Menschheit; es hat ein ursprüngliches
Recht, sich geltend zu machen und zu erhalten, seine eigentüm-
lichen Anlagen zu entfalten. Jede egoistische, absichtliche Un-
terdrückung einer Nationalität ist ein Frevel, der früher oder
später sich rächt.
Die Teilung Polens kann nicht gerechtfertigt werden, am
wenigsten durch den inneren Zwiespalt unter den Polen, da sie
dadurch für ihre Nachbarn nur um so ungefährlicher wurden.
Vom christlichen Standpunkte aus kann man ein Recht der
Revolutionen nicht statuieren. Auch im Interesse der unter-
drückten Volksstämme selbst liegt es, daß dies im Prinzip aner-
kannt bleibt; widrigenfalls wäre ein steter Kriegs- oder Be-
lagerungszustand, eine Ausrottung oder Vertreibung ganzer
Stämme, wie solches alles in den vorchristlichen Zeiten üblich
war, die fast unausbleibliche Folge. Allerdings gibt es auf dem
Gebiete des öffentlichen Rechtes, wie auf dem des Privatrechtes
gegen ungesetzliche, tyrannische Gewalt eine erlaubte Notwehr,
und sie mag der russischen Rekrutierungs-Maßregel gegenüber
am Orte gewesen sein; allein von solcher Notwehr bis zur
Revolution ist noch ein großer Schritt, der freilich mitunter
getan werden mag, ohne daß derjenige, welcher ihn tut, sich
genaue Rechenschaft darüber ablegt. Soviel indes darf wohl
jedenfalls gesagt werden, daß, wenn je einer Revolution mil-
dernde Umstände zur Seite standen, es im Königreich Polen
der Fall war, wo man eine lange Reihe von Jahren hindurch
neben der Nationalität auch noch das heiligste, was der Mensch
hat, seinen letzten Trost im Unglück, die Religion mit allen
Mitteln auszurotten getrachtet hatte. Um so bedauerlicher aber
war es wieder von der anderen Seite, daß es gar sehr den An-
schein gewann, als ob weder die Religion noch auch die Natio-
nalität in erster Linie ständen, als ob vielmehr die kosmopo-
litische Revolutions-Partei beides nur als Hebel für ihre Zwecke
gebrauchen wollte. Die vielfach angewendeten Mazzinistischen
Mittel so wenig wie die Männer, welche unter der Fahne eines
Garibaldi den keltischen Polen feindlich gegenüber gestanden
hatten, die den Hort ihres Glaubens zu verteidigen von
ihrer grünen Insel herübergekommen waren, konnten irgend-
welche Gewähr in dieser Beziehung verleihen. Und dazu end-
lich noch, welches furchtbare Würfelspiel! Auf wen und auf
was konnte mit Sicherheit gebaut werden? Wie oft hat es
253
nicht von Frankreich herübergetönt: ,,La nationalite polonaise
he perira pas" und was ist von dort aus dafür geschehen ? Un-
sägliches Elend war ebenso gewiß, als der endliche Erfolg
zweifelhaft. Dies waren im wesentlichen die Betrachtungen,
welche sich mir aufdrängten, und ging meine Absicht dahin,
so weit es sich um Preußen handelte, die allseitige Achtung
des Gesetzes und auf Grund desselben die Wahrung der öffent-
lichen Sicherheit als eine Pflicht der einen und beziehungs-
weise der andern Seite als das durch die Situation Gebotene
hinzustellen. Ein Weiteres aber schien mir das bei der frag-
lichen Debatte so vielfach und stark, wenn auch in versclfl^de-
nem Sinne, betonte Interesse Preußens nicht zu fordern, nament-
lich keine Parteinahme für Rußland. Es kann unmöglich im
Interesse Preußens liegen, daß die Wunde, wenn sie auch äußer-
lich gewaltsam geschlossen werden mag, innerlich forteitert;
die einzig wahre Interessenpolitik ist die Politik der Gerechtig-
keit. Discite justitiam moniti!
Im übrigen aber scheint es mir aber auch auf der Hand zu
liegen, daß, abgesehen von allen Moralprinzipien, es nicht im
Interesse der preußischen Politik liegen kann, Polen schlecht-
hin zu einer russischen Provinz werden zu lassen. Das Ein-
springen eines selbständigen Polen in Preußen, wie in Öster-
reich, kann, abgesehen von zufälligen und darum stets vorüber-
gehenden politischen Konjunkturen, diesen Ländern unmöglich
so gefahrdrohend sein, als wenn der russische Koloß unmittel-
bar an den beiderseitigen Grenzen eine halbe Million Soldaten
zu konzentrieren in der Lage ist. Wie schon der kriegskundige
General v. demKnesebeck in einem Berichte an den Freiherrn vom
Stein gesagt hat, „bedroht Rußland durch eine solche Stellung
die Sicherheit und Unabhängigkeit beider Staaten und bringt
sich in dieselbe Lage gegen sie und Deutschland, in welche
Napoleon Frankreich gegen obige Länder versetzte, als er mit
dessen Übergewicht ihnen auf den Hals rückte; daß heißt: „Ruß-
land bringt sie und sich in einen permanenten Kriegszustand
gegeneinander." — Mag man die augenblicklich von selten der
2S4
kosmopolitischen Demagogie her drohenden Gefahren auch noch
so hoch anschlagen, so sollte man doch keinesfalls darüber ver-
gessen, daß mit Rußland vielleicht am v^renigsten ein ewiger
Bund zu flechten ist und daß der Druck, den es auf seine west-
lichen Nachbarn übt, der Natur der Sache nach, ein stetig
wachsender sein wird. Endlich hat aber auch Rußland im Jahre
1859 noch eins gezeigt, wie wenig es Anstand nimmt auch die
Geschäfte der europäischen Revolution machen zu helfen,
wenn es dadurch den eigenen irgendwie aufhelfen zu können
vermeint, wie denn überhaupt zwischen allem Absolutismus
allerwärts eine gewisse innere Verwandtschaft besteht.
C
Die Judenfrage
In ganz besonders lebhafter und eingehender Weise wurden
stets diejenigen Debatten geführt, in welchen es sich um das
Interesse von Juden handelte, zum Teil vielleicht um deswillen»
weil alles, was zu deren Gunsten vorgebracht wurde, in der Zei-
tungspresse ein ungewöhnlich lautes Echo zu finden pflegte.
Wir würden gerne annehmen, daß diese Sympathie hauptsäch-
lich darin ihren Grund hat, weil die Juden im Volke sowohl,
als in der Vertretung desselben sich so sehr in der Minorität
befinden und daher des Schutzes doppelt bedürftig sind, wenn
auch sonst die Sorge für das Interesse der Minoritäten, ins-
besondere unserer katholischen, sich ebensowohl bemerklich ge-
macht hätte. Dem sei nun aber, wie ihm wolle, den Juden .muß
ihr volles Recht werden, wie den Christen ; am wenigsten aber
sollten letztere sich eine ungerechtfertigte Bedrückung der-
selben auf den vielfach gehörten Grund hin erlauben, daß sie
sonst überflügelt würden, und zwar schon um des Ehrenpunktes
willen, der es nicht gestattet, sich selbst ein solches Armuts-
zeugnis auszustellen. Überhaupt will es mir scheinen, als ob
in einer Zeit, in welcher der offene Abfall vom Christentum,
^5S
ja sogar die Verhöhnung desselben durch Namenchristen zu den
alltäglichen Erscheinungen gehört, die spezifische Aversion
gegen das Judentum, das sogenannte Reformjudentum nicht
ausgenommen, vollends ein Anachronismus wäre — keines-
falls darf sie sich auf dem Rechtsgebiete geltend machen. Die-
sen Standpunkt haben wir — meine Freunde und ich — denn
auch stets eingenommen, wenn Fragen der in Rede stehenden
Art zur Entscheidung kamen, und ist derselbe bereits im Jahre
1854 von dem Abgeordneten für Geldern in umfassendster
Weise dargelegt worden. Damals handelte es sich darum, die
Juden für unfähig zur Bekleidung des Gemeindevorsteher-
Amtes zu erklären, und gaben unsere Stimmen den Ausschlag
für die Verwerfung des diesbezüglichen Artikels. Seitens der
Liberalen sowie seitens der Juden aller Parteischattierungen
ward uns, und namentlich meinem Bruder, damals die lebhaf-
teste Anerkenung zu teil, die insofern unverdient war, als wir
eben nur einfach unserer Rechtsüberzeugung Ausdruck -gegeben
hatten. Mittlerweile hat sich das Blatt auf der anderen Seite
gar sehr gewendet, während wir unserer damaligen Ansicht
treu geblieben sind. In der Sitzung vom 14. März 1863, wie
schon bei früheren Gelegenheiten, wurden wir der Intoleranz,
Engherzigkeit, konfessioneller Beschränktheit und was der-
gleichen mehr ist, geziehen, weil wir, auch im Verhältnis zu
den Juden, das Recht der Christen, insbesondere der christ-
lichen Schule, nicht der fortschrittlichen Doktrin von kon-
fessionslosem Tolerantismus zum Opfer bringen wollten und
beispielsweise uns gegen die Anstellung jüdischer Lehrer an
konfessionellen Gymnasien aussprachen. ,,Wenn die Juden," so
erklärte ich unter anderem, „ein Gymnasium hätten, als solches
gestiftet und anerkannt, kurz wenn ein jüdisches Gymnasium
existierte, so würde ich mit derselben Entschiedenheit gegen
die Intrusion christlicher Lehrer in dies Gymnasium auftreten.
Ich glaube aber auch ganz ebenso für die christlichen Gymna-
sien argumentieren zu dürfen. Sie sehen also, meine Herren,
daß hier eine Differenz zwischen uns obwaltet, welche in den
256
verschiedenen rechtlichen Überzeugungen ihren Grund hat!"
Allein die Herren von der Majorität wollten oder konnten das
imn einmal nicht sehen, indem zum Beispiel Herr Dr. Techow
mir erwiderte, es sei meine Auslassung nicht hervorgegangen
aus dem Sinne und Geiste des Christentums und der Verfas-
sung, sondern aus dem Sinne und Geiste eines bestimmten
Kirchcntums; zur Pflege eines solchen, zur Pflege orthodoxer
kirchlicher Satzungen seien aber, nach seiner Auffassung,
unsere Gymnasien nicht gegründet.
Man sieht, es läuft dies auf die von Sybelsche Theologie hin-
aus, deren ganzer Inhalt sich auf die „Gottbedürftigkeit und das
Gottvertrauen" beschränkt und den exzessivsten Christianismus
vagus noch weit hinter sich zurück läßt. Solcher Theologie
gegenüber konnten wir freilich den Vorwurf konfessioneller Be-
schränktheit nicht von uns ablehnen, wenngleich es sich in den
fraglichen Fällen gar nicht einmal um katholische Schul-
anstalten handelte.
D
Die konfessionelle Seite
der Deutschen Frage
Vor allem handelt es sich darum, bloß eingebildete Hin-
dernisse nicht für wirkliche anzusehen oder die Bedeutung der
wirklich vorhandenen zu überschätzen, und dadurch die ohne-
hin so schwierige Aufgabe nicht noch erheblich schwieriger zu
machen.
Zu jener Gattung von Hindernissen scheint mir besonders
eine Tatsache gerechnet werden zu müssen, von welcher nicht
wenige unter den wärmsten Vaterlandsfreunden glauben, daS
sie die Herstellung eines kräftigen, das Ganze zu gemeinsamer
Aktion verbundenen Verfassungsorganismus in Deutschland
nahezu unmöglich mache — die konfessionelle Verschiedenheit
nämlich, der Gegensatz zwischen Katholizismus und Prote-
stantismus. Meines Frachtens hängt diese Anschauungsweise
BergsfräHer I. 17 2^7
mit tatsächlichen Verhältnissen zusammen, die dermalen nicht
mehr existieren oder doch bei weitem nicht mehr so schwer ins
Gewicht fallen, wie ehemals. Ganz gewiß würde die Über-
einstimmung im kirchlichen Glauben, würde die kirchliche Ein-
heit der politischen Einigung einen wesentlichen Vorschuh
leisten können, aber wohlgemerkt, die Einheit im Glauben,
nicht die bloße Tatsache, daß die Deutschen, oder wie es in der
französischen Charte von 1830 hieß, die Majorität derDeutschen
sich beispielsweise zur katholischen Religion bekennten.
Werfen wir doch nur einen Blick nach Italien, Portugal, Spa-
nien, ja auch nach Belgien oder über das Weltmeer hinüber
nach Südamerika, wo alles sich katholisch nennt und doch
fortwährend entweder ein unerbittlicher Parteikampf geführt
oder die eine Partei gewaltsam von der andern unterjocht
wird ! Welches Land hat mehr innere Umwälzungen zu be-
stehen gehabt und weiß weniger seinen eigentlichen Schwer-
punkt zu finden, als das katholische Frankreich? Den Angel-
punkt, worauf es hier ankommt, bildet, mit einem Worte, der-
malen nicht mehr wie vordem der Gegensatz zwischen Katho-
lizismus und, Protestantismus, sondern vielmehr der Gegensatz
zwischen Christentum und Materialismus öder Antichristentutr,
und wird die Unterscheidung zwischen protestantischen und
katholischen Staaten oder Völkern, für deren politische Ge-
staltung immer m.ehr — soweit überhaupt die Zukunft in un-
sern Gesichtskreis gezogen werden kann — an praktischer Bj-
deutung verlieren.
Sehen wir doch selbst im Lager der ihrer Kirche aufrichtig
ergebenen durchaus gläubigen Katholiken (namentlich leider
in Frankreich) hinsichtlich der politischen Anschauungen und
Wünsche die Gegensätze immer wieder aufs neue in offenen
Hader ausbrechen ! Wie die Dinge einmal liegen, können wir
Katholiken den offenbarungsgläubigen Protestantismus sozu-
sagen als ein Vorwerk des Katholizismus ansehen, nach dessen
Schleifung durch den Unglauben der Sturm auf die eigentliche-
Veste mit um so konzentrierterer Energie seinen Fortgang neb.
258
rnen wird. Es ist unter den dermaligen obwaltenden Verhält-
nissen eine mehr als gewagte Annahme, daß die katholische
Kirche gewinnt, was die evangelische einbüßt, und ebenso um-
gekehrt. Wenn wirklich noch einmal, wie von mancher Seite
her prophezeit wird, ein dreißigjähriger Religionskrieg
Deutschland verwüsten sollte, so wird derselbe sicherlich nicht
/.wischen gläubigen Katholiken und gläubigen Protestanten ge-
führt werden.
Dies schließt natürlich den sehnlichsten Wunsch nach einer
Wiedervereinigung der im Glauben Getrennten in keiner Weiso
aus, vielmehr kann es denselben nur verstärken ; allein es geht
daraus, w^ie mir scheinen will, hervor, daß diejenigen im Irr-
tum Ix^fangen sind, welche meinen, der Umstand, daß die sta-
tistischen Tabellen neben 24 Millionen deutscher Katholiken
21 Millionen deutscher Protestanten aufführen, daß Preußen
eine vorzugsweise protestantische, Österreich eine vorzugsweise
katholische Bevölkerung hat, sei die gefährlichste Klippe für
alle Reformpläne. Der konfessionelle Gegensatz mag immer-
hin eine Scheidewand bilden, aber ganz gewiß ist dieselbe in
bezug auf den hier fraglichen Zweck nicht unübersteiglich.
Schon der bloße Hinblick auf das Verhalten Hannovers und
Württembergs, gegenüber den verschiedenen Konstituierungs-
versuchen, zeigt wohl übrigens zur Genüge, daß die in Rede ste-
hende Schwierigkeit jedenfalls nicht in erster Linie steht oder
gar als eine unüberwindliche anzusehen ist. Auch im Interesse
des konfessionellen Friedens liegt, daß man sich mehr und
mehr davon überzeugt, wie bisheran die konfessionelle Tren-
nung vielfach lediglich zum Zwecke von Parteimanövern durch
solche in den Vordergrund gezogen und ausgebeutet worden
ist, welchen die eine und die andere Konfession durchaus gleich-
gültig erscheint, denen vielleicht sogar die eine und die andere
gleich sehr zuwider ist.
Zu dieser letzten Gattung gehören denn auch erfahrungs-
mäßig fast immer diejenigen, welche, angeblich im Interesse
^'es Staates, Konflikte desselben mit den Kirchenbehörden bei
.7^^ 259
den Haaren herbeiziehen und so das Gefühl des Gegensatzes
wach erhalten und verbittern.
Ein weiteres Schreckbild ist die Viel- und Kleinstaaterei mit
einem Worte: der Partikularismus. Zwar scheint es, als ob in
allerneuster Zeit viele von denjenigen, die unausgesetzt auf
dieses Schreckbild hinzuweisen pflegten, entgegengesetzten
vSinnes geworden seien, indem man sie mit Ungestüm nocli
einen weiteren kleinen Fürsten verlangen sieht; allein in der
Tat scheint es auch nur so. Der neue kleine Fürst soll eben,
für diejenigen wenigstens, die am lautesten darnach schreien,
bloß ein Mittel gegen die alten abgeben ; in solcher Art werden
denn auch die so wunderbar über Nacht zur Legitimität Be-
kehrten sich innerlich gegen den Vorwurf der Inkonsequenz
verteidigen ; vielleicht wird es binnen nicht allzulanger Frist
auch nach außen hin geschehen, und das Privatfürstenrecht mit
seinen ,, vergilbten Pergamenten" abermals dem Trödler über-
wiesen. Jedenfalls ist durch diese Wendung die Frage inbetreff
der Verträglichkeit des Partikularismus mit der Größe Deutsch-
lands noch keineswegs eine unpraktische geworden. ,
Dem in Rede stehenden Steine des Anstoßes gegenüber tut
es vor allem not, über gewisse Grundanschauungen sich ins
klare zu setzen, zu welchem Zwecke indes etwas weit ausgeholt
werden muß, wie es denn überhaupt rätlich ist, solche Sätze
vorzugsweise genau ins Auge zu fassen, die als ausgemachte
politische Wahrheiten in stereotypen Phrasen kursieren.
Diejenigen freilich, welche, wie die ungeheure Majorität
unseres Abgeordnetenhauses, der Überzeugung leben, daß
Deutschland nur auf den Wegen, die Jung-Italien eingeschlagen
hat, zu Macht und Glück gelangen könnte, sind natürlich in
bezug auf das oben gedachte Hemmnis vollständig im Reinen.
Es muß eben aufgeräumt werden mit allen Mitteln, welche nur
irgend Erfolg versprechen, nur daß, je nach dem Temperament
und Klugheit, die einen den direkten, die andern den indirekten
Mitteln den Vorzug geben. Bei Gelegenheit der italienischen
Debatte haben sich die verschiedenen Schattierungen dieser
260
I'atrioten zureichend selbst charakterisiert, sodaß es hier eines
Weiteren darüber nicht mehr bedarf. Für sie bleibt nur die
l'>ag-e übrig-, wann der günstige Zeitpunkt eingetreten sein
wird, und die Sorge, alsdann einen Cavour und einen Garibaldi
zur Hand zu haben, welche dem Gedanken die Tat substituieren.
Allein außerhalb dieser Gruppe gibt es noch gar viele in
Deutschland, die so schnell mit den moralischen Bedenken nicht
fertig sind, die ihre „sittliche Entrüstung" nicht bloß für die-
jenigen Fälle aufsparen, in welchen ein bedenkliches Mittel ihre
.^igenen Pläne durchkreuzt. Ein namhafter Teil von Reformen
ieser Gattung erblickt denn in der Vielstaatlichkeit ein über-
aus ernstes, kaum, zu bewältigendes Hindernis.
Trre ich nicht, so liegt der Grund dieser Besorgnis hauptsäch-
lich darin, daß diejenigen, welche sie hegen, meist ohne es so
recht zu wissen, von französischen, statt von deutschen Grund-
gedanken ausgehen. Die sogenannten Prinzipien von 1789
sind durch die Ereignisse und durch die Literatur allerwärts
hingetragen worden; man hat sie unwillkürlich mit der Luft ein-
geatmet und unsere Staatsmänner haben überdies größtenteils
redlich das ihrige dazu getan, damit die aus jenen Prinzipien
hervorgegangenen Bildungen, wenn auch nur als Karikaturen,
bei uns einheimisch wurden. Dadurch war es wahrhaft Mode-
sache geworden, über die mikroskopischen Staaten und Fürsten
zu witzeln, die dann ihrerseits freilich auch nicht selten solchem
Witze gedeihliche Nahrung zuführten. Und wie wenige wissen
es, daß in Frankreich selbst schon seit geraumer Zeit der Glaube
an die Wunderkraft besagter Prinzipien, soweit dieselben nicht
bloß altchristliche, allerdings vielfach in Vergessenheit geratene
Wahrheit reproduzieren, arg erschüttert ist, daß dort in der
wahrhaft intelligenten Schicht die Ansicht immer tiefere Wur-
zeln schlägt, daß die Nation die betreffenden Errungenschaften
viel zu teuer bezahlt habe, zumal da das Wahre und Bleibende,
was sie beschließen, schon durch eine naturgemäße Entwicklung
der bereits gegebenen Tatsachen und der herrschenden Ideen
hätte creicht werden können !
261-
Bis in die tiefsten Wurzeln des germanischen Stammes geht
das Bedürfnis nach individueller Selbständigkeit, die so wenig
identisch ist mit der modernen, wesentlich generalisierenden
und nivellierenden Freiheit, daß man sie weit eher als einen
Gegensatz derselben bezeichnen darf. Während der Germane
stets den Akzent auf die Besonderheit legte, strebten die Ro-
manen nach Verallgemeinerung, wie deren Urbild, das Römer-
tum, die Völker der halben Erde zertraten, um denselben ihren
Stempel aufzudrücken. Schon in unseren ältesten geschriebenen
Rechtsurkunden tritt uns der Satz entgegen, daß „Jeder nach
seinem angestammten Gesetze lebe" und niemals später ist
die Idee der germanischen Einheit, eines gemeinsamen Rechtes,
mächtig genug geworden, um die Verschiedenheiten gänzlich
ineinander zu schmelzen, ja sogar in nicht wenigen Gauen des-
selben Volksstammes walteten gar häufig die auffallendsten
Rechtsverschiedenheiten ob. Die monotone, mehr oder weniger
abstrakte Einheit widerstrebt einmal der germanischen Sinnes-
weise, dieselbe verlangt nach Harmonie, das heißt nach Ver-
schiedenheit in der Einheit, wobei das Bewußtsein zu-
grunde liegt, daß nur in ihr die in unserem Volkstume beruhen-
den eigentümlichen Kräfte und Anlagen ihre volle Entfaltung
finden können. Wenn dem so ist, so fragt es sich, ob unabhängig
von aller Erfahrung die Theorie walten und ohne Rücksicht auf
die Opfer, die es kosten mag, praktisch durchgeführt werden
muß, oder aber, ob die Theorie für die Menschen gemacht ist,
beziehungsweise gemacht werden soll, um dasjenige, was ein-
mal in ihnen beschlossen lie^t, zur möglichsten Ausbildung
und Verwendung zu bringen. Die bei weitem überwiegende
Mehrzahl unserer Professoren und Politiker steht auf der Seite
des ersten Gliedes dieser Alternative; das hat ihr Tun und Las-
sen mehr als zur Genüge bewiesen. Hätten dieselben nur die
Hälfte ihres Wissens und ihres Scharfsinnes darauf verwendet,
um das ihnen einmal vorliegende Material nach dessen Natur zu
bearbeiten und ihre Konstruktionen darnach zu entwerfen, so
würde die ,, Deutsche Frage" ganz gewiß längst schon um viele
262
Stadien ihrer Lösung näher gerückt sein. vStatt dessen aber
stellten und stellen sie sich den Staat ungefähr wie ein großes
Fabriketablissement vor, das von Grunde aus naqh den neue-
sten Mustern herzurichten ist, und wobei es sich hauptsächlich
nur darum handelt, daß die Räder und die Hände auf das prä-
ziseste ineinandergreifen und den ihnen überlieferten Rohstoff
in der von den Fabrikherren und -meistern von vornherein
gewollten Gestalt ins Magazin liefern. Um diesen Vergleich
schon im voraus gegen den Vorwurf der Übertreibung zu
sichern, sei auf die Vorrede zur zweiten Auflage des Aretin-
Rotteckschen ,, Staatsrechtes der konstitutionellen Monarchie"
verwiesen, worin Herr von Rotteck, indem er einen verachten-
den Seitenblick auf die ,, Nacht des Mittelalters" wirft, den von
ihm dozierten Konstitutionalismus mit der ,, besterdachten,
kunstreichsten, vollendetsten Maschine" parallelisiert, die nicht
dafür könne, wenn die ,, wohlberechnete Bewegung ihres Räder-
werkes durch Einbringung fremdartiger Körper gestört werde."
Die Welt ist eben nur dafür da, damit die Hirngespinste der
sogenannten Denker und die Systeme der Männer vom Fache
in ihr oder an ihr verwirklicht werden, ähnlich wie unsere
akademischen ,, Schönbaumeister" sich in irgend einem Jahrhun-
dert bei irgend einem Volke einen ,,Stil" aussuchen, etwa den
hellenischen oder ägyptischen, und denselben dann, natürlich
so wie sie ihn verstehen, den guten Deutschen aufhalsen, gänz-
lich unbekümmert darum, daß dieselben nun doch einmal nach
Gottes Fügung keine Hellenen und keine Ägypter sind, daß
überdies aber auch fast alle Vorbedingungen fehlen, nach wel-
chen die Architekten dieser Völker sich zu richten hatten und
sich auch wirklich gerichtet haben.
263
E
Grenzen der 1-2 i n h e i t
Wären wir erst einmal wieder an Kopf und Herz echte, rechte
Deutsche, so würde die Form der gemeinsamen Verfassung'
sich bald wie von selbst ergeben ; dadurch aber, daß eine Ver-
fassung von A bis Z fix und fertig in irgend einem Diplo-
maten-, Professoren- oder Fortschrittskomitee nach Maßgabe
des gerade herrschenden Windes der ,, öffentlichen Meinung":
improvisiert w'ird, geraten wir zweifelsohne nur noch tiefer
in die Konfusion hinein, selbst wenn solche Verfassung für eine
Zeitlang in Gang gesetzt werden könnte. Das allerbedeilklichste
aber wäre, zu dem verzweifelten Notbehelf des suffrage uni-
versel ohne die äußerste Not (wie sie im Jahre 1848 dagewesen
sein mag) seine Zuflucht zu nehmen. Es ist bemerkenswert,
daß in unserer Zeit, die sich so viel auf ihre politische Bildung
zu gut zu tun pflegt, von so manchen Seiten her auf diese
eklatante Bankerotterklärung derselben gedrungen, sie sogar
als eine moderne ,, Errungenschaft" präkonisiert wird ! Um
nur einigermaßen konsequent zu sein, müßte man doch jeden-
falls die Volksabstimmung in Permanenz erklären, da nach
allen bisher gemachten Erfahrungen die Vermutung auf das
entschiedenste dafür streitet, daß die Mehrzahl von Demjenigen,
was sie heute votiert, spätestens binnen Jahresfrist das Gegen-
teil w^ll und überdies, in allen größeren Staaten wenigstens,
diese Mehrzahl stets nur eine fingierte, niemals die wirkliche
ist. Oder läßt sich auch nur ein Scheingrund dafür anführen/
daß das souveräne Volk von 1864 dem ganz ebenso souveränen
Volke von 1865 die Hände sollte binden können?
Ich meine daher, daß in bezug auf den fraglichen Verfas-
sungsbau einstweilen nur das unabweisbar Notwendige vorge-
kehrt werden und man der Zeit Zeit lassen soll, sich zu erklären,
sowie dem Volke, sich zu orientieren, und sich mit sich selbst
zu verständigen. Während der Freiheitskriege hatte Deutsch-
264
land gar keine Verfassung, und doch stand es groß und sieg-
icich da.
Ganz insbesondere gilt das Gesagte auch hinsichtlich des
\ erhältnisses des Partikularen zum Allgemeinen, der Einzel-
Staaten zu Gesamtdeutschland, der Kleinen zu den Großen. \
Idh "erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, in welcher alles,
was in Deutschland nur irgend liberal war, mit den Kleinstaa-
ten kurzen Prozeß gemacht sehen wollte, ähnlich wie die aufge-
klärten Stadtphilister, wenn irgend ein alter Turm oder auch
eine Kirche (und sollte es selbst ein Kaiserdom, wie der zu
Goslar sein), die nicht gerade Pfarrkirche war, ihren Verschö-
nerungsprojekten im Wege stand und dazu vielleicht gar noch
die Unterhaltung des Dachwerkes einige Kosten veranlaßte.
Schon im Frankfurter Parlamente, obgleich dort doch alles sich
so ziemlich im Flusse befand, war sehr deutlich wahrzuneh-
men, daß selbst die radikalsten Gleichmacher denjenigen Klein-
staat, dessen Deputierte sie gerade waren, vor dem Wandern
in den großen Schmelztiegel gerne ausnahmsweise bewahrt
sehen mochten. So weit ich die betrefifenden Kollegen kannte,
stammten freilich diese partikularistischen Anflüge nicht aus
ihrem eigenen Innersten; sie für ihre Person hätten nichts
dagegen gehabt, wenn in die Fürstenschlösser von Dresden,
Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Wiesbaden, Kassel, Weimar!
und selbst Gotha erbkaiserliche Oberpräsidenten eingezogen
wären, um demnächst republikanischen Präfekten Platz zu
machen; allein sie kpnnten sich nun einmal nicht verhehlen, daß
die ungeheure Mehrzahl der Wähler nicht auf solcher Hohe
stand, und daß sie schwerlich Triumphbogen zu gewärtigen
haben würden, wenn sie mit ihren Oberpräsidenten oder Prä-
fekten in ihr, zum Range eines Reichskreises erhobenes engeres
Vaterland, zurückkehrten. *
In der Tat lebt oder vegitiert doch im innersten Bewußtsein
aller deutschen Stämme eine Rückerinnerung an das, was sie;
waren, als das Reich deutscher Nation eine weltgebietende Stel-'
lung einnahm, so wie eine tiefe Scheu vor allen Experimenten,'
265
die dahin abzielen, sie gewissermaßen auf einer Drehscheibe
in ein ganz neues Geleise zu bringen. Insbesondere fühlen sie
sich mit ihren angestammten Dynastien verwachsen, und wenn
hier und dort einmal ein ernster Widerstreit das Gegenteil dar-
zutun scheint, so liegt dem immer nur eine Abneigung gegen
bestimmte Persönlichkeiten zugrunde. Sie wollen, soviel tun-
lich, ein individuelles Leben führen, von ihrer Eigentümlichkeit
möglichst wenig zum Allgemeinen abgeben. Und es gereicht
die,ser Grundzug den Deutschen zur Ehre, wie, auf die Dauer
wenigstens, zum wahren Heile. Durch die Vielstaatigkeit blei-
ben der Freiheit immerdar einige Sicherheitshäfen offen, in wel-
chen sie überwintern kann. Die Machtgebote der Willkür bre-
chen sich an hundert Hindernissen ; den Widerstandskräften
bleibt Zeit, sich zu besinnen, zu sammeln und zu organisieren.
Auch der Partei- oder Majoritätsdespotismus, der zur Zeit
weit bedrohlicher ist, als der fürstliche, stößt in nicht geringe-
rem Maße allerwärts auf Dämme, welche er so leicht nicht
überfluten kann. Fast noch wichtiger, als für das politische,
ist die Vielstaatigkeit für das intellektuelle Leben der Nation.
Man darf im allgemeinen wohl sagen: so viel Hauptstädte
oder auch Hauptstädtchen, so viele Brennpunkte der Wissen-
schaft und der Kultur, wenn auch dermalen nicht in Wirklich-
keit, so doch in Möglichkeit; jedes höhere Streben hat sofort
einen Stützpunkt zur Hand und kann in seiner Eigentümlich-
keit sich geltend machen. — Statt sich von der Pariser Herr-
lichkeit blenden zu lassen, sollte der Deutsqhe gründliche Um-
schau im übrigen Frankreich halten und dasselbe mit seinem
Vaterlande vergleichen ; er würde dann bald gewahren, wie we-
nig er ersteres darum zu beneiden hat, daß sich jeder Winkel
desselben unter der Botmäßigkeit der Pariser Zentral-Tele-
graphenstation befindet. Und vermag denn der Selbstherrscher
an der Seine darum, weil in Frankreich nur e i n Wille herrscht,
nach außen hin alles, was er will? Gewiß nicht, denn sonst sähe
es längst schon in der übrigen Welt ganz anders aus. Nament-
lich ist er sich zweifelsohne wohlbewußt, daß ein auf das viel-
266
■^liedrige Deutschland geführter Stoß leicht in sehr bedenk-
licher Weise auf das unitarische Frankreich zurückprallen
könnte, dessen furchtbar kompakter Angriffsmacht es an unse-
rer inneren Elastizität gebricht, welche nach jedem Drucke so-
fort wieder ausgleichend hervortritt. Mit einem Worte, nicht
an der Vielheit der Fürsten und Territorien liegt es, wenn
Deutschland nicht seine ganze Machtfülle entfaltet und im-
ponierender in der Reihe der Nationen dasteht ; es liegt viel-
mehr daran, daß in nicht wenigen dieser Territorien unten ein
falscher Konstitutionalismus, oben ein falsches Gottesgnaden-
tum haust, daß hier der Partikularismus zu engherzig und selbst-
süchtig ist, um sich zum Allgemeinen erheben, dort zu vag und
rü)strakt, um seine berechtigte Besonderheit mit den rechten
Mitteln geltend machen zu können. Das aber sind persönliche,
nicht sachliche Gebrechen, und sollte hier, wenn irgendwo der
Satz Beherzigung finden, daß wer das Allgemeine bessern will,
mit sich selbst zuerst anfangen muß. Statt mit unitarischen Pro-
jekten sich hinzuhalten und an dieselben die kostbare Zeit und
die noch kostbarere Kraft zu vergeuden, verwende man beides
auf die Säuberung des Partikularismus von seinen Schlacken,
überhaupt von den fremdartigen Elementen, die ihn verfälschen
und ihn zu spröde machen, um in die föderalistische Gestal-
tung sich einfügen zu lassen, zu welcher im Übrigen alle Vor-
bedingungen gegeben sind und die allein der geschichtlichen
Entwicklung wie dem Naturelle unserer Nation entspricht, die
jedenfalls für unsere Zukunft die größtmöglichen Vorteile bei
den geringsten Nachteilen in Aussicht stellt. Wer nur das Beste
gelten lassen will, was alle Vorzüge in sich vereinigt, jagt einer
Chimäre nach. Besonders gilt dies in bezug auf politische In-
stitutionen, die nicht bloß für die Gegenwart, sondern mehr
noch für die kommenden Tage geschaffen werden und daher
vor allem lebendig sein müssen, um sich deren Elemente assi-
milieren und Jahresringe ansetzen zu können.
Die Föderativverfassung ist in solchem Maße für Deutsch-
land indiziert, daß unter allen denjenigen, die nicht bereit sind.
267
irgend einem politischen Phantome zuliebe, tabula rasa zu
machen, kaum eine wesentliche Meinungsverschiedenheit hin-
sichtlich des o b herrschen könnte, wenn nicht ein Stein des An-
stoßes vorhanden wäre, von welchem viele glauben, daß er
schlechterdings erst beseitigt werden müßte, bevor an den wei-
teren Ausbau jener Verfassung auch nur gedacht werden könne:
es ist das Nebeneinanderbestehen Preußens und Österreichs
in Deutschland und der durch dasselbe bedingte Dualismus.
Man kann es sich leicht erklären, daß in einem Volke mit
monarchischen Traditionen, dessen Geschichte während vieler
Jahrhunderte von Kaisern durch die Weltgeschichte geleitet
worden ist, die Vorstellung einer nicht einheitlichen Ober-
herrschaft schwer Wurzel schlägt, daß sein politisches Ideal fort
und fort in der einstmals so strahlenden Krone kulminiert. Es
mag allerdings eine traurige Notwendigkeit sein, aber es ist
einmal eine Notwendigkeit, jenes Ideal nur höchstens als solches
festzuhalten, da der Versuch, dasselbe unter den gegebenen Ver-
hältnissen zu verwirklichen, es sofort zerstören würde: ein
Kaiser von Halbdeutschland ist kein deutscher Kaiser. Diese
Ansicht teilen bekanntlich Viele nicht, und wurzelt darin der,
Gegensatz zwischen den sogenannten Großdeutschen und den
Kleindeutschen, der nun schon im i6. Jahre die nicht republi-
kanisch gesinnten Deutschen in zwei Lager teilt.
Paderborn 1864. A Abteilung I, S. 14. B Abteilung II, S. 27. C Ab-
teilung IT, S. 39. D Abteilung II, S. 122. E Abteilung II, S. 140.
268
Deutschland
nach dem Kriege von 1866*)
\'oa Wilh. iMiimaniiel Frciherrii von Kette! er. }?ischof von Mainz
I
Der \' e r f a s s 11 11 g s k o n f 1 i k t in Preußen
als Kriegs m a c b. e r
Wir dürfen bei Beurteilung des inneren Verfassungs-
konfliktes in Preußen nicht bei der nächsten Veranlassung
in der neuen Heeresorganisation stehen bleiben. Sie liegt viel
tiefer. Wenn wir die Anstrengungen beider Parteien sahen,
ihr Verfahren durch die Verfassungsbestimmungen zu recht-
fertigen, so erweckte das in uns immer das Gefühl eines ver-
geblichen und unmöglichen Bemühens. Nicht dadurch ist die-
ser Konflikt entstaniden, daß eine der beiden Parteien einen
Paragraphen der Verfassung unrichtig deutete, sondern da-
durch, daß im Wesen des modernen Konstitutionalismus Wider-
sprüche liegen, die mit derselben Notwendigkeit immer wieder
aufeinander platzen müssen wie zwei Dampfmaschinen, die auf
demselben Geleise gegeneinander getrieben werden. In England
zeigten sich diese Folgen des Konstitutionalismus noch nicht
in dem Umfange, weil hier die große politische Irrlehre von der
Allgewalt des Staates noch nicht so um sich gegriffen hat, weil
man dort die Freiheit noch vor Allem unter dem Gesichts-
punkte der persönlichen Freiheit auffaßt. In den ü])rigen
europäischen Staaten dagegen müssen diese inneren Konflikte
um so mehr permanent werden, je reiner sich der Konstitutio-
nalismus nach seinen Prinzipien entwickelt und je allgemeiner
die Richtung wird, den Staat zu einer Fxperimentieranst:ili
*)' Aus der Flugschrift gleichen Titels, Mainz, 1867. I, S. 24 ft".
269
für neue Systeme zu machen. Nach der Fiktion des Konstitutio-
nalismus ruht diese absolute Staatsgewalt in der Hand von drei
Faktoren, die sich koordiniert sind. Schon diese Vorstellung ist
lauter Maschine und lauter Mechanik, die der Wirklichkeit nicht
entspricht. Es ist zwischen den wirklichen, lebendigen und dem
fiktiven gemachten Staate des modernen Doktrinarismus kein ge-
ringerer Unterschied, als zwischen einem lebendigen Menschen
und einem Automaten, und zu wähnen, man könne den wirklichen
Staat durch die künstlichen Mittel und Gesetze des modernen
Konstitutionalismus gründen und erhalten, ist keine mindere
Täuschung, als wenn man den lebendigen Organismus des
Menschen nach den Gesetzen und durch die Mittel der Mecha-
nik behandeln wollte. Die Maschinerie des Konstitutionalismus
bewegt sich so lange ohne Störung, bis eine Meinungsverschie-
denheit zwischen diesem Triumvirat ausbricht. In einem
solchen Falle tritt die Bedeutung des einen Faktors mehr zurück,
während die beiden anderen, von denen der eine das monarchi-
•sche Prinzip vertritt, der andere, freilich auch durch große
Illusionen, das Volk vertreten soll, sich ohne Vermittlung
gegenüber stehen. Dieser Kampf zwischen der Autorität der
Regierung und zwischen der Majorität einer Kammer liegt
im Wesen des doktrinären Konstitutionalismus. Daher auch
überall absolut dieselben Erscheinungen, ein immer wiederkeh-
render Kreislauf, und zwar nicht in den langen Perioden, sondern
in ganz wenig Jahren, wo immer dieser Konstitutionalismus
sich in seinem eigenen Wesen zeigen kann. Zuerst eine kurze
Zeit des Friedens, dann ein Kampf zwischen Regierung und
Majorität, die nicht das Volk, sondern nur eine Partei, oft nur
eine kleine Partei ist; dann die Periode einer ,, neuen Ära"\
das heißt jener Moment, wo die Regierung der Majorität weicht
und mit namenloser Kurzsichtigkeit meint, die Huldigungen,
die sie empfängt, wären Zeichen ihrer Stärke ; dann nach ganz
kurzer Zeit der Moment, wo die Regierung einsieht, daß sie
das Regiment der Majorität abtreten muß, wenn sie noch fort-
existieren will, und eine Krisis, für die es im innern Ver-
270
tassungsleben, in den innern Prinzipien des Konstitutionalis-
mus keine Lösung gibt, und wo entweder ein Napoleon kömmt,
um die innere Revolution niederzuhalten, oder ein Bismarck,
um durch Schleswig-Holstein und Königgrätz auf kurze Zeit
allen Widerspruch zu unterdrücken. Der moderne Konstitutio-
nalismus ist, so wie er nach den Doktrinen des sogenannten
modernen Staates aufgefaßt wird, einSj^stem voll innerer Wider-
sprüche, und es ist eine unselige Illusion, zu glauben, diese
Widersprüche ließen sich heben durch Interpretatiop des Buch-
stabens der Verfassung. Es trifft daher auch keinen einzelnen
Menschen die ganze Verantwortung für diese Konflikte. ' In
einem Sinne hatte die Kammermajorität Recht. Sie stand am
meisten auf dem Boden des modernen Staates, obwohl die Kon-
sequenz desselben in der Herrschaft der Parteimajorität für
Preußen ein unermeßliches Unglück gewesen wäre. Auf der
andern Seite lag die Berechtigung Bismarcks darin, daß er die
Autorität und das monarchische Prinzip vertrat, und er hat
dies mit beispiellosem Mute und Geschick getan und dadurch,
wenigstens vor der Hand, von Preußen das Unheil dieser Ma-
joritätswirtschaft der Kammer abgewendet, wenn auch die erste
Veranlassung dieses Streites unberechtigt war, denn nur
vom Standpunkte des absoluten schrankenlosen monarchischen
Prinzipes kann man dem Monarchen das Recht zusprechen,
solche Anforderungen an sein Volk zu stellen, wie sie- infolge
der neuen preußischen Militär-Organisation an Menschen und
Geld gestellt wurden. Wir beklagen es daher, daß ein an sich
vielfach berechtigter Kampf des monarchischen Prinzipes ge-
gen die Parteiherrschaft nicht auch eine durchaus berechtigte
Veranlassung gehabt hat. Dieser innere Konflikt scheint uns
also die wahre Ursache des Krieges gewesen zu sein, während
er selbst ein Symptom jener Krankheit war, an welcher das
ganze europäische moderne Staatswesen durch seine falschen
Staatsdoktrinen darnieder liegt.
2/'
II
Der Krieg- und das monarchische Prinzip*)
Daran schließt sich weiter als Folge des Krieges eine tiefe
Erschütterung des monarchischen Prinzips. Es ist uns immer
als eine beispiellose Verirrung erschienen, daß die Fürsten und
deren Ratgeber im Anfange dieses Jahrhunderts geglaubt haben,
man könne ganz beliebig nach den nächstliegenden Zweckmäßig-
keitsgründen das historische Band, das ein Fürstengeschlecht
an sein Land knüpft, auflösen, und dann ebenso beliebig und
ganz mit derselben Kraft auf Kommando mit einem andern
Fürsten wieder anknüpfen. Das war das Übermaß des Unver-
standes, ein ganz entarteter Begriff von Monarchie und Fürsten-
gewalt, wie er sich unter dem Einfluß des Absolutismus an den
Höfen ausgebildet hat. Diesem Irrwahne huldigten selbst die
persönlich tüchtigsten Fürsten. Ein merkwürdiges Beispiel
wurde uns früher von einem Augenzeugen erzählt. Als die alten
kaiserlichen Länder in Vorderösterreich abgetreten waren,
machten einige Bauern den weiten Weg bis Wien, um dagegen
zu protestieren, daß man willkürlich das uralte Band zerreiße,
das sie mit Österreich verbinde. Sie wurden mit jener Leut-
seligkeit vom Kaiser Franz empfangen, die ihm eigen war, er-
hielten aber keinen anderen Trost, als den Rat, sie möchten
nun dieselben Gefühle der Liebe und des Gehorsams, die sie
bisher gegen das alte Kaiserhaus gehegt, auf den neuen Landes-
herrn übertragen. Der alte Kaiser vergaß nur, den guten
Schwarzwälder Bauern das Mittel' anzugeben, wie man Ge-
fühle, die sich in einer vielhundertjährigen Geschichte gebildet
hatten, dahin übertragen könne, wo diese ganze Geschichte
fehlt. Das war so dieser Souveränitätsschwindel des monarchi-
schen Absolutismus, diese verfälschte Legitimität, wie sie sich
an allen europäischen Höfen ausgebildet hatte, wo das ganze
Verhältnis zwischen einem alten Fürstengeschlechte und seinem
Lande nur aufgefaßt wurde unter dem Gesichtspunkt
*) S. 59 ff-
272
Bischof Kettele r
vi
ines absoluten Rechtes des Fürsten über seine Unter-
tanen und der Pflicht des absoluten Gehorsams der
letzteren. Wie man daher ein Stück Land verhandeln,
eine Summe Geldes übertragen kann, so kann man
nach dieser Auffassung auch das Verhältnis zwischen Fürsten
und Volk beliebig wechseln und übertragen. Dieser Grundirr-
turti beherrscht die Anschauung der Höfe überall seit der Säku-
larisation ; man sah nicht die unermeßliche Verschiedenheit in
dem Verhältnis jener Volkstämme, die mit ihren neuen Fürsten
keinen geschichtlichen Zusammenhang haben, und jener, die in
ihnen ein altes Fürstengeschlecht anerkennen, mit dem sie seit
Jahrhunderten alle Schicksale teilten. In dieser historischen
Zusammengehörigkeit eines Fürstengeschlechtes und eines
Volkes liegt eine Grundsäule des monarchischen Prinzipes. Der
letzte Krieg hat wieder viele dieser Säulen niedergeworfen. Die
Pietät zwischen Fürst und Volk, die so recht aus dem histori-
schen Verhältnis entspringt, wird dadurch immer mehr besei-
tigt; die Monarchie, von ihrer unmittelbaren lebendigen Bezieh-
ung zu dem Volke abgelöst, erhält nun statt dieser lebendigen
Wurzel im Herzen des Volkes nur die äußerlichen, die nur durch
die monarchischen Verfassungsbestimmungen getragen sind.
' Dieses Zerreißen der alten Verbindung der ältesten deutschen
Fürstengeschlechter mit ihren Völkern ist daher eine große
Gefahr für die Zukunft des monarchischen Prinzips. Das Band,
das die abgesetzten deutschen Fürsten an ihre betreffenden Län-
der knüpfte, ist vielfach weit älter, als jenes, das die preußischen
Könige mit ihrem Lande verbindet. Wenn jenes Band beliebig
zerrissen werden durfte im Interesse eines angeblichen Berufes,
einer Zweckmäßigkeits- und Nützlichkeitstheorie. wie sehr ist
dann zu befürchten, daß eine Zeit kommen wird, wo man ganr
auf demselben Boden behauptet, daß auch das Band, das die
preußische Monarchie mit ihrem Volke verbindet, einer anderen
Zweckmäßig'keits- und Nützlichkeitstheorie weichen müsse.
Jedenfalls wird man die Logik dieser Anschauung aus den Tat-
sachen, die wir im Kriege erlebt haben, nicht bestreiten können.
Bergsträßer I. i8 273
III
ReligionundPolitik*)
Die erste Forderung, welche wir an eine gesunde innere Poli-
tik stellen müssen, ist Achtung vor der Religion und den sitt-
lichen Grundlagen, auf denen alle menschlichen Verhältnisse
ruhen, weil der Mensch vor allem ein teligiöses und sittliches
Wesen ist. Das innerste Wesen dessen, was wir Macchiavellis-
mus nennen, ist eine Politik ohne Gott, eine Politik ohne Reli-
gion, eine Politik ohne Sittlichkeit, eine Politik lediglich des
Kalküls, der nächsten Zweckmäßigkeitsberechnung, der An-
wendung aller, auch der unsittlichsten Mittel, um diesen Zweck
zu erreichen. Dieser Macchiavellismus in der Politik ist immer
in der Welt gewesen; er hat aber in dem Maße zugenommen,
wie die Menschen sich von Gott abgewendet haben. Man hat
in neuerer Zeit denselben insbesondere den katholischen Höfen
vorgeworfen; insofern mit einem gewissen Scheine, als er sich
an einen katholischen Namen knüpft und als Macchiavelli sein
Werk il Principe für italienische Fürsten, für die Medicäer ge-
schrieben hat. Im übrigen geht es mit diesem schlechten Sy-
stem, wie mit dem ihm verwandten Grundsatz: der Zweck hei-
ligt die Mittel ; wir werden beide nicht los, wenn wir sie
anderen vorwerfen ; es ist wahrer, anzuerkennen, daß sie böse ■
Prinzipien in sich schließen, denen alle Regierungen verfallen
können, sie mögen einer Religion angehören, welcher sie wollen,
weil alle der Sünde und dem Irrtum zugänglich sind; und
besser als hin- und herzerren, um das Böse anderen, vorzu-
werfen, ist es daher, wenn wir uns vereinen, es zu meiden. Mac-
chiavellismus kann an allen Höfen herrschen, katholischen wie
protestantischen, und er hat an vielen geherrscht und leider die
innere Politik der Regierungen in den letzten Jahrhunderten
nur zu viel geschädigt. Dieser reinen NützHghkeitsberechnung,
nach dem kleinen Umfang menschlicher Einsicht, ohne Rück-
sicht auf die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit, der Wahr-
■ *) S. 98 H".
274
heit und der Sittlichkeit fallen unaufhaltsam alle Staatsmänner
anheim, die selbst innerlich von der Religion getrennt sind.
Der Mangel an wahrer Achtung vor der Religion, an Erkennt-
nis der sittlichen und religiösen Fundamente, auf denen auch
die staatlichen Verhältnisse der Menschen beruhen, ist der
tiefste Grund der innerlichen Schwierigkeiten, in welche die
modernen Staaten geraten sind.
Wenn wir aber die Achtung vor der Religion, die Achtung
vor der religiösen Überzeugung des Volkes und die Kundge-
bung dieser Achtung, wenn wir die Anerkennung, daß die
Grundlage der bürgerlichen Ordnung nicht eine verschmitzte,
schlaue Politik, sondern die religiöse sittliche Gesinnung des
Volkes ist, als die erste Bedingung einer gesunden, zu dauern-
den Zuständen führenden inneren Politik fordern, so sind wir
weit davon entfernt, damit sagen zu wollen, daß der Staat Re-
ligion machen soll. Wir werden uns darüber später weiter aus-
sprechen; wir wollen nur hier schon gegen diese Mißdeutung
uns auf das Entschiedenste verwahren. Jedes Religionmachen-
wollen durch den Staat führt zu einer andern Art von Alacchia-
vellismus, der dann nur um so gefährlicher wird. Wie dieser
seinem Wesen nach ein System schlauer politischer Berechnung
ist, das sein Ziel mit allen Mitteln verfolgt, so wird dann selbst
die Religion leicht ein Mittel zu schlechten politischen Zwecken.
Macchiavelli hat dies geradezu ausgesprochen, indem er die
Frechheit hatte zu sagen, der Fürst müsse dem Volke gegen-
über Religion zeigen, er brauche selbst aber keine Religion zu
haben. Wieviele Fürsten haben die Religion in diesem Sinne
mißbraucht. Wir wünschen wahrhaft nicht solche Könige
wieder, die sich die allerchristlichsten nennen und als solche
gepriesen werden, die Kirche und Religion aber nur beschützen,
um sie zu Werkzeugen ihrer Politik zu machen. Wenn wir
daher Achtung vor der Religion fordern als erstes Prinzip
einer guten inneren Politik, so sind wir doch unendlich weit da-
von entfernt, damit ein Religionmachen durch den Staat fordern
zu wollen. Die Religion ist nicht unmittelbar Aufgabe des
Staates, sondern Aufgabe der christlichen Kirche; er soll sich
daher auf seine eigene, ihm von Gott gestellte Aufgabe be-
schränken, er soll aber die Religion ehren und achten, er soll
dem Glauben seines Volkes gegenüber die höchste Rücksicht
nehmen, er soll anerkennen und davon erfüllt sein, daß durch
die Religion im Herzen des Volkes jene sittlichen Grundlagen
gelegt werden, ohne die er nimmermehr bestehen kann.
IV
Ständisch-organische Ordnung !*)
Wir fordern drittens für ein gesundes politisches Leben einen
vollständigen gründlichen Bruch mit der Nachäfferei französi-
scher Staatsformen. Unsere politische Gesinnung, unsere poli-
tischen Begriffe und Anschauungen müssen wieder deutsch
werden. Wir müssen wieder auf deutschem Fundamente unser
deutsches Staatswesen aufbauen, nicht den Formen nach, wie
wir sie in den letzten Jahrhunderten vorfinden, aber den Ideen
nach, die das germanische Staatswesen durchdrungen haben.
Das Deutschland der letzten Jahrhunderte war schon vielfach
nicht mehr Deutschland. Der Geist, der einst das ganze
bürgerliche politische Leben beherrschte, ist, wir wiederholen
es, vom deutschen Volke .gewichen, als der monarchische Ab-
solutismus mehr und mehr um sich griff, alles absorbierte und
dem liberalen Absolutismus die Bahn brach. Für diese Geistes-
richtung ist dann Frankreich das Musterland geworden und
zugleich die Quelle der ganzen modern-politischen Bildung.
Wir werden nie zu einem ruhig fortschreitenden inneren poli-
tischen Leben kommen, so lange wir immer nach fremden
Mustern schauen und gedankenlos nachschwätzen, was dort vor-
geschwätzt wird. .Ein Volk, das sich von dem Geiste abwendet,
den die Vorsehung in seine Geschichte gelegt, verliert seinen
sicheren Halt und gerät in endlose politische Schwankungen.
*) S. 104 ü.
276
Wir fordern deshalb ein Staatswesen mit deutscher Frei-
heit, nicht mit Franzosenfreiheit; mit Freil^eit dem Inhalte
nach, nicht mit Freiheit der bloßen Form nach, mit wahrer
persönlicher Freiheit. Wir können den Unterschied in einer
kurzen Form fassen: Nach germanischem Rechte ist jeder freie
Mann berechtigt, alles zu tun, was er seiner inneren Überzeu-
gung nach tun darf, insoweit er nicht durch wohlerworbene
Rechte anderer und durch die geschichtlichen Rechte der Staats-
gewalt beschränkt ist. Nach modernem Franzosenrechte ist der
Bürger der Staatsgewalt gegenüber absolut unfrei und hat nur so-
viel Rechte, als diese ihm täglich gnädig einräumt, oder als die
Majorität einer Kamm#, wenn diese die Staatsgewalt beherrscht,
ihm gnädigst verwilligt. Im Sinne der germanischen Freiheit
ist der Mensch alles, im Sinne der französischen ist der Mensch
nichts und die Staatsgewalt alles, der Gottstaat. Die fran-
zösische Freiheit fällt daher absolut mit dem Begriff der Gleich-
förmigkeit zusammen. Alle Geister, die von diesem falschen
Begriff beherrscht sind, verwechseln ununterbrochen Freiheit,
mit Gleichförmigkeit und können gar nicht mehr fassen, daß
Gleichförmigkeit auch bei der ärgsten Sklaverei mög-
lich ist. Die größte Gleichförmigkeit ist ja die Gleich-
förmigkeit des Zuchthauses. Nach dieser Gleichförmig-
keits-Staatstheorie unter der Herrschaft des absoluten Staats-
gedankens werden sich aber die Abkömmlinge unserer deut-
schen Voreltern, mögen sie auch noch so sehr in moderne Ideen
verrannt sein, nimmer in eine Franzosenuniform — mag sie
eine Jakobinermütze oder ein konstitutioneller Frack sein —
einzwängen lassen. Vollständiger Bruch mit dieser Periode
französischer Imitation für unsere innere Politik ist die not-
wendige Bedingung gesunder innerer Verhältnisse. Diesem
wahren deutschen Begriffe von Freiheit widerstehen daher auch
alle jene oben bezeichneten Formen der inneren Politik, die
auf Wiederherstellung eines absoluten Königtums, eines abso-
luten Militärstaates, eines absoluten Konstitutionalismus und
so weiter gerichtet sind. Wer auf diese Zeiten preußischer Ge-
277
schichte hinblickt und ihre Erzeugnisse wieder herstellen
möchte, der steht nicht auf deutschem Boden. Wir fordern
deutsche Freiheit, aber auch diese voll und wahr. Von ihr haben
unsere deutschen Freiheitshelden meistens keinen Begriff und
keine Ahnung mehr. Was persönliche Freiheit ist, wissen sie
nicht, weil sie auch jene innere sittliche Freiheit verkennen,
ohne welche keine äußere Freiheit bestehen kann und Wert hat.
Weil unsere deutschen Voreltern, erzogen am Herzen des
Christentums, sittlich frei waren, kannten und liebten sie auch
die persönliche Freiheit.
Wir fordern aber nicht nur den Begriff der Freiheit nach
germanischem Rechte, sondern auch Formen und Einrichtungen
für das gesamte bürgerlich-staatliche Leben, die diesem Be-
griffe entsprechen. Wir fordern Organisation statt Maschine;
Selbstregierung in vollkommenster Ausdehnung, soweit da-
durch nicht andere wohlerworbene Rechte gekränkt werden,
statt Zentralisation; wir fordern Teilnahme des Volkes am
öffentlichen Leben, soweit dadurch die Einheit der Regierung
und das monarchische Prinzip, — das uns kein Absolutismus
ist — nicht verletzt wird; wir fordern diese Selbstregierung
und Teilnahme am öffentlichen Leben realisiert in germanischen
Formen, in den naturnotwendigen Verbänden, in denen das
ganze politisch-soziale Leben sich bewegt, nicht in dem. bloßen
Geldverbande, den der Zensus und die Vermögenstaxation be-
gründet; wir fordern mit einem Worte Natur statt Kunst,
Gotteswerk statt Menschenwerk. Man sagt, es gibt ja keint
anderen Verbände mehr unter den Menschen, als nach dem Zen^
sus oder nach der Zahl, da ja alle andern Verbände, namentlich
die Stände nicht mehr bestehen. Wie falsch das ist, zeigt uns
als Beleg die Arbeiter-Bewegung. Dort wird go oft ein Wort
genannt, das wir immer nur mit innerer Befriedigung verneh-
men, als Beweis, daß trotz aller massenhaft angehäuften Vor-
urteile, in denen die jetzige Welt steckt, doch die Natur der
Sache immer wieder durchdringt und zur Anerkennung kommt.
Dieses Wörtchen ist das von ihnen so oft gebrauchte Klassen-
278
bewußtsein, das sie zu wecken suchen. Die Führer der Ar-
beiter-Bewegung glauben die Modernsten der Modernen zu
sein, und stehen gewiß in Abscheu vor dem Greuel der Stände
keinem Mitgliede der großen liberalen Partei nach, und doch
drängt sie ihr Naturbewußtsein dazu, den Arbeiterstand als
eine eigene Klasse aufzufassen, und für diese eigene Klasse ein
eigenes Bewußtsein und eigene bürgerliche Institutionen zu ver-
langen. Da haben wir ja aber das ganze leibhaftige Ständewesen,
nur mit einem fremden Namen. Das Wahre an der Sache ist,
daß die Stände wohl in einer bestimmten Form, in der sie ein
bürgerliches und politisches Leben ausgestaltet haben, vernich-
tet werden können, nicht aber in der Idee, die dieser Ausge-
staltung zugrunde lag. Es gibt einen ganz äußerlichen Ver-
band unter den Menschen und einen innerlichen; den äußer-
lichen bilden lediglich äußere Beziehungen der Menschen; den
innerlichen solche, wo zu diesen äußerlichen Beziehungen auch
sittlich innere Momente, die die Gesinnung erfassen, hinzu-
ireten. Die mechanischen Staatsinstitutionen lehnen sich an den
äußeren Verband an; die organischen an diesen, der zugleich
auch ein sittlicher ist. Wie es für das Denken der Menschen
logische Grundformen gibt, in die sich alle möglichen Gedanken
einfügen müssen, so gibt es für das ganze politisch-bürgerliche
Leben gesellschaftlicheGrundformen,in welchen
sich alle möglichen sozialen Richtungen notwendig begegnen,
aneinanderschließen und verbinden. ' Sie wirken selbst dann,
wenn sie keine äußere Organisation haben. Die gesellschaft-
lichen Grundformen sind daher auch ebenso unabhängig von
dem Willen des Menschen, wie die logischen Grundformen ; sie
sind, dem Menschen von einer höheren Macht gegeben;' sie sind
göttliche Gesetze; sie sind Ideen für unser sozial-politisches Le-
ben, die wir in uns aufnehmen und dann verwirklichen sollen.
Sie haben die alten Stände geschaffen, bei denen, um sie billig
zu beurteilen, wir nie vergessen dürfen, daß die Ideen sich im-
mer nur annähernd, im Kampfe mit vielen Hemmnissen ver-
wirklichen. FÜT unser jetziges politisch-soziales Leben würden
279
diese alten Formen nicht mehr genügen; es träte schon ein
Gedanke hinzu, der ihnen eine ganz neue, erweiterte Gestalt
geben würde. Nach deutschem Rechte war nur der freie Mann
im Vollbesitze aller bürgerlichen Rechte. Von den ersten An-
fängen der deutschen Geschichte an hatten sich aber Rechts-
verhältnisse entwickelt, wodurch Viele der Rechte des freien
Mannes beraubt waren. Alle diese Beschränkungen sind nun
gefallen, worin wir einen Fortschritt erkennen ; und so müßten
auch alle unbescholtenen Männer in ihrem Stande an allen Rech-
ten des freien Mannes Anteil erhalten. Dadurch würde also
schon die Stellung aller eine ganz andere werden. In dieser
Gliederung nach Ständen oder, weil der Begriff noch viel weiter
geht, nach den aus der Natur der Sache aus dem gesamten
Menschenleben sich von selbst ergebenden Verbänden, — zu
ihnen gehören nämlich nicht nur die Stände, sondern auch die
übrigen Verbände, Familie, Gemeinde, Provinz, Staat, Kirche —
würde sich dann die wahre Selbstregierung, die wahre und echte
Volksvertretung, die idealste und zugleich praktischste Teilnahme
aller Volksklassen am öffentlichen Leben ergeben. Wir glauben
nicht, daß es möglich ist, zu dieser organischen Gliederung
des politisch-sozialen Lebens wie mit einem Sprunge zurückzu-
kehren, und dafür sofort ein ein für allemal fertiges Gesetzbuch
festzustellen; wir glauben aber, daß nur jene innere Politik
dauernde staatliche Zustände begründen wird, die nach diesem
Ziele hinstrebt und dazu erstens alle noch vorhandenen organi-
schen Verbände stärkt, -kräftigt, und Zweitens für jene, die kein
äußerliches Band mehr haben, dasselbe anbahnt. Wir halten
das nicht nur nicht für schwer, sondern für leicht. Der Kauf-
mannsstand hat schon seinen Verband; man gebe ebenso dem
Handwerkerstand, dem Arbeiterstand, dem Adel, wenigstens als
dem Groß-Grundbesitzer, Gelegenheit, für die gemeinschaft-
lichen Interessen sich eine Form zu bilden, und es würde sich
dieselbe ohne Zweifel wenigstens in kräftigen Anfängen bald
wieder finden. Wie sehr ein solches Bestreben, immer begleitet
von sittlichen und religiösen Grundgedanken, das innere Leben
280
der deutschen Staaten wieder befestigen würde, ist gar nicht
abzusehen; dieser ganze Geist der Revolution, der ja nur stark
ist, weil er die Massen des Volkes so leicht irre führen kann,
wäre dadurch an die Kette gelegt, und der ganze Einfluß aller
Volksverführer würde dadurch allmählich verschwinden. Der
Staat würde wahrscheinlich nicht gefährdet werden, wenn er
in der Freiheit, die er diesen einzelnen Ständen einräumte, sehr
weit ginge ; wenn der so organisierte Arbeiterstand und Hand-
werkerstand in der Reichsversammlung seine volle Vertretung
fände. Eine Versammlung, in welcher neben den höchsten
Ständen auch die Arbeiter säßen, wäre ihm ersprießlicher als
eine solche, wo einige Parteiführer und eine große Zahl blinder
Genossen vereinigt sind. Im alten Deutschland saß der feichs-
unmittelbare Bauer und der reichsunrnittelbare Bürgermeister
des kleinen Reichsstädtchens auf der Reichsbank wie die ersten
Reichsstände. Das war deutsch; kehre man zu solchen Vor-
bildern wieder zurück. Das was damals einigen Bauern zustand,
gebe man in der Ordnung der betreffenden Verbände allen, und
was damals nur den freien Männern gebührte, räume man jetzt
wieder in der rechten organischen Gliederung allen ein, und es
wird sich ein neues, gesundes, lebenskräftiges, inneres, poli-
tisches Leben auf germanischer Grundlage entwickeln.
Endlich fordern wir auch für die inneren Zustände nach deut-
scher Art eine starke, aber auch eine gerechte Autorität. Stark
wird sie ohnehin wieder werden, wenn sie sich an die sittlichen,
religiösen Grundlagen im Bewußtsein des Volkes anlehnt; denn
da ist die wahre lebendige Quelle der Stärke der Regierung —
aber sie muß auch gerecht sein. Daher, daß die Diener des
Staates selbst in manchen Ländern dem ganzen sittlich re-
ligiösen Leben nicht indifferent, nein, feindselig entgegen-
standen, ist es gekommen, daß auch die Autorität der Staats-
gewalt so oft ungerecht geworden ist; ungerecht dadurch, daß
sie geübt wurde nach dieser Sympathie und Antipathie. Wir
sprechen nicht von Ländern im Monde, sondern wahrhaftig von
Ländern hier auf der Erde, wenn wir sagen, daß eine Haupt-
2^1
aktion der Staatsgewalt oft darin bestand, alles Religiöse, Sitt-
liche und Gute niederzuhalten. Solche Zustände können nicht
zum Frieden führen; möge die Autorität stark sein, aber sei
sie auch gerecht; möge sie der Freiheit einen weiten Spiel-
raum la-ssen ; wo sie aber eintreten muß, da möge sie gehand-
habt werden, nicht um das Gute zu hindern, sondern um dem
Schlechten und Unsittlichen entgegenzutreten.
V
Kirchliche Parität!*)
Was dann aber die preußischen Verfassungsbestimmungen
und überhaupt eine gesetzliche Regelung der kirchlichen Ver-
hältnisse nach den Grundsätzen der Parität betrifft, so ergeben
sich für uns aus allem Gesagten folgende Grundsätze:
1. Wir dürfen nicht Parität fordern aus Indifferentismus,
nicht in dem Sinne, als ob alle Religionsbekenntnisse gleich
gut wären, wodurch jede wahre innere Überzeugung aufgehoben
wäre ;
2. Wir dürfen nicht Parität fordern in dem Sinne, als ob
eine solche Ordnung das ausschließlich berechtigte Ideal der
Stellung der Kirche sei, dem Wesen des Staates allein und voll-
kommen entspreche; wodurch zugleich behauptet würde, daß
das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im ganzen Mittel-
alter bis auf die neueste Zeit lediglich eine große Verirrung
gewesen wäre;
3. Wir dürfen auch nicht die Parität oder Religionsfreiheit
fordern in dem Sinne der Trennung der Kirche von dem
Staate, in dem Sinne des religionslosen, des atheistischen Staa-
tes, In dieser Hinsicht hat vielfach in Frankreich und noch
mehr in Belgien unter den Katholiken eine nicht richtige An-
sicht bestanden; man hat dort in der Tat Religionsfreiheit hier
und da in diesem Sinne der vollkommenen Trennung verstan-
den und es haben sich deshalb viele katholische Männer der
*) S. 152 ff.
282
falschen und in ihren Wirkungen namenlos verderblichen Auf-
fassung hingegeben, als ob der Staat dieser Trennung wegen
sich jetzt gar nicht mehr um die Religion zu bekümmern und
folglich bei allen seinen staatlichen Institutionen auf die reli-
giöse Gesinnung seiner Untergebenen gar keine Rücksicht
mehr zu nehmen habe ; das ist sicher verkehrt und nicht entfernt
eine Folgerung aus dem. Grundsatze der Parität oder der Ge-
wissensfreiheit, sondern vielmehr eine Folgerung aus einer
ganz abstrakten, törichten Staatsidee. Der einzelne Staat, wie
er besteht, ist nicht für ein abstraktes Menschtum da, sondern
für die Menschen, die in seinem Territorium wohnen und er
muß sie nehmen und anerkennen, wie sie sind, mit allen ihren
Bedürfnissen und mit ihrer ganzen Existenz. Wenn auch der
Staat qua Staat keine Staatsreligion mehr hat, keine einzelne
Konfession für den Staat als ausschließlich berechtigt hält,
so folgt durchaus nicht das Absurdum, daß er auch jetzt seine.
Angehörigen ohne Religion ansehen und behandeln dürfe. Er
muß sie vielmehr nehmen, wie sie sind, und zwar wie sie zu sein
berechtigt sind; er muß die Katholiken, die Protestanten, die
in seinem Lande berechtigt sind, zur freien und offenen Übung
ihrer Religion als Katholiken mit ihrer katholischen Überzeu-
gimg, als Protestanten mit ihrer protestantischen Überzeu-
gung in allen seinen Gesetzen, in allen seinen Institutionen,
allen seinen Anordnungen, namentlich auch in allen von ihm
gegründeten Schulen, von der Elementarschule an bis zur Uni-
versität, anerkennen und respektieren. Es sei daher ferne von
uns, uns diesen verderblichen Irrtümern einiger Katholiken in
Frankreich und Belgien bis auf den heutigen Tag anzuschließen.
Wenn auch der Türke über uns regieren würde und wir das
Recht hätten, in diesem Lande als Katholiken zu leben, so wür-
den wir von ihm fordern, daß er auf uns als Katholiken Rück-
sicht nehme in seiner Regierung, wo immer er mit uns in Be-
rührung träte. Die wesentliche Unterscheidung zwischen einem
Systeme vollständiger Trennung und berechtigter Parität müs-
sen wir stets im Auge behalten.
2^i
4- Dagegen sind wir vollkommen berechtigt, Parität und be-
schränkte Religionsfreiheit unter gegebenen Verhältnissen zu-
zugestehen und zu verlangen ; wir sind vollkommen berechtigt,
anzunehmen, daß solche Verhältnisse namentlich vorhanden sind
in allen den Ländern, die wir bei dieser Erörterung im Auge
haben. Ja wir sind sogar vollkommen berechtigt, diese Art
paritätischer Regelung für diese Länder und diese Verhältnisse
nicht nur als das Beste, sondern als das Notwendige anzusehen
und das ist unsere Überzeugung bezüglich aller der Länder,
wo dieselben Verhältnisse wie in Preußen bestehen.
5. Das einzige Bedenken, um keinen Gedanken zu über-
gehen, der hier in Betracht kommt, könnte der Art. 12 der
preußischen Verfassung erregen, nämlich insofern, als man an-
nehmen wollte, daß dadurch eine ganz unbeschränkte Freiheit
des religiösen Bekenntnisses gewährleistet sei*). Wir haben in
der wiederholt zitierten früheren Schrift erörtert, daß eine Re-
ligionsfreiheit, die gegen das Sittengesetz verstößt, oder den
Glauben an Gott leugnet, nach katholischen Grundsätzen nie
zugestanden werden darf. Die Autorität der Kirche stimmt
hierin, wie wir oben sahen, mit der Wissenschaft bis auf den
heutigen Tag vollkommen überein und ebenso steht ihr dabei
auch der gesunde Menschenverstand zur Seite; denn eine Re-
ligion ohne Gott ist ebenso widersinnig, als eine Religions-
übung, die das Sittengesetz verletzt; beides ist im Wider-
spruche mit dem Wortsinne. Aber auch in der preußischen Ver-
fassung finden sich hinreichend die notwendigen Beschränkun-
gen und so ist auch in dieser Hinsicht es unbedenklich, sich ihr
anzuschließen.
*) Art. 12. „Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu
Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Reli-
gionsübung wird* gewährleistet."
284
Anhang
Die grossen sozialen Fragen
der Gegenwart
(.848)
Von Wilhelm Emmanuel Freiherrn von Ketteler*i
Mir sei es nur vergönnt, im Verfolge des ausgesprochenen
Gedankens, an einer Lehre, die mit der wichtigsten Frage der
Gegenwart; der sozialen, innig zusammenhängt, nämlich an der
Kirchenlehre vom Rechte des Eigentums, nachzuwei-
sen, wie erhaben die Kirche mit ihrer Lehre über den gewöhn-
lichen Zeitmeinungen dasteht, und Avelche Mittel sie besitzt,
um die Übel der Zeit zu heilen.
Die Besitzenden und Nichtbesitzenden stehen sich feindlich
gegenüber, die massenhafte Verarmung wächst von Tag zu Tag,
das Recht des Eigentums ist in der Gesinnung des Volkes erschüt-
tert, und wir sehen von Zeit zu Zeit Erscheinungen auftauchen
gleich Flammen, die bald hier, bald dort aus der Erde hervor-
brechen — Vorboten einer allgemeinen Erschütterung, die bevor-
steht. Auf der einen Seite sehen wir ein starres Festhalten am
Rechte des Eigentums, auf der anderen ein ebenso entschlossenes
Leugnen jedes Eigentumsrechtes, und wir suchen ängstlich nach
einer Vermittelung zwischen diesen schroffen Gegensätzen.
Unter diesen Umständen wollen wir die Lehre der katholischen
Kirche vom Rechte des Eigentums darlegen, wie sie der heilige
Thomas von Aquin schon vor sechshundert Jahren ent-
wickelt hat. Vielleicht werden wir finden, daß der Menschen-
geist, vom Glauben geführt, schon vor einem Jahrtausend uns
*) Aus den sechs sozialen Predigten, die Ketteier im Winter 1848 von
Frankfurt a. M. aus zu Mainz hielt. Abgedruckt nach der von Joh. Mum-
bauer 191 1 bei Kösel in Kempten herausgegebenen Auswahl von Kcttelers
Schriften. (II, S. 2 10 ff.)
28.^
für unsere Zustände Wege vorgezeichnet hat, die der vom
Glauben getrennte und sich selbst überlassene Menschengeist
vergeblich zu entdecken strebt.
Um zu dem vollen Ausdrucke der Kirchenlehre vom Rechte
des Eigentums zu gelangen, zieht der heilige Thomas zu-
nächst das VerhältnisGotteszuseinenGeschöp-
f e n in nähere Untersuchung". Wir wollen dem heiligen Manne
bei dieser Erörterung folgen.
Der heilige Thomas stellt hier den Gedanken an die Spitze,
daß alle Kreaturen, und also auch alle irdischen Güter ihrer
Natur und ihrem Wesen nach nur Gott gehören können.
Dieser Satz folgt mit Notwendigkeit aus dem Glaubenssatze,
daß Gott alles außer ihm aus dem Nichts erschaffen hat. Gott
ist also der wahre und ausschließliche Eigentümer aller Ge-
schöpfe, und dieses Recht Gottes ist — weil mit dem Dasein
der Geschöpfe selbst verknüpft — unveräußerlich; und keine
Verteilung, kein Besitz, keine Gewohnheit, kein Gesetz kann
dieses wesentliche Recht Gottes beschränken. Hier hat folglich
Gott alles Recht, der Mensch gar keines. Außer diesem wesent-
lichen vollen Eigentumsrechte, welches nur Gott zustehen kann,
unterscheidet aber der heilige Thomas noch ein Nutzungs-
recht, und nur in bezug auf diese Nutzung räumt er den
Menschen ein Recht über die irdischen Güter ein. Wenn da-
her überhaupt von einem natürlichen Eigentumsrechte der Men-
schen die Rede ist, so kann damit nie ein volles und wahres
Eigentumsrecht gemeint sein, was durchaus nur Gott zustehen
kann, sondern immer nur ein Recht der Benutzung. Daraus
folgt aber ferner, daß auch das Nutzungsrecht nie als ein un-
beschränktes, als ein Recht, mit den irdischen Gütern anzu-
fangen, was der Mensch will, aufgefaßt werden kann und darf,
sondern immer nur als das Recht, die Güter so zu benutzen, wie
Gott es will und festgesetzt hat. Der Mensch muß
die Ordnung, die Gott in der Benutzungsweise festgesetzt, an-
erkennen, und hat nimmer das Recht, den Gebrauch der irdi-
schen Güter dem Zwecke zu entziehen, wozu sie Gott bestimmt
286
hat. Dieser erste Zweck aller irdischen Güter ist aber ebenso
in der Natur selbst wie in dem Worte ausgedrückt, das Gott
nach der Erschaffung zu den Menschen gesprochen hat: „Siehe,
ich habe euch gegeben alles Kraut, das sich besamet auf Erden,
und alle Bäume, die in sich selbst Samen haben nach ihrer Art,
laß sie euch zur Speise seien." *)
Gott also hat, so beschließen wir diese Gedanken mit den
Worten des heiligen Thomas, das Obereigentum aller
Dinge. Er hat aber in seiner Vorhersehung einige derselben
zum leiblichen Unterhalte der Menschen bestimmt, und deshalb
hat auch der Mensch ein natürliches Eigentumsrecht, nämlich
das Recht sie zu benutzen. Aus dieser Auffassung ergeben sich
uns zwei wichtige Folgerungen.
E r s t e n s , die katholischeKirche hat in ihrer Lehre vomEi-
gentume nichts gemein mit jener Auffassung des Eigentumsrech-
tes, die man gewöhnlich in der Welt antrifft, und dergemäß der
Mensch sich als den unbeschränkten Herrn seines Eigentums
ansieht. Nimmermehr kann die Kirche dem Menschen das Recht
zuerkennen, mit den Gütern uer Welt nach Belieben zu schalten
und zu walten, und wenn sie vom Eigentume der Menschen
spricht und es beschützt, so wird sie immer die drei, ihren
Eigentumsbegriff w-esentlich konstituierenden Momente vor
Augen haben, daß das wahre und volle Eigentumsrecht nur
Gott zustehe, daß dem Menschen nur ein Nutzungsrecht einge-
räumt worden, und daß der Mensch verpflichtet ist, bei der
Benutzung die von Gott gesetzte Ordnung anzuerkennen.
Zweitens ergibt sich, daß diese Lehre vom Rechte des
Eigentums nur da möglich ist, wo ein lebendiger Gottes-
j^^laube sich befindet, da sie in Gott, in seinem Willen, in seiner
Ordnung wurzelt und begründet ist. Erst seit jene Männer,
die sich die Volksfreunde nennen, obwohl sie nur an dem Ver-
derben des Volkes arbeiten, und ihre geistigen Vorfahren den
Gottesglauben in der Menschheit erschüttert haben, konnte auch
*) Gen., I, 2g.
287
die gottlose Lehre, wodurch der Mensch sich selbst zum Gott
seines Eigentums macht, mehr und mehr verbreitet werden.
Von Gott getrennt, sahen die Menschen sich selbst als die aus-
schließlichen Herren ihres Eigentums an und betrachteten es
nur als Mittel zur Befriedigung ihrer immer wachsenden Ge-
nußsucht ; von Gott getrennt machten sie den Lebensgenuß und
die sinnliche Freude zum Ziele ihres Daseins und die Güter zum
Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, und so mußte sich eine
Kluft zwischen Reichen und Armen bilden, wie sie die christ-
liche Welt noch nicht gekannt hat. Während der Reiche in
überreizter, raffinierter Sinnlichkeit Unermeßliches verschwen-
det, läßt er arme Mitbrüder in der Entbehrung des Notwendig-
sten dahinschmachten, und entzieht ihnen, was Gott zur Nah-
rung der Menschen bestimmt hat. Auf dem so mißbrauchten
und gegen die natürliche und übernatürliche göttliche Ordnung
verwendeten Eigentume liegt ein schwerer Fluch, ein Berg von
Ungerechtigkeit. Nicht die katholische Kirche, sondern der
Unglaube und die Gottlosigkeit haben diesen Zustand hervor-
gerufen, und so wie sie die Arbeitslust bei dem Armen ver-
nichteten, so zerstören sie bei dem Reichen den Geist der werk-
tätigen Liebe.
Die bisher entwickelte Lehre, die sich uns als eine notwendige
Folgerung aus der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Gott
und seinen Geschöpfen ergab, bildet nun die eigentliche Grund-
lage für die Bestimmung des wahren christlichen Eigentums-
rechtes. Von dieser Grundlage aus müssen wir aber noch tiefer
in den Gegenstand eindringen. Das Eigentumsrecht der Men-
schen ist, wie wir sahen, lediglich ein dem Menschen von Gott
eingeräumtes Recht, die Güter der Erde in der von ihm vorge-
schriebenen Ordnung zu benutzen, in der Absicht, daß alle
Menschen aus den Erdengütern ihre notwendigen Leibesbe-
dürfnisse erhalten. Dieser Wille Gottes kann nun in doppelter
Weise erreicht werden. Die Menschen können entweder das
ihnen übertragene Eigentums- oder richtiger Nutzungs-
recht gemeinschaftlich ausüben, wie es der Kommunis-
111 u s will, um gemeinschaftlich die Güter der Erde zu ver-
walten, und die Nutzungen zu verteilen; oder sie können die-
selben geteilt besitzen, sodaß dem einzelnen Menschen das
Eigentumsrecht über einen bestimmten Teil der Güter der Erde
zusteht, mit der Befugnis, die daraus gezogenen Früchte zu
■genießen.
Auch die Frage, welche dieser beiden Benutzungsweisen für
den Menschen bestimmt sei, zieht der heilige Thomas zur
17ntersuchung und löst dadurch ein Problem, das erst sechs-
hundert Jahre nach ihm die Welt bew-egen sollte. Wir wollen
auch bei dieser Untersuchung ihm folgen. An dem Nutz-
ungsrechte, das dem Menschen zusteht, unterscheidet
€ r zwei Momente, erstens das Recht der Fürsorge und
Verwaltung, zweitens das Recht des Fruchtgenusses. Die Ein-
teilung rechtfertigt sich von selbst. So wie uns von der Natur
die Dinge geboten werden, sind sie zur Befriedigung unserer
Bedürfnisse nicht geeignet. Sie müssen zunächst zum Genüsse
vorbereitet, also verwaltet und bearbeitet werden.
In bezug auf die VerwaltungundFür sorge behaup-
tet nun der heilige Thomas, müsse das Eigentumsrecht der
inzelnen Menschen über die Güter der Erde anerkannt wer-
icn, und zwar aus drei Gründen: Erstens werde nur in dieser
Weise für die gute Verwaltung der irdischen Güter
selbst gesorgt; denn jeder sorge besser für das, was ihm selbst
irehöre, als was er mit anderen gemeinschaftlich besitze. Jeder-
mann, fügt er hinzu, fliehe die Arbeit und überlasse, was allen
gemeinschaftlich obliege, gerne dem anderen, wie es unter einer
zahlreichen Dienerschaft zu geschehen pflege. Es ist nicht
schwer, die volle Wahrheit dieser Behauptung einzusehen.
Würden alle Güter gemeinschaftlich verwaltet oder nach Jah-
ren oder Zeiträumen verteilt, oder fiele nur das Recht der Ver-
erbung weg, so würde jede gute Verwaltung vernichtet, jede
Verbesserung unmöglich gemacht, und selbst die Triebfeder zu
neuen Erfindungen würde im Geiste der Menschheit erlahmen.
Jeder würde sich auf den andern verlassen, die natürliche Träg-
'■erjfsträüer I. ig 289
heit im Menschen hätte ihr Gegengewicht verloren, würde bald;
zur Herrschaft gelangen und zur Entwertung der Erdengüter
selbst führen.
Zweitens, sagt der heilige Thomas, könne nur durch An-
erkennung des Eigentumsrechts der einzelnen Menschen die
Ordnung, die zur gedeihlichen Verwaltung der Erden-
güter notwendig sei, aufrecht erhalten werden, denn es werde
allgemeine Verwirrung entstehen, wenn jeder für alles zu sor-
gen habe. Auch diese Wahrheit scheint unbestreitbar. Es gibt
eine unermeßliche Mannigfaltigkeit in der Abstufung der Be-
schäftigung der Menschen, und sie alle müssen sich einer großen
Ordnung einfügen, wenn für alle Bedürfnisse so gesorgt wer-
den soll, Avie es Gott in der Natur dem Menschen anbietet.
Würde diese Ordnung gestört, so wäre das Wohlsein der Men-
schen gefährdet. Zu dieser allgemeinen Ordnung und Aus-
gleichung der Arbeit trägt aber gerade das Familieneigentum
wesentlich bei, indem es den Lebensberuf der Familienmitglie-
der im großen und ganzen mitbestimmt und ein plötzliches
Schwanken und Übergehen großer Massen von einer Arbeit
und Lebensweise zur andern verhindert. Welch heillose Ver-
wirrung in der Arbeit würde entstehen, wenn durch die immer-
während wiederkehrende Teilung dieses mächtige Band der
Ordnung zerrissen wäre!
Endlich drittens, sagt der heilige Thomas, könne nur l>ei
anerkanntem Eigentumsrechte der einzelnen der Friede
unter den Menschen erhalten werden, da ja die Erfahrung lehre,
wie leicht gemeinschaftlicher Besitz zu Streit und Zank führe.
Tief und wahr ist auch dieser Grund. Wenn jetzt schon Ge-
schwister sich nicht einigen können, welche die Erbschaft ihres
Vaters teilen wollen, wenn die Bewohner eines Hauses sich ent-
zweien, die nur die Luft in demselben Hause und das Wasser
in demselben Brunnen unter sich zu teilen haben, was würde aus
der Menschheit werden, wenn jeder Besitz, jede Arbeit immer
wieder geteilt werden sollte? Die ganze Menschheit würde m
Streit, und Hader auseinander reißen.
290
Der heilige T h o m a s hält also, aus diesen drei unwiderleg-
lichen Gründen, das Eigentumsrecht der einzelnen, in bezug auf
die Fürsorge und Verwaltung, aufrecht, und steht also insoweit
übereinstimmend mit dem Gebote Gottes: Du sollst nicht steh-
len ! und mit der Lehre der katholischen Kirche dem Kommu-
nismus unserer Tage streng und unversöhnlich gegenüber. Der
Kommunismus in dem Sinne, daß die Güter der Erde immcr
wieder geteilt Averden sollen, widerspricht dem Gesetzeder Natur,
weil er die gute Verwaltung der Erdengüter und damit die Er-
reichung ihres natürlichen Zwecks vernichten, Unordnung und
Feindschaft verbreiten, mithin die Bedingungen des mensch-
lichen Lebens aufheben würde.
In bezug auf den zweiten Moment, der in dem Benutz-
ungsrechte der Alenschen gelegen ist, nämlich auf das
Recht, die aus der Verwaltung der irdischen Güter gewonnen
Früchte zu genießen, stellt der heilige Thomas dagegen einen
ganz anderen Grundsatz auf. Diese Früchte soll der Mensch
nach seiner Lehre niemals als sein Eigentum, sondern als ein
"remeingut aller betrachten, und er soll daher gerne bereit sein,
ie anderen in ihrer Not mitzuteilen. Deshalb sage der Apostel:
..Den Reichen dieser Welt gebiete, . . . gerne zu geben und mit-
zuteilen" *).
Wie wir also vorher die christliche I>ehre dem falschen Kom-
munismus entgegentreten sahen, so sehen wir sie hier nicht
minder entschieden der falschen Lehre vom Rechte des Eigen-
tums sich widersetzen und den wahren Kommunismus aufstellen.
Gott hat die Natur erschaffen, um alle Menschen zu ernähren,
und dieser Zweck muß erreicht w-erden. Deshalb soll jeder die
Früchte seines Eigentums wieder zum Gemeingut machen, um,
^o viel an ihm liegt, zur Erreichung dieser Bestimmung bei-
zutragen.
Wir haben nun den Gedanken des heiligen Thomas über
:as Recht des Eigentums, in dem wir zugleich die Lehre der
Katholischen Kirche zu erkennen glaubten, so gut wir ver-
*) I nm. 6, 17, 18.
* 291
mochten, vollständig auseinander gesetzt, und es scheint uns
kaum einer Erwähnung zu bedürfen, wie erhaben diese Lehre
über den beiden unversöhnlichen und unwahren Gegensätzen
dasteht, die jetzt in der Welt über das Eigentumsrecht im
Kampfe liegen.
Die falsche Lehre vom starren Rechte des Eigentums ist eine
fortgesetzte Sünde wider die Natur, indem sie kein Unrecht
darin sieht, das zur Befriedigung der ungemessensten Habsucht,
der ausschweifendsten Sinnenlust zu verwenden, was Gott zur
Nahrung und Bekleidung aller Menschen bestimmt hat ; indem
sie die edelsten Gefühle in der Menschenbrust unterdriickt und
eine Härte, eine Gefühllosigkeit gegen das Elend der Menschen
erzeugt, wie sie kaum unter den Tieren sich vorfindet; indem
sie einen fortgesetzten Diebstahl für Recht erklärt: denn, wie
ein heiliger Kirchenvater sagt, nicht bloß der ist ein Dieb, der
fremde Güter stiehlt, sondern auch der, der fremde Güter für
sich zurückbehält. Der berüchtigte Ausspruch: Das Eigentum
ist Diebstahl I ist nicht bloß eine Lüge, er enthält, neben einer
großen Lüge, zugleich eine furchtbare Wahrheit. Mit Spott
und Hohn wird er nicht mehr beseitigt. Wir müssen die Wahr-
heit an ihm vernichten, damit er wieder ganz zur Lüge werde.
So lange er noch ein Teilchen Wahrheit an sich hat, vermag er
die Ordnung der Welt über den Haufen zu stürzen. Wie aber
ein Abgrund den andern ruft, so ruft eine Sünde gegen die Na-
tur die andere hervor. Aus dem entstellten Eigentumsrechte ist
die falsche Lehre des Kommunismus hervorgegangen. Auch sie
ist eine Sünde gegen die Natur, indem sie, unter einem men-
schenfreundlichen Scheine, das gerade Gegenteil, das tiefste
Verderben über die Menschheit bringen, den Fleiß, die Ord-
nung, den Frieden auf Erden vernichten, einen Kampf aller
gegen alle hervorrufen und so die Bedingungen des mensch-
lichen Daseins vernichten würde.
Leuchtend steht über beiden Lügensätzen die Wahrheit der
katholischen Kirche. Sie erkennt in beiden Ansichten das Wahre
an und vereinigt es in ihrer Lehre, sie verwirft in beiden das
292
Unwahre. Sie anerkennt bei den Menschen überhaupt kein un-
bedingtes Eigentumsrecht über die Güter der Erde, sondern nur
ein Nutzungsrecht in der von Gott festgestellten Ordnung.
Sie schützt dann das Eigentumsrecht, indem sie behauptet, daß
zum Zwecke der Fürsorge und Verwaltung, im Interesse der
Ordnung und des Friedens, die Teilung der Güter, wie sie sich
unter den Menschen entwickelt hat, anerkannt werden muß ; sie
heiligt den Kommunismus, indem sie die Früchte des Eigen-
tums wieder zum Gemeingute aller macht.
Ich kann diesen Gegenstand nicht verlassen ohne zum Schlüsse
darauf hinzuweisen, wie harmonisch diese Auffassung vom
Rechte des Eigentums in einen höheren Plan der göttlichen
Vorsehung eingreift, und wie so alles Einheit und Einklang in
der göttlichen Ordnung ist. Der Mensch soll auf Erden den
Willen Gottes erfüllen. Mit dem Erkenntnisvermögen soll er
lie Gedanken Gottes in sich aufnehmen, mit dem Willen soll
er sie nach seinem Vermögen in die Tat übersetzen. Das Denken
und Wollen des Menschen soll dem Gebete entsprechen: Dein
Wille geschehe. Um, aber dem Menschen die Würde und das
Verdienst der Selbstbestimmung zuzuwenden, hat Gott ihm
den freien Willen gegeben, sodaß der Mensch nur dann mensch-
lich handelt, und sein Handeln nur dann moralischen Wert hat,
wenn er aus seiner Selbstbestimmung das Werk Gottes auf Er-
den vollendet. Selbst Gott achtet die Freiheit der Menschen
und will sie auch dann nicht zerstören, wenn er sie zu seinem
Verderben gebraucht.
Wenden wir diese Sätze auf unsere Lehre vom Rechte des
Eigentums an. Gott hat die Erde mit ihren Erzeugnissen er-
schaffen, damit der Mensch seinen Leibesunterhalt aus ihr er-
halte. Gott hätte diesen Zweck durch Anordnung einer Natur-
notwendigkeit bei Verteilung der Güter erreichen können ; das
lag aber nicht in seiner erhabenen Absicht, er wollte hier dem
freien Willen und der Selbstbestimmung des Menschen den
-chönsten Spielraum eröffnen ; er wollte sein Werk den Men-
schen übergeben, vermenschlichen, damit der Mensch durch
293
Übung der Werke Gottes vergöttlicht werde. Er ordnet des-
halb eine ungleiche Verteilung der Güter in bezug auf Besitz und
Verwaltung an, um so den Menschen zum Ausspender seiner
Gaben an seine Mitbrüder zu machen. So sollte der Mensch
hineingezogen werden in das Leben jener Liebe, in der Gott
für uns sorgt, und indem er in derselben Liebe die Güter spen-
dete, in der Gott sie für alle Menschen bestimmt hat, sollte der
Mensch der liebevollen Gesinnung Gottes teilhaftig werden.
Wenn bei der Verteilung der Güter der Erde nichts mehr von
dem freien Willen der Menschen abhinge, wenn darin alles
Naturnotwendigkeit wäre, oder wenn die Fürsorge durch Poli-
zeimaßregeln oder Staatsgesetze erzwungen werden könnte, so
wäre die schönste Quelle der edelsten Gesinnung in der Mensch-
heit verstopft. Denn wahrhaftig, meine christlichen Brüder, das
Leben in den Werken der selbstaufopfernden Barmherzigkeit
und Liebe ist ein vergöttlichtes Leben. Betrachtet ein solches
Dasein in dem schwachen Geschöpfe einer barmherzigen Schwe-
ster, und ich frage euch, ob nicht ein solches Leben mehr Mut,
Würde, Schönheit und Liebe darbietet, als das Leben vielleicht
einer ganzen großen Stadt. O möchten wir zu diesem schönen
Leben der Liebe zurückkehren; möchten wir in diese Liebe
alles aufnehmen, ■\vas unser bedarf; möchten wir durch die
Kraft der Liebe die Welt uns unterwerfen und sie zu dem
Kreuze zurückführen, von dem sie sich entfernt hat, möchte
die alte Bonifatiusstadt Mainz uns auf diesem Wege der tätigen
christlichen Liebe voranleuchten. Dann und nur dann behalten
wir unseren Glauben, denn der Christusglaube kann nur be-
stehen, wo die Christusliebe mit ihm verbunden Ist. Noch ein-
mal, meine christlichen Brüder, lasset uns durch die Werke der
Liebe die Welt überwinden und sie zum katholischen Glauben
zurückführen ! Amen.
Von *) Christus ist die Welt abgefallen, die Erlösung in Chri-
stus hat sie abgewiesen, der Herrschaft ihrer Leidenschaften
*) Aus der zweiten Predigt.
ist sie verfallen, das ist der letzte, tiefste und wahrste Grund
unserer sozialen Leiden und Zustände. Nicht weil er ungelehrt
ist und der allgemeinen Menschenbildung entbehrt, sondern weil
er der Habgier und Genußsucht als elender Sklave dient, des-
halb verachtet der Reiche das Gebot Gottes, daß er von seinem
Überflusse den Armen mitteile; und nicht, weil er in der Schule
seine Lektion nicht gut gelernt hat, sondern weil er der Träg-
heit als Sklave dient, deshalb streckt der Arme seine Hand nach
fremdem Gute aus und verachtet das Gebot Gottes: ,,Du sollst
nicht stehlen". Von sündhaften Trieben und Leidenschaften
geführt, sind die Menschen nicht mehr imstande, die einfach-
sten Naturwahrheiten anzuerkennen, wo diese sich ihren Lei-
denschaften entgegenstellten. Der Abfall vom Christentum ist
der Grund unseres Verderbens, ohne diese Erkenntnis gibt es
keine Rettung. Wie der einzelne Mensch nur dann zu seiner
wahren Erhebung gelangen kann, wenn er in tiefer Selbster-
Tcenntnis es erfahren, daß er aus eigener Kraft die hohe Auf-
gabe seines Daseins nicht zu erreichen vermag, so wird die Welt
aus ihrer jetzigen trostlosen Lage nur dann sich wieder erheben,
wenn sie in wahrer Welterkenntnis zu der Überzeugung gelangt
ist, daß sie aus eigener Kraft die hohe Aufgabe nicht zu lösen
vermag, die sie lösen muß, wenn sie nicht in Barbarei zugrunde
;gehen will.
Da wir nun so die Zeit erkannt haben; da wir die sozialen
Zustände zum großen Teile als eine notwendige Folge der un-
natürlichsten und unwahrsten Auffassungen vom Rechte des
Eigentums und diese Geistesverirrung als eine Folge des Ab-
falles von Christus, wodurch die sinnlichen Triebe und Leiden-
schaften über den Verstand herrschend geworden, erfaßt haben,
so ist nun die Stunde da, vom Schlafe zu erwachen, und uns
bleibt noch die Aufgabe, die Mittel aufzusuchen, wodurch wir
aus dem sozialen Verderben uns erheben können. Im allgemei-
nen habe ich dieses Mittel schon dadurch ausgesprochen, daß
ich sagte, der Abfall vom Christentume habe das Verderben
über uns gebracht, die Rückkehr zum Christentume könne uns
^95
nur helfen. Es bleibt mir nur übrig, im einzelnen noch nachzu-
weisen, wie ohnmächtig die Welt in Lehre und Leben, und wie
mächtig das Christentum in Lehre, Leben und Gnadenmitteln
ist, um die sozialen Übel zu heilen.
Wir wollen, zuerst die Ohnmacht der Welt und die Macht
des Christentums in der Lehre den sozialen Zuständen gegen-
über betrachten.
Ich habe schon seit längerer Zeit mit Aufmerksamkeit vieles
gelesen, was die Welt in Vorschlag bringt, um der drohenden
Massenverarmung zu steuern, und gestehe, noch nichts gefun-
den zu haben, was im ganzen und großen helfen könnte. So
lange die Verfasser noch bei den allgemeinen Redensarten ste-
hen bleiben, worin sie ihre Vorschläge einkleiden, sollte man
glauben, sie seien die Volksbeglücker, die das Geheimnis der
Brotvermehrung aufgefunden ; geht man dann aber zu ihren
praktischen Vorschlägen über, so kann man sich des Mitleids
nicht erwehren. Der eine will helfen durch eine bessere Vertei-
lung der Steuern, der andere durch verschiedene Arten von
Sparkassen, der dritte durch Organisation der Arbeit, der vierte
durch Auswanderung, dieser durch Schutzzölle, jener durch
Freihandel, der eine durch Freiheit der Gewerbe, durch Teilung
von Grund und Boden, der andere durch das Gegenteil, wieder
andere durch Einführung der Republik, womit alle Not gehoben
und das Paradies auf Erden verwirklicht sei. Diese Vorschläge
haben nun mehr und weniger Wert, und einige können nützlich
wirken; um aber unsere sozialen Übel zu heilen, sind sie nichts
als ein Tropfen im Meere. Das sehen auch viele ein, und sie
schlagen als letztes Mittel die allgemeine Teilung der Güter
vor. Ob wir dieses Mittel noch versuchen werden, steht dahin,
aber gewiß ist, daß es nicht dazu dienen würde, die Armen
reich, sondern alle arm zu machen. Für jeden aber, der sich ein
freies Auge bewahrt hat, steht es fest, daß alle Weltweisheit
vor dieser Aufgabe verstummt und unvermögend ist, zu helfen.
Je ohnmächtiger aber die Lehre der Welt ist, um zu helfen,
desto mächtiger ist die Lehre des Christentums. Gerade
296
die sozialen Verhältnisse sind es, wo sich uns seine ganze Macht
offenbart. Nichts dürfte geeigneter sein, uns gleich in das
innere Wesen der Verschiedenheit der Mittel einzuführen, die
uns das Christentum und die Welt anbietet, als ein Vorfall aus
dem Leben Jesu, den uns der Evangelist Lukas *) berichtet.
Einer aus dem Volke kam zu Jesu und sprach: „Meister, sag
zu meinem Bruder, daß er die Erbschaft mit mir teile." Und
Jesus antwortete: ,, Mensch, wer hat mich zum Richter oder
Erbverteiler über euch gesetzt?" Dieser Vorfall veranlaßte den
Heiland, seine Umgebung vor allem Geize zu warnen, weil das
Glück des Lebens nicht im Überflusse zeitlicher Güter zu
suchen sei. Er erzählte dann das Gleichnis von dem reichen
Manne, der nach ergiebigen Ernten und nachdem seine Scheuern
angefüllt, endlich zu sich sprach: „Meine Seele, du hast großen
Vorrat an Gütern auf viele Jahre: ruhe aus, iß, trinke, laß dir
wohl sein!" Gott aber sprach zu ihm: „Du Tor! In dieser
Nacht wird man deine Seele von dir fordern: was du nun be-
reitet hast, wessen wird es sein? So geht es dem, der Schätze
sammelt, aber bei Gott nicht reich ist."
Sehet, meine christlichen Brüder, so antwortete Christus allen
jenen, die mit dem Menschen aus dem Evangelium durch Güter-
verteilung reich werden oder überhaupt durch äußere Alittel die
sozialen Zustände bessern wollen. Er will auch eine richtige
Verteilung der Güter, aber nicht durch Gewalt, sondern durch
Umänderung der Gesinnung. Das ist der wesentliche Unter-
schied der Lehren des Christentums und der Lehren der Welt.
Diese hat nur äußere Mittel, die die Quelle des Übels nicht
heilen können, das Christentum heilt die Quelle des Übels, die
Gesinnung der Menschen. Nicht in der äußeren Not liegt unser
soziales Elend, sondern in der inneren Gesinnung. Jener wäre
leicht abzuhelfen, wenn nur die Gesinnung eine andere wäre.
Die beiden gewaltigen Seelenübel, an denen unsere geselligen
Beziehungen krank darniederliegen, sind teils unersättliche Ge-
nußsucht und Habgier, teils die Selbstsucht, welche die Näch-
*) Luk. 2 1. 13 ff.
297
stenliebe zerstört hat. Diese Krankheit hat die Reichen und
Armen ergriffen. Was vermögen da Steuerverteilungen und
Sparkassen, so lange diese Gesinnung fortbesteht? Dieser
inneren Verderbnis gegenüber ist die Welt mit allen ihren Leh-
ren gänzlich ohnmächtig, während das Christentum die ganze
Macht seiner Lehre eben auf die Gesinnung, auf die innere
Besserung der Menschen richtet. Ich will es versuchen, an eini-
gen Stellen der Lehre Jesu nachzuweisen, wie er hierbei von
Stufe zu Stufe fortschreitet und von allen Seiten gleichsam
durch alle Tore auf die Seele eindringt, um sie von der zwei-
fachen Krankheit, der Habgier und der Selbstsucht, zu befreien.
In der angeführten Stelle zeigt uns der Heiland die Ver-
gänglichkeit der irdischen Güter, die Torheit des Menschen,
der Güter auf Güter häuft, um sie in dem Augenblicke zu ver-
lassen, wo er anfangen will, sie zu genießen. Ähnlich ruft er an
«iner anderen Stelle: ,, Sammelt euch auf Erden keine Schätze,
die d€r Rost und die Motten verzehren, und die Diebe aus-
graben und stehlen : sondern sammelt euch Schätze im Himmel,
die weder Rost noch Motten verzehren, und die die Diebe nicht
ausgraben und stehlen ; denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein
Herz"*). Auch hier ist es wieder das Herz mit seiner Habgier
und Selbstsucht, das er heilen will. Auch hier zeigt er wieder
die Torheit, in den vergänglichen Gütern das Glück zu suchen ;
aber einen neuen mächtigen Beweggrund fügt er hinzu, indem
•er auf den Lohn der guten Verwendung der irdischen Güter
liinweist.
Doch der Heiland geht weiter. Er weiß, daß erhabene I-deen
die Seele des Menschen noch mächtiger ergreifen als der beste
Lohn, und stellt der in Habgier versunkenen Seele das hohe
Bild der Vollkommenheit vor Augen. „Willst du vollkommen
sein," so spricht er, ,,so gehe hin, verkaufe alles was du hast,
und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel
haben ; und folge mir nach . . . Jeder, der sein Haus oder Brüder
oder Schwestern oder \'ater oder Mutter oder Weib oder Kin-
*) Matth. 6, ly— 2 1. .
298
der oder Acker um meines Namens willen verläßt, der wird
Hundertf ältig^cs dafür erhalten und das ewige T.el>en besitzen"*).
Das ist eine Lehre, um dre Seelenübel zu heilen. Der unersätt-
lichen Habgier des gesunkenen Menschen hält Christus die
nackte Armut des erlösten vollkommenen Menschen entgegen,
l^nd mit welchem Erfolge, — das weiß die katholische Kirche
aus dem Leben so vieler Heiligen.
Und abermals sehen wir den Heiland weiterschreiten, um die
Selbstsucht unseres Herzens zu heilen, indem er spricht: ,,Du
sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, aus deinem ganzen Her-
zen, aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Gemüte.
Dies ist das größte und das erste Gebot. Das andere aber ist
diesem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst"**). Fragen wir ihn aber, wer der Nächste ist, so führt
er uns zu dem Menschen voll Wunden, an dem Wege von Je-
rusalem nach Jericho, und lehrt uns, daß jeder Bettler am
Wege, jeder Kranke auf dem Bette unser Nächster ist.
Meine christlichen Brüder, laßt uns einen Tag diese Lehre be-
folgen, und alle sozialen übel sind wie mit einem Zaubersdhl.ige
verschwunden; lasset uns, Reiche und Arme, einen Tag unseren
Nächsten lieben, wie uns selbst, und das Angesicht der Erde
wird erneuert sein. O möchten wir die Lehre Christi begreifen !
Was soll ich aber erst sagen, meine christlichen Brüder, wenn
der Heiland ferner zu uns spricht: ,, Wahrlich, sage ich euch,
Avas ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habet,
das habt ihr mir getan"***). ,,Wer euch aufnimmt, der nimmt
mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt denjenigen auf,
der mich gesandt hat. Wer einem von diesen Geringsten nur
einen Becher kalten Wassers zu trinken reicht, . . . wahrlich,
^age ich euch, er wird seinen Lohn nicht verlieren"****).
Wer kann die Kraft, die in diesen Worten liegt, um Habgier
') Matth. 19. 21, 29.
") Matth, 22, 37— jO.
*) Matth. 2::;, 40.
"* Matth. 10, 40, 42.
■jgr)
und Selbstsucht in uns zu zerstören, schildern; wer vermag anzu-
geben, wie viele Tränen diese Worte getrocknet haben und
fort und fort trocknen werden. Mit diesen Worten hat der Hei-
land die ganze Schar heiliger Jungfrauen, die im armen Kran-
ken den Heiland lieben, an das Bett derselben gefesselt. Alle
Liebe, die die Menschen ihm' schulden, hat er so den Armen
und Kranken dienstbar gemacht.
Doch der Heiland kannte das Herz des Menschen, er wußte,
wie fest in demselben die Habgier und Selbstsucht wurzeln,
und welcher Gewaltmittel es bedürfe, um sie herauszureißen. Je-
nen also, die höhere Beweg-gründe nicht wollen, hält er das Ge-
richt und die ewige Pein vor Augen. Er öffnet ihnen den Blick
in die Stunde des furchtbaren Gerichtes, wo er kommen Avird in
großer Majestät und Herrlichkeit, wo er die Böcke von den
Schafen trennen und zu jenen, die zu seiner Linken stehen,
sprechen wird: „Weichet von mir ihr Verfluchten, in das ewige
Feuer, welches dem Teufel und seinen Engeln bereitet worden
ist: denn ich war hungrig, und ihr habet mich nicht gespeiset;
ich War durstig und ihr habet mich nicht getränket. Ich war
ein Fremdling, und ihr habet mich nicht beherbergt, ich war
nackt, und ihr habet mich nicht bekleidet; ich war krank, und im
Gefängnisse, und ihr habet mich nicht besucht. Da werden auch
sie ihm antworten und sagen: ,,Herr, wann haben wir dich
hungrig und durstig oder als Fremdling oder nackt oder krank
oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht gedienet?"
Dann wird er ihnen antworten und sagen: „Wahrlich, ich sage
euch, was ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, das
habet ihr auch mir nicht getan. Und diese werden in die ewige
Pein gehen" *).
Für den aber, der auch dieser Mahnung noch sein Herz ver-
schließen sollte, greift der Heiland zum letzten Mittel, indem
er die Schranken vor dem Orte ewiger Qualen hinwegreißt und
ihn seinen Blicken vorhält. Er hat uns den reichen Prasser,
in reichen Kleidern, bei herrlichen Gastmahlen, und den armen
*) Matth. 25, 41 ff.
300
Lazarus, der umsonst seine Hände nach den Brosamen aus-
streckt, und dem die Hunde die Geschwüre lecken, auf Erden
Q^ezeigt. Er zeigt sie uns nun in der Ewigkeit, den Lazarus in
Abraliams Schoß, den Teichen Prasser in der Hölle begraben.
Wir hören ihn rufen: „Vater Abraham, erbarme dich meiner
und sende den Lazarus, daß er seine Fingerspitze ins Wasser
tauche und meine Zunge abkühle, denn ich leide große Pein in
diesen Flammen." Abraham aber sprach zu ihm: , .Gedenke,
Sohn, daß du Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Laza-
rus hingegen Übles; nun aber wird dieser getröstet, und du
wirst gepeinigt werden. Und über dies alles ist zwischen uns
und euch eine große Kluft gesetzt, daß die, welche von hier zu
euch hinübergehen wollen, es nicht können"*).
Das ist, meine christlichen Brüder, eine kurze Zusammenstel-
lung der Lehren, wodurch Christus die Wurzeln aller sozialen
übel in unserer Seele, die Habgier und Selbstsucht, auszureißen
sucht. Er führt den Habgierigen und Selbstsüchtigen hin zu
jenem Orte der Qualen und zeigt ihnen den reichen Prasser in
den Flammen dürsten nach einem Tropfen Wasser ; er führt ihn
ins Gericht und ruft ihm die Wotte in das Ohr: Weiche von
mir, du Verfluchter, in das ewige Feuer; er führt ihn zu dem
reichen Manne, der viele Güter gesammelt, um sie nun zu ge-
nießen, plötzlich aber die Worte hört: Du Tor, noch diese Nacht
werden sie deine Seele von dir fordern ; er zeigt ihm die Schätze
auf Erden, von Rost und Motten zernagt und von den Dieben
gestohlen ; er hält ihm die Wege der Vollkommenheit vor Au-
gen ; er lehrt ihn seinen Bruder lieben wie sich selbst, und in
jedem Menschen einen Bruder erkennen; er stellt sich selbst an
die Stelle des Armen und wendet die Liebe, die die Menschen
ihm schulden, den Armen zu.
So mächtig ist die Lehre des Christentums, so ohnmächtig
die Lehre der W^elt den sozialen Übeln gegenüber. Doch noch
mächtiger ist das Christentum, noch ohnmächtiger die Welt i m
Leben zur Heilung dieser Übel.
*) Luk. i6, 24 ff.
Um die sozialen Übel zu heilen, genügt es nicht, daß wir
einige Arme mehr speisen und kleiden und dem Armenvor-
stande einige Taler Geld mehr durch unsere Dienstboten zu-
senden, das ist nur der allerkleinste Teil unserer Aufgabe: son-
dern wir müssen eine ungeheure Kluft in der Gesellschaft, einen
tief eingewurzelten Haß zwischen Reichen und Armen ausglei-
chen ; wir müssen eine tiefe sittliche Versunkenheit bei einem
Teile unserer armen Mitbrüder, die allen Glauben, alle Hoff-
nung, alle Liebe zu Gott und den Nebenmenschen verloren ha-
ben, wieder heilen; wir müssen die geistige Armut der leib-
lich Armen wieder heben. Gerade wie bei dem Reichen, so be-
ruht auch bei dem Armen die Quelle der sozialen Übel in der
Gesinnung. Wie die Habgier, die Genußsucht, die Selbstsucht
die Reichen von den Armen abgewendet hat, so hat Habgier,
Genußsucht und Selbstsucht in Verbindung mit äußerer großer
Not den Haß der Armen gegen die Reichen hervorgerufen.
Statt in wahren Ursachen und vielfach in dem eigenen Verschul-
den die Quellen der Not aufzusuchen, sehen sie nur in dem
Reichen die alleinige Ursache ihres Elendes. Es geht ihnen,
wie es uns Menschen allen so leicht geht: die Splitter bei dem
Reichen sehen sie, die Balken in dem eigenen Auge sehen sie
nicht; und so erblicken wir denn bei vielen unserer armen Mit-
brüder einen furchtbaren Grad sittlichen Verderbens, wo Haß
gegen den Mitmenschen, Genußsucht und Habgier, Arbeits-
scheu mit schrecklicher äußerlicher Not Hand in Hand gehen.
Gute Lehren und Ermahnungen helfen hier ebensowenig wie
einzelne Hilfeleistungen. Diese werden angenommen und ver-
zehrt mit dem Gedanken, daß ihnen noch weit mehr, ja alles
gebühre.
Hier wird eine neue Kraft erfordert zur Heilung der Ge-
sinnung, die Kraft des Lebens und der Liebe. Die Armen müs-
sen erst wieder fühlen, daß es eine Liebe gibt, die ihrer gedenkt,
ehe sie der Lehre der Liebe Glatüben schenken. Wir müssen die
Armen und die Armut aufsuchen bis in ihre verborgensten
Schlupfwinkel, ihre ^''erhältnisse, die Quellen ihrer Armut er-
302
forschen, ihre Leiden, ihre Tränen mit ihnen teilen; keine Ver-
worfenheit, kein Elend darf unsere Schritte hemmen; wir müs-
sen es ertragen können, verkannt, zurückgestoßen, mit Undank
belohnt zu werden ; wir müssen uns immer wieder durch Liebe
aufdrängen, bis wir die Eisdecke, unter der das Herz des Ar-
men oft vergraben, aufgetaut und in Liebe überwunden haben.
Wie Gott den Sünder und uns alle als Sünder nicht nach der
Gerechtigkeit behandelt, sondern durch das Übermaß seiner
Liebe unsere Lieblosigkeit und Undankbarkeit überwindet, sa
müssen auch wir Gott nachahmen und unsere Nebenmenschen
durch ein Übermaß der Liebe überwinden. Dies ist nach meiner
Überzeugung und Erfahrung der einzige Weg, um die Gesin-
nung der Masse der Armen wieder zu bessern.
Und was vermag die Welt dieser Aufgabe gegenüber? Daß
der Polizeistaat sie nicht mit seinen Armengesetzen zu lösen
vermochte, ist bekannt. Aber was leisten die Vo Iksfreunde
dieser Tage auf dem Gebiete des Lebens zu diesem Zwecke?
Ich gehe schneller über dieses Bild hinweg, denn es erfüllt mich
zu sehr mit Empörung, wie gerade so viele derer, die sich
Freunde des Volkes und der Armen nennen, während sie Feinde
Christi und seiner Kirche sind, in ihrem Leben sich so armselig
erweisen ! Was vermögen diese Volksfreunde, um die sozialen
Übel zu heilen und die Armut zu mildern, um die Menschen
zu versöhnen? Was vermögen sie? An ihren Früchten sollt
ihr sie erkennen? W^elches sind denn die Früchte ihrer Liebe
zum Volke, die sie im Leben treiben? Finden wir sie in den
Hütten der Armen, an den Kranken- und Armenbetten? Sehen
wir sie sich selbst arm machen, selbst arm leben, um den Armen
zu helfen? Nichts von dem allen! Ihre Volksliebe zeigen sie
durch Haß, den sie unter Menschen verbreiten ; sie machen sich
selbst einen bequemen Tag, leben selbst wie die Reichen, sind
selbst von allen lästern und Leidienschaften der Reichen ent-
zündet und wagen es dennoch, die Armen auf die Reichen zu
hetzen, die eben nur das tun, was sie selbst tun ! Hohle Redens-
arten über ihre Liebe zum Volke, betrügerische Vorspiege-
.303
lungen von einem Glücke, wie es auf Erden nicht zu erreichen
ist, wütende Schimpfreden über alles, was außer ihnen auf
Erden ist, das sind die Lebensfrüchte ihrer Liebe zum Volke,
dadurch wollen sie die sozialen Übel heben, dadurch die Spal-
tung unter den Menschen ausfüllen, dadurch das sittliche Ver-
derben unter den Armen heilen !
So arm ist die Welt an wahrer Lebenskraft, um. die Menschen
zu versöhnen und sittliches und leibliches Elend zu stillen ! Der
Polizeistaat und unsere Volksfreunde, beide können nicht über
die Redensarten hinaus.
Nach *) der Kirchenlehre hat Gott den Menschen erschaffen,
um Gott zu erkennen, zu lieben, zu besitzen und dadurch zu
einer Glückseligkeit zu gelangen, die noch kein Ohr gehört, kein
Auge gesehen und die noch in kein Menschenherz gedrungen
ist. Auf Erden hat der Mensch aber kein anderes Ziel, als daß
er, nachdem er durch die Sünde von Gott abgefallen, durch Be-
tätigung seines freien Willens sich auf dem Wege zu der ewigen
Glückseligkeit, zürn Besitze Gottes vorbereite, den Christus uns
auf Erden gezeigt hat. Deshalb nennt die Kirche mit vollem
Rechte das Leben auf Erden eine Pilgerfahrt, ein Leben in der
Verbannung. Denn in der Tat, wir sind hier in der Fremde,
während Gott selbst und sein Besitz unsere Heimat ist; wir
sind verbannt, solange wir nicht bei Gott sind, solange wir ihn
und sein unendliches Wesen nicht schauen, lieben und besitzen
können. Wir wissen also, meine christlichen Brüder, woher wir
sind. Niemand außer uns kann eine Antwort geben auf diese
erste, entscheidende Frage. Wir sind von Gott, der uns aus
dem Nichts in das Dasein gerufen. Wir wissen, wer uns über
dem Abgrunde des Nichts im Dasein erhält; es ist Gott, der
seine Hand auf uns gelegt. Wir wissen, wozu uns Gott erschaf-
fen: um ihn zu besitzen und zu lieben. Wir wissen, wozu wir
hier auf Erden weilen: um uns auf den Besitz Gottes vorzube-
reiten. Wir wissen endlich, was der Hunger und Durst unseres
*) Aus der vierten Predigt.
Herzens bedeutet: es ist der Hunger und Durst nach dem Ge-
nüsse eines unendlichen Gutes.
Aus dieser Lehre der Vernunft und des Glaubens über die
Bestimmung des Menschen ergeben sich uns die wichtigsten
Folgen für das gesellschaftliche Leben, die den vorher ange-
deuteten Folgen des Unglaubens gerade entgegenstehen und
ebenso geeignet sind, das gesellschaftliche Leben zu befestigen,
wie jene es notwendig untergraben und zerstören müssen.
Erstens ist nur bei dieser Auffassung der Bestimmung des
Menschen wahre Arbeitsamkeit und freudige Ertragung der
mit Arbeit verbundenen Mühe möglich. Es gibt zwar eine Ar-
beit, die sich der Mensch auch aus andern Motiven gefallen läßt,
zum Beispiel die Arbeit eines großen Kaufmannes, der rastlos
die Vermehrung seines Vermögens erstrebt. Jene mühevolle
täglich wiederkehrende Arbeit des Tagelöhners aber, der nur
geringen Lohn für seine Arbeit erlangt und nur selten die
Freuden des Leben genießen kann, wird sich der Mensch nicht
gefallen lassen, wenn er im irdischen Lebensgenüsse seine ein-
zige Bestimmug erkennt. Eben diese Arbeit können wir auf
Erden am wenigsten entbehren, in ihr ruht der wahre Reichtum
eines Volkes. Wir müssen entweder ein Volk haben, das diese
Arbeit mit Freuden erfüllt, oder wir werden, wie einst die
Völker des Altertums, es erleben, daß der eine Teil der Men-
schen mit Gewalt den andern unterwirft, um diese mühevolle
Vrbeit von ihnen als unterworfenen Sklaven verrichten zu lassen.
Das ist eben eines der Geheimnisse des Christentums, daß es
versteht dem Menschen jene Gesinnung einzuflößen, die ihn
antreibt, mit Freude und Lust jene mühevolle Arbeit zu tragen,
die sich nun einmal nicht abschaffen läßt, und auf diese Ge-
sinnung hat das Christentum das gesellschaftliche Gebäude er-
richtet, das sich zwar niederreißen, aber nimmermehr außer
lern Christentume aufbauen läßt.
Wie das'Christentum aber in seiner Lehre von def Bestim-
mung des Menschen die wahre Arbeitsamkeit hervorruft und
dadurch den wahren Wohlstand begründet, so vermindert es durch
Bergsträßor I. 20 3^5
dieselbe Lehre das ungemessene Streben der Menschen nach
den zeitlichen Gütern und Freuden. Dem Unglauben sind die
zeitlichen Güter und Freuden das einzige Ziel, das der Mensch
zu erstreben hat; dem Glauben sind sie nur Mittel, die ihm zur
Erreichung seines ewigen Zieles dienen sollen. Der Reiche, der
seine Endbestimmung in dem jenseitigen Leben sucht, wird
also seine Reichtümer nicht als Mittel betrachten, um seine
irdischen Lüste zu befriedigen, sondern als ein Mittel, um durch
ihre gute Verwendung den Besitz Gottes zu erlangen. Er wird
bei der Verwendung auf den Willen Gottes sehen, seinen armen
Mitbrüdern in wahrer Liebe von seinen Gütern mitteilen und
jede ungeordnete Anhänglichkeit an die zeitlichen Güter aus
seinem Herzen verbannen. Auch der Arme, der auf einen
ewigen Lohn für seine Arbeit hofft, wird nicht mit unersätt-
licher Begierde auf die irdischen Güter, nicht mit Haß und Neid
auf seine wohlhabenden Mitbrüder hinblicken. Wie groß und
erhaben ist die Gesinnung eines wahrhaft christlichen Ar-
beiters, der mit Verachtung nicht auf die Reichen, sondern,auf
den Reichtum und äußeren Glanz hinblickt, der im Gefühle,
daß seine Menschenwürde nicht im Reichtume, sondern in wah-
rer Tugend besteht, gern den ganzen äußeren Tand den
Reichen überläßt, da er selbst nur nach der Tugend ringt; der
selbst mit Mitleid auf dieses armselige Haschen nach irdi-
schen Gütern hinblickt, über das er sich in seinem Strebefi nach
den ewigen Gütern erhaben fühlt, und der endlich in der Ruhe
und Freudigkeit seines Gewissens, in dem Glücke seines ein-
fachen Hausstandes einen übergroßen Ersatz findet für alle
Mühen und Arbeiten seines Lebens. Mit einer solchen Gesin-
nung hat der einfache Arbeiter eine menschliche Würde er-
reicht, die in einem anderen Stande kaum erreicht werden kann.
Die Quelle dieser Gesinnung ist aber die christliche Lehre von
der Bestimmung des Menschen. Auf dem Boden einer solchen
Gesinnung lassen sich gesellschaftliche Ordnungen gründen,
die aller Vergänglichkeit Trotz bieten.
306
Anmerkungen
Die Anmerkungen sollen keinen Kommentar, sondern
nur einige Hinweise und Erklärungen geben, besonders
von Anspielungen und Beziehungen, die nur aus ge-
nauerer Kenntnis der Umstände zu ermitteln sind
Seite 25. Die Eingabe ist an die auf dem Wiener Kongrefa versammelten
Fürsten gerichtet.
Seite 26. Die Säkularisationen wurden im Reichsdeputationshauptschluß
von 1803 festgelegt; sie galten als Entschädigung für linksrheinische, durch
den Frieden von Luneville von 1801 an Frankreich gefallene Besitztümer.
Seite 33 ff. Gekürzt. Der „Katholik" war 1821 von dem Mainzer
katholischen Kreise begründet worden, erster Herausgeber der spätere Bi-
schof von Straßburg, Raeß ; später wurde er längere Zeit von Görres geleitet.
Haxthausen gehört zur ganz konservativen Richtung, die die von der
Burschenschaft (Anspielung Seite 36) verkündeten Ideale der Einheit und
Freiheit ablehnt. Näheres über den Katholik und die in ihm vertretene
Staatsanschauung in Bergsträßer, Studien zur Vorgeschichte der Zentrums-
partei, Tübingen 1910. Ergänzend vgl.: Schnütgen, Das Elsaß und die Er-
neuerung des katholischen Lebens in Deutschland von 1814 bis 1848, Straß-
burg 1913.
Seite 42 ff. Die Aschaflfenburger katholische Kirchenzeitung war das Organ
der streng kurialistischen Richtung, vgl. Schnütgen a. a. O.
Seite 52 ff. Zu den Reden von Ringseis und Moy vgl. Bergsträßer, Der
Görreskreis im bayrischen Landtag von 1837, im Oberbayrischen Archiv,
Bd. s6.
Seite 54. Die beste Welt — aus liberalem Gedankenkreis — seit der
französischen Revolution von 1789.
Seite 61. A d a m M ü 1 1 e r war mit den ,, Elementen der Staatskunst" und
der Programmschrift : „Von der Notwendigkeit einer theologischen Grund-
lage der gesamten Staatswissenschaften" einer der wichtigsten Staatstheore-
tiker der Romantik und steht ganz auf dem Boden der Naturalwirtschaft.
Eine Neuausgabe seiner Schriften veranstaltet Arthur Salz, München 1920^21.
20* ,^' >7
Seite 64. Der baj^rische Landrat entspricht dem preußischen Kreistage.
Seite 81. Der Verfasser ist der Erzbischof von Köln, der den Kirchen-
streit mit der preußischen Regierung durchkämpfte. In seinem Verlauf wurde
er 1837 verhaftet und in Wesel gefangen gesetzt.
Seite 98. Die Zeitung konnte nicht erscheinen, da die preußische Zensur-
behörde keine Genehmigung gab ; Näheres über diese, wie manche andre
Zeitungsgründungsversuche in dem Werke von Karl Bachern : Josef' Bachern,
Bd. I, Köln 1912, bis 1848; Bd. II, ebenda, bis Ende der fünfziger Jahre
reichend.
Seite 106. Graf Merveldt war ritterschaftlicher Abgeordneter der Provinz
Westfalen.
Seite 108. Die Schrift ist der offizielle Rechenschaftsbericht des Katho-
lischen Klubs. Über den Klub vgl. Schnabel, Der Zusammenschluß des poli-
tischen Katholizismus in Deutschland im Jahre 1848 ; über Radowitz : F. Mei-
necke, Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 19 10 und desselben
Verfassers Auswahl aus R.' Schriften in dieser Sammlung, Erste Reihe,
Bd. XVI. Über DöUinger : Friedrich, Ignaz von DöUinger, München 1899.
Bd. II. Über August Reichensperger : L. Pastor, A. R., Freiburg 1899.
Seite 116. Das Stück ist aufgenommen, weil es in charakteristischer Weise
die christliche Auffassung von außenpolitischen und nationalpolitischen Fragen
kennzeichnet. Zur Polenfrage 1848 vgl. Walter Bleck. Die politischen Par-
teien und die Posener Frage in den Jahren 1848/49, in der Zeitschrift der
Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, Jahrg. 29 (1914).
Die Demarkationslinie war verschiedentlich, zuletzt von dem hessischen
General von SchäSfer-Bernstein gezogen worden; auf seiner Arbeit fußt die-
Diskussion.
Seite 117. Trzemesno = Tremessen, nahe Gnesen.
'Seite 118. Abgeordneter Schubert- Königsberg war Berichterstatter des
völkerrechtlichen Ausschusses über die definitive Festlegung der Demarka-
tionslinie im Großherzogtum Posen. Sein Bericht steht in den Stenogra-
phischen Berichten VII, Seite 5045 ff.
Schubert war Professor der Geschichte in Königsberg.
Seite 131. Antrag Osterrath, Seite 5086 der Stenographischen Berichte,
will die Angelegenheit an die Provisorische Zentralgewalt zu neuen Verhand-
lungen mit Preußen zurückverweisen. Osterrath war auch Mitglied des
Katholischen Klubs. Er war von Geburt Westfale, seit 1847 Oberregierungs-
rat in Danzig, gewählt vom Wahlbezirk Konitz. Für diesen Wahlkreis ge-
hörte er 1849 — 1862 dem preußischen Ahgeordnetei.ihause an, wo er seit 1852
eine Stütze der katholischen Fraktion besonders in finanzpolitischen
Fragen war.
Seite 133 ff. Die Stücke A, B, C von Büß verfaßt; Näheres in meinen
Studien. Das Buch von Dorr, Freiburg 191 1, hat Wert nur durch einige
308
Briefe. Stück D ist auf der Generalversammlung in Mainz beschlossen worden.
Lennig (vgl. das Buch von Brück, F. A. L.) war einer der tätigsten Grün-
der und Förderer des Mainzer Piusvereins. Über die Versammlung vgl jetzt :
Kißling, Geschichte der deutschen Katholikenversanimlungen I, Münster 1920.
Seite 162. E i s e n m a n n . Dr. med., aus Würzburg, bekannt durch das
fünfzehnjährige Gefängnisniartyrium wegen seiner politischen Schriftstellerei ;
gab 1848/49 das „Teutsche Volksblatt" heraus.
Seite 166. Das suspensive, aufschiebende Veto war nach dem Modell der
französischen Verfassung von 1793 in die Reichsverfassung übernommen
worden.
S c h e 1 1 e r , Gerichtsrat aus Frankfurt a. O. ; sein Vorschlag, auf den
lieichenspergcr anspielt, steht Stenographische Berichte S. 4687. Scheller war
Mitglied des Verfassungsausschusses ; er hielt sich parteipolitisch zum Kasino.
Seite 167. Die Waffenstillstandssache ist der zwischen Preußen und
Dänemark in Malmö abgeschlossene Waffenstillstand : die öffentliche Meinung
verwarf ihn, das Parlament auch erst unter dem Einflüsse von Dahlmann,
war aber dann dochi genötigt, ihm zuzustimmen, da es ihm an eigener Macht
gebrach.
Ministerium Brandenburg, nach der Auflösung der Nationalversammlung
in Berlin im Oktober 1848 geltildet : es begann mit der Oktroyierung der
Verfassung.
Cavaignac, französischer General und republikanischer Diktator 1848 ; er
unterlag gegen Napoleon bei der Wahl des Staatsoberhauptes.
Bassermann hatte vor Reichensperger zur Oberhauptsfrage gesprochen,
über ihn vgl. jetzt A. von Harnack, Fr. Daniel Bassermann und die deutsche
Revolution von 1848/49, München 1920.
Seite 169. Dahlmanns Neujahrswunsch, der Artikel : Zur Beherzigung.
Eine Neujahrsgabe, in Xr. I, Jahrgang 1849 der Deu^chen Zeitung.
Seite 170. Schüler, Professor aus Jena, Mitglied des Verfassungsaus-
schusses, hatte die Debatte über die Oberhauptsfrage eröffnet (Stenogra-
phische Berichte Seite 4694) und dabei ausgeführt, man wolle nicht einen
finsteren steinernen Dom bauen, sondern ein leichtes bewegliches Laubdach,
ein Vergleich, der bei seinen Freunden von der Linken viel Beifall fand.
Seite 172. Stahl, Wilhelm, Professor der Nationalökonomie an der Uni-
versität Erlangen, Bruder des Juristen. Seine Jiede Seite 4725.
Seite 173. R o t e n h a n s Verbesserungsantrag, Seite 4689, will ein Direk-
torium der Könige. R. gehörte zum Cafe Milani, der äußersten Rechten, wurde
aber zuletzt Anhänger des Erbkaisertums.
Seite 176. Die Schrift ist eine Entgegung auf Gustav Pfizer, Die deutsche
Einheit und der Preußenhaß, Stuttgart 1849. (Wentzcke, Kritische Biblio-
graphie der Flugschriften zur deutschen Verfassungsfrage, Nr. 850.) Büß,
Nr. 851. Vollständiger Titel: Die teutsche Einheit und die Preußenliebe. Ein
Sendschreiben an Herrn Gustav Pfizer. Rechtfertigung der großdeutschen
Partei in der teutschen Nationalversammlung. Gustav Pfizer replizierte mit
der Broschüre: Weder jetzt das Direktorium, noch das Habsburgsche Kaiser-
tum später ! Antwort an den „Großdeutschen" Herrn Dr. Büß. Wentzcke 182.
Seite 178. Die von Preußen oktroyierte Reichsverfassung ist die söge- -
nannte Unionsverfassung, die dem Erfurter Parlament vorgelegt wurde ; vgl.
Bergsträßer, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom Jahre 1849 mit Vor-
entwürfen, Gegenvorschlägen und Modifikationen bis zum Erfurter Parla-
ment, Bonn 1913.
Seite 181. Delolme, Genfer Staatsrechtslehrer, der in einem großen Werke
die englische Verfassung als vorbildlich darstellte, 1776 deutsche Erstausgabe.
Seite 183. O'Connel, Vorkämpfer der Gleichstellung der Katholiken in
England.
Seite 186. Neue Preußische Zeitung, die 1848 begründete Kreuzzeitung,
G e r 1 a c h , Ernst Ludwig, Führer der Konservativen im Landtag, später,
nach 1870, als Legitimist zum Zentrum übergegangen.
Kleist-Retzow, Bismarcks Freund, vgl. die Biographie von Petersdorfl'.
Seite 187. Landfermann, Regierungs- und Schulrat in Koblenz, Ab-
geordneter zur Zweiten Kammer schon 1849, vgl. die bei Wentzcke ange-
führten Flugschriften.
Rohden, Appellationsgerichtsrat, später Mitglied der katholischen Fraktion.
Bulle De salute animarum, sogenannte ZirkumskriptionsbuUe, die für
Preußen die Angelegenheiten der katholischen Kirche in einer Übereinkunft
ordnete.
von Ladenberg, 1848 — 1850 preußischer Kultusminister, schied Dezember
1850 wegen der deutschen Frage aus dem Ministerium und wurde Chef-
präsident der Oberrechnungskammer.
Seite 190. Steinle, der bekannte Frankfurter Maler, mit dem Reichen-
sperger in der Liebe zur Gotik übereinstimmte.
Seite 22,2. B u r k e , englischer Publizist des ausgehenden 18. Jahrhunderts
und Gegner der französischen Revolution, dadurch Kronzeuge deutscher kon-
servativer Politiker von Gentz an, der ihn auch übersetzte.
Seite 224. Wagener-Neustettin, Hermann, Redakteur der Kreuzzeitung,
Führer der Konservativen, vgl. seine Erinnerungen, „Erlebtes", Berlin 1884.
Seite 225. Die Fraktion der Linken, vgl. zur damaligen Parteigeschichte
überhaupt Ludolf Parisius, Deutschlands politische Parteien und das Mi-
nisterium Bismarck, Berlin 1878, und Bergsträßer, Grundriß der deutschen
Parteigeschichte (im Druck, Anfang 1921 im Verlag Bensheimer in Mann-
heim erscheinend).
Seite 233. Über die kölnischen Blätter vgl. Cardauns kleine Jubiläums-
schrift : 50 Jahre Kölnische Volkszeitung, Köln 1912.
310
Seite 234. Der Verfasser der Schrift ist nicht bekannt, auch der Verlag
kann ihn nicht mehr feststellen.
Seite 235. Italienische Zustände: die seit 1859 werdende italienische Ein-
heit, die von den Katholiken bekämpft wurde, da sie sich auch gegen den
Papst richtete, was nach den Vorgängen von 1848 unzweifelhaft war.
Seite 239. Fortschrittsmänner, die Mitglieder der 1861 begründeten Fort-
schrittspartei.
Seite 240. Otto, Abgeordneter, Mitglied der katholischen Fraktion, Re-
gierungsrat in Düsseldorf, starb am 17. März 1857 während einer Rede zum
Kultusetat.
Seite 241. Richter, Dove, Friedberg: bekannter Staatsrechtslehrer.
Seite 244. Vincke, Führer der gemäßigten Liberalen.
Seite 250. Entwurf, gemeint der der Adresse, wie sie früher als Antwort
auf die Thronrede beschlossen wurde,
Stahl, Julius, der Schöpfer der konservativen Staatstheorie, Professor
der Rechte an der Universität Berlin ; er ist der eigentliche Begründer der
konstitutionellen Theorie.
Virchow, der berühmte Mediziner, Führer der Fortschrittspartei.
Seite 253. Mazzini, revolutionärer Nationalist in Italien.
Seite 256. Abgeordneter für Geldern war Peter Reichensberger.
Seite 2^7. Dr. Techow, liberaler, später nationalliberaler Abgeordneter.
311
Inhalt
Seite
Vorwort 3
Einleitung 5
Dokumente
Rechtliche Bitten und ehrfurchtsvollste Wünsche der Katholiken Deutsch-
lands. Von Landrichter K. J. Schmid 25
Die Kirche und ihre Institutionen im Verhältnis zu den Tendenzen der
Zeit. Von August Freiherm von Haxthansen ^^
Die Bedeutung der Priesterserainarien. Von Johannes Kertell. . 39
Freiheit des Unterrichts, ein wesentliches Bedürfnis der deutschen Katho-
liken 42
Gegen das siebente Volksschuljahr. Von Johannes Neeb
a) Antrag Neebs, die Zwangspflicht im Schulunterricht auf dem
Lande auf sechs Jahre zu beschränken 45
b) Brief Neebs in gleicher Angelegenheit an den Prinzen JEmil
von Hessen, Mitglied der ersten Kammer 46
Gegen die Zivilehe. Von Beck 49
Gegen die moderne Geldwirtschaft. Von Ringsei > 52
Organischer Verwaltungsaufbau. Von von Moy 64
Aus dem „Athanasius". Von Joseph Görres 69
Erstes Rundschreiben der Historisch-politischen Blätter 78
Über den Frieden unter der Kirche und den Staaten. Von Clemens
August Freiherm D roste zu Vischering . . 81
Programm einer politischen Zeitung am Rhein 98
Gegen Ehen zwischen Christen und Juden. Von Dr. Eduard Seitz . 102
Das Recht des Christen auf christliches Begräbnis. Von Dr. Eduard
Seitz 104
Gegen jüdische Volksschullehrer. Von Graf Merveldt 106
Betrachtungen über den Artikel III der Entwürfe der Grundrechte des
deutschen Volkes. Von Döllinger 108
Die Polenfrage. Von Döllinger 116
Katholische Agitation und Vereinsbildung 1848— 1849
a) Belehrung über den katholischen Verein des Erzbistums Freiburg 1 3 3
b) Petitionen 137
c) Hohe Reichsversammlung 139
d) An die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt. 152
Über Staat und Kirche. Von Josef von Radowitz. ...... I57
Über die deutsche Frage. Von August Reichensperger 165
Die deutsche Einheit und die Preußenliebe. Von Dr. F. J. Buii . . 176
Hundert Schlagworte zur Verfassungspolitik der Zukunft (Auszüge).
Vou Carl Ernst Jarcke 180
Seite
Katholische Politik. Von Dr. J. F. Büß 183
Reaktion und kirchliche Rechte in Preußen. Von Liuhoff. . . . 186
Die Bildung der katholischen Fraktion im preußischen Abgeordnetenhause 190
„Die Ministerialerlasse"
a) Über die Raumerschen Erlasse. Von von Waldbott-Born-
heim 196
b) Aus der Rede des Abgeordneten August Reichensperger (Köln) 205
c) Aus der Rede des Grafen Stolberg-Westheim 207
d) Aus dem Schlußwort des Buches 211
Die Wahlen zum Hause der Abgeordneten in Preußen. Von Peter
Reichensperger
1. Die Stellung der Krone in Preußen 220
2. Die Aufgabe der Volksvertretung im Allgemeinen und die ka-
tholische Fraktion im Besonderen 221
Die Namensänderung 229
Eine Petition für den Papst 231
Programm der „Kölnischen Blätter" 233
Die Fraktion des Zentrums
I. Religion und Politik 234
II, Die Fraktion des Zentrums und das „praktische Leben" . 238
in. Die Fraktion als Hort der kirchlichen Interessen .... 240
IV. Die Fraktion und die andern Parteien 244
Programmentwurf von Mallinckrodt 248
Ein Rückblick auf die letzten Sessionen des Preußischen Abgeordneten-
hauses. Von August*Reichensperger
a) Die Katholische Fraktion ist konstitutionell 250
b) Die Polenfrage 251
c) Die Judenfrage 255
d) Die konfessionelle Seite der Deutschen Frage 257
e) Grenzen der Einheit 264
Deutschland nach dem Kriege von 1866. Von Wilhelm Emmanuel
Freiherm von Kettelet
I. Der Verfassungskonflikt in Preußen als Kriegsmacher , . 269
II. Der Krieg und das monarchische Prinzip 272
III. Religion und Politik 274
IV. Ständisch-organische Ordnung. 276
V. Kirchliche Parität 282
Anhang
Die großen sozialen Fragen der Gegenwart. Von Wilhelm Emmanuel
Freiherm von Ketteier 285
Anmerkungen 3^7
Der deutsche Staatsgedanke
Eine Sammlung
Begründet von Arno Duch
In dem Ringen unseres Volkes, die Nöte und Gefährdungen der Gegenwart zu
überwinden und die Einheit von Volk und Staat zu bewahren und u vervoll-
kommnen, soll unsere Sammlung ,,Der Deutsche Staatsgedanke" Helferin sein
und Baustoff liefern. Sie stellt eine Reihe von Schriftdenkmälern zusammen, die
die Enljvicklung des Nationalbewußtseins, das Ringen der Deutschen — sen Ende
des 1 8. Jahrhunderts — , eine Staatsnation zu werden, zur Anschauung bringen.
Es soll gezeigt werden, wie sich führende Denker und Politiker aller
Richtungen die Verwirklichung der Nationalstaatsidee dachten, welche Stellung
die großen Parteien zu den Grundfragen staatlichen und nationalen Lebens
genommen haben, welche Versuche im Laufe des 19. Jahrhunderts gemacht
wurden, die deutsche Frage zu lösen. — Sie bietet ferner eine Reihe von Do-
Icumenten, die Marksteine in der Entwickhmg des nationalen Lebens bedeuten.
Erste Reihe: Führerund Denker
II.
III.
IV.
V.
YI.
VII.
vm.
IX.
X.
Von der Reformation bis auf
Friedrich den Großen (Heraus-
geber Prof. Dr. P. Joachirasen)
J. J. Moser und Zeitgenossen
♦Justus Moser (Herausgeber Prof.
Dr. Karl Brandi)
Fichte (Herausgeber Prof. Dr.
O. Braun)
Rom antiker (Novalis, Schlegel,
Müller)
W. V. Humboldt
Fried r. v. Gentz
Stimmen aus der Zeit der Er-
niedrigung (Herausgeb. Dr. Vaupel)
♦Freiherr vom Stein (Herausg.
Dr. Hans Thimme)
•.\rndt (Herausgeber Reichsarchiv-
direktor Müsebeck) '
XI. •Gör res (Herausgeb. Arno Duch)
2 Bände
XII. K. L. von Haller
XIII. Westdeutsche Politiker vor
1848 (Herausgeber Archivdirektor
P. Wentzcke)
XIV. Deutsche Historiker (Heraus-
geber Arno Duch)
XV. Hegel (Herausgeber P. A. Mer-
bach)
XVI. »Radowitz (Herausgeber Prof.
Dr. Fr. Meinecke)
XVn. 1848 (Herausgeber Archivdirektor
P. Wentzcke)
XVm. K. Chr. Planck
XIX. C. Frantz
XX. G. Rümelin (Herausgeber Prof.
Dr. Rapp)
(Diese Reihe wird bis auf die neuere Zeit fortgeführt)
Zweite Reihe: Die Parteien und der Staat
I. Konservativismus (Herausg. Prof.
Dr. von Below)
II. Liberalismus (Herausgeber Prof.
Dr. Rapp)
in. *Politischer Katholizismus (Her-
ausgeber Prof. Dr. L. Bergsträßer)
2 Bände
IV. Sozialdemokratie (Herausgeb. Dr.
L. Quessel)
Sonderbände:DeutscheProbleme
l. Großdeutsche und kleindeutsche Bewegung (Herausgeber Professor
Dr. Rapp)
n. Die germanische Staats- und Genossenschaftsidee
Die mit "•• bezeichneten Bände erscheinen zunächst
Drei M a s k e n X'' e r I a g München
Adam Müllers Schriften
Herausgegeben von
Professor Dr. Arthur Salz
Das Problem Adam Müller gehört zu den umstrittensten, aber auch an-
ziehendsten der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte. Niemand, der
auch nur einen Blick in eine der Müllerschen Schriften geworfen, kann sich
dem Zauber dieser genialen Beredsamkeit und kühnen Kombinationsgabe
entziehen. Jeder, und gerade der in den modernen Geistesproblemen heimische
Leser wird empfinden, daß es nicht damit getan ist, in Müller bloß den Typus
des Romantikers und speziell des politischen Romantikers zu sehen. Ein
besonderes Interesse genießen seine politischen Schriften deswegen, weil sie
an der Erklärung und Formung nationaler Geistigkeit den stärksten Anteil
haben. Wir beginnen deshalb die Ausgabe mit diesen Schriften tuid hoffen,
die geplante Gesamtausgabe, die bisher fehlte, bald erscheinen zu lassen,
und sind überzeugt,,dem deutschen Volke damit eine Überraschung und ein
Geschenk zu machen. Die Schriften von Adam Müller, die zu den schönsten
der politischen Romantik gehören, werden heute wieder studiert, gelesen,
geliebt, ruht doch sein geistiges Zentrum in Dingen, die uns heute bewegen.
Als erste Bände erschienen:
Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall
in Deutschland
Gehalten zu Wien im Frühling 1812
Mit einem Vorwort und Anmerkungen, sowie dem Porträt Müllers
Geheftet 20 M., geb. 26 M.,
auf bestem holzfreiem Papier in Ganzleinen 45 M.
Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und
Literatur (Dresden 1807)
Mit einem Vorwort
Geheftet i8 M., geb. 24 M.,
auf bestem holzfreiem Papier in Ganzleinen 40 M.
*
Später werden folgen:
Die Lehre vom Gegensatz / Die Elemente der Staatskunst
Drei Masken Verlas: München
Geschichte der sozialen Bewe-
gung in Frankreich 1789 — 1850
Von Lorenz von Stein
Drei Bände
Herausgegeben und eingeleitet von
Dr. GottfriedSalomon
*
1. Band: Der Begriff der Gesellschaft und die soziale
Geschiehte der französischen Revolution bis zuni
Jahre 1830
2. Band: Die industrielle Gesellschaft. Der Sozialis-
mus und Kommunismus Frankreichs von 1830 bis 1848
Geheftet je 30 M., in Halbleinen gebunden je 40 M.
Lorenz von Stein, einst der gefeierte Lehrer der Wiener Universität, gehört
längst zu den Klassikern der Staatswissenschaften. Sein Verdienst ist es.
wie sein Biograph sagt, „daß in die Staats- und Gesellschaftswissenschaft ein
einheitlicher, großer Gedankengang gebracht wurde, und daß der Zusammen-
hang des Volks- und Staatslebens wieder klar vor Augen trat". In glänzen-
der Sprache und überlegener Dialektik sind bei ihm bereits alle Probleme
staatlicher und gesellschaftlicher Kultur vorgetragen, und seine Schriften
muten uns an wie Werke allermodernster Gegenwart. Die Darstellung der
sozialen Bewegung in Frankreich gilt als sein Meisterwerk — ein Werk, das
grundlegend für das Erkennen des Wesens und der wechselseitigen Wirkung
von Gesellschaft und Staat und für das Verständnis aller sozialen und revo-
lutionären Bewegungen ist. — Diese Neuausgabe ist keine Ausgrabung.
Ein Werk, das im weitesten Umkreis angeregt hat und vielfach aus- und
abgeschrieben worden ist, verdient wieder dem Publikum und nicht nur der
Fachwissenschaft vorgelegt zu werden, da es epochemachend den Anfang
jener Bewegung der Gesellschaft und ihrer Wissenschaft darstellt,
in der wir noch stehen.
lu Vor bere itun t;:
3. Band: Das Königtum, die Republik und die Souve-
ränität der französischen Gesellschaft seit .der
Februarrevolution 1848
Drei M a s k e n V e r 1 a g München
Auswahlaus
Friedrich von Gentz' Schriften
Herausgegeben von Dr. Hans von Eckardt
Mit zahlreichen Bildbeilagen und bisher unveröffentlichten Briefen
Unsere neue Gentz-Ausgabe wendet sich nicht in erster Linie an den Ge-
lehrten und Fachpolitiker, sondern an jeden politisch interessierten Gebildeten.
Der Herausgeber hat es verstanden, allen überflüssigen Ballast zu beseitigen,
er hat seine Auswahl so geschickt getroffen, daß wir den klassischen Publi-
zisten, den leidenschaftlichen Patrioten, den sicheren Diplomaten und Welt-
mann in all seiner Vielseitigkeit vor Augen sehen. Durch die prägnante Ein-
leitung sowie die Anmerkungen und Erläuterungen erhält die Auswahl ihren
besonderen Wert.
Erster Band:
Friedrich von Gentz' Staatsschriften aus der Zeit
deutscher Not (1804 — 1813)
Zweiter Band:
Friedrich von Gentz und die deutsche Freiheit
(181S— 1832)
Apologie des Katholizismus
von J. H. Kardinal New man
Deutsch und mit einer Vorrede „Über John Henry Kardinal Newman"
von Rudolf Kaßner
Geheftet 7 M.
Westdeutsche Landeszeitung : Als wäre es aus der tiefen see-
lischen Not unserer Zeit heraus geschrieben, so berührt uns, was Newman
in seiner Apologia über die Gottlosigkeit der Welt sagt.
Saale-Zeitung : Der letzte Teil der „Apologia pro vita mea", in
welcher Newman seine Geistesgeschichte bis zum Übertritt erzählt, ist hier
von Rudolf Kaßner in mustergültiger Weise übersetzt. Er bietet eine Zu-
sammenfassung dessen, woran sich Newman in der römisch-katholischen
Kirche hielt, vor allen Dingen jedoch eine Verteidigung der katholischen
Glaubenssätze, und gipfelt in dem Bekenntnis, daß auch ein wissenschaftlich
gerichteter Geist die Möglichkeit i ibe diese Glaubenssätze ohne Einwände
und ohne Kompromisse anzunehmen. Die knappe, aber aufschlußreiche Ein-
leitung Rudolf Kaßners gibt einen interessanten Überblick über die religiöse
Bewegung in England, soweit sie mit der Geschichte des Kardinals Newman
verknüpft ist.
Drei Masken Verlag München
Gesammelte politische Schriften
Von Max Weber
Mit einem Anhang: Politische Briefe
Herausgegeben von Marianne Weber
Mit dem Bildnis Webers
Geheftet 40 M., in Halbleinen gebunden 50 M.
Max Webers politische Schriften sind insofern schon „Geschichte", als
sie zu den Problemen einer Epoche Stellung nehmen, die durch den Welt-
krieg und die ihm folgende Revolution heute als zu Ende gelebt erscheint.
Der Verfasser wollte mit diesen Schriften der Forderung des Tages dienen,
aber ihre Wirkung ist nicht an die Vergänglichkeit der Tage, für die sie
geschrieben waren, gebunden. Als Quelle der Schulung des politischen Den-
kens unserer Nation wird ihnen für Generationen lebendige Kraft inne-
wohnen. Denn sie sind mit dem kühlen Kopfe eines scharfsinnigen Denkers
und zugleich mit dem Herzblut eines leidenschaftlichen Deutschen ge-
schrieben, dem die Größe seiner Nation und die Besonderheit ihres Wesens
und ihrer Aufgaben ein unbezweifelbarer Wert war.
Romantischer Sozialismus
Ein Versuch über die Idee der deutschen Revolution
\^on Dr. Sigmund Rubinstein
Geheftet 35 M., gebunden 42 M.
Die Schrift unternimmt es, die Ideen klarzulegen, die in dieser Zeit einer
großen Wende die Nation erschüttern, und die Herkunft der Streitideen zu
ermitteln — der Klassenkampfidee des Marxismus und der Idee vom Herr-
schaftsstaat, der beiden scharfen Widersacher — , von denen die Wirrungen
der Umwälzungszeit erzeugt sind. Sie wagt es, diese Ideen in die geistige
Geschichte des Volkes zurückzuverfolgen, um zu zeigen, daß sie im Grunde
feindliche Brüder aus dem gemeinsamen Vaterhause des Rationalismus sind,
jener tiefliegenden, durch die Neuzeit ziehenden Idee, die den Menschen in
der Gesellschaft vereinzelt. Aus solcher Selbstbespiegelung deutschen
Geschichts- und Geisteslebens sollen die Antriebe zum Ausgleich des Hasses,
zur t)berleitung der Revolution in ein beruhigtes zielstetiges Aufwachsen
demokratisch-genossenschaftlichen Daseins Beweisgründe holen.
Drei Masken Verlag München
'•/
Zur Reform des politischen Denkens
Von Dr. Elias Hurwicz
Geheftet 8 M,
Es ist durchaus kein Zufall, daß die beiden Staaten, die jetzt am tiefsten
darniederliegen, Deutschland und Rußland, zugleich Länder der höchsten
Entfaltung des politischen Doktrinarismus sind. Gerade mit diesen beiden
Ländern aber verbindet den Verfasser ein jahrzehntelanges Leben ; die poli-
tische „Mentalität" ihrer Völker ist ihm aus eigenster Anschauung vertraut.
Er war daher berufen, diesen Typus politischer Mentalität einer grundsätz-
lichen und zugleich auf breiter internationaler Grundlage fußenden Kritik
zu unterwerfen, auf seine praktischen Schäden und endlich auf die Wege aus
ihm heraus hinzuweisen. So wird die Reform des politischen Denkens und
der politischen Erziehimg dem unterlegenen Deutschland zum Segen gereichen.
Das Nationalitätenproblem
auf dem Reichstag zu Kremsier 1848/49
Ein Beitrag zur Geschichte der Nationalität-jn in Österreich
Von Dr. Paula Geist-Länyi
Geheftet i8 M., gebunden 24 M.
Das Nationalitätenproblem in Österreich, das mobile Agens des alten
Kaiserreichs im 19. und 20. Jahrhundert, findet auf dem Reichstag zu Kremsier
seine erste legale Auseinandersetzung. Getragen von dem Verlangen nach
einer Einigung, verstehen sich die Völker Österreichs zu einem Kompromiß.
Der Reichstag wird jedoch aufgelöst und damit seiner Arbeit das Ver-
nichtungsurteil gesprochen. — Für das Verständnis der natio-
nalenVerhältnisseundVerwicklungenim alten Öster-
reich, die heute noch fortwirken, ist dieses
Werk von größter Bedeutung.
1848/49 — 1866 I9I8/19
Des deutschen Volkes Weg zur Katastrophe und seine
Rettung
Von Prof. Dr. R. F. Kai n dl
Geheftet 6.50 M.
Der Verfasser weist in seiner Schrift nach, daß die ganze Entwicklung
seit 1848/49 am Unglück Deutschlands schuld ist, und for-
dert die Rückkehr zuden Hochzielen des Großdeutsch-
land von 1 848/49, in denen er allein den rettenden Zu-
Icunftsweg sieht. Die Schrift will aufklären, nicht anklagen. Sie
ist bei allem Freimut ruhig und sachlich gehalten, getragen von
heißer Liebe für das deutsche Volk.
Drei Masken Verlag München
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